Sensitivität im Erkennen von kindlichen Emotionen bei Vätern und Müttern von 0-3-jährigen Kindern Christoph Liel, Andreas Eickhorst, Katrin Lang, Andrea Schreier, Christian Brand und Alexandra Sann Träger
Vertiefungsstudie KiD 0-3 Studienfolge KiD 0-3 zur Prävalenz von psychosozialen familiären Belastungen ( Kinder in Deutschland von 0-3 Jahren ) Subsample aus 2 Pilotstudien, stratifiziert in drei Risikogruppen Kohhorten-Längsschnitt-Design: 2 Altersgruppen von Kindern, 2 Erhebungszeitpunkte im Abstand von 7 Monaten Hausbesuche von Kind und Hauptbezugsperson, weitere Fragebögen für beide Elternteile Kooperationsprojekt mit Uni Erlangen, Bielefeld und Wuppertal IFEEL-Pictures als Bestandteil der Risikoerfassung bei den Eltern Stichprobengröße T1/T2 Psychosoziale Belastung (Risikofaktoren) gering (0-1 RF) mittel (2-3 RF) hoch (4+ RF) gesamt Kohorte 1 (11/18 Mon.) 36/35 39/37 23/21 98/93 Kohorte 2 (18/25 Mon.) 38/37 32/31 29/21 99/89 gesamt 74/72 71/68 52/42 197/182
Methodik: IFEEL-Pictures (IFP) Facial Emotion Expressions From Looking at Pictures (Butterfield, Emde, & Osofsky, 1993) Booklet mit 30 Babyportraits zum Selbstausfüllen in Laborsituation Sortierung in 13 Gefühlskategorien anhand eines Lexikons Seit 1993 nicht weiterentwickelt, aber weiterhin eingesetzt
Forschungstand mittels IFEEL-Pictures 22 Studien, v.a. zu Müttern aus Risikogruppen (z.b. frühgebärende, minderjährige oder depressive Mütter): Zusammenhänge zu beobachteter Mutter Kind-Interaktion (Osofsky & Culp, 1993; Lodge et al., 1993; DeGroat, 2003) und negativem mütterlichen Affekt (van Brakel et al., 2003) Pränatal vorhersagekräftig für eine desorganisierte Mutter- Kind-Bindung (Bernstein et al., 2014) Schwarz-weiß und negative Gefühlsratings bei vernachlässigenden Müttern und bei misshandelnden Vätern (Hildyard & Wolfe, 2007; Francis & Wolfe, 2008) Keine Unterschiede zwischen Müttern und Vätern in Leipziger Studie zu Fettleibigkeit (Estenfelder, 2013; Grube et al., 2013)
IFP in der Vertiefungsstudie KiD 0-3 Als Selbstausfüller ohne Assistenz (IFEEL-Booklet) Codierung durch einschlägige Fachkraft aus Leipziger Projekt anhand dt. Lexikon mit 900 Gefühlsworten (Estenfelder, 2015) Interrater-Reliabilität: Cohens κ=.91-1.00 Müttersample in 11 von 12 Gefühlskategorien signifikant unterschiedlich zu US-Referenzsample (n=145 Mütter): Zweifel bezüglich kultureller/zeitlicher Übertragbarkeit Auswertungsmodi: Häufigkeit der Gefühlskategorien bzw. Grad der Übereinstimmung mit Vertiefungssample (n=169 Mütter/n=175 Väter)
Fragestellung (1) Unterscheiden sich Mütter und Väter hinsichtlich der Häufigkeit bei einzelnen Gefühlskategorien? der Sensitivität IFP (Richtigkeit der Einschätzungen)? (2) Was erklärt die Sensitivität im Erkennen von kindlichen Gefühlen (Zusammenhänge mit Belastungen)? (3) Korrespondiert die Sensitivität IFP zwischen den Eltern? (4) Sagt die Sensitivität IFP Gefährdungen oder genutzte Hilfen voraus?
Gefühlskategorien IFP Positiv Negativ Kein Gefühl Freude Passivität Andere Angabe Interesse Wut Zufriedenheit Angst Überraschung Ekel Not/Leid Traurigkeit Schüchternheit Scham
Unterschiede zw. Müttern und Vätern Mütter Väter t 1 df P d Passivität.63 1.01-3.23 163 <.01 -.26 Angst 2.88 2.47 2.40 163 <.05.23 Traurigkeit 4.40 4.03 1.68 163 <.10.16 Andere Angabe.34.57-2.41 163 <.05 -.21 1 t-test verbundene Stichproben Auswertung: Relative Häufigkeit der Gefühlskategorien bei allen 30 IFP
Richtigkeit der IFP-Einschätzungen Sensitivität IFP Gesamt Richtig Positive IFP Richtig Negative IFP 1 t-test verbundene Stichproben Mütter Väter t 1 df p d 16.10 15.90 1.26 163 n.s. 8.02 8.05 -.37 163 n.s. 8.08 7.85 2.13 163 <.05.13 Auswertung: Mind. 70% der Stichprobe raten das IFP positiv oder negativ (vgl. Bernstein et al., 2014) 9 positive und 9 negative IFP (weitere 12 IFP unberücksichtigt)
Zusammenhänge mit Belastung Sensitivität IFP r s Mutter Vater Berufsabschluss Alkoholmissbrauch (PHQ) Partnerschaftsunzufriedenheit (DAS) Selbstwirksamkeit Erziehung (SENR) Kindesmisshandlungsrisiko (B-CAPI) Gewalterfahrung als Kind (ACE) M.21**.19* V.01.22** M -.10 -.06 V.02 -.17* M -.09 -.11 V.01 -.16* M.15.08 V -.07.17* M -.13 -.10 V.05 -.11 M.09 -.07 V.13 -.05 **p<.01 *p<.05
Sensitivitität IFP auf Paar-/Elternebene Sensitivität IFP Mutter Sensitivität IFP Vater o.k. schlecht o.k. 77% 10% schlecht 8% 5% Fishers exakter Test p<.01 φ=.24 Auswertung: schlecht = untere 15% der Stichprobe Keine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass beide Eltern schlecht im Erkennen kindlicher Gefühle sind Aber: Wahrscheinlichkeit der Kombination eines sehr gut (obere 15%) mit einem schlecht sensitiven Elternteil bei 4%
Longitudinale Zusammenhänge zu T2 In Anspruch genommene Hilfen (laut Mutter) Berichtete Kindeswohlgefährdungen (beide Eltern) Sensitivität IFP Kindeswohlgefährdungen = Misshandlung, Vernachlässigung, Partnergewalt seit Geburt des Kindes Richtig Positive IFP Richtig Negative IFP r s M V M V M V.19*.13.21*.06.07.18*.07 -.14.11 -.06 -.04 -.16* *p<.05
Diskussion Geringe Unterschiede zwischen Eltern Unterschiede v.a. bei Sensitivität für negative Gefühle Schwache und nur für Väter erklärende Zusammenhänge zu Risikofaktoren (Ausnahme: Bildung) Sensitivität der Väter für negative Gefühle schwach vorhersagekräftig für Gefährdungen und genutzte Hilfen Sensitivität IFP kein Kriterium für die Zusammensetzung der Eltern (Partnerwahl) Limitation: Maßstab für Sensitivität IFP war die Mehrheitsmeinung der Eltern Verifizierung: Zusammenhänge Sensitivität IFP mit Feinfühligkeit?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Christoph Liel, Deutsches Jugendinstitut, München liel@dji.de