Rehabilitation unter einer Lebensspannen-Perspektive mit besonderer Berücksichtigung des Erwerbsverlaufes

Ähnliche Dokumente
Krankschreiben überzeugt, überzeugend

Kongress des Fachverband Sucht e.v Juni 2015

Operationalisierung und Quantifizierung von Fähigkeitsstörungen bei Patienten in der psychosomatischen Rehabilitation

Mini-ICF-APP-S Aktivität und Partizipation bei psychischen Störungen in der Selbstbeurteilung

Multimorbidität und Alter

Wiedereingliederung und Berufsbegleitung bipolar erkrankter Menschen im Arbeitsleben

Aufgaben und Chancen einer teilhabeorientierten Sozialen Arbeit in der psychosomatischen Rehabilitation. Reha-Kolloquium 2018, E.

Macht Eingliederungshilfe süchtig?

Teilhabe aus Perspektive der Behinderungsforschung

Einführung in die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit

Erfahrungen mit der Anwendung des Mini- ICF-APP in der Formulierung der sozialmedizinischen Epikrise des Entlassungsberichts in der Psychosomatik

Teilhabe von substituierten suchtkranken Menschen aus Sicht der Eingliederungshilfe (EH) -

1. Programmatik 2. Theoretische Zugänge 3. Forschungsebene 4. Praxisebene

Menschen mit Behinderungen in Würzburg

«Beurteilung der Arbeitsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht»

Beruf und Beschäftigung bei chronischer Erkrankung. Hilfe zur Entwicklung von Genesungspotentialen

Rechtsanwälte Hohage, May & Partner Hamburg, Hannover, München

Rehabilitation unter einer Life span Perspektive und kritischen Verlaufszeitpunkten Prof. Dr. M. Linden

Psychiatrisch- Versicherungsmedizinisches für die Hausarztpraxis

Teilhabe am Arbeitsleben aus Sicht des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit

Begutachtungs-Richtlinie Vorsorge und Rehabilitation Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für Menschen mit Amputationen

Individualisierte Reha bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen

Wasserburg-Gabersee/München

Reform der Eingliederungshilfe

23. Heidelberger Kongress des Fachverbandes Sucht e.v.

Neue Impulse in der Psychiatrischen Rehabilitation

Neue Entwicklungen im Schwerbehindertenrecht

25. Februar 2017 Beschreibung von Fähigkeitsbeeinträchtigungen in der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung

Teilhabe und Soziale Arbeit aus Sicht der DVSG

Grundlagen zur ICF-CY

Die Medizinisch-Berufliche Rehabilitation der Pensionsversicherungsanstalt

Bewährtes und Neues aus der Rehabilitation Versorgungsperspektiven für eine Gesellschaft im Wandel

Anmerkungen zum Begriff Funktionale Gesundheit

Bundesteilhabegesetz - Eine Chance für die Netzwerke Netzwerke Eine Chance für das BTHG. Dr. Michael Konrad Dachverband Gemeindepsychiatrie

Rechtsanwälte Hohage, May & Partner Hamburg, Hannover, München

Gesundheitsbezogene Assistenzleistungen für Menschen mit geistiger Behinderung oder chronischer seelischer Erkrankung im Lichte von ICF und UN-BRK

International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)

- ABSTRACTS - zum 19. Rehabilitationswissenschaftlichen Symposium

Einführung in die ICF

Arbeitswelt heute Anforderungen an die psychosomatische Rehabilitation

Gesundheit von Menschen mit Behinderung Die Menschenrechtsperspektive. Vergessene Patienten, Düsseldorf, 17. April 2013 Susanne Schwalen 1

Aktivität und Teilhabe Bogen B

Landkreis Emmendingen Sozialdezernat Bundesteilhabegesetz BTHG

DIE ICF UND IHRE IMPLEMENTIERUNG IM BEREICH ARBEIT

Das BTHG - Auswirkungen für Nutzer*innen an der Schnittstelle Wohnungsnotfall- und der Eingliederungshilfe

EINFÜHRUNG: REHABILITATIONSBEDARF - TEILHABEPLANUNG GESAMTPLANUNG HILFEPLANUNG

Integrierte Psychotherapie zur Verbesserung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft SGB XII

Kriterienbasierte Beurteilung der Arbeitsfähigkeit am Beispiel psychischer Störungen

Einführung in die ICF

Fachbereich Eingliederungshilfe Stand: Frühe Hilfen für behinderte Kinder und Jugendliche Stadtstraße Freiburg

Wie komme ich als Mensch mit Behinderung an die Leistungen

Ergebnisse der MEmbeR-Studie: Wie effizient ist die medizinisch-berufliche Rehabilitation?

I kaun nimma Psychische Belastungen in der Arbeitswelt

Psychiatrische Rehabilitation am Beispiel der PK Hollenburg

Traumata und andere. psychische Erkrankungen

Teilhabe von Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen. Was bleibt und was ändert sich durch das Bundesteilhabegesetz

Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes vom

Teilhabe als Brücke zwischen Gesundheit und Behinderung

ICF : Bezugsgröße für Teilhabe?

PV RehaJET. Das neue arbeitsplatzbezogene Rehabilitationskonzept der PVA. Dr. Martin Skoumal

Aktivität und Teilhabe Bogen B

Rehabilitation nach einem Arbeitsunfall. Ralf Seibt,

Anforderungen an den Reha-Entlassungsbericht aus Sicht der GKV

ICF in der Hilfeplanung

Das Spannungsfeld von Pflege und Behinderung auf dem Weg zu einem Gesamtkonzept?

Was bringen das Flexirentengesetz und das Bundesteilhabegesetz für die Rehabilitation aus Sicht der gesetzlichen Rentenversicherung

Wege in die berufliche Rehabilitation. Dr. Kerstin Brandt Berufsförderungswerk Berlin- Brandenburg e. V.

Psychosoziale Partizipationsstörungen bei Patienten in der ambulanten primärärztlichen Versorgung Beate Muschalla & Michael Linden

Rechtsanwälte Hohage, May & Partner Hamburg, Hannover, München

Beeinträchtigung, Aktivität und Teilhabe F 2 Bogen B

Anteil der psychischen Diagnosen an der Quote des Krankenstandes- Entwicklungen der letzten Jahre

Gesundheitliche Versorgungssituation von Menschen mit Behinderung im Licht der UN-Behindertenrechtskonvention aus ärztlicher Sicht.

Menschen mit Behinderungen in Würzburg

Rechtliche Grundlagen Ablaufschema Zusammenfassung

Änderungen im Schwerbehindertenrecht neue Einstufungskriterien beim GdB für Hämophiliepatienten

Teilhabeerfassung und Empfehlung von Förder- und Therapiemaßnahmen

Bundesteilhabegesetz Was wird sich ändern? Informationsveranstaltung des Kreisbehindertenrates im Landkreis Oldenburg im Kreishaus in Wildeshausen

Abkürzungsverzeichnis... IV Abbildungsverzeichnis V Tabellenverzeichnis... VI. 1 Einleitung. 10

Wohnortnahe Rehabilitation und Nachsorge von Menschen mit erworbenen Hirnverletzungen

Franz Sales Haus Dr. M.d.P. Andrino, Leitung Diagnostik & Therapie

Bundesverband für Stationäre Suchtkrankenhilfe e.v.

Qualität der Begutachtung und Leitlinien. Woutde Boer asim 14. Mai 2014

Rehabilitation und Palliativmedizin Möglichkeiten und Grenzen

Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) Aktuelle Entwicklungen

Gesundheitsförderung bei beruflichen Bildungsleistungen

Sozialpädagogische Langzeitrehabilitation für Menschen nach erworbenen Hirnschädigungen

Mehr Arbeitswelt in der Rehabilitation durch den Betriebsarzt

Die ICF als Instrument zur Verwirklichung von Teilhabe

Familie der Klassifikationen in der WHO Schulungsmaterialien erstellt von Heike Philippi

zur Psychosozialen Betreuung von Substituierten

Mitgliederversammlung

19. Reha-Wissenschaftliches Kolloquium Bericht über Satellitensymposium:

Ambulante Soziotherapie 37a SGB V

Einführende Rahmung zum BTHG, Struktur, Grundprinzipien

Psychiatrische Rehabilitation

Berufliche Integration von Menschen mit einer neurologischen Diagnose

Verordnung medizinischer Vorsorge für Mütter oder Väter gemäß 24 SGB V

Verordnung medizinischer Vorsorge für Mütter oder Väter gemäß 24 SGB V

Kommunaler Sozialverband Sachsen

Bedarfsanalyse der Leistungen zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation aus der Sicht der gesetzlichen Rentenversicherung

Transkript:

Rehabilitation unter einer Lebensspannen-Perspektive mit besonderer Berücksichtigung des Erwerbsverlaufes Prof. Dr. M. Linden Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité Universitätsmedizin Berlin Rehabilitationswissenschaftlicher Forschungsverbund BBS Institut für Verhaltenstherapie Berlin

Rehabilitation bei chronischen Gesundheitsbeeinträchtigungen SGB IX, 2 Begriffsbestimmungen (1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. SGB IX 42 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (1) Zur medizinischen Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Menschen werden die erforderlichen Leistungen erbracht, um 1. Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten

Verlaufstypologie Was ist eine chronische Krankheit? Wenn sie länger als ein halbes Jahr anhält (Dauer) Wenn sie trotz Behandlung nicht verschwindet (Behandelbarkeit) Wenn sie verschwindet, aber nur so lange eine Behandlung läuft (Behandlungsnotwendigket) Wenn sie verschwindet, aber immer wieder kommt (Rezidivfrequenz) Wenn hinter wiederholten Krankheitsepisoden derselbe Krankheitsfaktor wirksam ist, z.b. eine Allergie bei Husten im Frühjahr (Ätiologie) Wenn es von mal zu mal schlimmer wird (Progredienz) Wenn sie selten auftritt aber zu überdauernden Lebensproblemen führt, z.b. Latexallergie bei einem Chirurgen (Partizipationsstörung)

Krankheitsprävalenz über die Lebensspanne Statistisches Bundesamt, Die Generation 65+ in Deutschland, Juli 2015

Kognitive und motorische Leistungsänderung über die Lebensspanne

Soft Skills 1. Fähigkeit zur Anpassung an Regeln und Routinen 2. Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben 3. Flexibilität und Umstellungsfähigkeit 4. Kompetenz und Wissensanwendung 5. Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit 6. Proaktivität und Spontanaktivitäten 7. Widerstands- und Durchhaltefähigkeit 8. Selbstbehauptungsfähigkeit 9. Konversation und Kontaktfähigkeit zu Dritten 10. Gruppenfähigkeit 11. Fähigkeit zu engen dyadischen Beziehungen 12. Fähigkeit zur Selbstpflege und Selbstversorgung 13. Mobilität und Verkehrsfähigkeit Linden, M., Baron, S., Muschalla, B., Ostholt-Corsten, M. (2014). Fähigkeitsbeeinträchtigungen bei psychischen Erkrankungen. Diagnostik, Therapie und sozialmedizinische Beurteilung in Anlehnung an das Mini-ICF-APP (222 S.). Bern: Huber.

Softskills über die Lebensspanne Unfallrate pro 1 Mio. km nach Altersgruppe 35 30 25 20 15 10 5 0 18-20 21-30 31-64 65-74 75+ > 14000 km < 14000 km Quelle: Alle-fuehrerschein.at

ICF-Kontextadjustierung: Bio-psycho-soziales Modell der Behinderung Gesundheitsproblem oder Krankheit Geschädigte Körperfunktion und -struktur Beeinträchtigte Aktivitäten bzw. Fähigkeitsstörung Beeinträchtigte Partizipation Kontextfaktoren Umweltfaktoren Persönliche Faktoren

Gesellschaftliche Veränderungen der Arbeitskontext Handarbeit Beschäftigungsrate Schizophrener im Vergleich zur Gesamtbevölkerung Kopfarbeit Kontrollierte, qualitätsgesicherte, getaktete Arbeit ohne Toleranzen

Gesellschaftliche Veränderungen der Arbeitskontexte Anteil der Beschäftigten, die mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit am Computer verbringen

Änderungen des Arbeitskontexts über die Lebensspanne z.b. Berufsstadien Berufsfindungs- und Einstiegsphase Berufskonsolidierungs- und karrierephase Berufsleistungs- und ggfls. Leitungsphase Berufsausstiegsphase Nachberufsphase.

Ältere können länger arbeiten Erwerbstätigenquote nach Altersgruppen

Demographische Veränderungen: Ältere werden länger arbeiten müssen Altersstruktur der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter

Medizinische Rehabilitation Ausgewählte Diagnosen aus ICD-10: Kapitel F, Altersgruppen 20000,0 15000,0 10000,0 5000,0,0 unter 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60 und mehr Alter bei Abschluss der Leistung von.. bis.. Jahre Suchterkrankungen Affektive Störungen (u.a. Depressionen) Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen (u.a. Angsterkrankungen) Quelle: Statistik der DRV Bund

AU / EU bei Entlassung aus der psychosomatischen Reha je Altersgruppe 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 AU EU 35 36-50 51

weiblich Vollzeit AU Aurfnahme AU Entlassung sitzende Tätigkeit BEM erwogen Psychother erwogen verkürzte Lebenserwart. Charakteristika von Adipositaspatienten nach Altersgruppe (N=29) 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 46 >46 BBS-Studie: Fähigkeitsbeeinträchtigungen und Teilhabeeinschränkungen bei Adipositaspatienten unter einer Lebensspannenperspektive

Altersadjustierung von Arbeitsplätzen aus Beschäftigtensicht

Therapie von Behinderung Toleranz gegen Unveränderliches, Abbau von Ärger Anspruchsniveauanpassung Anpassung des Selbstbildes Versöhnung mit sich selbst Anpassung der Selbstdarstellung Aufbau kompensatorischer Fähigkeiten Förderung gegebener Fähigkeiten Umgehen von Funktionsstörungen Kapitalisierung aus Behinderung Verantwortung aufgrund von Behinderung

Beginn des Gebrechlichkeitsalters bzw. der Hilfsbedürftigkeit Linden, M., Gilberg, R., Horgas, A.L., Steinhagen-Thiesen, E. (2010). Die Inanspruchnahme medizinischer Hilfe im hohen Alter. In: Lindenberger, U., Smith, J., Meyer, K.U., Baltes, P.B. (Hrsg), Die Berliner Altersstudie (S. 499-519). Berlin: Akademie Verlag Rentenniveau 2017: 48,1 % des Bruttoverdienstes ALG 1 2017: 60% des Nettoeinkommens

Kennzeichen einer Life-Span orientierten Rehabilitation Die Behandlung muß unter einer Langzeitperspektive geplant und duchgeführt werden. Die Hinzuziehung von Spezialisten (z.b. kurzfristige stationäre Reha) erfolgt bei Critical Incidents im Verlauf Teilhabeeinschränkungen sind ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als Funktionsstörungen (Symptome) Die Behandlung muß berücksichtigen: Krankheitsentwicklungen, natürliche Altersentwicklungen, demographische Entwicklungen, Änderungen im Arbeitskontext Die moderne Arbeitswelt eröffnet neue Chancen für jedes Lebensalter