PROF. DR. GÖTZ SCHULZE UND AKAD. MIT. YANNICK DIEHL *
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- Guido Althaus
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1 PROF. DR. GÖTZ SCHULZE UND AKAD. MIT. YANNICK DIEHL * Sachverhalt Die in Potsdam lebende K unternahm im Herbst 2015 eine 7-tägige Pauschalreise nach Bodrum/ Türkei, die sie bei der Reiseveranstalterin, der R-BV, mit Sitz in Amsterdam/Niederlande gebucht hatte. Auf die Reise war sie durch den deutschsprachigen Reisekatalog aufmerksam geworden, den die R-BV ihr per Post zugeschickt hatte. Am Tag vor dem Rückflug nach Berlin fuhren die Kunden der R-BV in die Schmuckmanufaktur der S ( 11 Kuyumcu Limited $irket" = türk. GmbH), die auch den Bus für den Weg zu ihr gechartert hatte. Die Fahrt wurde zugleich als Teilstrecke zum Abflugort (Transfer zum Flughafen) zurückgelegt. Vor Ort besichtigte die Reisegruppe die Manufaktur, es wurden Tee und Gebäck gereicht, das Goldschmiedehandwerk erläutert und Gelegenheit zum Einkauf gegeben. K unterzeichnete einen in deutscher Sprache abgefassten Kaufvertrag, wonach sie einen handgeschmiedeten Paymia Goldring aus dem Sortiment Der Autor Schulze ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Europäisches Privatrecht, Internationales Privat- und Verfahrensrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Potsdam. Der Autor Diehl ist akademischer Mitarbeiter ebendort. Der Sachverhalt ist angelehnt an die Entscheidung des OLG Stuttgart, Urt. v U 147/14, IPRax 2016, 601 = BeckRS 2016, 19497, und wurde im Wintersemester 2016/17 als Teil der Examerisklausur im Schwerpunktbereich 2 (Transnationales Recht) an der Universität Potsdam gestellt. Die gutachterliche Falllösung hatte an der Gesamtnote einen Anteil von 70%. der S zum Pauschalpreis von 2.000,- erwerbe. Außerdem wurde vereinbart, dass bei Lieferung am Wohnort der Kin Potsdam gezahlt werden sollte. Weiter findet sich in den AGB die Klausel: 11 Auf den Vertrag findet türkisches Recht Anwendung". Als der Ring wenige Wochen später bei K in Potsdam eintraf, verweigerte diese die Abnahme und Zahlung und widerrief den Vertrag. Die S meint, der Kaufvertrag sei nach türkischem Recht wirksam (was zutrifft). Die K schulde daher die Zahlung von 2.000,-. K meint dagegen, sie habe das ihr gern. 312b S. 1 Abs. 1 Nr. 4 BGB zustehende Widerrufsrecht wirksam ausgeübt (was ebenfalls zutrifft). Sollte türkisches Recht gelten, liege jedenfalls ein Verstoß gegen den ordre public vor, denn sie sei eine geschäftsunerfahrene Rentnerin. Fallfragen: 1) Muss K zahlen? 2) K möchte wissen, nach welchem Recht sie gegen die R-BV wegen eines Reisemangels vorgehen könnte. 3) Abwandlung: K erklärt, sie habe vor dem Vertragsschluss versehentlich eine Schlaftablette eingenommen und sei daher, was zutrifft, bei Unterzeichnung des Vertrages nicht geschäftsfähig gewesen. Muss K zahlen? Gehen Sie auch hier davon aus, dass der Vertrag nach türkischem Recht wirksam wäre. 44
2 VERBRAUCHERSCHLEUSUNG IM TÜRKEIURLAUB ] ~ Bearbeitervermerk: Soweit die Bearbeiterin/ der Bearbeiter zur Anwendbarkeit türkischer Kollisionsnormen gelangt, ist davon auszugehen, dass diese dem deutschen Recht entsprechen. Die Ausführungen zur Rechtslage nach türkischem und nach deutschem Sachrecht sind als richtig zu unterstellen. Lösungsvorschlag: Frage 1): V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 2000,- aus einem Kaufvertrag haben. Fraglich ist, nach welchem Recht dieser Anspruch zu beurteilen ist. A. ANWENDBARES RECHT I. Verbindung zu einem ausländischen Staat Der Sachverhalt weist eine Verbindung zu einem ausländischen Staat auf. Der Vertragsabschluss erfolgte in der Türkei und es liegt eine Vereinbarung zugunsten der Anwendbarkeit des türkischen Rechts vor. Das anwendbare Sachrecht ist daher nach den Normen des internationalen Privatrechts zu bestimmen (Art. 3 a.e. EGBGB). II. Anwendbares Recht nach UN-Kaufrecht (CISG) Gern. Art. 3 Nr. 1 lit. b) EGBGB ist grundsätzlich die Rom I-V0 1 vorrangig anzuwenden. Die Rom I-VO regelt ihr Verhältnis zu anderen internationalen Übereinkommen in Art. 25 I (vgl. auch Art. 3 Nr. 2 EGBGB). Als völkerrechtlicher Vertrag mit Drittstaatenbeteiligung geht die CISG der Rom I-VO vor.2 Die CISG findet aber keine Anwendung auf Kauf von Waren zum persönlichen Gebrauch (Verbraucherverträge), Art. 2 lit. a) CISG. 3 Der Ring ist eine bewegliche Sache (Ware), die lediglich für den persönlichen Gebrauch der K bestimmt war. Die Anwendung der CISG ist daher ausgeschlossen. Hinweis: Da vorliegend um eine Verpflichtung aus einem Kaufvertrag gestritten wird, ist der Geltungsvorrang der CISG in jedem Falle zu prüfen. Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABI. EG Nr. L 177 S. 6. Näher s. Ferrari/G.Schu/ze, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl., 2017, Art. 25 Rom I-VO Rn. 4. Ferrari/Saenger (Fn. 2), Art. 2 CISG, Rn. 2 ff. III. Anwendbares Recht nach Rom 1-VO Das anwendbare Recht könnte sich somit nach den Kollisionsnormen der Rom 1-VO richten. 1. Anwendungsbereich Die Verordnung müsste anwendbar sein. Der Anspruch aus einem Kaufvertrag stellt ein vertragliches Schuldverhältnis in Zivilsachen 4 i.s.v. Art. 1 I S. 1 Rom I-VO dar. Die Verordnung ist gern. Art. 2 Rom 1-VO räumlich universell (sog. loi uniforme) und damit auch im Verhältnis zur Türkei als Drittstaat anwendbar. 5 In zeitlicher Hinsicht gilt die Verordnung gern. Art. 28, 29 Rom I-VO für Verträge, die ab dem geschlossen wurden. Der hier streitige Vertragsschluss liegt im Jahr Die Rom I-VO ist somit anwendbar. Hinweis: Regelmäßig fällt die Prüfung des Anwendungsbereichs der europäischen Verordnungen zu ausführlich aus. Da hier keine Probleme im Sachverhalt angelegt.sind, sollte auf längere Ausführungen an dieser Stelle verzichtet werden. 2. Rechtswahl, Art. 3 I Rom 1-VO Die Parteien könnten eine vorrangige Rechtswahl gern. Art. 3 I Rom I-VO getroffen haben. Eine Rechtswahl kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, Art. 3 I S. 2 Rom I-VO. Vorliegend kommt eine ausdrückliche Wahl des türkischen Rechts in Betracht. Der Vertrag enthält eine dahingehende schriftliche Klausel. Die bestehenden Indizien für eine konkludente Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts (Vertragsformular in deutscher Sprache, vereinbarter Lieferort und Wohnort der Kin Deutschland sowie die Währung (Euro)) vermögen den ausdrücklich formulierten Willen der Parteien nicht zu verdrängen. 6 Daher bleibt es bei der ausdrücklichen Wahl des türkischen Rechts. Die Rechtswahl müsste auch wirksam erfolgt sein. Bedenken könnten sich insbesondere daraus ergeben, dass die Rechtswahlklausel in AGB erfolgte. Gern. Art. 3 V, 10 I Rom 1-VO richten sich sowohl das Zustandekommen als auch die Vertrag meint jede freiwillig eingegangene Verpflichtung, s. Palandt/Thorn, Bürgerliches Gesetzbuch, 76. Aufl., 2017, Art. 1 Rom I-VORn.3f. Palandt/Thorn (Fn. 4), Art. 2 Rom I-VO Rn. 1; Rauscher/V. Hein, EuZPR/EuIPR Bd. III, 4. Aufl., 2016, Art. 2 Rom I-VO Rn. 1. OLG Stuttgart, IPRax 2016, 601 = BeckRS 2016, Rn. 24; Anm. Arnold, Rechtswahl und Verbraucherschutz im Internationalen Vertragsrecht bei Auslandsreisen und Kundenschleusung, IPRax 2016, 567; zur konkludenten Rechtswahl s. Palandt/Thorn (Fn. 4), Art. 3 Rom I-VO Rn
3 *[ VERBRAUCHERSCHLEUSUNG IM TÜRKEIURLAUB Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung nach dem gewählten Recht.7 Hierbei handelt es sich vorliegend um das türkische Recht. Anhaltspunkte für eine unzureichende Einbeziehung sind nicht vorhanden (vgl. auch Bearbeiterhinweis). Wirkungsbeschränkungen der Rechtswahl nach Art. 3 III, IV Rom I-VO kommen ebenfalls nicht zum Zuge, da keine Konzentration aller Sachverhaltselemente in nur einem Staat besteht. Einzelne Sachverhaltselemente sind sowohl in Deutschland als auch in der Türkei belegen. Auf den Vertrag ist damit das türkische Recht anwendbar (Art. 3 I Rom I-VO). 3. Einschränkung der Wirkungen der Rechtswahl, Art. 6 Abs. 2 Rom 1-VO Die Wirkungen der Rechtswahl könnten zugunsten des Rechts am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verbrauchers eingeschränkt sein. a. Anwendbarkeit Gern. Art. 23 Rom I-VO könnte Art. 46b EGBGB gegenüber Art. 6 Rom I-VO vorrangig anzuwenden sein. 8 Art. 46b EGBGB setzt voraus, dass die Parteien ein drittstaatliches Recht, also das Recht eines Staates, der kein Mitgliedstaat der EU ist, gewählt haben. Dies trifft auf die Türkei zu. Die abschließende 9 Aufzählung in Art. 46 b BGB enthält aber die hier relevante VerbrRRL (RL 2011/83/EU) nicht. 10 Art. 6 Rom I-VO ist mithin anwendbar. b. Verbrauchervertrag und situativer Anwendungsbereich (Art. 6 I Rom 1-VO) Voraussetzung für die Beschränkung der Rechtswahl ist das Vorliegen eines Verbrauchervertrages 11 Zudem muss der sog. situative Anwendungsbereich des Art. 6 I lit. a) und b) Rom I-VO eröffnet sein: K ist Rentnerin und erwarb den Ring weder zu beruflichen, noch zu gewerblichen Zwecken. Sie war demnach Verbraucher i.s.v. Art. 6 I Rom I-VO. Die S handelte als juristische Person (GmbH türkischen Rechts). Der Verkauf des Ringes erfolgte in Ausübung ihrer beruflichen und gewerblichen Tätigkeit als Goldschmuckhändlerin. S war demnach Unternehmer i.s.v. Art. 6 I Rom I-VO. Der situative Anwendungsbereich ist gern. Art. 6 I lit. a) eröffnet, wenn der Unternehmer seine unternehmerische Palandt/Thorn (Fn. 4), Art. 3 Rom I-VO Rn. 9. Vgl. Rauscher/v. Hein (Fn. 5), Art. 3 Rom I-VO Rn Palandt/Thorn (Fn. 4), Art. 46b EGBGB Rn. 2; Arnold, IPRax 2016, 567,569. Allerdings bleibt nach h.m. Art. 6 Rom I-VO auch dann anwendbar, wenn Art. 46b EGBGB bejaht würde, s. Ferrari/Staudinger (Fn. 2), Art. 6 Rom I-VO Rn. 5; Palandt/Thorn (Fn. 4), Art. 46b EGBGB Rn. 8. Im Überblick Basedow, Verbrauchermobilität und europäisches Konsumentenrecht, ZEuP 2016, 1. Tätigkeit im Verbraucherstaat ausübt. Die Vereinbarung des Lieferorts in Deutschland reicht für ein Ausüben der unternehmerischen Tätigkeit im Verbraucherstaat nicht aus. 12 Notwendig ist eine aktive Beteiligung des Unternehmers am Wirtschaftsleben des Zielstaates, zumindest etwa der 13 Betrieb eines Auslieferungslagers. Mangels Ausübens der unternehmerischen Tätigkeit im Verbraucherstaat kann der situative Anwendungsbereich der Vorschrift alternativ auch gern. Art. 6 I lit. b) Rom I-VO erfüllt sein. Dann müsste S ihre unternehmerische Tätigkeit in irgendeiner Weise" auf den Verbraucherstaat Deutschland ausgerichtet haben. Dies ist der Fall, wenn S ihren generellen Willen zum Abschluss von Verträgen mit Verbrauchern des Ziellandes durch ihre unternehmerische Tätigkeit zum Ausdruck gebracht hat. 14 Vorliegend kommen im Wesentlichen zwei Fallgruppen in Betracht: aa) Kaffeefahrt Ein Ausrichten ist für sog.,,kaffeefahrten" zu bejahen. Eine solche liegt vor, wenn die gesamte Reise allein mit dem Ziel des Abschlusses von Verträgen organisiert und durchgeführt wird. Die Reise kann in diesen Fällen durch den Vertragspartner selbst organisiert werden. Er kann aber auch kollusiv mit einem dritten Reiseveranstalter zusammenwirken. 15 Beides ist vorliegend indes nicht erfolgt, vielmehr war die Reise der K primär als Urlaubsreise mit dem Ziel der Erholung des Verbrauchers ausgestaltet. bb) Kundenschleusung Es könnte sich um eine sogenannte Kundenschleusung16 handeln. Eine solche liegt vor, wenn der Besuch der Verkaufsstätte zum geplanten Gesamtprogramm einer Reise gehört, die an sich einen hiervon abweichenden Gesamtzweck verfolgt Vgl. OLG Stuttgart, IPRax 2016, 601 = BeckRS 2016, Rn. 30. A.A. Rauscher/Heiderhoff (Fn. 5), Art. 6 Rom I-VO Rn. 32, die eine regelmäßige Leistungserbringung im Verbraucherstaat ausreichen lässt. Arnold, IPRax 2016, 567, 569; Rauscher/Heiderhoff (Fn. 5), Art. 6 Rom I-VORn.32. EuGH, Urteile v verb. Rs. C-585/08 und C-144/09 - Pammer und Hotel Alpenhof; MüKo/Martiny, Bd. 10, 6. Aufl. 2015, Art. 6Rn. 48. Arnold, IPRax 2016, 567, 570; OLG Stuttgart, IPRax 2016, 601 = BeckRS 2016, Rn. 31. OLG Stuttgart, IPRax 2016, 601 = BeckRS 2016, Rn. 36, 38. Dazu Ferrari/Staudinger (Fn. 2), Art. 6 Rom I-VO Rn. 49. Diese Fallgruppe wohl ablehnend Rauscher/Heiderhoff (Fn. 5), Art. 6 Rom I-VORn. 36. Auch zum Folgenden OLG Stuttgart, IPRax 2016, 601 = BeckRS 2016, Rn
4 VERBRAUCHERSCHLEUSUNG IM TÜRKEIURLAUB ] ~ Zusätzlich muss für den Käufer der Besuch der Verkaufsstätte nicht oder nur unter erheblichem Aufwand zu umgehen sein ( etwa durch Sonderzahlungen) und ein organisatorisches Zusammenwirken von Reiseveranstalter und Verkäufer nachgewiesen werden. Zur Feststellung einer Kundenschleusung ist daher eine Gesamtschau aller konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Vorliegend war die Besichtigung der Manufaktur in das Reiseprogramm der R-BV eingebunden. S hatte den Bus gechartert und somit an der Organisation mitgewirkt. Die Teilnehmer hatten keine Auswahl zwischen mehreren Verkaufsständen oder -läden, sondern konnten einzig die Manufaktur der S aufsuchen. K war zudem faktisch zum Besuch der Schmuckmanufaktur gezwungen, da der Besuch der Manufaktur Teil des Transfers zum Abflugort für den Rückflug war und für sie somit unumgänglich erschien. Überdies war das Vertragsformular in deutscher Sprache verfasst. S war demnach auf deutsche Kunden vorbereitet. Insgesamt handelte es sich um eine anteilig durch die R-BV und die S organisierte Fahrt mit dem Ziel des Abschlusses von Verträgen mit deutschen Verbrauchern. Ein Ausrichten auf den Verbraucherstaat Deutschland i.s.v. Art. 6 I lit. b) Rom I-VO liegt in Form einer sogenannten Kundenschleusung 18 mithin vor. Hinweis: Die Subsumtion des Sachverhaltes unter Art. 6 I lit. b) Rom I-VO ist einer der Schwerpunkte der Falllösung. Im Sachverhalt sind Hinweise und Argumentationsstützen angelegt, die eine ausführliche Auseinandersetzung durch die Bearbeiter _innen ermöglichen. Es wird keine (terminologisch) genaue Kenntnis der Rechtsprechung zur Typisierung von Kaffeefahrten bzw. Kundenschleusungen verlangt. c. Günstigkeitsvergleich Die Rechtswahl zugunsten des türkischen Rechts wird gern. Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO durch diejenigen zwingenden Normen des Rechts am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verbrauchers durchbrochen, die für den Verbraucher günstiger sind. Dabei ist grundsätzlich nur ein Normgruppenvergleich vorzunehmen, um der Gefahr einer ungerechtfertigten Kumulation von Vorteilen (sog. Rosinentheorie) vorzubeugen. Als Normgruppe kommen hier 19 allein die deutschen Regeln über das Widerrufsrecht des Verbrauchers in Betracht, denn nach materiellem türkischem Recht wäre der Vertrag wirksam (s. Bearbeiter hinweis). Der K könnte ein Widerrufsrecht aus 312g I i.v.m. 312b I 1 Nr. 4 BGB zustehen. Die Widerrufsregeln des Verbraucherrechts sind nicht disponibel und somit einfach zwingendes Recht i.s.v. Art. 6 II Rom I-VO. Die Tatbestandsvoraussetzungen des 312b I Nr. 1 BGB 20 liegen vor (s. Bearbeiterhinweis). Ergebnis: Gern. Art. 3 I, 6 II Rom II-VO unterliegt der Kaufvertrag türkischem Recht, wobei die zwingenden Verbraucherschutzvorschriften des deutschen Rechts zur Anwendung kommen ( 355 I, 312g I i.v.m. 312b I 1 Nr. 4 BGB). B. MATERIELLER TEIL I. Vertraglicher Anspruch nach türkischem Recht Ein Kaufvertrag über die Lieferung des Paymia Goldringes wurde ausweislich des Sachverhaltes nach türkischem Kaufrecht 21 wirksam geschlossen. Die K hat gegenüber S aber den Widerruf des Vertrag~s erklärt. Der K stand nach dem von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO insoweit berufenen deutschen Verbraucherrecht ( 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB) auch ein Widerrufsrecht zu (s.o.). Der Vertrag ist nach wirksamem Widerruf gern. 355 I 1 BGB unwirksam. II. Hilfsweise: Verstoß gegen den Ordre Public Hilfsweise hat die K für den Fall des Nicht-Bestehens des Widerrufsrechts einen Verstoß gegen den deutschen ordre public gern. Art. 21 Rom I-VO geltend gemacht. Das türkische Recht kennt kein dem 312b I S. 1 Nr. 4 BGB entsprechendes Widerrufsrecht. Fraglich ist, ob darin ein offensichtlicher Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des deutschen Rechts liegt. Erforderlich ist zunächst, dass der Sachverhalt eine hinreichende Inlandsbeziehung aufweist. 22 Vorliegend ist eine Vielzahl der Sachverhaltselemente in Deutschland belegen (s.o.). Ein offensichtlicher Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ist zu bejahen, wenn das Ergebnis der Anwendung des türkischen Rechts aus Sicht des deutschen Rechts und den diesem zugrundeliegenden Gerechtigkeitsvorstellungen untragbar OLG Stuttgart, IPRax 2016, 601 = BeckRS 2016, Rn. 50. Als außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag" gelten aber auch solche Verträge, die gezielt auf einem Ausflug mit Freizeitcharakter geschlossen wurden, um Waren zu verkaufen, 312b I 1 Nr. 4 BGB, Arnold, IPRax 2016, 567, 572; Ferrari/Staudinger (Fn. 2), Art. 6 Rom I-VO Rn Hierzu Palandt/Grüneberg (Fn. 4), 312b BGB Rn. 7. Noch zum alten Recht vgl. OLG Stuttgart, IPRax 2016, 601 = BeckRS 2016, Rn. 54 ff. Ausführlich Terne/, Haustürgeschäfte im türkischen Recht im Verleich zum Deutschen und EG-Recht am Beispiel der Teppichund Schmuckverkäufe an Touristen, VuR 2010, 50, 51 ff. Rauscher/Thorn (Fn. 5) Art. 21 Rom I-VO Rn
5 *[ VERBRAUCHERSCHLEUSUNG IM TÜRKEIURLAUB erscheint. Einzelne Widerrufsrechte zählen indes nicht zu den unverzichtbaren Grundlagen der deutschen öffentlichen Ordnung. 23 Ein Verstoß liegt daher nicht vor. Art. 6 Rom I-VO würde ferner weitgehend überspielt, wenn der Verbraucherschutz auch über den ordre public durchsetzbar wäre. Gesamtergebnis: Ein Anspruch der S gegen K auf Zahlung von 2.000,- besteht nicht. Frage 2): Der K könnte ein Anspruch gegen die R-BV wegen eines Reisemangels zustehen. Fraglich ist, nach welchem Recht sich etwaige Gewährleistungsansprüche der K gegen die R-BV richten. A. ANWENDBARES RECHT Die R-BV hat ihren Sitz in den Niederlanden. Mithin besteht auch hier ein Auslandsbezug. Das anwendbare Recht könnte sich gern. Art. 3 Nr. 1 lit. b) EGBGB nach der Rom I-VO richten. 1. Anwendungsbereich In sachlicher Hinsicht werden Ansprüche aus einem Reisevertrag geltend, gemacht. Ein solcher ist ein vertragliches Schuldverhältnis in einer Zivilsache gern. Art. 1 I Rom I-VO. Auch in räumlicher und zeitlicher Hinsicht ist der Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet (s.o.). 2. Freie Rechtswahl, Art. 3 I Rom 1-VO Für eine Rechtswahl bestehen hier keine Anhaltspunkte. 3. Personenbeförderungsvertrag, Art. 5 IIRoml-VO Die Parteien könnten einen Personenbeförderungsvertrag abgeschlossen haben, der nach der speziellen Kollisionsnorm des Art. 5 II Rom I-VO anzuknüpfen wäre. Ein solcher umfasst grundsätzlich den Transport einer Person. Nebenleistungen (etwa die Beförderung von Reisegepäck) werden ebenfalls erfasst. 24 Vorliegend hat die K mit R-BV ausweislich des Sachverhalts einen Vertrag geschlossen, der den Transport der K in die Türkei und zurück nach Deutschland umfasst. Allerdings sind hiermit weitere Leistungen, insbesondere die Unterbringung in einem Hotel über einen längeren Zeitraum, verbunden. 25 Insoweit liegt ein Leistungsbündel vor, wie es für einen Pauschalreisevertrag typisch ist. Aus Art. 6 IV lit. b) Rom I-VO ergibt sich, dass BGHZ 165,248; Dauses/Kreuzer/Wagner/Reder, EU-Wirtschaftsrecht, 40. EL 2016, Kap. K Rn. 162 m.w.n.; Palandt/Thorn (Fn. 4), Art. 21 Rom I-VO Rn. 5; Rauscher/Thorn (Fn. 5) Art. 21 Rom I-VO Rn.17. Ferrari/Staudinger (Fn. 2), Art. 5 Rom I-VO Rn. 43. Rauscher/Thorn (Fn. 5), Art. 5 Rom I-VO Rn. 74. Beförderungsverträge Art. 5 Rom I-VO unterliegen, Pauschalreiseverträge gern. RiLi 90/314/EWG im Wege der Rück- bzw. Unterausnahme hiervon jedoch ausgeschlossen sind. Für sie gilt daher Art. 6 Rom I-V Verbrauchervertrag, Art. 6 I Rom 1-VO a. Anwendbarkeit Da hier keine Rechtswahl und somit auch keine Wahl eines drittstaatlichen Rechts erfolgt ist, findet Art. 46b EGBGB keine Anwendung. b. Verbrauchervertrag Die K ist wie gesehen Verbraucher. Die R-BV ist eine juristische Person, die als Reiseveranstalterin gewerblich und beruflich Pauschalreisen vertreibt. In dieser Funktion hat sie den Vertrag mit K geschlossen. Die R-BV ist mithin Unternehmer i.s.v. Art. 6 I Rom I-VO. c. Situativer Anwendungsbereich Anhaltspunkte für ein Ausüben der gewerblichen Tätigkeit der R-BV in Deutschland liegen nicht vor. Sie könnte ihre berufliche und gewerbliche Tätigkeit aber in irgendeiner Weise auf Deutschland ausgerichtet haben. Die R-BV hat gezielt deutschsprachige Katalogwerbung an deutsche Verbraucher gesendet. Damit hat sie im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit den Willen zum Abschluss von Verträgen mit Verbrauchern des Zielstaates Deutschland kundgetan. 27 Sie hat ihre Tätigkeit mithin auf den deutschen Verbrauchermarkt ausgerichtet (Art. 6 I lit. b) Rom I-VO). Ergebnis: Damit ist das Aufenthaltsrecht der K und mithin deutsches Recht kraft objektiver Anknüpfung gern. Art. 6 I lit. b) Rom I-VO auf Ansprüche wegen Reisemängeln anzuwenden. Prüfung eines Reismangels ist nach der Fragestellung nicht verlangt. Ein solcher Anspruch aus 651c ff BGB liegt im Ergebnis auch nicht vor. Hinweis: Die sachrechtliche Ferrari/Staudinger (Fn. 2), Art. 5 Rom I-VO Rn. 9; Palandt/Thorn (Fn. 4), Art. 5 Rom I-VO Rn. 3. Palandt/Thorn (Fn. 4), Art. 6 Rom I-VO Rn. 6; Rauscher/Heiderhoff (Fn. 5), Art. 6 Rom I-VO Rn. 33. Vgl. zum IZVR BGHZ 167, 83, 89 f. S. AG München, Urt. v C 8375/16 (bisher unveröffentlicht); die verschuldensunabhängige Haftung wegen eines Reisemangels wird von BGH v X ZR 117/15, BeckRS 2016, dagegen für den Fall der Verletzung des Reisenden durch einen Verkehrsunfall beim Transfer zum Flughafen bejaht. 48
6 VERBRAUCHERSCHLEUSUNG IM TÜRKEIURLAUB ] ~ Frage 3) (Abwandlung): Hinweis: Verfehlt wäre es, an dieser Stelle das Gutachten mit allen bereits in Aufgabe 1 dargestellten Gliederungspunkten neu aufzurollen. Eine Konzentration auf diejenigen Prüfungspunkte, die eine modifizierte rechtliche Bewertung erhalten, reicht aus. A. WIRKSAMKEIT RECHTSWAHLVER TRAG, ART. 3 V, 10 I ROM 1-VO Der Rechtswahlvertrag könnte aufgrund der Geschäftsunfähigkeit der K unwirksam sein. I. Anwendbares Recht Fraglich ist daher, nach welchem Recht das Bestehen der Geschäftsfähigkeit einer Person zu beurteilen ist. Zwar findet die Rom I-VO gern. Art. 3 Nr. 1 lit..b) EGBGB als vorrangiges kollisionsrechtliches Instrument Anwendung (s.o.). Die Geschäfts- und Handlungsfähigkeit einer Person ist vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung aber gern. Art. 1 II lit. a) Rom I-VO ausgenommen. Daher ist das auf die Geschäftsfähigkeit anwendbare Recht als selbstständig anz~knüpfende Teilfrage nach Art. 7 EGBGB zu bestimmen. 29 Demnach bestimmt sich die Geschäftsfähigkeit einer Person nach deren Staatsangehörigkeit. Da K Deutsche ist, findet deutsches Recht Anwendung. II. Fehlende Geschäftsfähigkeit nach deutschem Recht Ausweislich des Sachverhaltes bestand zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine vorübergehende Geschäftsunfähigkeit bei K im Sinne von 104 Nr. 2, 105 II BGB. K war daher nach deutschem Recht geschäftsunfähig. Der Kaufvertrag wäre damit nichtig. III. Einschränkung nach Art. 13 Roml-VO Fraglich ist jedoch, ob die K sich auf die fehlende Geschäftsfähigkeit auch berufen durfte. Dies richtet sich nach Art. 13 Rom I-V0. 30 Beide Vertragsparteien bzw. ihre Vertreter müssten sich demnach zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im selben Staat aufgehalten haben. Vorliegend wurde der Vertrag durch Kund einen Vertreter der R-BV in der Türkei geschlossen. Beide hielten sich zum maßgeblichen Zeitpunkt mithin im selben Staat auf. K macht die fehlende Geschäftsfähigkeit auch ausdrücklich geltend. Ferner müsste die K zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach türkischem Recht geschäftsfähig gewesen sein. Dies ist ausweislich des Sachverhaltes der Fall. Überdies setzt Art. 13 Rom I-VO die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Geschäftsunfähigkeit der K bei R-BV voraus. Hierfür ergeben sich indes keine Anhaltspunkte. R-BV hatte keine Kenntnis von der fehlenden Geschäftsfähigkeit. Es ist auch keine Fahrlässigkeit hinsichtlich dieser Unkenntnis ersichtlich. K kann sich mithin nicht gern. Art. 13 Rom I-VO auf ihre im Zeitpunkt des Vertragsschlusses fehlende Geschäftsfähigkeit nach deutschem Recht berufen. Die Rechtswahl ist wirksam. Hinweis: Art. 13 Rom I-VO setzt voraus, dass nach dem Aufenthaltsrecht eine Geschäftsunfähigkeit und nach dem Abschlussartrecht eine Geschäftsfähigkeit vorliegt. Ein ordre-public-verstoß kommt hier daher nicht in Betracht. Ergebnis: Ebenso. wie im Grundfall steht der S kein Anspruch auf Kaufpreiszahlung zu Arnold, IPRax 2016, 567, 568; Ferrari/Schulze (Fn. 2), Art. 13 Rom 1-VO Rn. 2. Vgl. auch Rauscher/v. Hein (Fn. 5), Art. 1 Rom 1-VO Rn. 23. Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen Ferrari/Schulze (Fn. 2), Art. 13 Rom 1-VO Rn. 14 ff. 49
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