hi.bi.kus 16 Schlussfolgerungen für die pädagogische Praxis
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- Herta Beltz
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1 hi.bi.kus 16 Schlussfolgerungen für die pädagogische Praxis
2 Das Tor zum Lernen öffnen Eine anregungsreiche Umgebung gestalten Die Sinne schulen Bewegung vielfältig fördern Persönliche Bezüge herstellen Erfolge organisieren und rückmelden Wiederholungen variieren Interferenzen vermeiden Den Lernprozess rhythmisieren Dem Lernen ausreichend Zeit geben Für ein sicheres Fundament sorgen Die Notwendigkeit von Fehlern akzeptieren Negative Erfahrungen überschreiben Die Rolle des Vorbilds beachten Originalität bejahen Gemeinsam Bedeutungen konstruieren
3 Das Tor zum Lernen öffnen Implizite und explizite Lernprozesse sind auf hochkomplexe Weise miteinander verbunden. Unsere bewussten Repräsentationen in Sprache, Denken und Vorstellung, auf die pädagogische Interventionen gemeinhin zielen, bauen auf die Qualität der in den tieferen Gehirnteilen ablaufenden Prozesse unmittelbar auf. Daher wird die Qualität der Lernergebnisse implizit von der Qualität der Lernbedingungen und sozialen Beziehungen wesentlich beeinflusst.
4 Eine anregungsreiche Umgebung gestalten Monotonie führt auf der Ebene der neuronalen Verschaltungen unvermeidlich zu immer schwächeren Antworten auf die empfangenen Reize. Stark kanalisierte Erfahrungen können Einseitigkeit und Verarmung in der neuronalen Entwicklung zur Folge haben. Dem kann über eine anregungsreiche Umgebung mit entsprechenden Lernangeboten entgegengewirkt werden. Die notwendige Auslese differenzierter synaptischer Muster wird zusätzlich begünstigt, wenn die Lernumgebung durch Strukturiertheit und Transparenz geprägt ist.
5 Die Sinne schulen Lernprozesse sind stets ganzheitlich angelegt, bedingt durch die die komplexen Verbindung der Systeme von Sensomotorik, Bewertung, Lernen und Gedächtnis. Multisensorisch verarbeitete Eingangssignale fördern den Einsatz parallel arbeitender Netzwerke und haben somit in der Regel eine Verstärkung der so gelernten Muster zur Folge. Dagegen führt Reizüberflutung zur sprichwörtlichen Abstumpfung, da auch hier die Reaktionen auf die empfangenen Reize unvermeidlich schwächer werden. Das Schulen der Sinne ist von Beginn an eine wichtige Lernvoraussetzung.
6 Bewegung vielfältig fördern Die Entwicklung des neuronalen Apparats wird durch motorische Aktivitäten wesentlich gefördert. Sie unterstützen die sensorische Entwicklung, ermöglichen unterschiedliche Körpererfahrungen, schaffen Abwechslung und Rhythmisierung und wirken emotional positiv. Sie verbinden auf vielfältige Weise mit der Umwelt, erschließen und erweitern den Lebensraum und eröffnen den Zugang zu anderen Menschen.
7 Persönliche Bezüge herstellen Die Verarbeitungstiefe von Gedächtnisinhalten ist auf neuronaler Ebene von dauerhaften strukturellen Veränderungen der Synapsen abhängig. Episodische und im Besonderen biografische Gedächtnisinhalte besitzen eine beson ders hohe Verarbeitungstiefe. Stehen Musterbildungen und Regelextraktionen mit persönlichen Erfahrungen in Beziehung, können sie über eine wesentlich längere Zeitspanne hinweg in das Arbeitsgedächtnis zurückgeführt werden. Zusätzlich ist es förderlich, wenn die situativen Kontexte von Speicherung und Abruf sich ähneln oder gleichen.
8 Erfolge organisieren zeitnah rückmelden Die Aktivierung des Belohnungssystems führt zu einer Verstärkung der gelernten Muster. Der Mensch befindet sich in Bezug zu seinem Belohnungssystem prinzipiell in einem leicht positiven Erwartungszustand, ist also aufgeschlossen für Neues und Herausforderungen. Gleichzeitig sucht er nach Sicherheit durch klare Strukturen und verlässliche Bindungen. Daher sollte grundsätzlich gelten: Fördern, fordern, aber nicht überfordern. Erfolgreiche Lernprozesse brauchen eine entsprechende Rückmeldung aus der Lernumgebung, und diese Rückmeldung muss zeitnah erfolgen.
9 Wiederholungen variieren Verstärkt werden vorzugsweise diejenigen synaptischen Muster, die durch wechselnde Formen der Wiederholung häufig aufrufen werden. Deshalb sind häufigere kürzere Wiederholungen effektiver als intensive in langen Abständen. Besonders nachhaltig ist die Verwendung gelernter Inhalte in Form von Operationen und Transfers. Dies geschieht vorzugsweise in Situationen, in denen wir handelnd beteiligt sind.
10 Interferenzen vermeiden Es kommt unvermeidlich zu Interferenzen bei der Speicherung von Gedächtnisinhalten, wenn der neuronale Apparat unmittelbar nacheinander auf dieselben Ressourcen zurückgreifen muss. Das tritt ein, wenn die Lerngegenstände oder Lerntätigkeiten sehr ähnlich sind. In der Folge ist es schwer die so gelernten Inhalte auseinanderzuhalten. Vorausschauende organisatorische und didaktische Planung mit entsprechender Kommunikation zwischen den Lehrenden kann dem entgegen wirken.
11 Den Lernprozess rhythmisieren Die Aufmerksamkeitsspanne unterliegt wie die körperliche Verfassung innerhalb eines Tages deutlichen Schwankungen und variiert zudem individuell. Im Rahmen einer Lerneinheit kann pragmatisch nicht ständig hohe Aufmerksamkeit vom neuronalen Apparat erwartet werden. Lern- und Gedächtnisprozesse profitieren von Abwechslung und Pausen in und zwischen den einzelnen Lerneinheiten. Rhythmisieren lässt sich gleichermaßen auf kognitiver, emotionaler und motorischer Ebene.
12 Dem Lernen ausreichend Zeit geben Wesentlich für die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten sind ausreichende Zeitspannen zur sog. Langzeitpotenzierung. Neuer Stoff sollte wirklich erst eingeführt werden, wenn mit den erlernten Gedächtnisinhalten sicher interferiert werden kann. Innerhalb klarer und transparenter zeitlicher Strukturen sollte die Möglichkeit situativer Anpassbarkeit gegeben sein. Es ist hilfreich, Kindern und Jugendlichen den Unterschied zwischen gemessener und erlebter Zeit bewusst werden zu lassen. Die Konsolidierung wird wirksam unterstützt durch ausreichenden Schlaf.
13 Für ein sicheres Fundament sorgen Das Gehirn des Menschen braucht notwendigerweise über zwei Jahrzehnte zur vollständigen Ausreifung. Dennoch ist der Mensch ist kein Mängelwesen, sondern handelt auf jeder Stufe seiner Entwicklung als lernendes Subjekt und sozialer Interaktionspartner im Sinne von Handlungsfähigkeit angemessen und kompetent. In der frühen Kindheit entwickeln sich zudem ganz wesentliche neuronale Verschaltungen, auf die wir unser ganzes Leben lang zurückgreifen. Daher sind wir in dieser Zeit in Hinblick auf die Lernangebote und den Grad der Zuwendung besonders anspruchsvoll.
14 Die Notwendigkeit von Fehlern akzeptieren Der junge Mensch lernt schneller, aber mit größerer Fehlerhäufigkeit gegenüber einem Erwachsenen, der wesentlich weniger Fehler macht, aber nicht mehr so schnell zu lernen vermag. Dieser Verlauf ist in den immer komplexer werdenden neuronalen Netzwerken begründet, über die wir mit zunehmendem Lebensalter verfügen. Dem sollte ein positiver Umgang mit Fehlern in Lernprozessen entsprechen.
15 Negative Erfahrungen überschreiben Die Eigenschaft der ständigen Umorganisation, üblicherweise als Neuroplastizität bezeichnet, ist eine der Haupteigenschaften des neuronalen Apparats und damit auch der Ansatzpunkt für die Förderung positiver Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Sie ermöglicht das Überschreiben früher negativer Erfahrungen durch entsprechende neue positive Erfahrungen im Lernprozess.
16 Die Rolle des Vorbilds beachten Mit den sog. Spiegelneuronen verfügen wir über ein System direkter Kommunikation, das keine vorherige Übereinkunft erfordert. So lernen wir automatisch und unbewusst imitatorisch vor allem von Personen, zu denen wir uns hingezogen fühlen. Auf diese Weise kann ein Teil unseres Wissens, unserer Fähigkeiten und Kompetenzen über die Generationen hinweg ganz selbstverständlich weitergegeben werden. Lehrende sollten sich der Bedeutung von Vorbildern ständig bewusst sein.
17 Originalität bejahen Der Prozess der Hirnreifung verläuft zwar genetisch vorbestimmt in einer absehbaren zeitlichen Reihenfolge, gestaltet sich aber individuell letztlich differenziert. Auf der Grundlage genetischer Voraussetzungen, subjektiver Wahrnehmungen, vorhandener Lernerfahrungen und der konkreten Situation in der Umgebung konstruiert der Mensch zu allen Zeitpunkten des Lebens seine subjektive Wirklichkeit. Deshalb ist der Mensch, obwohl er aus neuronaler Sicht in der Tendenz ähnlich ausgerichtet erscheint, als lernendes Subjekt immer einzigartig.
18 Gemeinsam Bedeutungen konstruieren Als einzelnes, isoliertes Individuum wäre der Mensch jedoch nicht in der Lage, den Prozess der Bedeutungskonstruktion erfolgreich zu leisten. Er braucht dafür zwingend den Dialog mit seinen Mitmenschen. Subjektive Bedeutungskonstruktionen sind also stets gebunden an ein (mitunter auch gedachtes, vorgestelltes) Gegenüber, Bildung ist immer auch als ein sozialer Prozess zu betrachten. I n diesem Sinne sind wir also in jeder Lernsituation gleichermaßen Konstrukteure und Ko-Konstrukteure. Und Lehrende gleichzeitig immer auch Lernende.
19 Das Tor zum Lernen geschlossen halten Es bei einer anregungsarme Umgebung belassen Die Sinne einengen Bewegung behindern Persönliche Bezüge vermeiden Gleichgültigkeit gegenüber Erfolgen zeigen Starr wiederholen Interferenzen zulassen Den Lernprozess monoton gestalten Dem Lernen nicht ausreichend Zeit geben Auf ein unsicheres Fundament bauen Den Fehler als Defizit betrachten Negative Erfahrungen belassen Die Rolle des Vorbilds ignorieren Originalität verneinen Nur die eigene Wirklichkeit zulassen
20 Impressum Das Material Hirngerechte Bildung in Kindergarten und Schule - Hinweise und Empfehlungen wurde im Auftrag des Thüringer Kultusministeriums verfasst und zusammengestellt von Ulrich Mittelstädt (Programmkoordinator) unter enger Mitwirkung von Hans-Ulrich Kellner (Programmkoordinator) und redaktioneller Beteiligung der Praxis-Vertreter/innen der hi.bi.kus-konzeptgruppe. (Redaktionsschluss: Erfurt, Juni 2008) Kontakt hi.bi.kus- Koordinierungsstelle Haus des Thüringer Sports Werner-Seelenbinder-Str Erfurt Tel.: 0361/ Fax: 0361 / info@hibikus.de Internet:
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