Repetitorium Verfassungsrecht und Verfassungsprozessrecht Versammlungsfreiheit. Fall 6

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Transkript:

Prof. Dr. Gerhard Robbers Sommersemester 1998 Repetitorium Verfassungsrecht und Verfassungsprozessrecht Versammlungsfreiheit Fall 6 Sachverhalt Am Abend des 25. März 1998 wird bekannt, daß in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages mehrere Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien abgeschoben werden sollen. Da es sich unter anderen um ein älteres Ehepaar handelt, das über keine Unterkunftsmöglichkeit im ehemaligen Jugoslawien verfügt, beschließen mehrere deutsche Nachbarn des Ehepaars, eine Demonstration gegen die geplante Abschiebung zu veranstalten. Innerhalb einer halben Stunde versammeln sich etwa 50 Einwohner der Gemeinde T auf dem Marktplatz und protestieren mit Plakaten und Sprechchören gegen die geplante Abschiebung. Die Protestaktion wird jedoch bereits kurze Zeit später von der Polizei aufgelöst, da sie nicht angemeldet wurde (vgl. 14 Abs. 1, 15 Abs.1 VersG). 1. Werden die Teilnehmer dadurch in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 GG verletzt? 2. Wäre das Ergebnis ein anderes, wenn es sich bei den Teilnehmern der Protestaktion um Bosnier handelte? 3. Könnte die Bürgerinitiative für eine humane Abschiebepolitik, die zu der Protestaktion aufgerufen hat, in ihrem Grundrecht aus Art. 8 GG verletzt sein? 4. A, ein deutscher Teilnehmer der Protestaktion, weigerte sich, den Marktplatz zu verlassen, obwohl er durch die Polizei mit Hinweis auf die Auflösung der Versammlung dazu aufgefordert worden war. A mußte schließlich weggetragen werden. Wenig später erhielt er aufgrund seiner Weigerung, der Aufforderung der Polizeibeamten nachzukommen, einen Bußgeldbescheid. A ist der Ansicht, der Bescheid verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 8 GG, da die Auflösung der Versammlung rechtswidrig gewesen sei. Ist dies zutreffend? Rechtsprechung: Eildemonstration BVerfGE 85,69, Beschl. v. 23. Oktober 1991 Spontandemonstration BVerfGE 69, 315 (Brokdorf), Beschl. v. 14. Mai 1985

Lösungshinweise Wichtiger Hinweis Die hier veröffentlichten Fälle werden im Wochenrhythmus für das Repetitorium konzipiert. Die Lösungshinweise können daher nur einige wichtige Probleme - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - zusammenfassen. Sie beinhalten in keiner Weise ein klausurmäßiges Aufbauschema und geben nur Beispiele, wie in einer Examensklausr argumentiert werden könnte. Dieses Argumentationsmuster entspricht nicht in jedem Fall der vom Dozenten zu diesem Thema vertretenen Meinung. Zu Frage 1: I. Schutzbereich 1. Personaler Geltungsbereich Grundrechtsträger sind Deutsche i.s.d. Art. 116 Abs. 1 GG. Ob juristische Personen i.s.d. Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechtsträger sein können, ist umstritten. Nach herrschender Meinung erfaßt der Schutzbereich des Art. 8 GG auch inländische juristische Personen und Personenvereinigungen des Privatrechts, soweit sie geschützte Handlungen vornehmen können (zurückhaltend Kloepfer HbStR VI 755). 2. Sachlicher Geltungsbereich - Versammlung Geschützt sind Versammlungen und Aufzüge als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung (BVerfGE 69, 315 [343] - Brokdorf -). Erforderlich ist daher eine gewisse innere Verbindung der zusammenkommenden Personen. Bloße Ansammlungen (z.b. zuhörende Passanten vor einem politischen Informationsstand, BVerwGE 56, 63 [69]) fallen daher nicht in den Schutzbereich des Art. 8 GG. Ob neben der inneren Verbindung auch ein besonderer Versammlungszweck erforderlich ist, ist streitig. Nach der Rechtsprechung des BVerfG muß Zweck der Versammlung Meinungsbildung oder -kundgabe sein, wobei jedoch nicht nur Veranstaltungen geschützt werden, "auf denen argumentiert und gestritten wird", (sondern)..."vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen" umfaßt werden. (BVerfGE 69, 315 [343]. Nach anderer Ansicht ist entscheidend, ob öffentliche Angelegenheiten erörtert werden (Herzog M/D Art. 8, Rn. 51).

Die herrschende Meinung geht davon aus, daß bereits bei einer Teilnehmerzahl von 2 Personen Art. 8 GG eingreift (Herzog M/D Art. 8, Rn. 48, Kloepfer HbStR VI 747). Planung und Organisation sind nicht begriffsnotwendig für eine Versammlung i.s.d. Art. 8 GG, erfaßt sind daher auch Spontanversammlungen (davon geht auch das BVerfG aus, vgl. BVerfGE 69, 315 [350] - Brokdorf -). Geschützt ist nicht nur die Veranstaltung der Versammlung, auch vorbereitende Maßnahmen genießen den Schutz des Art. 8 GG (für die Anreise zu einer Versammlung und Kontrollen, BVerfGE 69, 315 [349]). Die Versammlung muß friedlich und ohne Waffen stattfinden. Nicht jeder Rechtsverstoß macht jedoch eine Versammlung unfriedlich, erforderlich sind vielmehr "Handlungen von einiger Gefährlichkeit", wie etwa "Gewalttätigkeiten oder aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen" (BVerfGE 73, 206 [248] - Mutlangen -). Geschützt ist auch die kritische Teilnahme, nicht jedoch die Verhinderung einer Demonstration (BVerfGE 84, 203 [209]). Verhalten sich einzelne Teilnehmer oder eine Minderheit einer Versammlung unfriedlich, so kommt den friedlichen Teilnehmern trotzdem der Schutz des Art. 8 GG zugute (BVerfGE 69, 315 [361]). Im vorliegenden Fall sind deutsche Nachbarn eines Ehepaars aus dem ehemaligen Jugoslawien auf dem Marktplatz der Gemeinde T zusammengekommen, um ihren Unmut über die geplante Abschiebung kundzutun. Dabei handelt es sich unzweifelhaft um eine Versammlung. Da auch Spontanversammlungen in den Schutzbereich des Art. 8 GG fallen, ändert die Tatsache, daß es hier keinen Organisator oder Veranstalter gibt, hieran nichts. Die Versammlung ist auch friedlich. Soweit es sich bei den Versammlungsteilnehmern um deutsche Staatsbürger handelt, fällt die Tätigkeit also in den Schutzbereich des Art. 8 GG. II. Eingriff in den Schutzbereich Das Anmeldeerfordernis des 14 VersG bzw. die Auflösung der Versammlung greifen in den Schutzbereich des Art. 8 GG ein. III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs/Schranke - einfacher Gesetzesvorbehalt in Art. 8 Abs. 2 GG Versammlungen unter freiem Himmel können gemäß Art. 8 Abs. 2 GG durch oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Entgegen dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 GG kommt es nach Sinn und Zweck der Regelung aber nicht auf die Überdachung, sondern wegen des erhöhten Regelungsbedarfs auf die Abgrenzung des Raumes zur Seite hin an (BVerfGE 69, 315 [348]). Das Versammlungsgesetz beschränkt Art. 8 GG bei Versammlungen unter freiem Himmel durch das Anmeldeerfordernis ( 14 VersG). Weiterhin wird im vorliegenden Fall das Grundrecht des Art. 8 GG durch die Auflösung der Versammlung aufgrund 14 Abs. 1, 15 Abs.1 VersG beschränkt IV. Schranken-Schranken

Das in das Grundrecht eingreifende Gesetz muß seinerseits formell und materiell verfassungsgemäß sein (so für Art. 2 Abs. 1 GG BVerfGE 6, 32 [37, 38] - Elfes -). Nach Ansicht des BVerfG muß 14 VersG seinerseits "im Lichte des Grundrechts der Versammlungsfreiheit angewendet werden und gegebenenfalls hinter ihm zurücktreten" (BVerfGE 69, 315 [351]). Versammlungsrechtliche Vorschriften seien auf Spontandemonstrationen daher nicht anwendbar, soweit der mit der Spontandemonstration verfolgte Zweck bei Einhaltung dieser Vorschriften nicht erreicht werden könne (BVerfGE 69, 315 [350]). Da Spontanversammlungen begriffsnotwendig vorher nicht angemeldet werden können, sei 14 VersG verfassungskonform so auszulegen, daß das Anmeldeerfordernis nicht für Spontandemonstrationen gilt. Andernfalls wären Spontanversammlungen grundsätzlich unzulässig und nicht durch Art. 8 GG geschützt. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Spontanversammlung, denn der Entschluß, eine Versammlung durchzuführen, wurde sofort gefaßt, als die bevorstehende Abschiebung bekannt wurde. Da bereits 14 VersG verfassungskonform so auszulegen ist, daß er Spontanversammlungen nicht erfaßt und damit in diesem Fall das Anmeldeerfordernis gänzlich entfällt, werden die deutschen Versammlungsteilnehmer durch die mit der Nichtanmeldung begründete Auflösung der Versammlung in ihrem Grundrecht aus Art. 8 GG verletzt. Exkurs: Im Gegensatz zu Spontanversammlungen, die aus der konkreten Situation entstehen, und schon deshalb nicht angemeldet werden können, müssen Eilversammlungen angemeldet werden. Eine Eilversammlung liegt dann vor, wenn die Anmeldefrist des 14 Abs. 1 VersG (48 Stunden vor der Bekanntgabe) nicht eingehalten werden kann, weil die Versammlung kurzfristig geplant wird. In diesem Fall sind die Veranstalter jedoch nicht von der Anmeldepflicht befreit, sie sind lediglich in verfassungskonformer Auslegung des 14 Abs. 1 VersG von der Einhaltung der Anmeldefrist befreit und müssen die Versammlung innerhalb einer angemessenen Frist anmelden. Zu Frage 2 Da die bosnischen Versammlungsteilnehmer nicht in den personalen Schutzbereich des Art. 8 GG fallen, der als Deutschen-Grundrecht ausgestaltet ist, liegt hinsichtlich dieser Personengruppe keine Verletzung des Art. 8 GG vor. Die bosnischen Versammlungsteilnehmer können sich allerdings hier auf Art. 2 Abs. 1 GG und auf 1 Abs. 1 VersG berufen,. Zu Frage 3 Die Bürgerinitiative für humane Abschiebepolitik könnte dann in ihrem Grundrecht aus Art. 8 GG verletzt sein, wenn sie ebenfalls in den Schutzbereich des Art. 8 GG fallen würde. Grundrechtsträger hinsichtlich des Art. 8 GG sind nicht nur natürliche

Personen sondern auch juristische Personen und Personenvereinigungen des Privatrechts soweit sie geschützte Handlungen vornehmen können (Art. 19 Abs. 3 GG); auf die Rechtsfähigkeit im Sinne des Zivilrechts kommt es aber nicht an (vgl. dazu auch Robbers, Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit S. 12); geschützt sind daher auch nichtrechtsfähige Vereinigungen, wenn sie über eine gewisse binnenorganisatorische Struktur verfügen (BVerfGE 4, 7 [12]; 6, 273 [277]; 51, 77 [87]; 53, 1 [13]), also ihrer Struktur nach festgefügt und auf eine gewisse Dauer angelegt sind (BayVGH, NJW 84, 2116 hinsichtlich einer "Aktionseinheit gegen den Nato-Nachrüstungsbeschluß"; Jarass/Pieroth Art. 8 Rn. 8; Schulze-Fielitz in Dreier [Hrsg.], GG-Kommentar Art. 8 Rn. 31). Entscheidend ist daher im vorliegenden Fall, ob die Bürgerinitiative über eine feste Struktur verfügt und auf Dauer angelegt ist. Dies ist Sache des konkreten Einzelfalles und bedarf hier weiterer Sachverhaltsaufklärung. Zu Frage 4 (vgl. BVerfGE 87, 399) A hat sich geweigert den Marktplatz zu verlassen, nachdem die Polizei die Auflösung der Versammlung gefordert hatte. Gegen ihn wurde daher ein Bußgeld verhängt. Diese Sanktion stellt einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GG dar. Dieser könnte jedoch durch die Bußgeldvorschrift des 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG i.v.m. 15 Abs. 2 VersG gerechtfertigt sein. Gesetze, die die Versammlungsfreiheit beschränken, müssen aber ihrerseits verfassungsmäßig sein und auch in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise angewandt werden. Die staatlichen Organe haben die grundrechtsbeschränkenden Gesetze im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und sich bei Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist (BVerfGE 87, 399 [407]). Fraglich ist also, ob im vorliegenden Fall die Strafgerichte bei der Verhängung des Bußgeldes die genannten Vorschriften im Sinne des Art. 8 GG ausgelegt haben. Wie oben bereits geprüft, verstieß die Auflösung der Versammlung im konkreten Fall gegen Art. 8 GG (siehe oben Frage 1). 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG unterscheidet nicht zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Versammlungsauflösungen. Grundsätzlich müssen Versammlungsteilnehmer auch dann der Aufforderung, den Versammlungsort zu verlassen, nachkommen, wenn die Auflösung der Versammlung rechtswidrig ist. Dies ist aber darin begründet, daß die Pflicht, sich von einer aufgelösten Versammlung zu entfernen, nicht von der Rechtmäßigkeit der Auflösungsverfügung abhängig gemacht werden kann, denn die Rechtmäßigkeit kann erst im Nachhinein rechtsverbindlich festgestellt werden, Versammlungsauflösungen könnten nicht durchgesetzt werden. Dies bedeutet, daß die Versammlungsteilnehmer der Verfügung zunächst nachkommen müssen. Diese Grundrechtsbeeinträchtigung ist hinzunehmen (vgl. BVerfGE 87, 399 [409]). Davon zu unterscheiden ist aber die Frage, ob die Weigerung, sich zu entfernen, bei einer rechtswidrigen Auflösung mit einer Geldbuße geahndet werden darf, denn auf die tatsächliche Durchsetzbarkeit von Versammlungsauflösungen hat diese Frage keinen Einfluß mehr. Außerdem besteht innerhalb des Bußgeldverfahrens die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Versammlungsauflösung nachzuprüfen (so auch BVerfGE 87, 399 [410]). Die Schranke des 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG ist daher im vorliegenden Fall verfassungskonform so auszulegen, daß sie nur solche Fälle erfaßt, in denen die Versammlung rechtmäßig aufgelöst worden ist. In allen anderen Fällen verstößt die Verhängung eines Bußgeldes gegen Art. 8 GG. Da die Auflösung der

Versammlung im vorliegenden Fall rechtswidrig war (s.o. Frage 1), ist die Verhängung des Bußgeldes gegen A folglich nicht von der Schranke des 29 Abs.1 Nr. 2 VersG gedeckt und verletzt den A in seinem Grundrecht aus Art. 8 GG. Rechtsprechungsübersicht zu Art. 8 GG: BVerfG NJW 1987, 43 (Sitzstreik als Nötigung) BVerfG NJW 1987, 3245 (Verbot der Mahnwache für Erich Honecker) mit Anm. Schneider VBlBW 1988, 56 BVerfG NJW 1988, 328 (Verfassungsmäßigkeit von Versammlungsauflagen) OVG Lüneburg NVwZ 1985, 925 (Verbot nichtöffentlicher Versammlung bei angekündigter Gegendemonstration) OVG Koblenz NJW 1986, 2659 (Verbot der Kundgebung gegenüber dem Wohnhaus hochgestellter Persönlichkeiten) BVerfG NJW 1985, 2395 (Verfassungskonforme Auslegung der 14, 15 VersG) mit Anmerkung Schenke JZ 1986, 27 ff., 35 ff. BVerfG NJW 1985, 2359 (zur Gewaltausübung durch Minderheiten der Versammlungsteilnehmer) VG Bremen NVwZ 1989, 895; OVG Bremen NVwZ 1990, 1188 (beide: optische Dokumentation und einschließende Begleitung) BVerfG NJW 1989, 53 (Heranziehung des Veranstalters zur Straßenreinigung) VG Berlin NVwZ RR 1990, 188 (Verhältnis PolG zu VersG) BVerfG NJW 1991, 2694 (kein Schutz von Versammlungsgegnern) VGH München NVwZ 1992, 76 (Verbot der Kundgebung für R. Heß) BVerfG NJW 1992, 890; BVerfGE 85, 69 (beide Unterschied zw. Spontan- und Eilversammlung) BVerfGE 92, 191 (kritische kommunikative Teilnahme an einer Versammlung) kleine Literaturauswahl: Gusy, Einführung in das Versammlungsrecht, JA 1993, 321 Gusy, Aktuelle Fragen des Versammlungsrechts, JuS 1993, 555 Hollein, Das Verbot rechtsextremistischer Veranstaltungen, NVwZ 1994, 635 Deger, Sind Chaos-Tage und Techno-Paraden Versammlungen?, NJW 1997, 923