Kapitel 3: Recht der Person. PD Dr. Oliver Mörsdorf 1

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Transkript:

Kapitel 3: Recht der Person PD Dr. Oliver Mörsdorf 1

1. Natürliche Person: Überblick betrifft Anknüpfungsgegenstände mit engem Bezug zur Person Selbständige Anknüpfung als Teilfrage primäres Anknüpfungskriterium: Staatsangehörigkeit Statutenwechsel möglich, aber selten (beachte Sonderregeln) Rechtsquellen: autonom-deutsch (Art. 7, 9, 10, 12 EGBGB) Keine Rechtsvereinheitlichung auf EU-Ebene PD Dr. Oliver Mörsdorf 2

Regelung im Einzelnen Rechtsfähigkeit Beginn, Ende Art. 7 I 1 EGBGB Staatsangehörigkeit Todes(zeit)feststellung, Art. 9 EGBGB (letzte) Staatsangehörigkeit Geschäftsfähigkeit allg Voraussetzungen/ Folgen des Fehlens Art. 7 I 1 EGBGB Staatsangehörigkeit Einschränkung des Statutenwechsels Art. 7 II EGBGB (allseitig!) Verkehrsschutz Art. 12 EGBGB/ Art. 13 Rom I-VO Name Art. 10 I EGBGB Staatsangehörigkeit Art. 10 II, III EGBGB beschr. Rechtswahl (zu Art. 10 III 1 Nr. 1 vgl. auch EuGH Rs C-148/02 - Avello) Beachte besondere Sachvorschriften! Art. 47 (Statutenwechsel) Art. 48 (EU-SachV, vgl. Rs. C 353/06 - Grunkin-Paul) PD Dr. Oliver Mörsdorf 3

2. Gesellschaften Anknüpfungsgegenstand: Gesellschaftsstatut (lex societatis); umfasst Rechtsfähigkeit Innenverhältnis Außenverhältnis organschaftliche Vertretung Haftung (auch der Gesellschafter?) ggf Anknüpfung als selbständige Teilfrage Rechtsquellen grds autonom-deutsch, keine Rechtsvereinheitlichung auf EU-Ebene keine gesetzliche Regelung; Richterrecht! PD Dr. Oliver Mörsdorf 4

Gründungstheorie vs Sitztheorie Gründungstheorie Anknüpfung an Recht des Gründungs- bzw. Registerstaates grds unwandelbares Statut (Ausnahme: Formwechsel) Sitztheorie Anknüpfung an Recht des (tats.) Verwaltungssitzes Statutenwechsel möglich Vorteile: Parteiautonomie (der Gründer) Rechtssicherheit Nachteil: Rechtswahl zu Lasten Dritter (race to the bottom) Vorteil: Integration in die Umwelt (Dritte) Nachteile: Rechtsunsicherheit Keine Berücksichtigung der Parteiautonomie PD Dr. Oliver Mörsdorf 5

Rechtslage in Deutschland grds (modifizierte) Sitztheorie richterrechtliches Gewohnheitsrecht gilt im Verhältnis zu Nicht-EU/EWR-Staaten (vgl. BGH NJW 2009, 289, Rn. 21, 22 Trabrennbahn) Verlegung des Verwaltungssitzes = Statutenwechsel; Folgen Wechsel des anwendbaren Gesellschaftsrechts Kein Erlöschen der Rechtsfähigkeit, sondern ex lege- Umwandlung in Gesellschaft des Mitgliedstaates (Personengesellschaft) ggf persönliche Haftung des Gesellschafter! PD Dr. Oliver Mörsdorf 6

Überlagerung durch EU-Recht (Niederlassungsfreiheit) Rspr des EuGH zur Einwirkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) auf Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt Zuzugsperspektive: 3 Paukenschläge des EuGH! EuGH, Rs. C-212/97 Centros EuGH, Rs. C-208/00 Überseering EuGH, Rs. C-167/01 Inspire Art Wegzugsperspektive EuGH, Rs. 81/87 Daily Mail EuGH, Rs. C-210/09 Cartesio Folgerungen Anwendung der Gründungstheorie auf zuziehende EU/EWR-Gesellschaften (BGHZ 154, 185) Wegzug deutscher Gesellschaften? Keine EU-rechtlichen Vorgaben Versteckte Gründungsanknüpfung in 4a II GmbHG, 5 II AktG? PD Dr. Oliver Mörsdorf 7

Fälle Fall 10: Der 17 kirgisische Staatsbürger K hält sich im Rahmen eines Jugendaustauschprogramms in Deutschland auf. Dort kauft er bei dem Händler H eine antike Kuckucksuhr, die dieser ihm nachmittags an die Adresse seiner Gastfamilie liefern soll. Als H dort mit der Uhr auftaucht und Zahlung des Kaufpreises von 500 Euro verlangt, beruft sich K, den das Geschäft nach einer lebhaften Diskussion mit seinen Gasteltern inzwischen reut, auf seine Minderjährigkeit. Hätte eine Klage des H gegen K vor dem zuständigen deutschen Gericht Erfolg? Abwandlung: Wie wäre der Fall zu entscheiden, wenn es sich bei K um Kevin, einen ebenso großgewachsenen wie bärtigen 18 jährigen kanadischen Staatsbürger aus Vancouver (British Columbia) handelte? Hinweis: Nach kirgisischen Sachrecht tritt die Geschäftsfähigkeit mit Vollendung des 16. Lebensjahres, nach dem Sachrecht des kanadischen Einzelstaates British Columbia mit Vollendung des 19. Lebensjahres ein. Kanada verfügt über kein einheitliches interlokales Privatrecht. PD Dr. Oliver Mörsdorf 8

Fall 11: Die serbischen Brüder Slawko und Stanko (S) betreiben in Belgrad ein Unternehmen für Software- Entwicklung unter der Rechtsform der d.o.o. (entspricht der deutschen GmbH). Im Jahr 2016 übersiedeln die Brüder nach Deutschland, wo sie ihr Geschäft unter derselben Firma weiterbetreiben und in diesem Rahmen für den Rechtsanwalt Dieter (D) ein Programm zur Mandantenerfassung entwickeln. Als D sich weigert, die vereinbarte Vergütung ihv 12.000 Euro zu bezahlen, verklagt die d.o.o. den D auf Zahlung vor dem zuständigen LG. Wie wird das Gericht entscheiden? Abwandlung 1: Als die d.o.o. ihrem Vermieter (V) die Miete für die Büroräume schuldig bleibt, verklagt dieser die Brüder S persönlich vor dem zuständigen LG auf Mietzahlung ihv 15.000 Euro. Erfolgsaussichten? PD Dr. Oliver Mörsdorf 9

Abwandlung 2: Wie Abwandlung 1, nur dass es sich bei der Gesellschaft um eine kroatische d.o.o. handelt. Kann V die beiden Gesellschafter Kresimir und Kristijan (K) persönlich auf Mietzahlung verklagen? Abwandlung 3: Wie Abwandlung 2, nur dass die Brüder K ihr Geschäft von Anfang an in Deutschland unter der Rechtsform der englischen Private Company Limited by Shares (Ltd.) gegründet haben. PD Dr. Oliver Mörsdorf 10