Einführungsfall Drittschadensliquidation (JuS 2007, 610) Der Hamburger Student V verkauft seinen Computer an den Berliner K und lässt ihn auf dessen Wunsch nach Berlin versenden. Transporteur T verwechselt das Paket und liefert es nach Köln. Auf dem Rückweg geht es verloren. Kann V von T Ersatz des durch den Verlust entstandenen Schadens verlangen? 1 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
Einführungsfall DSL - Lösung A. Anspruch des V gegen T aus 280 I, III, 283, 634 Nr. 4 Voraussetzungen: Werkvertrag, Pflichtverletzung, Vertretenmüssen, Schaden. Weitgehend unproblematisch (+) bis auf den Schaden. P: Schaden bei V? Differenzhypothese: Wie steht V mit der Pflichtverletzung und wie stünde er hypothetisch, wenn die Pflichtverletzung ausgeblieben wäre? 2 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
Einführungsfall DSL - Lösung Ohne Pflichtverletzung: V hätte in seinem Vermögen keinen Fernseher mehr, dafür aber den Kaufpreis erhalten. Mit Pflichtverletzung: V hat in seinem Vermögen keinen Fernseher mehr. Anspruch auf den Kaufpreis? Anspruch V gegen K aus 433 II BGB besteht wegen 447 I BGB weiter. Damit steht er trotz der Pflichtverletzung des T genauso, wie er ohne die Pflichtverletzung stünde. 3 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
Einführungsfall DSL - Lösung Ergebnis: Kein Anspruch V gegen T. K demgegenüber hat einen Schaden: Er muss den Kaufpreis bezahlen und bekommt keinen Fernseher. Er hat jedoch keinerlei Ansprüche gegen T. K hat keinen Anspruch und V hat keinen Schaden! Dieses Ergebnis erscheint unbillig und kann mittels Drittschadensliquidation behoben werden. Vgl. zu weiteren Lösungsansätzen, Armbrüster, JuS 2007, 605 (610). 4 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
[Der Sachverhalt ist angelehnt an BGH, Urt. v. 22.1.1968 VIII ZR 195/65, BGHZ 49, 350] Ansprüche D G wegen der Registrierkasse A. Anspruch auf Mietzinszahlung gemäß 535 II Anspruch zunächst entstanden, entfällt aber nach 326 I 1, da die Nutzung der Kasse wegen 275 unmöglich geworden ist. B. Anspruch auf Schadensersatz gemäß 280 I, III, 283, 546 Wegen Unmöglichkeit der Rückgabe. I. Schuldverhältnis (+), Mietvertrag 5 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
II. Pflichtverletzung Unmöglichkeit der nach 546 I geschuldeten Rückgabe im Sinne der 275 I, 283. III. Verschulden - Eigenes Verschulden des G? (-), G kann sich angesichts der fehlenden Erkennbarkeit exkulpieren. - Zurechnung des Verschuldens des S zu G über 278? (-), schon kein Verschulden des S, vgl. fehlende Erkennbarkeit. 6 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
C. Anspruch auf Abtretung von G s Anspruch gegen S auf Ersatz des entstandenen Schadens, 285 i.v.m. 536a I Var. 1 I. Voraussetzungen des 285 1. Schuldverhältnis (+), Mietvertrag 2. Unmöglichkeit der Leistung Unmöglichkeit der nach 546 I geschuldeten Rückgabe, 275 I 7 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
3. Zwischenergebnis Anspruch auf Abtretung der Ersatzansprüche, die an die Stelle der zerstörten Kasse getreten sind (+) zu prüfen, ob Ersatzansprüche bestehen. II. Ersatzanspruch des G gegen S aus 536 I Var. 1 (Verschuldensunabhängige Haftung des Vermieters für anfänglich vorhandene Mängel) 1. Mietvertrag zwischen G und S? (+) 8 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
2. Bei Vertragsschluss vorhandener Sachmangel an der Mietsache (+), gefährliche Rauchrohröffnung. Die Kenntnis des Mangels wird von 536a I nicht vorausgesetzt. 3. Schaden des G Kein Schaden des G im Hinblick auf die Registrierkasse, da mit der fehlenden Nutzbarkeit gleichzeitig die Pflicht zur Zahlung des Mietzinses entfällt 326 I 1, s.o. der Schaden liegt allein bei D. 4. Drittschadensliquidation? Möglichkeit den Schaden des D geltend zu machen ( Ziehen des Schadens zum Anspruch )? 9 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
SCHEMA: Drittschadensliquidation Drittschadensliquidation Fallgruppen: - Obligatorische Gefahrtragungsregeln (v.a. 447, 2147) - Mittelbare Stellvertretung und Treuhandsverhältnisse - Obhutsverhältnisse Voraussetzungen 1. Schadenersatzanspruch ohne Schaden des Anspr.Gläubigers 2. Schaden ohne Schadensersatzanspruch des Dritten 3. Zufälligkeit der Schadensverlagerung (vgl. Fallgruppen) Rechtsfolge: Ziehen des Schadens zum Anspruch 10 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
a) Auseinanderfallen des Anspruchs (des G) und des Schadens (D) (+) b) Zufälligkeit der Schadensverlagerung Hier: Obhutsverhältnis G hat eine fremde Sache des D in Obhut, S muss damit rechnen, dass er für die Zerstörung sämtlicher in den Laden des G eingebrachter Sachen haftet die Tatsache, dass die Kasse zufälligerweise nicht G gehörte, sondern gemietet war, darf dem S nicht als haftungsentlastend zugutekommen. c) Zwischenergebnis Die Voraussetzungen für eine DSL liegen vor G hat danach einen Anspruch gegen S. 11 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
III. Ergebnis Anspruch des G gegen S aus 536 I Var. 1 ist Surrogat des weggefallenen Anspruchs aus 546 I D kann über 285 Abtretung dieses Anspruchs verlangen. Ansprüche D S wegen der Registrierkasse A. Anspruch aus 536a I Var. 1 i.v.m. der Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte I. Mietvertrag? Kein Mietvertrag zwischen D und S. 12 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
SCHEMA: VSD Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte Ausnahme vom Grds. der Relativität der Schuldverhältnisse: Begründung str.: - 328 (Vertrag zugunsten Dritter) fragwürdig, da Primärleistungsanspruch geregelt - ergänzende Vertragsauslegung nach Treu und Glauben, 157 - Mittlerweile: 311 III S.1 Voraussetzungen 1. Bestimmungsgemäße Leistungsnähe 2. Gläubigernähe / Einbeziehungsinteresse des Gläubigers 3. Erkennbarkeit für den Schuldner 4. Schutzbedürftigkeit = keine eigenen vertraglichen Ansprüche des Dritten Rechtsfolge: Ziehen des Anspruchs zum Schaden (= eigener Anspruch des Dritten, bei Vorliegen d. Anspruchsvoraussetzungen) 13 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
denkbar aber Durchbrechung des Grundsatzes der Relativität der SV nach der Figur des VSD, Anknüpfung an den vorhandenen Mietvertrag zwischen G und S II. Voraussetzungen der Rechtsfigur des VSD 1. Bestimmungsgemäße Leistungsnähe (+), in die Mietsache eingebrachte Sachen im Eigentum des D sind in gleichem Maße den Risiken ausgesetzt wie die Sachen des G selbst. 2. Gläubigernähe Gläubigerinteresse an der Einbeziehung? 14 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
(+), Obhutspflichtigkeit bzgl. der nicht in seinem Eigentum stehenden Sachen 3. Erkennbarkeit (+), der Vermieter von Geschäftsräumen muss damit rechnen, dass die vom Mieter eingebrachten Sachen nicht sämtlich auch diesem gehören. 4. Schutzbedürftigkeit (+), kein gleichwertigen Ansprüche gegen G oder eine andere Person 15 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
5. Zwischenergebnis Voraussetzungen der Rechtsfigur des VSD (+) III. Weitere Anspruchsvoraussetzungen (+), s.o. IV. Ergebnis Anspruch D S aus 536a I Var. 1 i.v.m. der Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte (+) B. Anspruch aus 823 I (-), kein Verschulden 16 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
SCHEMA: DSL/VSD Abgrenzung und Verhältnis von DSL und VSD? DSL: keine Erweiterung des Risikos für den Schädiger, nur Vermeidung einer ungerechtfertigten Entlastung des Schädigers VSD: Erweiterung des Risikobereichs des Schädigers (damit restriktiver zu handhaben als DSL) Verhältnis: A 1 : Drittschadensliquidation vorrangig anwendbar: Verneinung der Schutzbedürftigkeit als Voraussetzung des VSD, denn ein gleichwertiger eigener Anspruch besteht A²: Vorrang des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte: Verneinung der DSL, da aus dem VSD ein Anspruch des Geschädigten besteht A³: Beide Lösungswege nebeneinander möglich 17 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
Ansprüche D G wegen der Schallplatten A. Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß 433 II I. Anspruch entstanden (+), Kaufvertrag geschlossen. II. Anspruch nach 326 I 1 untergegangen? Nein, da mit Übergabe (nicht erst mit Übereignung!) nach 446 Übergang der Gegenleistungsgefahr auf G. III. Ergebnis Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß 433 II (+). 18 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
B. Schadensersatz wegen Zerstörung der Schallplatten nach 280 I, III, 283 Scheitert schon am fehlenden Verschulden und Schaden. C. Anspruch auf Abtretung von G s Anspruch gegen S auf Ersatz des entstandenen Schadens, 285 i.v.m. 536a I Var. 1 Hier gerade kein Wegfall der Leistungspflicht, Zahlung des Kaufpreises wegen 446 weiter geschuldet. 19 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
Ansprüche D S wegen der Schallplatten A. Anspruch aus 536a I Var. 1 i.v.m. der Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte I. Mietvertrag D - S? (-) II. Voraussetzungen der Rechtsfigur des VSD 1. Bestimmungsgemäße Leistungsnähe (+) 20 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
2. Gläubigerinteresse an der Einbeziehung (+) 3. Erkennbarkeit (+) 4. Schutzbedürftigkeit (-), eigener Anspruch gegen G auf Kaufpreiszahlung vorhanden! 5. Zwischenergebnis Voraussetzungen der Rechtsfigur des VSD (-) 21 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
III. Weitere Anspruchsvoraussetzungen Ebenfalls (-), da wegen Fortbestand des Anspruchs aus 433 II kein Schaden IV. Ergebnis Anspruch aus 536a I Var. 1 i.v.m. der Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte (-) B. Anspruch aus 823 I (-), kein Verschulden des S 22 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen
Erinnerung: Am 18.07.2012 findet keine Fallbesprechung statt. 23 Julius Forschner Fallbesprechung Zivilrecht II, SS 2012 2010 Universität Tübingen