Gesundheitsbelastungen durch Zeit- und Erfolgsdruck Elke Ahlers Seminar der ver.di Bundesfachgruppe Sparkassen Tutzing, 21.09.2006
Gliederung: Gibt es im Banken-/Sparkassenbereich psychische Arbeitsbelastungen? Wie entstehen diese? Wandel der Wirtschaftswelt Vermarktlichung Ergebnisorientierung/Zielvereinbarungen Flexibilisierung Warum werden psychische Arbeitsbelastungen gerade im Banken/Sparkassenbereich kaum thematisiert? Was können Betriebs- und Personalräte tun?
Definition psychischer Belastungen Die DIN EN ISO 10075-1 definiert psychische Belastungen als die von außen auf die Psyche einwirkenden Faktoren. Diese ergeben sich aus den Arbeitsbedingungen, bspw.: der Arbeitsaufgabe (Art und Umfang der Tätigkeit) der Arbeitsumgebung (z. B. Lärm) der Arbeitsorganisation (z. B. Arbeitszeit, Arbeitsabläufe) den sozialen Komponenten (z. B. Führungsstil, Betriebsklima) den Arbeitsmitteln (z. B. Software)
Entwicklung von Arbeitsbedingungen Psychische Belastungen sind flächendeckend gestiegen: in allen Branchen, in allen Betriebsgrößen (in den Dienstleistungen etwas stärker als im gewerblichen Bereich). Körperliche Belastungen haben sich uneinheitlich entwickelt: Teils gestiegen (34%), teils gesunken (29%), teils konstant geblieben (37%).
Entwicklung von psychischen Arbeitsbelastungen bei Banken/Versicherungen - Angaben der Betriebs- und Personalräte in % - Insgesamt 91 Verkehr und Nachrichten Kredit und Versicherungen 94 94 Sonstige Dienstleistungen 91 Investitionsgüter 91 Grundstoffe 91 Baugewerbe Handel Verbrauchsgüter 88 89 91 WSI-Betriebsrätebefragung 2004 zu Gesundheitsbelastungen und Prävention im Betrieb Sonstige Branchen 88
Ergebnisse aus der Betriebsräte- und Personalrätebefragung des WSI Zweijährliche Befragung von Betriebs- und Personalräten mit wechselnden Themenschwerpunkten Schwerpunkt 2004: Gesundheitsbelastungen und Prävention am Arbeitsplatz Repräsentativ für Betriebe mit Betriebs-/Personalräten in Betrieben ab 20 Mitarbeiter Postalische Befragung, Rücklauf ca. 13%, beteiligt haben sich ca. 2.100 Betriebs- und 1.300 Personalräte Die Befunde sind mit Strukturdaten des IAB in Nürnberg gewichtet, sodass die Ergebnisse repräsentativ sind für alle Betriebe mit Betriebsratsvertretung. Siehe auch: http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/sid-3d0ab75d- 7BFD0393/hbs/hs.xsl/projektlist_projekte_wsi_21088.html
Was verstehen wir unter psychischen Arbeitsbelastungen? Zeit- und Leistungsdruck Arbeitsintensität Hoher Verantwortungsdruck Schlechtes Führungsverhalten Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren Überforderung durch schlechte Arbeitsorganisation, u.v.m
Welche Ursachen stehen dahinter?
Wandel der Wirtschaftswelt Vom fordistischen Gesellschaftsvertrag tayloristische Arbeitsteilung lebenslange stabile Beschäftigung gute Bezahlung für monotone Arbeit männlich dominiert. hin zum Arbeitskraftunternehmer und reflexiv handelnden Subjekt Individualisierung der Arbeit Selbstverantwortung Entgrenzung der Arbeit Biografische Diskontinuität
Vermarktlichung betrieblicher Arbeit Prinzip: Der wachsende Marktdruck auf die Unternehmen soll unmittelbarer an die Beschäftigten weitergegeben werden. Tendenzen: Marktorientierte Steuerung und Bewertung von Unternehmen und dezentralen Wertschöpfungsprozessen ( Shareholder- Value-Kapitalismus ) Ausrichtung von Organisationen und Prozessen am Kunden bzw. an Märkten ( Kundenorientierung ) Ergebnisorientierung: Das Ergebnis (im Zweifel der Markterfolg) ist entscheidend, nicht der Aufwand. Erfolgsabhängige Entgeltgestaltung und ergebnisorientierte Leistungsbewertung Vermarktlichung der zeitlichen Verfügbarkeit von Arbeitskraft ( kontrollierte Arbeitszeitflexibilisierung ) (Quelle: Dr. Nick Kratzer, ISF München)
Zusammenhänge: (Betriebliche) Vermarktlichung und Entwicklung von Arbeit erweiterter Zugriff auf die Potentiale und Ressourcen von Arbeitskraft (arbeitskraftorientierte Rationalisierung) Vermarktlichung verstärkt generell Tendenzen der Differenzierung und Individualisierung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen Wachsende Ungleichheit durch zunehmende Bedeutung individueller Ressourcen und Potentiale Polarisierungstendenz: Arbeitskraft zwischen Kostenfaktor und Potential Gesellschaftliche Voraussetzung der Vermarktlichung: Individualisierung, Abbau des Wohlfahrtsstaats, geschwächte Interessenvertretung (Quelle: Dr. Nick Kratzer, ISF München)
Flexibilisierung und Subjektivierung die modernen Arbeitskulturen Wesentliches Kennzeichen ist die Entgrenzung von Arbeit. Dabei geht es um den erweiterten Zugriff auf bislang nur begrenzt verwertbare Ressourcen und Potentiale von Arbeitskraft. Insbesondere geht es um die soziale, zeitliche und räumliche Flexibilisierung der Verfügbarkeit und die erweiterte Nutzung der subjektiven Potentiale ( soft skills, Selbstorganisation, Selbst-Qualifizierung).
Trend: Neue Selbständigkeit/Subjektivierung (eine aus Managementsicht gewünschte Arbeitsorientierung, die sich aus Zielvereinbarungen bzw. der Ergebnisorientierung ergibt) Bedeutung: Erweiterte Verwertung der kognitiv-emotionalen Potentiale des Subjekts (Kreativität, Problemlösung, Motivation etc.) Erweiterte Steuerungs- und Gestaltungskompetenzen des Subjekts im Arbeitsprozess Erweiterte Gestaltungs(notwendigkeiten) der subjektiven Reproduktion (Privatleben, Familie, etc.) Neues Verhältnis von Autonomie und Kontrolle (indirekt, informell, sozial, technisch) Gegenläufige Bewegungen: Re-Taylorisierung und Standardisierung (z.b. Call-Center).
Betriebliche Organisation subjektivierter Arbeit Organisation: Abbau von Hierarchieebenen, Verlagerung von Gestaltungskompetenz nach unten Arbeitsformen: Projekt- und Gruppenarbeit, aber auch autonomere Einzelarbeit Arbeitszeitorganisation: Selbstorganisation der individuellen (flexiblen) Verfügbarkeit (z.b. Arbeitszeitkonten) Steuerungsformen: Indirekte Steurerung und Ergebnisorientierung (z.b. Zielvereinbarungen)
Warum werden psychische Arbeitsbelastungen gerade im Banken/Sparkassenbereich kaum thematisiert???????????
Was können Betriebs- und Personalräte tun?
Neue Anforderungen und Bedingungen für Interessenvertretung (Neue) Anforderung: Begrenzung des wachsenden Leistungsdrucks; Schutz vor der Maßlosigkeit des Marktes Neue Bedingungen: Individuen als Akteure der Arbeitsgestaltung und der Aushandlung von Leistungsbedingungen (und Entgeltgestaltung) Individuelle Interessen und Durchsetzungsfähigkeit als Bezugspunkt kollektiver Regulierung (Quelle: Dr. Nick Kratzer, ISF München)
Ansatzpunkte für Betriebs- und Personalräte Gefährdungsbeurteilungen nach dem ArbSchG Betriebliche Gesundheitsförderung Einflußnahme auf die Gestaltung von Zielvereinbarungen Salutogenese: Ressourcen-Steigerung der Beschäftigten Qualifizierung! Gesundheit/Work-life-Balance ( Arbeitszeit) Betriebs-/Dienstvereinbarungen!!!
Gesetzliche Möglichkeiten: Arbeitsschutzgesetz (1996 reformiert): Gefährdungsbeurteilung nach 5: Arbeitgeber sind demnach verpflichtet, jeden Arbeitsplatz durch eine Beurteilung auf seine krankmachenden Arbeitsbedingungen zu untersuchen. Das gilt sowohl für körperliche als auch für psychische Überlastungen. Dieses gesetzliche Instrumentarium dient dem Schutz der Beschäftigten vor Belastungen, die durch den herkömmlichen, technisch-orientiertem Arbeitsschutz nicht abgedeckt waren.
Wurde in Ihrem Betrieb eine Gefährdungsbeurteilung nach 5 ArbSchG durchgeführt? - Angaben der Betriebsräte in % - Insgesamt 50 Grundstoffe 63 Verkehr und Nachrichten 60 Investitionsgüter 56 Sonstige Branchen 55 Verbrauchsgüter 50 Sonstige Dienstleistungen 45 Baugewerbe Handel Kredit und Versicherungen 33 36 41 WSI-Betriebsrätebefragung 2004 zu Gesundheitsbelastungen und Prävention im Betrieb
Umsetzungsstand von Gefährdungsbeurteilungen
Die Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen im Bankenbereich (Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2004) Gesamt Ist dem BR nicht bekannt? Banken und Versicherungen Ist dem BR nicht bekannt? Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt? 50,1 18,6 32,9!!! 29,8!!! Psychische Belastungen berücksichtigt? 23,3 12,4 40,3 18,8 (n=20) Wirksamkeitskontrolle und Dokumentation? 43,6 15,7 53,4% 12 Umsetzung der abgeleiteten Maßnahmen? 31,5 9,4 32,4 2,9
Betriebliche Einflussfaktoren auf gute Gefährdungsbeurteilungen Förderliche Faktoren: Durchsetzungskraft der Interessenvertretung Partizipation der Mitarbeiter Nachhaltige Personalpolitik des Managements Hinderliche Faktoren: Schlechtes Führungsverhalten Fehlende externe Beratung in Gesundheitsfragen Unkenntnis
Gesundheitsförderung/Prävention Organisationale Verhältnisse: Soziale Vergleichbarkeit Identifikation mit sozialem System Partizipation Qualifikationsmöglichkeit Tätigkeitsspielräume Soziale Netzwerke und soziale Unterstützung Vertrauen in Führung Individuelles Verhalten: Selbstwirksamkeit Zukunftsorientiertheit Sozialkompetenzen Erleben von Kohärenz und Sinnhaftigkeit Aktive und flexible Bewältigungsstile Erholungsfähigkeit Gesunde Organisation Seelische, soziale und körperliche Gesundheit der Individuen Quelle: Prof. Dr. Peter Richter, TU Dresden
Das Miteinander von Verhaltensund Verhältnisprävention Verhaltensprävention: z.b. Stressbewältigungskurse, Rückenschulen, Massagen am Arbeitsplatz Verhältnisprävention: z.b. Optimierung der Arbeitsorganisation, Führungskräfte-Schulungen, Bessere Ausgestaltung von Zielvereinbarungen und Mitarbeitergesprächen Verbesserung des Betriebsklimas/Kollegialität
Salutogenese Das salutogenetische Gesundheitskonzept (von lateinisch: salus = gesund; griechisch: Genese = Entstehung) hat das Ziel, jedem Menschen das nötige Wissen und Werkzeug zu geben, um einen erheblichen Einfluss auf den eigenen Gesundheitszustand auszuüben. Ressourcenoptimierung durch: stetige Qualifizierung der Beschäftigten für die erfolgreiche Bewältigung neuer Anforderungen Work-life-Balance (z.b. durchdachte Arbeitszeitregelungen; Vereinbarkeit von Beruf und Familie) Betriebliche Gesundheitsförderung Ausrichtung der Interessenvertretungsarbeit auf die Erhaltung der Ressourcen der Beschäftigten!
Wichtig! Keine weitere Individualisierung der Belastungen (wie z.b. Stress, Leistungsdruck) Offener Diskurs im Betrieb Beispiel: IBM, Commerzbank haben anonyme Fragebögen ins Intranet gestellt mit überwältigendem Rücklauf ( so mancher Beschäftigter fühlt sich von dem Begriff Gesundheitsschutz nicht angesprochen!; alternativer Begriff?)
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Elke Ahlers WSI in der Hans-Böckler-Stiftung Hans-Böckler-Str. 39 40476 Düsseldorf