Churermodell. So kann binnendifferenzierter Unterricht gelingen

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Transkript:

Churermodell Eine Möglichkeit der Binnendifferenzierung im Unterricht Ein Projekt der Stadtschule Chur Kontakt: Reto Thöny, Stadtschule Chur, 081/ 254 44 47, reto.thoeny@chur.ch So kann binnendifferenzierter Unterricht gelingen Das Churermodell stellt eine Möglichkeit dar, wie binnendifferenzierter Unterricht umgesetzt werden kann. Wir erleben Lehrpersonen, die von sich aus bereit sind, ihren Unterricht von heute auf morgen umzustellen. Ein Grund dafür liegt sicher in den positiven Rückmeldungen von Lehrpersonen, die den Wechsel gewagt haben. Nach drei Schuljahren wird das Churermodell bereits in einem Drittel der Churer Primarschulklassen (27 Klassen) umgesetzt. Im kommenden Schuljahr werden sich weitere Klassen anschliessen. Auch in Nachbargemeinden (z.b. Bonaduz) haben sich Klassenlehrpersonen von dieser Idee anstecken lassen. Prof. Peter Lienhard von der Hochschule für Heilpädagogik Zürich hat dieses Unterrichtsmodell in seinen Vorträgen als gutes Beispiel zum Umgang mit Heterogenität präsentiert. Seither erkundigen sich auch Schulgemeinden aus dem Unterland nach diesem Unterrichtsmodell. Wir haben dem Unterrichtsmodell einen Namen gegeben, um uns abzusichern. Wer im Churermodell arbeitet, orientiert sich an den 10 Merkmalen. Wir propagieren im Churermodell nicht einen Offenen Unterricht, sondern den Weg zu einem Unterricht, der sich mehr und mehr öffnet und vorrangig nach einer guten Passung für die Lernenden sucht. Erst wenn der Unterricht gute Lernanschlüsse bietet, ist erfolgreiches Lernen für alle möglich. Damit stellt sich die Frage, ob Begabungs und Begabtenförderung in einem integrativen Unterricht überhaupt möglich ist, gar nicht. So oft wie möglich werden gute Schülerinnen und Schüler auf ihrem Anspruchsniveau angesprochen, während schwächere Lernende sich eine solide Basis in den Grundanforderungen schaffen. Und ob das von der Lehrperson zu leisten ist? Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Unterrichtsanlage im Churermodell die Lehrpersonen längerfristig sogar entlastet. Wir können widerlegen, dass Binnendifferenzierung nur auf Kosten der Lehrperson zu realisieren ist. Die vorliegende Broschüre will das Churermodell als Möglichkeit der Binnendifferenzierung im Unterricht vorstellen und aufzeigen, wie sich diese Form des Unterrichts in den sechs Qualitätsbereichen auswirkt. Weitere Informationen findet man auf der Homepage www.churermodell.ch. Reto Thöny, Schuldirektion Stadtschule Chur Portrait Stadtschule Chur Die Stadtschule Chur umfasst 31 Kindergärten, 9 Primarschulhäuser und drei Oberstufenzentren der Sekundarstufe I mit insgesamt knapp 3000 Schülerinnen und Schülern und 350 Lehrpersonen. Die operative Leitung wird von der Schuldirektion (3 Personen) und den jeweiligen Schulleiterinnen und Schulleitern der Schulhäuser wahrgenommen. Die Schuldirektion ist für die übergeordnete Koordination der Schulentwicklung zuständig und lanciert u.a. auch Projekte zur Unterrichtsentwicklung. Das Projekt Churermodell stellt eines dieser Projekte dar. Begleitet wird das Projekt von Arno Ulber von der Pädagogischen Hochschule Graubünden. Weiter gehören der Projektgruppe Lehrpersonen der ersten Stunde an, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit dieser Unterrichtform als Gruppenleiterinnen ihren Kolleginnen und Kollegen weitergeben.

2 *) Spannungsfelder im heterogenen Unterricht, vgl. Eckhart & Berger 2005, Seite 29 Das Churermodell Alles, was erfunden werden kann, wurde bereits erfunden." Charles Duell Häufig sind es glückliche Fügungen, die zu Neuem führen. Die starke Kritik der Lehrpersonen an der Aufhebung der Einführungsklasse (EK) hat uns gezwungen, nach einem möglichst guten Übergang vom Kindergarten in die Schule zu suchen. Das brachte uns auf die Idee, die Unterrichtsanlage des Kindergartens auf die Unterstufe zu übertragen. Das hiess, die frontale Ausrichtung zur Wandtafel aufzugeben, den Unterricht in einen Teil mit starker Führung durch die Lehrperson und einen Teil mit starker Schülerzentrierung zu gliedern. Das Pendant zum Freispiel sollte die Freiarbeit werden. Wie im Kindergarten, spielt die Arbeit im Kreis ein wichtige Rolle. Auch besitzen die Schülerinnen und Schüler keinen persönlichen Arbeitsplatz mehr. Das ermöglicht es, den Lernraum offener zu gestalten und Arbeitsplätze für unterschiedliche Bedürfnisse bereitzustellen. Eine weitere Anleihe machten wir im Mehrklassenunterricht, der im Kanton Graubünden stark verbreitet ist. Werden mehrere Klassen im gleichen Schulzimmer unterrichtet, verkürzen sich die Zugriffszeiten der Lehrperson auf eine Klasse und die Zeit der selbständigen Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt für die Schülerinnen und Schüler gewinnt mehr Raum. Dafür steht der Lehrperson mehr Zeit für Beobachtung, Lernberatung und individuelle Unterstützung zur Verfügung. Beziehung und Passung Weiter basiert das Modell auf der Erkenntnis, dass Motivation überdauernd nicht durch methodische Tricks und Verpackung zu erhalten ist, sondern durch Beziehung und Passung. Ziel ist es, Lernsituationen zu schaffen, die an die Lernvoraussetzung der Schülerinnen und Schüler anknüpfen. Die Folge davon sind nicht 21 Lernprogramme pro Klasse (äussere Differenzierung), sondern eine Lernumgebung, die möglichst allen Kindern Anschlussmöglichkeiten im Lernen bietet (Binnendifferenzierung). Im Churermodell befindet sich die Klasse jeweils am gleichen Lernort. Alle Schülerinnen und Schüler arbeiten am gleichen Thema, jedoch auf unterschiedlichen Lernniveaus. Spannungsfelder im heterogenen Lernen Im Churermodell geht es nicht um das Entweder/Oder, sondern um das Sowohl und Auch. Das Modell ist pragmatisch angelegt und beinhaltet alle Dimensionen der Spannungsfelder im heterogenen Lernen. Sei es bei der Bedeutung der direkten Instruktion (Inputs), der Wahlmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler innerhalb der Lernumgebung, der Passung, der Lerngespräche, der freien Platzwahl und der damit verbundenen freien Formen der Zusammenarbeit, den gemeinschaftsbildenden Phasen im Kreis und vielem anderen mehr. Die Steuerung erfolgt durch die Lernaufgabe selbst, über Gespräche mit den Lernenden, durch Arbeitspläne, aber auch über das Einfordern durch die Lehrperson. Es geht sowohl um die Entwicklungsorientierung wie auch um Sachorientierung. Das Ergebnis formuliert einen Lehrperson so: Mich hat die Entwicklung der Selbstständigkeit und Selbstorganisation beeindruckt. Die Schülerinnen und Schüler sind stolz auf sich und das nehmen sie auch mit aus der Schule. Weiter Informationen unter www.churermodell.ch/ konzept ; Download: Konzept und Videosequenz Binnendifferenzierung kann gelingen *) Buholzer, Joller-Graf, Kummer Wyss, Zobrist, 2012, Kompetenzprofil zum Umgang mit heterogenen Lerngruppen, Verlag LIT

3 Merkmale des Churermodells Der Raum als dritter Pädagoge Binnendifferenzierung im Unterricht lässt sich auf verschiedene Arten erreichen. Im Churermodell sind es folgende Schritte: 1. Das Schulzimmer wird zur Lernlandschaft mit unterschiedlichen Arbeitsplätzen. Die WT ist nicht mehr der zentrale Ort im Schulzimmer. Die Schülerinnen und Schüler können den Arbeitsplatz selber wählen. Gemeinschaftliche Aktivitäten stellen einen wichtigen Ausgleich zur Individualisierung dar. 2. Die Inputs mit der Klasse oder mit ausgewählten Lerngruppen geschehen vorwiegend im Kreis und werden kurz gehalten (in der Regel max. 15 Minuten), um Lernzeit für die Schülerinnen und Schüler und Zeit für die Lernbegleitung und - beratung durch die Lehrperson zu gewinnen. 3. Die Schülerinnen und Schüler können in der Regel aus Lernangeboten auf verschiedenen Niveaus zum Thema auswählen. In begründeten Situationen wird einem Kind auch ein Lernangebot und/oder Lernort zugewiesen. (Bereich: Umgang mit Vielfalt / Unterrichtsqualität) 4. Die SHP unterstützt die Schüler/innen mehrheitlich im Klassenzimmer. 5. Die Lehrperson führt regelmässig Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern über ihr Lernen (Lernreflexionen mit der ganzen Klasse und einzeln). Die Schülerinnen und Schüler sollen immer wieder zum lauten Denken und Begründen herausgefordert werden. 6. Beim binnendifferenzierten Unterrichten akzeptiert die Lehrperson die individuellen Unterschiede der Lernenden einschliesslich ihres Vorwissens. Die Normalität wird breiter. Die individuellen Unterschiede der Lernenden (Lernvoraussetzungen, Vorwissen, Lernstrategien, Lernpotentiale) bilden die Ausgangslage für das Lernen. 7. Die Lehrperson hinterfragt die eigenen Ansprüche im Hinblick auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler. 8. Die Lehrperson ist bereit, Kontrolle und Verantwortung für das Lernen zunehmend an die Schüler und Schülerinnen zu übergeben. 9. Die Schülerinnen und Schüler wissen, was von ihnen erwartet wird (Lernzieltransparenz). Jede Lerneinheit wird mit einer Lernkontrolle abgeschlossen. Im persönlichen Gespräch wird der individuelle Lernzuwachs und der Einsatz gewürdigt. 10. Alles was sich im bisherigen Unterricht bewährt hat, wird in die neue Form übertragen. Dies trifft auch auf die Klassenführung zu: Die Lehrperson agiert, mischt sich ein, steuert, setzt Erwartungen an die Klasse als Gruppe und an die Lernenden individuell. Unter www.churermodell.ch/merkmale findet sich das Dokument Merkmale des Churermodells. Auf der Seite 2 dieses Dokuments sind Fragen aufgelistet, anhand derer die Lehrpersonen eine Standortsbestimmung vornehmen können. (Bereich: Unterrichtsqualität)

4 Umgang mit Veränderungen Der Wechsel wird in einem Schritt vollzogen In den meisten Publikationen zur Binnendifferenzierung wird empfohlen, den Wechsel langsam und schrittweise zu vollziehen, damit sich keine Überforderung einstellt. Wechsel durch Assimilation Immer, wenn Menschen vor neuen Herausforderungen stehen, versuchen sie, neue Elemente ins bestehende System zu integrieren (blauer Pfeil). In der Schule bedeutet dies: Wochenplanunterricht, Werkstattunterricht, Kooperatives Lernen und andere neue Lernformen werden in den bestehenden Unterricht integriert. Da gibt es nur ein Problem: Die negativen Effekte des traditionellen Klassenunterrichts verhindern, dass sich im Unterricht jene Prozesse entfalten können, die die Qualität der neuen Formen ausmachen. Zudem sind sie additiv aufgesetzt. Dadurch wird das Unterrichten um einiges aufwändiger und die Lehrpersonen in ihrer Annahme bestärkt, dass Binnendifferenzierung nur durch erhöhten Aufwand zu holen ist. Der andere Weg führt über die Akkommodation Mit Akkommodation meint Piaget die Schaffung neuer Strukturen. Für die Schule resp. den Unterricht bedeutet dies: Kommen wir durch die Assimilation neuer Formen in das vorhandene System nicht mehr weiter, so empfiehlt sich eine neue Grundstruktur. In dieses veränderte Schema kann nun alles Bewährte integriert werden (gelber Pfeil). In der Schule erreichen wir die neue Grundstruktur durch die Einrichtung der Klassenzimmers. Sie bringt die Lehrperson auf Anhieb in eine neue Rolle. Die Anordnung des Lernraumes hilft ihr zudem, im Modus der Binnendifferenzierung zu bleiben. Die Qualität des Frontalunterrichts bleibt in der direkten Instruktion im Kreis erhalten. Monologisierendes Lehren hingegen ist in den neuen Strukturen kaum mehr möglich. Systemwechsel: Einfach den Schalter kippen? Die Antwort darauf lautet: Ja, das ist möglich! Die Schritten 1-4 (Schulzimmer umstellen / Wechsel auf kurze Inputs / Bereitstellen von Lernangeboten auf verschiedenen Anspruchsniveaus zum Thema /SHP wirkt vor allem im Schulzimmer) schaffen die Voraussetzungen, um in den Prozess zu kommen. Jetzt erst stellen sich die entscheidenden Fragen: Kann ich akzeptieren, dass die Lernenden unterschiedliche Lernvoraussetzungen mitbringen? Kann ich die Situation aushalten, dass nicht alle Schüler und Schülerinnen das gleiche Ziel erreichen? Kann ich meine eigenen Ansprüche reflektieren und relativieren? Bin ich bereit, Kontrolle und Verantwortung für das Lernen zunehmend an die Schüler und Schülerinnen zu übertragen? Halte ich es aus, nicht jederzeit und allumfassend zu wissen, was und wie gut die Schülerinnen und Schüler die jeweiligen Lernaufgaben lösen? Siehe auch: Erfahrungsberichte unter www.churermodell.ch/ konzept

5 Implizierte Effekte, oder. Was zu holen ist, wenn man es nur zulässt Eigentlich zeigt sich der Erfolg einer Schule erst in den Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen, die besten Seiten jedes Schülers und jeder Schülerin zu entwickeln. (Renzulli, Reis, Stedtnitz, Das Schulische Enrichement Modell SEM. Sauerländer, 2001, S. 72) Implizierte Effekte Im Churermodell staunen die Lehrpersonen über Wirkungen, als deren Ursache sie sich nicht unmittelbar sehen. Allein die Umstellung des Schulzimmers, der höhere zeitliche Anteil an Schüleraktivitäten, die Wahlmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler generieren Effekte, die die Lehrpersonen wie folgt beschreiben: Ich war früher manchmal richtig hässig auf die Kinder. Sie konnten mich auf die Palme bringen. Heute habe ich zu allen Kindern ein sehr gutes Verhältnis. Auch sie mir gegenüber, wir schätzen unsere Werte. Darauf bin ich sehr stolz. Die Lernfreude ist gewachsen. Man lernt die Kinder besser kennen und erkennt, wer mehr Selbstkompetenzen hat. Man merkt auch welche Kinder Strategien haben, Hilfe brauchen und erkennt diejenigen, die nicht so viel arbeiten. Die Gesprächszeit mit den einzelnen Kindern hat zugenommen. Die Kinder suchen Aufgaben, die sie selber an ihre Grenzen bringen. Das machen sie sehr gerne. Sie können sich auch gut einschätzen bei der Auswahl des Arbeitsmaterials und Aufgabenstellung. Alle kommen zu Lernerfolgen. Die Denkprozesse werden ersichtlicher durch offene Aufgaben und auch durch gegenseitiges Erklären. Mich hat die Entwicklung der Selbstständigkeit und Selbstorganisation beeindruckt. Sie sind stolz auf sich und das nehmen sie auch mit aus der Schule. Die Kinder mit Bewegungsdrang fallen nicht mehr auf. Da es mich nicht mehr stört, entlastet es mich auch. Dadurch habe ich auch eine andere Beziehung zu den Kindern. Wir haben einen lebhaften Jungen, der früher Ritalin brauchte. Er sucht sich immer einen separaten Platz, wo er ungestört arbeiten kann. Er kann sich gut einschätzen und fällt gar nicht mehr auf. Für ihn war die Umstellung sehr gut. Trotz mehr Unruhe im Raum, kann er besser arbeiten. Das Gemeinschaftsgefühl muss nicht speziell gefördert werden, im Gegenteil. Sie arbeiten so viel in Gruppen und dabei ist erstaunlich, dass sie sich immer neu gruppieren. Sie profitieren von diesem Unterricht vor allem von der Intensität. Sie arbeiten viel und es bleibt mehr Zeit für Lerninhalte. Zudem lernen sie mehr Selbstkompetenz. Das Selbstwertgefühl, Mut etwas anzupacken und auch an etwas dranzubleiben. Es bringt die Kinder weiter, ob gute Schülerinnen und Schüler oder schlechte. Die vorliegenden Aussagen stammen aus einstündigen Interviews, die Arno Ulber von der PH Graubünden mit Lehrpersonen geführt hat, die seit zwei Schuljahren binnendifferenziert arbeiten. Ausführlicher unter: www.churermodell.ch/konzept ; Erfahrungsberichte

6 Begabungs und Begabtenförderung inklusive Mit der Flut steigen alle Schiffe Die Volksschule hat den Auftrag, alle Kinder ihren Fähigkeiten entsprechend zu fördern. Dies mit einem Einheitsunterricht zu erreichen, ist schwierig. Meist sprengt der Anspruch, auch den sehr guten Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden, die Kapazität der Lehrperson. Nicht so im Churermodell: Die Lehrpersonen sind gefordert, zu jedem Lerninhalt auch anspruchsvolle Lernangebote bereitzustellen. Sie erreichen dies u.a. mit offenen Aufgabenstellungen und der Didaktik des weissen Blattes. Im Churermodell zeigen sich die besonderen Begabungen schneller und ausgeprägter. Der Unterricht ist Ort der Begabungs und Begabtenförderung Ein Unterricht, der Lernerfolge für alle Kinder ermöglicht, deckt einen grossen Anteil des Anliegens der Begabungs und Begabtenförderung ab. Je weniger dabei die Konturen für besondere Massnahmen, sei es für schwache aber auch für sehr begabte Lernende, für die Klasse sichtbar werden, umso besser. Weitere Massnahmen zur Begabungs und Begabtenförderung (Entwicklungsrichtlinien) an der Stadtschule Chur sind: Das Konzept zur Begabungsförderung ist allen bekannt Eine gemeinsame Sprache wird verwendet. Die Terminologien und die Begriffe sind allen klar. Jedes Schulhaus führt einen entsprechenden Kurs durch (SchiWe). Jedes Schulhaus verfügt über Verantwortliche für das Thema Begabungsförderung Die Bega-Lehrperson deckt den Bedarf an Beratung im Umgang mit Begabungen und Ressourcen im Schulhaus ab. Dazu bildet sie sich stetig weiter oder erwirbt sich eine qualifizierte Ausbildung. Begabungen werden erkannt und gefördert Mindestens alle zwei Jahre werden Begabungen mit Interessefragebogen und anderen Instrumenten erfasst (Potentialabklärungen). Jedes Schulhaus verfügt über ein Ressourcenzimmer, in dem Materialien zur Anreicherung des Unterrichts und Fachliteratur zur Verfügung stehen. Information des Schulhausteams In regelmässigen Abständen wird das Schulhausteam von der Bega-Lehrperson über Neuigkeiten im Bereich Begabungsförderung informiert. Enrichment 1- Aktivitäten Pro Schuljahr finden eine bis zwei Enrichment 1- Aktivitäten statt. Die 7 Schritt-Projektmethode Ab der 3. Klassen erarbeiten die Schülerinnen und Schüler in jedem Schuljahr mindestens ein Thema mit der Projektmethode. Projekte zu Begabungsförderung im Schulhaus Die Bega- Lehrperson organisiert in Absprache mit dem Schulhausvorstand Projekte im Schulhaus. Evaluation Die Begabungsförderung wird anhand dieser Kriterien vor Ort nach zwei Schuljahren evaluiert.

7 Primarschulhäuser Klassen SJ 2010/11 Klassen SJ 2011/12 Klassen SJ 12012/13 Lehrpersonen stellen sich neuen Herausforderungen Nur Freiwilligkeit und Unterstützung bringts Was bringt Lehrpersonen dazu, sich auf das Churermodell einzulassen? Hier einige Beweggründe: Es war nicht ganz so freiwillig. Die Blockzeiten im Zusammenhang mit der Integration stellten für uns ein Problem dar und deshalb suchten wir eine Lösung. Es war schon immer ein Thema, den Unterricht so zu gestalten, dass alle Kinder gefördert werden und nicht im Gleichschritt gehen. Wir hatten eine schwierige 3.Klasse übernommen und sie war auch gross. Wir hatten uns durch das Jahr hindurch gekämpft und es war sehr anstrengend. Reto Thöny hat uns dann eine neue Unterrichtsform vorgeschlagen und vorgestellt. Wir haben dann zugesagt und ich habe mir neue Energien erhofft. Es war eigentlich eine Notlösung, aufgrund der Heterogenität der Kinder. Vorher konnte ich die Kinder nicht zum Arbeiten motivieren. Mir ging es ziemlich schlecht. Ich habe mich mit meinem Problem an Reto Thöny gewandt und er schlug mir vor, beim Projekt mitzumachen. Es war ein Kaltstart. Ich brauchte die Zeit bis zu den Sommerferien, um mich daran zu gewöhnen. Der Unterricht vor- und nachher ist wie Tag und Nacht. Die Kinder lernten selbstständig zu arbeiten und für mich ist es eine grosse Entlastung. Es war uns ein Anliegen, mit unserem Unterricht weiterzukommen. Es war schon immer ein Ziel, individuell auf die Kinder einzugehen. Ich habe vom Projekt gehört und mich hat es interessiert, da die Heterogenität in meiner Klasse sehr gross war. Meine Kollegin war zuerst etwas kritisch eingestellt. Wir sind froh, dass wir den Schritt gewagt haben. Dabei sind wir, ohne dass wir das wollten. Wir wollten einfach Differenzieren. Wir hatten etwas Bedenken, wegen der vielen Arbeit. Wir wussten nicht, worauf wir uns einlassen. Wir haben Videos gesehen und wussten, dass es in der Theorie gut tönt. Wir wollten einfach das für uns Mögliche machen. Verbreitung im Schneeball-System Wie bringt man Lehrpersonen dazu, ihren Unterricht auf die Binnendifferenzierung auszurichten? Folgende Strategie hat sich bei uns als erfolgreich erwiesen: a. Das Modell wird einem Schulhausteam vorgestellt. Wichtiger als die Ausführungen des Schulleiters (der will das sowieso!) ist ein Erfahrungsbericht einer Lehrperson, die bereits so arbeitet und Red und Antwort steht. b. Die Teilnahme ist absolut freiwillig! c. Lehrpersonen, die ins Modell einsteigen wollen, werden von der Schulleitung im gesamten Prozess unterstützt. Für die Umstellung des Schulzimmers erhält die Lehrpersonen einen Kredit von Fr. 1000. für die Einrichtung des Schulzimmers. d. Lehrpersonen, die teilnehmen, werden zu Austauschgruppen zusammengeführt. e. Lehrpersonen, die zwei Jahre Erfahrung aufweisen, übernehmen ihrerseits die Leitung einer Erfahrungsgruppe. Für diese Aufgabe werden sie mit einer Jahreslektion freigestellt. Sie sind Teil der Steuergruppe, die vom Schulleiter geleitet wird. Eine externe Begleitung der Steuergruppe macht Sinn. Ein Hotspot pro Schulhaus führt zwangsläufig zu Nachfolgeklassen! Jede Lehrperson ist Entwickler/in und sucht innerhalb des konzeptionellen Rahmens ihren persönlichen Weg der Umsetzung.

8 Unterrichtsentwicklung pur, oder. Dem Lernen Flügel verleihen Das Churermodell ist ein volksschultaugliches Modell, das grundsätzlich von allen Lehrpersonen übernommen werden kann, sofern sie dies wollen. Es kann mit den gegebenen Stundenplanvorgaben und Stundentafeln umgesetzt werden. Daher braucht das Modell keine speziellen Bewilligungen der Schulaufsicht. Es ist erstaunlich, wie schnell sich Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler in den neuen Strukturen zurechtfinden. In der Umsetzung durchlaufen Lehrpersonen verschiedene Phasen. Sie stehen zu jedem Zeitpunkt an einem bestimmten Ort im Prozess. Dazu gehören auch Unsicherheiten und Zweifel, wie folgendes Mail einer Gruppenleiterin zeigt: Lieber Reto, lieber Arno Wir hatten einen guten, kritischen, konstruktiven Austausch. Da ist allseits Überzeugung spürbar doch aller Anfang ist schwer! In diesem Prozess kommen alle entscheidenden Fragen auf den Tisch. Eine sehr erfahrene Lehrperson hat an einem Austauschtreffen gesagt: Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch so viel dazulernen kann! Nicht zu unrecht werden den Lehrpersonen diese Austauschtreffen als Weiterbildung angerechnet. Weiterentwicklung durch das Zweiklassensystem? ADL stellt im Kanton Graubünden vom Schulgesetz her keine Option dar. Wir meinen jedoch, dass ein Mehrklassenunterricht (jeweils 2 Klassen) sicher auf der Unterstufe 1./2. Klasse ein grosser Vorteil wäre. Kinder könnten die beiden ersten Jahre in einem, zwei oder in drei Jahren durchlaufen. Zudem würden die jüngeren von den älteren Schülern ins System eingeführt. Dies würde die Lehrperson entlasten. Es ergäben sich noch weitere Möglichkeiten der Binnendifferenzierung. Wie weiter? Im Moment läuft ein Aufruf für die 3. Staffel Binnendifferenzierung. Ziel ist es, noch mehr Lehrpersonen für diesen Weg zu gewinnen. Die Chancen dazu stehen gut. Wir stellen fest, dass diese Projekt auch bei all jenen Lehrpersonen Zeichen setzt, die sich (noch) nicht zu einem Wechsel entscheiden können. Sie suchen im Rahmen ihrer Unterrichtsanlage nach Möglichkeiten der Binnendifferenzierung. Das Churermodell hat an unserer Schule- nicht nur auf der Primarstufe - Bewegung in die Unterrichtsentwicklung gebracht. Lehrpersonen, die an der Weiterentwicklung des Churermodells beteilig sind: Alig Claudio, Aktas Semra, Barandun Manuel, Bargetzi Daniela, Baumann Annetta, Baur Rea, Bizenberger Cecilia, Bott Petra, Bowald Bruno, Casanova Martina, Casutt Gabi, Casutt Margrit, Candinas Daniela, Carboni Armando, Corrado Simona, Cueva Eveline, Foppa Christian, Gredig Verena, Härry Margreth, Hassler Edith, Hassler Rita, Hosang Beatrice, Hunziker Regula, Jäger Manuela, Jäger Rosmarie, Jehli Andrea, Joos Annagelgia, Kormann Nathalie, Kramm Monika, Krüsi Flavia, Lanfranchi Hedi, Lanfranchi Margrit, Lorenz Patrick, Lüthi Katharina, Michael Salomé, Monigatti Corina, Monn Jenna, Pieth Valentin, Raguth Hilda, Reinhard Renate, Reiser Christine, Roffler Christina, Schmocker Ursula, Solèr Johanna, Strub Ida, Thöny Ursina, Untersander Elisabeth, Wüthrich Erika.