EDITORIAL. Prof. Dr. Hans Haarmeyer Leitender Direktor des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht DIAI

Ähnliche Dokumente
FRTG GROUP ESUG. Gesetz zur weiteren Erleichterung zur Sanierung von Unternehmen

SANIERUNG IM INSOLVENZVERFAHREN EIN ÜBERBLICK

SANIERUNG DURCH SCHUTZSCHIRM ODER (VORLÄUFIGE) EIGENVERWALTUNG LEIPZIG, 19 JUNI 2013 GÖRLITZ, 20. JUNI 2013 REUTLINGEN, 27.

Neue Chancen für die Sanierung am Fallbeispiel eines erfolgreichen Schutzschirmverfahrens

Die Reform der Insolvenzordnung nach ESUG, dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung

Hinweise für die Tätigkeit des Steuerberaters als Sachwalter

ESUG. Dr. Andreas Schmidt, Insolvenzgericht Hamburg Mannheim, 15. Juni 2012

Einführung ESUG. I. Eigenverwaltung / Schutzschirmverfahren

ESUG Neues Insolvenzrecht Chancen für die Unternehmenssanierung und Herausforderungen für den steuerlichen Berater

Vereinfachung des Zugangs zur Eigenverwaltung (Umkehrung des Regel- Ausnahme-Verhältnisses);

Sanierung durch Insolvenzplan

Das Schutzschirmverfahren nach 270b InsO - Gläubigerschutz nach der Insolvenzordnung

Vorläufiger Gläubigerausschuss, Verwalterwahl und Eigenverwaltung

Wiederholungsfragen. Erläutern Sie wann ein einfacher/verlängerter/ erweiterter Eigentumsvorbehalt zur Aus- bzw. Absonderung berechtigt!

Rheinischen Gesellschaftsrechtskonferenz Werkstattbericht" zum Schutzschirm ( 270b InsO)

- Recht aktuell - Kurzinfo Insolvenzrecht

Die Änderungen der Insolvenzordnung nach dem ESUG

Neue Regelungen seit

geben. Die Wahrscheinlichkeit von 100% ist hier demnach nur der Gehen wir einmal davon aus, dass die von uns angenommenen

A Überblick Die Änderungen des Insolvenzrechts durch das ESUG...10

Legal Update Restrukturierung

Die neue Regelung der Eigenverwaltung

Verbraucherinsolvenzverfahren & Restschuldbefreiung

Instrument: Insolvenzplan

Das Regelinsolvenzverfahren

Lineargleichungssysteme: Additions-/ Subtraktionsverfahren

Die Änderungen. Caritasverband Stuttgart e.v. Evangelische Gesellschaft Stuttgart e.v. PräventSozial ggmbh Stuttgart

Risikolos vor Gericht. Prozessfinanzierung im Insolvenzrecht

Insolvenzgeldvorfinanzierung (IGV) Insolvenzgeld und Insolvenzgeldvorfinanzierung

Privatinsolvenz anmelden oder vielleicht sogar vermeiden. Tipps und Hinweise für die Anmeldung der Privatinsolvenz

Schutzschirmverfahren Ein neuer Weg zur Unternehmenssanierung oder brauchen wir ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren?

RECHT AKTUELL. GKS-Rechtsanwalt Florian Hupperts informiert über aktuelle Probleme aus dem Beamten- und Disziplinarrecht

Mediationsordnung des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen. (MedO) in der Fassung vom

Informationstechnologie- Lö

Rahmenbedingungen und Prüfung der Insolvenzantragspflicht. von Rechtsassessor Reinhard Halbgewachs für vds consultants GmbH

Wiederholungsfragen. 2. Voraussetzungen der Anordnung. 21 Das Insolvenzplanverfahren, 217 ff. InsO. 20 II. Das Schutzschirmverfahren nach 270b InsO

Heidelberg, 19. September 2014 Referent: Tobias Wahl SRH Sanierungskonferenz: ESUG Erfolgsfaktoren für

Qualität und Sicherheit

Gläubigerbeteiligung im Licht des neuen Insolvenzrechts

Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) aus Steuerberatersicht

Ein Betriebsrat. In jedem Fall eine gute Wahl.

Stellungnahme der Bundesärztekammer

Verjährungsfalle Gewährleistungsbürgschaft. -Unterschiedliche Verjährungsfristen für Mängelansprüche und Ansprüche aus der Gewährleistungsbürgschaft

Übersicht der wichtigsten Begriffe in einem Insolvenzverfahren

Richtlinien zur Durchführung der Aufgaben der Stiftung "Resozialisierungsfonds Dr. Traugott Bender"

Newsletter Immobilienrecht Nr. 10 September 2012

Überblick über das aktuelle Insolvenzrecht


Neue Sanierungskultur in Deutschland - Mehr Einfluss durch das ESUG

Schärfere Haftung in Sachen Umwelt.

Qualität von Insolvenzanträgen - Neue Herausforderungen an Berater - 3. Deutscher Gläubigerkongress Köln, den

5.2.8 Hinweise * für die Tätigkeit des Steuerberaters als Insolvenzverwalter

Telephone Briefing. Thema: ESUG Neue Möglichkeiten der Unternehmenssanierung

Vorwort... Inhaltsverzeichnis...

Informationen für Enteignungsbetroffene

Wie funktioniert ein Mieterhöhungsverlangen?

Datensicherung. Beschreibung der Datensicherung

Das große ElterngeldPlus 1x1. Alles über das ElterngeldPlus. Wer kann ElterngeldPlus beantragen? ElterngeldPlus verstehen ein paar einleitende Fakten

NEUES AUS DEM INSOLVENZRECHT

Muster für den Antrag auf Durchführung eines Gütestellenverfahrens

Informationsblatt Entschuldungsverfahren

Der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten. Wenn ein Pflichtteilsanspruch besteht, muss dieser auch durchgesetzt werden können.

Charakteristikum des Gutachtenstils: Es wird mit einer Frage begonnen, sodann werden die Voraussetzungen Schritt für Schritt aufgezeigt und erörtert.

Privatrecht I. Jur. Assessorin Christine Meier. Übung Privatrecht I

Schnellübersicht Seite Ausweg aus dem Schuldenkreislauf 7

Wann ist eine Software in Medizinprodukte- Aufbereitungsabteilungen ein Medizinprodukt?

infach Geld FBV Ihr Weg zum finanzellen Erfolg Florian Mock

VfW-Sachverständigenordnung

Studienplatzbeschaffung

Teil 7: - Unternehmenssanierung im Insolvenzverfahren

Praktischer Leitfaden für eine angemessene Versorgung

ENTWURF. Neue Fassung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages

126 AktG (Anträge von Aktionären)

An die Gläubiger der ALPHA Events UG

Beteiligung der Gläubiger. 1. Gläubigergruppen ( 38 ff. InsO)

(EuGVVO) 5. Innerhalb des Insolvenzverfahrens werden nicht alle

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 14. Januar in dem Verfahren auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens

DER SELBST-CHECK FÜR IHR PROJEKT

Bei der Tagung werden die Aspekte der DLRL aus verschiedenen Perspektiven dargestellt. Ich habe mich für die Betrachtung der Chancen entschieden,

Der (vorläufige) Gläubigerausschuss

a) Bis zu welchem Datum müssen sie spätestens ihre jetzigen Wohnungen gekündigt haben, wenn sie selber keine Nachmieter suchen wollen?

Privatinsolvenz. Schuldenbereinigung Restschuldbefreiung Insolvenzplan. von. Dr. Andreas Schmidt. Richter am Amtsgericht Hamburg

Mobile Intranet in Unternehmen

DNotI. Fax - Abfrage. GrEStG 1 Abs. 3 Anteilsvereinigung bei Treuhandverhältnissen. I. Sachverhalt:

DAS NEUE GESETZ ÜBER FACTORING ( Amtsblatt der RS, Nr.62/2013)

10 Bundesverkehrsministerium verstößt gegen haushaltsrechtliche Vorschriften und unterrichtet den Haushaltsausschuss unzutreffend

40-Tage-Wunder- Kurs. Umarme, was Du nicht ändern kannst.

Rechtliche Informationen zu Hochwild-Hegegemeinschaften. von LJV-Justiziar Rechtsanwalt Klaus Nieding

S P E C T R A K T U E L L FREIE WAHL DER KRANKENVERSICHERUNG: SORGENVOLLER BLICK IN DIE ZUKUNFT 8/00. I:\PR-ARTIK\Aktuell00\08\Krank_neu.

Primzahlen und RSA-Verschlüsselung

Lösung Fall 8 Anspruch des L auf Lieferung von Panini á 2,-

BUCHHALTUNG BUCHFÜHRUNG WO IST ER EIGENTLICH? - DER UNTERSCHIED?

IVU Traffic Technologies AG

Inhaltsverzeichnis. Abkürzungsverzeichnis 17

rat Insolvenz des Arbeitgebers Informationen und Tipps für Beschäftigte

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 12. Mai in dem Verbraucherinsolvenzverfahren

Teilzeitbeschäftigte sind nach dem TV-EKBO grundsätzlich n i c h t zu Mehrarbeit und Überstunden verpflichtet.

Herzlich Willkommen beim Webinar: Was verkaufen wir eigentlich?

P-Konto-Information für Betroffene

Krisenprophylaxe, Haftungsvermeidung und Sanierungschancen

Transkript:

www.diai.org sonderausgabe zur neuen insolvenzordnung Newsletter EDITORIAL Das ESUG auf Erfolgskurs trotz Widerstand Ein Jahr ESUG, ein Anlass für das DIAI, die Handlungsempfehlungen zum ESUG aus dem Vorjahr neu aufzulegen und an die aktuellen Entwicklungen anzupassen. Es waren zwölf enorm interessante Monate mit Höhen und Tiefen und einem neuen Gesetz, das die Erwartungen in weiten Bereichen erfüllt, in manchen gar übertroffen hat. Inzwischen haben mehr als die Hälfte der Insolvenzgerichte bereits Erfahrungen mit ESUG-Verfahren und man erkennt, dass der grundlegende Paradigmenwechsel mehr und mehr vollzogen wird. Der Schutz der Gläubigerinteressen liegt im Eigenverwaltungs- wie im Schutzschirmverfahren nunmehr ausschließlich in den Händen der Gläubiger und es liegt dann konsequent auch nur an ihnen die Aufhebung einer angeordneten Eigenverwaltung zu betreiben, wenn sie Schäden befürchten. Klagte man früher über die Ignoranz der Gerichte, so gilt die Klage nun eher den Privatbanken, die sich weitgehend einer Mitwirkung entgegenstellen, während gerade die Sparkassen sowie die Volksund Raiffeisenbanken das neue Recht aktiv tragen und auch als eine gute Möglichkeit der Kundenbindung ansehen. Auch die ersten Wochen des Jahres 2013 haben den positiven Trend deutlich bestätigt: Die Eigenverwaltung wird zunehmend angenommen, immer mehr Unternehmen wollen davon Gebrauch machen. Die weitaus überwiegende Zahl der Insolvenzgerichte steht dem Verfahren aufgeschlossen gegenüber, allerdings formiert sich auch bei einigen Gerichten Widerstand, vielfach gemeinsam mit örtlichen Insolvenzverwaltern, die gerne zurück zu den alten Zeiten möchten, als man sich noch aufeinander verlassen konnte und die Gläubiger nicht gestört haben. Es entsteht in solchen Konstellationen der Eindruck, dass von Insolvenzverwaltern begleitete Eigenverwaltungen dann eher nicht zu Ende geführt werden und man sich dem Widerstand der Gerichte beugt, vielleicht auch, um einer zukünftigen Bestellung nicht im Wege zu stehen. Das widerspricht diametral den Zielen des Gesetzgebers und wird in mehreren Beiträgen inzwischen auch als rechtswidrig gebrandmarkt. Es ist ja gerade das wesentliche Ziel der Reform gewesen, dass ein gut vorbereitetes Verfahren Erfolg haben soll. Wir sehen aber auch, dass bei zunehmender Kompetenz der Gerichte die Professionalität bei Beratern noch deutlich besser werden muss, auch weil verbreitet auf eine gute Vorbereitung immer noch kein Schwerpunkt gelegt wird. Wir wollen Ihnen mit diesem Sondernewsletter einen Einblick in die Entwicklung der letzten Monate geben und dort wo es erforderlich erscheint Altbekanntes nochmals erläutern. Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre. Prof. Dr. Hans Haarmeyer Leitender Direktor des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht DIAI 02 Ein Jahr ESUG ein Erfahrungsbericht 05 Einführung in das neue Insolvenzrecht 08 Der vorläufige Gläubigerausschuss: Stärkung der Gläubigermitbestimmung 10 Auswirkungen des ESUG auf die gerichtliche Praxis 12 Die richtige Verfahrensvorbereitung und die optimale Abstimmung mit dem Insolvenzgericht 14 Die Durchsetzung der vorläufigen Eigenverwaltung 16 Der Ablauf des Schutzschirmverfahrens 19 Schutzschirmverfahren versus vorläufige Eigenverwaltung 21 Eisengießerei Karlshütte hatte Mut zur Insolvenz 23 Ich und der Schutzschirm aus der Sicht eines Sanierungsgeschäftsführers 27 Anforderungen an die Bescheinigung für das Schutzschirmverfahren 29 DES: vom Gläubiger zum Gesellschafter werden 30 Die Verbesserung der Risikoposition der Bank durch Insolvenzplan und Eigenverwaltung 32 Steuern in der vorläufigen Eigenverwaltung 34 Insolvenzplan in Eigenverwaltung zum Erfolg führen 36 Endlich Klarheit nur der Schuldner darf Masseverbindlichkeiten begründen! 38 Der unechte Massekredit nach ESUG 40 Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung 42 Die Haftung des Sanierungsgeschäftsführers im Schutzschirmverfahren 1

deutsches institut für angewandtes insolvenzrecht e.v. sonderausgabe newsletter 2013 Ein Jahr ESUG ein Erfahrungsbericht RA Robert Buchalik, Partner der Buchalik Brömmekamp Rechtsanwälte Steuerberater, Düsseldorf/Frankfurt Mit dem Inkrafttreten des ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen) am 1. März 2012 hat sich die Welt der Insolvenzabwicklung grundlegend verändert. Das neue Insolvenzrecht ist in den meisten Unternehmen noch nicht angekommen, es gilt noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Buchalik Brömmekamp konnte schon 28 Anträge auf vorläufige Eigenverwaltung nach 270a InsO oder Einleitung eines Schutzschirmverfahrens nach 270b InsO vorbereiten und diese Verfahren beratend begleiten. Von diesen 28 Verfahren wurden inzwischen mehrere bereits nach Bestätigung der jeweiligen Insolvenzpläne schon wieder aufgehoben. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen sind zumeist positiv. 1. Auswirkungen des ESUG auf die Insolvenzantragstellung Noch ist nicht wirklich klar, wie viele Unternehmen seit dem 1. März 2012 einen Antrag nach 270a InsO oder 270b InsO gestellt haben. Experten sprechen von ca. 180 beantragten Verfahren. Die Zahl der Anträge lässt sich nur schwer abschätzen, weil bis zur Eröffnung keine Veröffentlichungspflicht besteht. Dennoch sind es deutlich mehr Verfahren in Eigenverwaltung als vor der Geltung des ESUG. Gleichwohl ist das neue Insolvenzrecht den meisten Unternehmen noch nicht bekannt. Wesentliche Veröffentlichungen dazu gibt es bislang nur in der juristischen Fachpresse. Die Wirtschaftspresse hat das ESUG noch nicht für sich entdeckt, obwohl gerade ihr die wichtige Rolle zukäme, hierüber aufzuklären. 2. Was ist neu am ESUG? Auch die große Insolvenzrechtsreform 1999 sah die Möglichkeit zur Eigenverwaltung vor, allerdings erst im eröffneten Verfahren. Bis zur Eröffnung verblieb es bei der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Die Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung fiel erst mit dem Eröffnungsbeschluss. Manche Richter ließen vorab nicht erkennen, ob sie gewillt waren, die Eigenverwaltung mit der Eröffnung des Verfahrens anzuordnen. Rechtsmittel gegen einen ablehnenden Beschluss waren nicht zulässig. Häufig sprach sich der vorläufige Insolvenzverwalter schon aus rein pekuniären Interessen und wegen des für ihn einhergehenden Machtverlustes gegen die Anordnung der Eigenverwaltung aus. Aus Beratersicht war der Zeitraum bis zur Eröffnung des Verfahrens stets eine Zitterpartie, weil dem Insolvenzschuldner nicht mit Sicherheit gesagt werden konnte, ob die beantragte Eigenverwaltung vom Gericht angeordnet wird. Wurde die Anordnung der Eigenverwaltung abgelehnt, dann drohte dem Gesellschafter der Verlust seines Unternehmens, denn das Ziel der Insolvenzverwaltung war in den seltensten Fällen der Unternehmenserhalt für den Gesellschafter, sondern die Zerschlagung oder die Veräußerung an einen Investor, meist einen Wettbewerber. Häufig wurde dabei argumentiert, dass der Unternehmer mit der beantragten Insolvenz gezeigt habe, dass er nicht in der Lage sei, das Unternehmen erfolgreich zu führen und man es deshalb in andere Hände geben müsse. Der Gesetzgeber will mit diesen Klischees durch das neue Recht aufräumen. Eine frühzeitige Insolvenzantragstellung ist nur dann für den Unternehmer interessant, wenn er sein Unternehmen behalten kann. Diese Möglichkeit wird ihm mit dem neuen Recht eröffnet. Seit dem 1. März 2012 soll das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung nach 270a InsO anordnen, wenn der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Wird der Antrag auf Eigenverwaltung von einem einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses unterstützt, hat das Gericht keine nennenswerte Möglichkeit, die (vorläufige) Eigenverwaltung zu verhindern. 3. Anreiz zu frühzeitiger Insolvenzantragstellung Mit der nunmehr weitgehend bestehenden Planungs- und Rechtssicherheit über die Anordnung der Eigenverwaltung durch das Gericht ist der Anreiz des Schuldners zur frühzeitigen Antragstellung massiv gestiegen. Der professionelle Berater kann, sofern die notwendigen wirtschaftlichen und rechtlichen Voraussetzungen vorliegen, die es vorab zu prüfen gilt, den Erfolg eines solchen Verfahrens in Eigenverwaltung fast garantieren. 4. Anfechtung von Steuerzahlungen und geringere Verfahrenskosten als weitere Argumente für die vorläufige Eigenverwaltung bzw. Schutzschirmverfahren Insbesondere in größeren, massestarken Verfahren mit hohen Umsätzen gibt es zwei wesentliche Argumente, die 2

www.diai.org den Weg über vorläufige Eigenverwaltung bzw. das Schutzschirmverfahren schon fast zwingend vorgeben: Das eine Argument bezieht sich auf einen gesetzlichen Webfehler. Der erst zum 1. Januar 2011 systemwidrig neu eingeführte 55 Abs. 4 InsO bestimmt, dass Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, die im Eröffnungsverfahren, also dem Zeitraum zwischen Antragstellung und Eröffnung begründet worden sind, im eröffneten Verfahren als Masseverbindlichkeiten gelten. Gezahlte Steuern wie Umsatzsteuer, Branntweinsteuer, Lohnsteuer etc. können somit nach Eröffnung vom Sachwalter gemäß 129 ff. InsO angefochten werden. Bei einem Unternehmen mit 2 Mio. Euro Umsatz/Monat und einer monatlichen Bruttolohnsumme von 500 TEuro kann neue Liquidität über die Insolvenz von fast 2 Mio. Euro generiert werden, sodass der Sanierungserfolg wahrscheinlicher wird. Das andere Argument sind die deutlich geringeren Verfahrenskosten bei einem Verfahren in Eigenverwaltung. Berücksichtigt man, dass die Verfahrenskosten in der Regelinsolvenz eines Unternehmens dieser Größenordnung bei geschätzt 1,2 Mio. Euro liegen und sich in der Eigenverwaltung auf ein Drittel bis ein Viertel reduzieren, lässt sich die Masse um 800 TEuro gegenüber der Regelinsolvenz anreichern Geld, das zur Verteilung an die Gläubiger verfügbar ist und die Quote deutlich erhöht. Das liegt daran, dass der Sachwalter in der Regel nur 60 Prozent der für den Insolvenzverwalter bestimmten Vergütung erhält. Zudem entfallen die sonst üblichen Zuschläge auf die Regelvergütung, da einige Tätigkeiten nun vom eigenverwaltenden Schuldner selbst durchgeführt werden. Dazu zählen die Einleitung der Insolvenzgeldvorfinanzierung, die Insolvenzplanerstellung oder die Verhandlungen mit Kunden und Lieferanten. Das Argument, dass diese eingesparten Kosten nun auf den Berater entfallen würden, ist nur bedingt nachvollziehbar. Zum einen bedient sich auch der Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren externer Berater, die er gesondert aus der Masse vergütet. Zum anderen lässt sich das Honorar des Beraters anders als die Vergütung des Insolvenzverwalters vorher aushandeln und beläuft sich deshalb in der Regel nur auf einen Bruchteil dessen. 5. Stärkerer Einfluss der Gläubiger auf das Verfahren Bislang wurde die Insolvenz praktisch zwischen Gericht und Insolvenzverwalter geregelt. Die Gläubiger wurden üblicherweise erst im eröffneten Verfahren einbezogen, dann waren aber die wesentlichen Weichen bereits gestellt und eine Beeinflussung auf das Verfahren war kaum mehr möglich. Die Einflussnahme der Gläubiger ist durch das ESUG deutlich gestärkt worden. Frühzeitig einbezogen bestimmen nunmehr die Gläubiger, ob es zur Anordnung einer Eigenverwaltung kommt, wer als (vorläufiger) Sachwalter vom Gericht bestellt wird, wer die Bewertungsgutachten und die Kassenprüfung durchführt, genauso wie der vorläufige Gläubigerausschuss die Konditionen dieser Dienstleister mitbestimmt. Sie kontrollieren neuerdings den Schuldner und den (vorläufigen) Sachwalter und erhalten regelmäßige Informationen über den Gang des Verfahrens. Letzteres war bei unwilligen Verwaltern in der Vergangenheit eher die Ausnahme. Noch nicht alle Gläubiger nehmen derzeit diese neuen Rechte insbesondere wegen nicht auszuschließenden Haftungsrisiken wahr. Haftungsrisiken lassen sich aber durch die Einschaltung eines externen Kassenprüfers und eine Haftpflichtversicherung vollständig eliminieren. 6. Erheblich gesteigerte Möglichkeiten zur Unternehmenssanierung Liegt ein belastbares operatives Sanierungskonzept vor und kann auf Dauer die Markt- und Wettbewerbsfähigkeit des Insolvenzschuldners durch operative Restrukturierungsmaßnahmen wiederhergestellt werden, bietet die Planinsolvenz in Eigenverwaltung eine Plattform mit unglaublichen Möglichkeiten. Mit dem Insolvenzgeld, der Rückholung von Steuerzahlungen sowie dem Einfrieren von Altverbindlichkeiten wird die Liquidität massiv gestärkt, sodass zusätzliche Sanierungskredite meist überflüssig werden. Damit wird ein wesentliches Hindernis zur nachhaltigen Sanierung des Unternehmens aus dem Wege geräumt. Hinzu kommt durch die erhebliche Entschuldung auf der Grundlage von Verzichten ungesicherter Gläubiger (u. a. Bundesagentur für Arbeit, ungesicherte Banken und Lieferanten, Pensions- Sicherungs-Verein, Wegfall von Nachranggläubigern) eine Steigerung der Eigenkapitalquote von bis zu 80 Prozent. Das noch vor Antragstellung unterkapitalisierte und illiquide Unternehmen weist nun eine beachtliche Eigenkapitalquote auf, die die nachhaltige Sanierung nicht nur unterstützt, sondern fast schon der Erfolgsgarant für das Gelingen der Sanierung ist. Wesentliches Sanierungshindernis war bislang das Erfordernis, neue Liquidität zur Verlustfinanzierung und Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Diese konnte im Regelfall nur von den Banken kommen. Mit der Möglichkeit, Liquidität im Verfahren zu generieren, ist eine zusätzliche Bankenfinanzierung meist nicht mehr notwendig. 7. Professionelle Verfahrensvorbereitung als Erfolgsfaktor Ohne eine professionelle Begleitung ist der Erfolg einer Planinsolvenz in Eigenverwaltung nicht darstellbar. Schon bis zur Antragstellung gibt es mindestens 40 wichtige Punkte abzuar 3

deutsches institut für angewandtes insolvenzrecht e.v. sonderausgabe newsletter 2013 beiten, um den Erfolg sicherzustellen. Dazu gehören die Vorbereitung des Insolvenzantrages selbst, die Einleitung der Insolvenzgeldvorfinanzierung, vorbereitende Gespräche mit den potenziellen vorläufigen Gläubigerausschussmitgliedern, mit dem vorläufigen Sachwalter und mit dem Gericht, die Vorbereitung einer Vereinbarung eines unechten Massekredites, die Erstellung eines Insolvenzszenarios und der Liquiditätsplanung für die Insolvenz, die Einholung von Versicherungsschutz u.v.m. Allein der Insolvenzantrag mit dem Ziel der Eigenverwaltung setzt die Erstellung von ca. 20 Einzeldokumenten voraus. Beim Schutzschirmverfahren ist der Antrag noch erheblich komplexer. Nach einer Erhebung des Amtsgerichtes Charlottenburg vom August 2012 waren bislang über 90 Prozent der gestellten Anträge nach neuem Recht unzulässig, weil es an einer professionellen Vorbereitung fehlte. Ein Insolvenzschuldner schafft das definitiv nicht alleine. Die erheblichen Chancen, die das neue Recht bietet, wurden in diesen Fällen durch mangelhafte Vorbereitung zunichte gemacht. 8. Akzeptanz durch die Insolvenzverwalter noch nicht durchgängig Viele Insolvenzverwalter haben mit dem neuen Insolvenzrecht noch Akzeptanzschwierigkeiten. Das ist nachvollziehbar, wenn man die damit verbundenen Einkommenseinbußen und den Verlust an Einfluss berücksichtigt. Die Verwalterszene sollte das neue Recht akzeptieren und sich auf die geänderten Rahmenbedingungen einstellen. Die Erfahrungen mit dem neuen Recht sind für die Beteiligten insgesamt so positiv, dass nicht damit zu rechnen ist, dass der Gesetzgeber das Rad wieder zurückdrehen wird. Ein Verwalter, der das neue Insolvenzrecht öffentlich ablehnt, wird kaum erwarten können, dass er vom Schuldner oder den Gläubigern noch für das Amt des vorläufigen Sachwalters vorgeschlagen wird. Es ist damit zu rechnen, dass die Zahl der relevanten Insolvenzen mit Sanierungspotenzial in Zukunft deutlich steigen wird. Will ein Verwalter an diesem Markt partizipieren, muss er dafür offen sein. 9. Hohe Akzeptanz durch die Gerichte, aber viele Hürden bei der Umsetzung Die Akzeptanz seitens der Gerichte ist überraschend hoch. Nachdem anfänglich bei den meisten Gerichten erhebliche Unsicherheit über den Gang der neuen Verfahren herrschte, positionieren sich die Gerichte nach den ersten Erfahrungen immer klarer. Allerdings sind die Unterschiede bei den einzelnen Gerichten aufgrund fehlender gesetzlicher Vorgaben und fehlender höchstrichterlicher Entscheidungen noch groß. Es liegt am Berater, die bislang aufgetretenen Rechtsprobleme durch Studium der bisherigen Gerichtsbeschlüsse zum ESUG zu antizipieren und durch Vorgespräche mit dem zuständigen Gericht auszuschließen bzw. zu lösen. Unterschiedliche Auffassungen vertreten die Insolvenzgerichte in Deutschland gegenwärtig etwa in Bezug auf folgende wesentlichen Punkte: die repräsentative Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses, die Personenidentität von Berater und Bescheiniger nach 270b InsO, die Schwellenwerte für die Kosten des vorläufigen Gläubigerausschusses, die Befugnis zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren durch den eigenverwaltenden Schuldner. Schwierigkeiten ergeben sich auch daraus, dass die meisten Gerichte selbst bei einer stattgefundenen intensiven Vorbesprechung des Insolvenzantrages im Vorfeld der eigentlichen Antragstellung ihre Beschlüsse nicht unverzüglich nach der eigentlichen Antragstellung erlassen. Das liegt daran, dass sie erst einmal noch genau prüfen wollen, ob z. B. der vorläufige Gläubigerausschuss, der vom Schuldner vorgeschlagen wurde, formal richtig zusammengesetzt wurde, die Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist oder Bedenken im Hinblick auf die Begründung von Masseverbindlichkeiten bestehen. Wenn das Gericht, wie in einem Fall geschehen, für diese Prüfung erst einen Gutachter einsetzt, wird durch den dadurch eintretenden Zeitverlust die weitere Unternehmensfortführung erst einmal blockiert. Der gestellte Antrag wurde in diesem Stadium meist auch schon nach außen kommuniziert. Vor der Einreichung des Gutachtens wird das Gericht aber einen ersten Beschluss in der Regel nicht erlassen. Der Betrieb ist in der Zwischenzeit praktisch lahmgelegt und die Mitarbeiter warten auf ihre Löhne und Gehälter. Nur mit frühzeitigen und intensiven vertrauensbildenden Vorgesprächen mit dem zuständigen Gericht und vor allem der Bereitschaft des Gerichtes, schon vor der Antragstellung erste Prüfungen durchzuführen, kann einem solchen Szenario ausreichend begegnet werden. 10. Ausblick Obwohl die Anfangsschwierigkeiten mit dem neuen Insolvenzrecht in Teilbereichen offenkundig sind, ist das ESUG insgesamt als großer Erfolg zu bezeichnen. Der Gesetzgeber hat damit ein neues Sanierungsinstrument geschaffen, das von der Praxis angenommen wird. Der oftmals vorgebrachte Missbrauch hält sich in Grenzen. Die ersten Erfahrungen mit den Gerichten zeigen, dass die Richter ihre Torwächterfunktion ausfüllen und eher zur Überregulierung als zur Deregulierung neigen. Wichtig wird es jetzt im nächsten Schritt sein, das neue Recht den von der Insolvenz bedrohten Unternehmen auch zu kommunizieren, damit diese von den neuen Sanierungsmöglichkeiten durch Insolvenz Gebrauch machen. 4

www.diai.org Einführung in das neue Insolvenzrecht RA Dr. Jasper Stahlschmidt, Buchalik Brömmekamp Rechtsanwälte Steuerberater, Düsseldorf Das Insolvenzrecht vor Inkrafttreten des ESUG verhinderte in vielen Fällen, dass lebensfähige Unternehmen durch ein eröffnetes Insolvenzverfahren saniert werden konnten, weil die fehlende Berechenbarkeit eines Insolvenzverfahrens Unternehmen davon abhielt, einen Insolvenzantrag zu stellen. Vielmehr wurde der Weg über die außergerichtliche Sanierung so lange beschritten, bis alle Reserven verbraucht waren und nur noch die Liquidation des Unternehmens möglich war. Mit dem reformierten Insolvenzrecht strebt der Gesetzgeber eine frühzeitige Sanierung von Unternehmen an, um die Spielräume für eine außergerichtliche Sanierung zu erhöhen. Gleichzeitig ist der Weg durch die Insolvenz für den Insolvenzschuldner beherrsch- und berechenbarer. Die vorgenommenen Änderungen der Insolvenzordnung sollen auch ihren Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland leisten, z. B. diesen interessanter für ausländische Investoren machen und dem vereinzelt aufgetretenen insolvenzrechtlichen Forum Shopping (Unternehmensverlagerungen ins Ausland mit dem Ziel, dort Erleichterungen für die Sanierung und Erhaltung von Unternehmen in Anspruch zu nehmen) die Grundlage entziehen. Der Schwerpunkt des Gesetzes besteht deshalb in der Erleichterung der Sanierung von Unternehmen durch einen stärkeren Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters/Sachwalters, einem erleichterten und bereits in das Eröffnungsverfahren vorverlagerten Zugang zur Eigenverwaltung sowie dem Ausbau und der Straffung des Insolvenzplanverfahrens. Zusammenfassung der wesentlichen Änderungen/Neuerungen: 1. Stärkung der Gläubigerrechte Um die Gläubigerrechte zu stärken, wird die Möglichkeit geschaffen, bereits unmittelbar nach dem Eingang eines Eröffnungsantrages einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzurichten, sofern im vorangegangenen Geschäftsjahr mindestens zwei der drei folgenden Schwellenwerte erreicht wurden ( 22a Abs. 1 InsO): 4,84 Mio. Euro Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrages i.s.v. 268 Abs. 3 HGB, 9,68 Mio. Euro Umsatzerlöse sowie im Jahresdurchschnitt 50 Arbeitnehmer. Auch unterhalb der Schwellenwerte erfolgt die Einrichtung eines vorläufigen Gläubigerausschusses auf Antrag des Schuldners, des vorläufigen Sachwalters oder eines Gläubigers, wenn Personen benannt werden, die als Mitglieder in Betracht kommen und dem Antrag die Einverständniserklärungen der benannten Personen beigefügt werden ( 22a Abs. 2 InsO). Die Befugnisse des vorläufigen Gläubigerausschusses sind sehr weitreichend: Vor Bestellung des Verwalters ist dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zu geben, sich zu den Anforderungen zu äußern, die an den Verwalter zu stellen sind ( 56a Abs. 1 InsO). Sofern sich der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig für eine bestimmte Person als Verwalter ausspricht, ist diese Entscheidung für das Gericht bindend, es sei denn, die vorgeschlagene Person ist für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ( 56a Abs. 2 Satz 1 InsO). Hat das Gericht ohne Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses einen Verwalter bestellt, so kann der vorläufige Gläubigerausschuss in seiner ersten Sitzung mit einem einstimmigen Beschluss einen anderen Verwalter wählen ( 56a Abs. 3 InsO). Vor der Entscheidung über einen Antrag auf Eigenverwaltung ist dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zur Äußerung zu geben ( 270 Abs. 3 Satz 1 InsO). Ein Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung kann vom Gericht nur abgelehnt werden, wenn Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird ( 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Wird aber der Antrag von einem einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses unterstützt, gilt die Anordnung als nicht nachteilig für die Gläubiger ( 270 Abs. 3 Satz 2 InsO). 2. Stärkung der Eigenverwaltung und neues Schutzschirmverfahren Der Gesetzgeber wollte die Eigenverwaltung weiter stärken, um im Idealfall im Einvernehmen mit den Gläubigern die Kennt 5

deutsches institut für angewandtes insolvenzrecht e.v. sonderausgabe newsletter 2013 nisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung bestmöglich nutzen zu können und eine zeit- und kostenintensive Einarbeitungszeit eines Insolvenzverwalters zu vermeiden. Vor der Reform wurde die Eigenverwaltung nur sehr zurückhaltend eingesetzt, vor allem, weil das Verfahren für den Insolvenzschuldner nicht kalkulierbar war. Zwischen Antragstellung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde vom Insolvenzgericht immer ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit zum Teil sehr weitgehenden Befugnissen eingesetzt. Erst im Beschluss des Gerichtes über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, also nach zwei bis drei Monaten, wurde über die Anordnung der Eigenverwaltung entschieden. Die Nichtanordnung konnte erhebliche negative Auswirkungen wirtschaftlicher Art auf den weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens haben, insbesondere dann, wenn die Eigenverwaltung bereits mit Antragstellung vom Schuldner angekündigt wurde. Das ESUG erleichtert die Voraussetzungen für die Anordnung der Eigenverwaltung. So werden die Gläubiger über den vorläufigen Gläubigerausschuss schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in die Entscheidung über die Eigenverwaltung einbezogen. Bereits in der Phase zwischen Insolvenzantragstellung und Eröffnung kann die sogenannte vorläufige Eigenverwaltung angeordnet werden ( 270a InsO). Damit wird vom Gericht eine Vorentscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren getroffen. Die Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Anordnung der Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren entfällt folglich. Sofern der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig den Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung unterstützt, kann das Gericht diesen Antrag nicht ablehnen, auch dann nicht, wenn das Gericht der Ansicht ist, dass den Gläubigern durch die Anordnung Nachteile entstehen. Mit dem neuen Schutzschirmverfahren ( 270b InsO), das eine weitere Form der vorläufigen Eigenverwaltung ist und deren Wirkungen nochmals verstärkt, wird dem Schuldner im Zeitraum zwischen Eröffnungsantrag und Verfahrenseröffnung ein eigenständiges Sanierungsverfahren zur Verfügung gestellt. Der Schuldner erhält auf einen entsprechenden Antrag und Beschluss des Gerichtes bis zu drei Monate Zeit, in einer Art Schutzschirmverfahren unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters frei von Vollstreckungsmaßnahmen einen Sanierungsplan zu erstellen, der anschließend als Insolvenzplan umgesetzt werden kann. Voraussetzung für die Einleitung eines solchen Schutzschirmverfahrens ist nach 270b Abs. 1 Satz 3 InsO, dass der Schuldner mit dem Eröffnungsantrag eine mit Gründen versehene Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers, Rechtsanwaltes oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorlegt, aus der sich ergibt, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Eine wesentliche Stärkung erfährt das Schutzschirmverfahren durch die Befugnis des Schuldners, Masseverbindlichkeiten begründen zu können ( 270b Abs. 3 InsO). Er erhält damit die Rechtsposition, die bislang nur ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter innehatte. Mit der Änderung des 270 InsO und den neuen Regelungen der 270a, 270b InsO wird die Anordnung der Eigenverwaltung für den sanierungswilligen Insolvenzschuldner berechenbarer. Wenn das Verfahren vom Berater gut vorbereitet ist und er die Rückendeckung der wichtigsten Gläubiger erhält, ist die Anordnung der Eigenverwaltung praktisch sicher. Sie kann dann weder vom Insolvenzgericht noch vom vorläufigen Sachwalter verhindert werden. 3. Ausbau und Straffung des Insolvenzplanverfahrens a) Eingriff in die Rechte der Anteilsinhaber Nunmehr ist es nach dem Vorbild des US-amerikanischen Chapter-11-Verfahrens möglich, die Rechte der Anteilsinhaber durch Regelungen im Insolvenzplan zu ändern. Die Umwandlung von Forderungen von Gläubigern in Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte, der sogenannte Debt-Equity- Swap ( 225a InsO), eröffnet in der Praxis neue, hochinteressante Gestaltungsmöglichkeiten. Das bisherige Vetorecht der Altgesellschafter ist aufgehoben und Nachschusspflichten des Erwerbers wegen einer Überbewertung ihrer Forderungen sind ausgeschlossen. b) Einschränkung der Möglichkeiten zur Verhinderung des Planes (1) Früher war es möglich, dass einzelne Gläubiger unter Berufung auf die Regelungen des 251 InsO das Zustandekommen des Insolvenzplanes verhindern oder zumindest deutlich durch das Einlegen von Rechtsmitteln hinauszögern konnten, wenn sie glaubhaft machten, dass sie durch den Plan schlechter gestellt werden ( 251 Abs. 2 InsO a.f.). In der Praxis führte dies insbesondere bei Großverfahren dazu, dass der Schuldner gezwungen war, diesen Gläubigern gesetzeswidrig Sondervorteile zu verschaffen, um den Plan zum Abschluss zu bringen. Heute hat der Schuldner die Möglichkeit, im Plan vorzusehen, für diese Gläubiger Mittel für den Fall bereitzustellen, dass sie ihre 6

www.diai.org Schlechterstellung nachweisen. Ob die Beteiligten einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhalten, ist außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären ( 251 Abs. 3 Satz 2 InsO). Damit verhindern selbst jahrelange Prozesse das zügige Zustandekommen des Planes nicht. (2) In der Vergangenheit konnten Rechtsmittel gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt wurde, ohne Begründung eingelegt werden. Das war selbst dann möglich, wenn dem Plan durch denjenigen, der das Rechtsmittel eingelegt hatte, zugestimmt worden war. Rechtsmittel sind nach 253 InsO nur noch zulässig, wenn dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich widersprochen, gegen den Plan gestimmt und glaubhaft gemacht wurde, dass der widersprechende Gläubiger durch den Plan wesentlich schlechter gestellt wird und dass dieser Nachteil nicht durch Zahlung aus den in 251 Abs. 3 InsO genannten Mitteln ausgeglichen werden kann. c) Erleichterte Aufhebung des Insolvenzverfahrens In der Vergangenheit führte die Pflicht zur Berichtigung aller unstreitigen Masseansprüche vor der Aufhebung des Insolvensverfahrens zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten, da für zahlreiche bereits begründete Verbindlichkeiten noch keine Rechnungen vorlagen, aber auch Dauerschuldverhältnisse fortgesetzt werden sollten. Nach 258 Abs. 2 InsO hat der Verwalter vor der Aufhebung des Verfahrens nur noch die unstreitigen fälligen Masseansprüche zu berichtigen und für die streitigen oder nicht fälligen Sicherheit zu leisten. Für die nicht fälligen Masseansprüche kann jetzt auch ein Finanzplan vorgelegt werden, aus dem sich ergibt, dass ihre Erfüllung gewährleistet ist. Mit den zahlreichen Änderungen der Insolvenzordnung durch das ESUG ist dem Gesetzgeber ein großer Wurf gelungen. Jedenfalls ist seine Intention, insbesondere der Eigenverwaltung und dem Insolvenzplanverfahren endlich zum Durchbruch zu verhelfen und die Gläubigerrechte deutlich zu stärken, an vielen Stellen des Gesetzes Nachdruck verliehen worden. Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass die Akzeptanz des neuen Rechts bei Gerichten, Unternehmen und auch Insolvenzverwaltern ständig zunimmt. Buch Von Robert Buchalik und Professor Dr. Hans Haarmeyer Sanieren statt Liquidieren Neue Möglichkeiten der Sanierung durch Insolvenz nach dem ESUG. Dieses Praxishandbuch nimmt Sie mit in die Echtzeit der Sanierung. Es klärt Sie über den Umgang mit dem neuen Recht auf und erläutert die Möglichkeiten einer Sanierung anhand von Beispielfällen aus der Praxis. Wichtige Instrumente wie Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren sowie die Möglichkeiten einer professionellen Vorbereitung werden von den Autoren eingehend dargestellt. Weitere Informationen finden Sie unter: www.buchalik-broemmekamp.de 2012. Gebunden. 253 Seiten. 39,95 Euro, ISBN 978-3-482-64041-4 7

deutsches institut für angewandtes insolvenzrecht e.v. sonderausgabe newsletter 2013 Der vorläufige Gläubigerausschuss: Stärkung der Gläubigermitbestimmung Prof. Dr. Hans Haarmeyer, leitender Direktor des DIAI, Bonn Unbestritten werden die Weichen für ein Unternehmen in der Insolvenz bereits in den ersten 10 14 Tagen in die richtige oder in die falsche Richtung gestellt. Vor diesem Hintergrund haben Schuldner wie Gläubiger nach dem neuen Recht die Möglichkeit erhalten, schon vom ersten Tag eines Verfahrens diese zentralen Weichenstellungen mit zu beeinflussen. Voraussetzung für eine solche steuernde Mitwirkung ist jedoch, dass ein kriselndes Unternehmen zumindest in der letzten Phase der Krise professionell begleitet wird und den Dialog mit den wichtigsten Gläubigern aufnimmt und sie davon überzeugt, einen gemeinsamen Weg hin zu einer Sanierung des Unternehmens im Schutz des Insolvenzrechtes zu gehen. Unternehmen hingegen, die ihre Gläubiger mit einem Insolvenzantrag überraschen, sollen von diesen Möglichkeiten eines gesteuerten Verfahrens zu Recht ausgeschlossen werden. Zentrales Steuerungsinstrument zur Sicherung der frühen Gläubigermitbestimmung ist der vorläufige Gläubigerausschuss. Damit will der Gesetzgeber zugleich sicherstellen, dass das Insolvenzgericht vom ersten Tag an auch Erkenntnisse der Gläubiger über das Schuldnerunternehmen in seine Entscheidung einbinden kann. Ausschussmitglieder Das Insolvenzverfahren ist von heterogenen Gruppeninteressen geprägt. Soll verhindert werden und dies ist der Wille des Gesetzgebers, dass sich im Insolvenzverfahren das Recht des Stärkeren gegen die schützenswerten Interessen der allgemeinen Insolvenzgläubiger durchsetzt, dann müssen alle Gruppeninteressen auch in der Repräsentation der Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses zum Ausdruck kommen. Die Legitimation für einen steuernden Einfluss der Gläubiger folgt aus der Repräsentativität der Mitglieder. Ein im Eröffnungsverfahren vorgeschlagener vorläufiger Gläubigerausschuss sollte daher aus mindestens fünf Mitgliedern bestehen. Diese müssen überschneidungsfrei und eindeutig den Gruppen der Kreditwirtschaft, der Sicherungsgläubiger, der institutionellen Gläubiger, der ungesicherten Gläubiger sowie den Vertretern von Arbeitnehmerinteressen zuzuordnen sein. Wird mit dem Antrag eines Schuldners von den Gläubigern zugleich ein vorläufiger Gläubigerausschuss vorgeschlagen, in dem die fünf Gruppen von Gläubigern eindeutig und repräsentativ vertreten sind, so ist dieser als vorläufiger Gläubigerausschuss vom Gericht zu bestellen. Damit wird der Schuldner belohnt, der sich rechtzeitig an seine Gläubiger wendet und das Verfahren professionell vorbereitet. Gleichzeitig ist damit dann gewährleistet, dass die Gläubiger vom ersten Tag des Verfahrens ohne dass ein verzögerndes Element eintreten kann Einfluss auf die weitere Gestaltung, Bestimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters, die Wahrnehmung von Sanierungsmöglichkeiten sowie eine möglichst schnelle Eröffnung nehmen können. Rechte und Aufgaben eines vorläufigen Gläubigerausschusses: Mitwirkung bei allen wichtigen Entscheidungen im Eröffnungsverfahren Anhörungsrecht vor Bestellung eines (vorläufigen) Verwalters durch Benennung eines konkreten Anforderungsprofiles ( 56a Abs. 1 InsO) Einstimmiger, bindender Vorschlag eines Verwalters ( 56a Abs. 2 InsO) Einstimmige Ersetzung der gerichtlichen Auswahlentscheidung ohne Beteiligung des vorläufiger Gläubigerausschusses ( 56a Abs. 3 InsO) Antrag auf Aufhebung des Schutzschirmverfahrens vor Ablauf der gesetzten Frist ( 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO) Stellungnahme zum Antrag auf Eigenverwaltung ( 270 Abs. 3 InsO) Gesetzliche Aufgaben nach 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO i.v.m. 69 InsO sowie Zustimmung zu allen Maßnahmen nach 160 InsO Der Kann-Soll-Muss-Ausschuss Will man sich die neuen Möglichkeiten zur Gläubigermitbestimmung via vorläufigem Gläubigerausschuss bewusst machen und die zentrale Bedeutung der richtigen gericht 8

www.diai.org lichen Weichenstellung erkennen, dann ist es gut, zunächst zwischen drei unterschiedlichen gesetzlichen Möglichkeiten zu unterscheiden: dem Kann-Ausschuss, dem Soll-Ausschuss und dem Muss-Ausschuss. Zugleich darf man sich nicht davor verschließen, dass die Varianz dessen, was tatsächlich bei Gericht vorkommt, sich in unzähligen Varianten unterscheiden wird. Wichtig ist aber zu wissen, dass das Recht zum Vorschlag geeigneter Personen den Gläubigern zusteht und nicht dem Gericht. Der Kann-Ausschuss War bisher umstritten, ob es überhaupt gesetzlich zulässig ist, schon im Eröffnungsverfahren einen vorläufigen Gläubigerausschuss zu bestellen, so ist dies nach 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO nunmehr eine vorläufige Maßnahme, keine Sicherungsmaßnahme, und kann daher in jeder Verfahrenslage von Amts wegen zur Anwendung gebracht werden. Eine Besonderheit ist, dass wegen fehlender Betriebsnähe Nichtgläubiger oder sachverständige Dritte in einem vorläufigen Gläubigerausschuss nicht vertreten sein dürfen, wohl aber Gläubiger, die erst mit Eröffnung Gläubiger werden. Dazu gehören nicht nur der Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) und die Bundesagentur für Arbeit, sondern auch alle Gläubiger unbestrittener oder titulierter Forderungen. Für die Arbeitnehmer dürfte auch die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen durch eine im Unternehmen tätige Gewerkschaft zulässig sein. Der Soll-Ausschuss Auch wenn Unternehmen die Schwellenwerte eines Muss- Ausschusses (Umsatz ca. 10 Mio. Euro, Bilanzssume ca. 5 Mio. Euro, 50 Arbeitnehmer) nicht erreichen, soll das Gericht nach 22a Abs. 2 InsO einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, wenn dies vom Schuldner, einem beliebigen Gläubiger oder einem bereits bestellten vorläufigen Verwalter beantragt wird. Damit kann faktisch in jeder Unternehmensinsolvenz ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden. Diesem Antrag ist stattzugeben, wenn dem Gericht Personen benannt werden, die als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen, deren Einverständniserklärungen dem Antrag beigefügt sind und keine Ausschlussgründe ( 22a Abs. 3 InsO) der Einsetzung entgegenstehen. Geht ein solcher Antrag direkt mit dem Antrag ein, dann darf das Gericht schon wegen der möglicherweise eintretenden wirtschaftlichen Folgen nicht zögern, den Ausschuss zu bestellen. Aber auch hier gilt der Grundsatz der Repräsentativität und der Notwendigkeit eines Interessenausgleiches durch einen Fünfer-Ausschuss. Der Muss-Ausschuss Erfüllt das Unternehmen die Schwellenwerte nach 22a Abs. 1 InsO und hat es den Betrieb bei Antragstellung noch nicht eingestellt, so ist das Gericht gesetzlich verpflichtet, einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen und muss dies tun, wenn mit dem vollständigen Antrag zugleich ein ordnungsgemäß besetzter Ausschuss vorgeschlagen wird und die Einverständniserklärungen der Vorgeschlagenen vorliegen. Entscheidend für die Schwellenwerte sind die Merkmale im vorangegangenen Geschäftsjahr der Antragstellung. Das Gericht hat die Angaben des Schuldners nur auf Plausibilität zu prüfen, da ansonsten nicht erhebliche Verzögerungen eintreten, die den Sanierungsprozess gefährden könnten. Dem Insolvenzantrag müssen zwingend alle Anlagen nach 13 InsO beigefügt sein. Fehlen diese Anlagen oder sind sie unvollständig, dann ist der Antrag unzulässig. Die Komplexität der Antragsunterlagen macht hier eine professionelle Vorbereitung unerlässlich. Von der Einsetzungspflicht befreien allein die zu erwartenden Belastungen für die Insolvenzmasse, die aber zu vernachlässigen sein dürfte, sowie eine über die Einsetzung erheblich hinausgehende Verzögerung ( 22a Abs. 3 InsO). Hat das Gericht von der Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses zunächst abgesehen und sofort einen vorläufigen Verwalter bestellt, so muss es die Einsetzung unverzüglich nachholen, damit dieser gegebenenfalls von seiner Ersetzungsbefugnis Gebrauch machen kann und in seiner ersten Sitzung einstimmig einen anderen Verwalter wählen kann ( 56a Abs. 3 InsO). 9

deutsches institut für angewandtes insolvenzrecht e.v. sonderausgabe newsletter 2013 Auswirkungen des ESUG auf die gerichtliche Praxis Lutz Erdmann, Rechtspfleger am Amtsgericht Düsseldorf/Frank Pollmächer, Richter am Amtsgericht Insolvenzgericht, Düsseldorf Das ESUG hat Auswirkungen auf die gerichtliche Praxis gezeigt. Schwierigkeiten bei der Umsetzung sind vornehmlich dadurch entstanden, dass die in Kraft getretenen Vorschriften zum Teil unklar und unscharf gestaltet worden sind. Insoweit ist an den Gesetzgeber zu appellieren, vor weiteren Änderungen der Insolvenzordnung verstärkt auf die (insolvenzgerichtliche) Praxis zu hören. Die durch das ESUG erfolgte Neufassung des 13 InsO sieht vor, dass ein Schuldner seinem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Verzeichnis seiner Gläubiger und ihrer Forderungen beizufügen hat, wobei bei einem laufenden Geschäftsbetrieb bestimmte Forderungen sowie Angaben zur Größe des Unternehmens besonders kenntlich gemacht werden sollen. Beantragt zudem ein Schuldner die Eigenverwaltung und erreicht die Schwellenwerte des neu eingeführten 22a Abs. 1 InsO oder wird die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren beantragt, werden bestimmte Angaben zur Gläubigerstruktur Pflicht. Neuregelungen sind nicht eindeutig Die Neuregelung des 13 InsO ist bedauerlicherweise unscharf gefasst. So ist es unklar, ob auch die Angaben zum Umfang des Betriebes (Angaben zur Bilanzsumme, Umsatzerlösen und der durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer, 13 Abs. 1 Satz 5 InsO) immer oder nie zwingend sind oder erst dann zwingend werden, wenn die weiteren Voraussetzungen des 13 Abs. 1 Satz 6 InsO vorliegen. Da alle drei Aus legungsmöglichkeiten vertretbar sind, führt dies zu Unsicherheiten bei der Antragstellung. Zudem werden Angaben aus dem vorangegangenen Geschäftsjahr abgefragt, sodass diese bei Antragstellung nicht mehr aktuell sein müssen. Fehlerhafte Angaben des Schuldners bleiben ohne Sanktion. Die Praxis zeigt, dass Schuldner die Neufassung des 13 InsO weitaus überwiegend nicht beachten, insbesondere fehlt am häufigsten die Versicherung des Schuldners, dass das erstellte Gläubiger- und Forderungsverzeichnis richtig und vollständig ist. Dies ist problematisch, wenn es sich um einen laufenden Geschäftsbetrieb handelt, bei dem die Anordnung vorläufiger Maßnahmen dringlich ist. Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses In 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 22a InsO ist die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren eingeführt worden. Erfüllt der Schuldner zwei der in 22a Abs. 1 InsO genannten Kriterien, ist das Insolvenzgericht zur Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses verpflichtet. Dieser ist sodann gemäß 56a Abs. 1 InsO vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu hören, soweit dies nicht zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Nicht selten kommen jedoch auch große Insolvenzverfahren auf den letzten Drücker und werden (meist auch noch schlecht vorbereitet) am Freitag zu Gericht gebracht. Wenn dann zunächst zu ermitteln ist, ob die Parameter zur Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses erfüllt sind, Personen ermittelt werden müssen, die zur Übernahme des Amtes im vorläufigen Gläubigerausschuss geeignet und auch bereit sind, dieser sich sodann zusammensetzen und sich unter anderem auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter und/oder dessen Anforderungsprofil einigen muss, wird auch bei einem guten Zusammenspiel zwischen Gericht, Schuldner und Gläubigerausschuss mindestens eine Woche vergangen sein. Dieser Zeitraum dürfte für die meisten laufenden Betriebe unzuträglich sein, da das Unternehmen in diesem Zeitraum quasi führungslos ist. Eine erfolgreiche Beteiligung an der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters wird sich nur dann verwirklichen lassen, wenn dem Insolvenzgericht mit dem Insolvenzantrag ein vollständiger Gläubigerausschuss benannt wird und sich dieser kurzfristig auf ein Anforderungsprofil einigt oder dem Gericht nach Möglichkeit mehrere bereits dort gelistete Verwalter vorgeschlagen werden, da dies dem Insolvenzgericht eine umgehende Auswahl eines geeigneten und unabhängigen Verwalters ermöglicht. Unbestimmte Rechtsbegriffe im Schutzschirmverfahren Ein weiteres Kernstück des ESUG sind die Regelungen zur Erleichterung von Sanierungen im Rahmen des soge nannten Schutzschirmverfahrens ( 270b InsO). Diese modifizieren nicht nur das Regelungskonzept der Eigenverwaltung, sondern stellen auch eine neue Art des Antragsverfahrens dar. 10

www.diai.org Hier stellen sich unterschiedliche Fragen rechtlicher und praktischer Natur. Die mit Gründen zu versehende Bescheinigung gemäß 270b Abs. 1 Satz 3 InsO, dass eine Zahlungsunfähigkeit und eine offensichtliche Aussichtslosigkeit der Sanierung nicht gegeben ist, ist von den Gerichten zu prüfen. Bezüglich der Person des Testierenden arbeitet der Gesetzgeber mit dem Begriff des in Insolvenzverfahren erfahrenen.... Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist von den Gerichten auszulegen. Bestehen begründete Zweifel an der Schlüssigkeit des Testates, ist der Schuldner aufzufordern, seinen Vortrag oder die Bescheinigung nachzubessern. Bei verbleibenden ernstlichen Zweifeln wird auch die Einschaltung eines Sachverständigen zu erwägen sein. Um Streitigkeiten zu Beginn des Verfahrens zu vermeiden, erscheint eine frühzeitige Einbeziehung des jeweiligen Insolvenzgerichtes angezeigt, um Einvernehmen hinsichtlich der Person des Testierenden und der Aussagetiefe der Bescheinigung zu erzielen. Vorschlag Sachwalter Gemäß 270b Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO kann der Schuldner eine Person als Sachwalter vorschlagen, die personenverschieden von dem Aussteller der Bescheinigung nach 270b Abs. 1 InsO sein muss. Das Gericht kann von diesem Vorschlag nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person zur Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Es liegt nahe, dass ein solcher vom Schuldner vorgeschlagener Sachwalter bei den Gläubigern Misstrauen an dessen Unabhängigkeit hervorrufen wird, dies gilt insbesondere dann, wenn dieser mitgebrachte Sachwalter auch zuvor den Schuldner beraten hat. Ein Schuldner ist insoweit gut beraten, einen von ihm und dem Bescheiniger vollkommen unabhängigen vorläufigen Sachwalter vorzuschlagen. Begründung von Masseverbindlichkeiten Probleme im Rahmen der Eigenverwaltung entstehen insbesondere bei der Frage, wer im Eröffnungsverfahren zur Begründung von Masseverbindlichkeiten befugt ist. Für das sogenannte Schutzschirmverfahren ist geregelt, dass auf Antrag des Schuldners das Insolvenzgericht anzuordnen hat, dass dieser Masseverbindlichkeiten begründen darf ( 270b Abs. 3 Satz 1 InsO). Eine auch nur ähnliche Formulierung findet sich allerdings für das normale vorläufige Eigenverwaltungsverfahren gemäß 270a InsO nicht. Es wundert nicht, dass sich verschiedene Ansichten zur Frage gebildet haben, ob und wer im Rahmen des 270a InsO Masseverbindlichkeiten begründen darf. Vier Ansichten sind zu verzeichnen. So wird die Auffassung vertreten, dass mangels gesetzlicher Grundlage eine entsprechende Befugnis nicht eingeräumt werden kann. Andere Meinungen gehen davon aus, dass der eigenverwaltende Schuldner entsprechend dem sogenannten vorläufigen starken Insolvenzverwalter per se Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren erzeugt. Wird der Weg über eine Einzelermächtigung für vertretbar gehalten, wird noch danach differenziert, ob diese dem Schuldner oder dem vorläufigen Sachwalter zu erteilen ist. Einarbeitung ins Planverfahren Die Gestaltungsmöglichkeiten von Insolvenzplänen wurden durch das ESUG erheblich erweitert. So können im Insolvenzplan sämtliche gesellschaftsrechtlich zulässigen Regelungen getroffen werden, wobei die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital (dept to equity swap) besonders hervorzuheben ist. Die zum 1. Januar 2013 in Kraft tretende Verlagerung der Planverfahren aus dem Zuständigkeitsbereich der Rechtspflegerschaft in den Bereich der Richterschaft wird zunächst zu Verzögerungen führen, da nicht nur die entsprechenden personellen Kapazitäten fehlen, sondern auch erst eine Einarbeitung in die neue Materie erforderlich ist. Die Übergangsregelung, dass eine entsprechende Zuständigkeit des Richters nur für Planverfahren besteht, wenn das zugrundeliegende Insolvenzverfahren nach dem 1. Januar 2013 beantragt worden ist, schwächt dieses Problem nur unerheblich ab. Besondere Anforderung dürften Pläne darstellen, die erst in eröffneten Verfahren vorgelegt werden. Da nach Verfahrenseröffnung die Zuständigkeit vom Richter auf den Rechtspfleger übergeht, wird in diesen Fällen eine erneute Einarbeitung in das Insolvenzverfahren und anschließend eine Befassung mit dem Plan erforderlich. Vor diesem Hintergrund wird die knappe zweiwöchige Frist des 231 Abs. 1 Satz 2 InsO schwer einzuhalten sein. Ein Insolvenzplan sollte vor diesem Hintergrund möglichst mit Antragstellung als Entwurf eingereicht werden, um den Gerichten als auch den weiteren Beteiligten ausreichend Gelegenheit zu geben, ohne zeitliche Nöte Problemfelder des Planes in Ruhe zu erörtern. Dies gilt auch für die Frist gemäß 232 Abs. 3 Satz 2 InsO, innerhalb derer die Beteiligten zum Plan Stellung nehmen können. 11

deutsches institut für angewandtes insolvenzrecht e.v. sonderausgabe newsletter 2013 Die richtige Verfahrensvorbereitung und die optimale Abstimmung mit dem Insolvenzgericht RA Prof. Dr. Jochen Vogel, Buchalik Brömmekamp Rechtsanwälte Steuerberater, Düsseldorf Der Erfolg der Einleitung eines vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens nach 270a InsO oder eines Schutzschirmverfahrens nach 270b InsO hängt von vielen Faktoren ab. Wesentlich ist die professionelle Abstimmung und Kommunikation zwischen dem Schuldner und dessen Beratern (Sanierungsberater), dem vorläufigen Gläubigerausschuss, dem vorläufigen Sachwalter sowie dem Insolvenzgericht. Gerade die Kommunikation mit und zu dem Insolvenzgericht ist ein unverzichtbarer Bestandteil für den Erfolg eines Verfahrens nach 270a und/oder 270b InsO. Die Erfahrungen des ersten Jahres ESUG zeigen nunmehr sehr deutlich: Ohne eine frühzeitige Abstimmung mit den Insolvenzgerichten drohen erhebliche Verfahrensverzögerungen, die den gesamten Sanierungsprozess gefährden oder gar unmöglich machen können. Ein Insolvenzgericht, welches sich erstmals am Tage der Antragstellung mit einem Insolvenzantrag nach neuem Recht befasst, wird nur in den seltensten Fällen bereits am selben Tag noch einen Beschluss über die Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung oder gar eines Schutzschirmverfahrens erlassen. Denn zu Recht nehmen die Insolvenzgerichte für sich in Anspruch, die eingereichten Unterlagen umfassend zu prüfen. Und ein sorgfältig vorbereitetes Verfahren nach neuem Recht kann schnell einen oder mehrere Aktenordner mit Anträgen und weiteren ergänzenden Unterlagen füllen. Alleine die schiere Masse erfordert bereits einen entsprechenden zeitlichen Prüfungsaufwand. Frühzeitige Kommunikation mit dem Richter Hinzu kommt, dass der Geschäftserteilungsplan regelmäßig erst mit dem Antrag den zuständigen Richter zuweist. Dennoch zeigt die Praxis, dass bei zahlreichen Insolvenzgerichten die Richter gerade in diesen Fällen auch kollektiv für Vorbesprechungen zur Verfügung stehen. In einer mündlichen Vorbesprechung kann eine zügige Darstellung komplizierter Sachverhalte erfolgen und so die eigentliche Prüfungsarbeit durch das Insolvenzgericht deutlich effizienter gestaltet werden. Allerdings gibt es auch andere Beispiele. Ebenso wie teilweise Verfahren nach 270a, 270b InsO über Wochen ohne klare Kommunikation eingeleitet durch die betreuenden Berater begleitet werden, verweigern sich eine Reihe von Insolvenzgerichten bzw. einzelne Richter kategorisch einer Vorbesprechung. Mit weitreichenden Folgen für das Unternehmen. Zwangsläufig müssen die Sanierungsberater deutlich umfassendere Unterlagen erstellen, um alle Einzelfragen in einer individuell gewünschten Tiefe beantwortet zu können. Dies wiederum verlängert automatisch den zeitlichen Prüfungsaufwand des Insolvenzgerichtes. Den Insolvenzgerichten, die Vorgespräche kategorisch ablehnen, scheint häufig nicht bewusst zu sein, welche Komplikationen sie damit auslösen, aber auch welche Risiken sie dadurch eingehen. Neben einer Gefährdung des Sanierungserfolges in Teilen oder als Ganzes werden bereits Amts haftungsansprüche in Fällen diskutiert, in denen die Verweigerung der Insolvenzgerichte zu einer faktischen Handlungsunfähigkeit des antragstellenden Unternehmens führte. Fehlende Erfahrung Dabei beruht die Ablehnung eines Vorgespräches aus unserer Erfahrung regelmäßig nicht auf Böswilligkeit, sondern auf fehlender Einschätzung und Erfahrung mit dem neuen Recht und den komplexen Verfahren. Denn das Insolvenzgericht wird bei einer Antragstellung nach 270a, 270b InsO mit einer ganzen Reihe von juristisch-betriebswirtschaftlichen Einschätzungen und Begründungen konfrontiert, die so das spiegeln die Gespräche mit den Richtern wider eben nicht zu deren Tagesgeschäft gehören. Die Praxis zeigt, dass Gerichte, die bereits Verfahren nach 270a, 270b InsO durchgeführt haben, die Möglichkeit eines Vorgespräches mit dem Sanierungsberater/Sanierungsgeschäftsführer dazu nutzen, um Tage vor der Antragstellung die nicht unterschriebenen Antragsunterlagen frühzeitig zu besprechen und sich ergebende Problemstellungen vorzudiskutieren. Auch kann so der Sanierungsberater 12