Fall 3 Die spontane Demo

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Transkript:

Fall 3 Die spontane Demo 1

en zu Art. 8 I GG 1. Sachlich Die Versammlungsfreiheit, Art. 8 I GG 1. Sachlicher Schutzbereich a) Versammlung Zusammenkunft mehrerer Personen an einem Ort (h.m. mindestens drei Personen) Gemeinsamer Zweck (innere Verbindung) als Abgrenzung zur Ansammlung Problem: welcher Zweck?? 2

en zu Art. 8 I GG 1. Sachlich e.a.: kollektive Meinungsäußerung/-kundgabe wiederum strittig, ob Meinungsäußerung öffentliche Angelegenheiten betreffen muss (engster Versammlungsbegriff) oder auch private Angelegenheiten (enger Versammlungsbegriff). a.a.: Jeder gemeinsame Zweck reicht aus (keine Kundgabe nach Außen erforderlich). BVerfG: örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinung 3

en zu Art. 8 I GG 1. Sachlich b) friedlich Negativ definiert: eine Versammlung ist friedlich, wenn sie keinen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt. Abzustellen ist dabei auf die Mehrzahl der Teilnehmer. c) ohne Waffen Waffen sind solche nach 1 WaffG (Waffen im technischen Sinn, z.b. Pistole, Schlagring), wobei das Mitführen ausreicht sowie gefährliche Werkzeuge (wenn als Waffe mitgeführt, z.b. Baseballschläger). Passive Bewaffnung (Helme, Skimasken) sind keine Waffen. d) Schutzumfang Wahl des Versammlungsortes und der Zeit Organisation und Leitung der Versammlung Anreise Nicht geschützt ist eine Teilnahme zur Störung der Versammlung 4

en zu Art. 8 I GG 1. Sachlich 2. Persönlich 2. Persönlicher Schutzbereich Art. 8 I GG ist ein Deutschengrundrecht Deutsche i.s.d. Art. 116 I GG Keine Besonderheiten 5

en zu Art. 8 I GG 1. Sachlich 2. Persönlich III. verf. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 1. Einschränkbarkeit Unterscheidung: Unter freiem Himmel? Entscheidend ist das Vorliegen einer seitlichen Begrenzung!!! Falls (+) einfacher Gesetzesvorbehalt in Art. 8 II GG. Konkretisiert für öffentliche Versammlungen in 14 ff. VersammlG und in Bayern die Art. 13 ff. BayVersG Falls (-) nur kollidierendes Verfassungsrecht (Schutz verfassungsimmanenter Güter) = vorbehaltloser, aber nicht schrankenloser Schutz 6

en zu Art. 8 I GG 1. Sachlich 2. Persönlich III. verf. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Formelle Verfassungsmkt. 2. Formelle Verfassungsmäßigkeit a) Gesetzgebungskompetenz Bund ursprünglich nach Art. 70, 72, 74 I Nr. 3 GG a.f. zuständig Seit der Föderalismusreform Länderzuständigkeit!! Fortgeltung des Bundesrechts bis zum Erlass von Ländergesetzen nach Art. 125a GG b) Gesetzgebungsverfahren und Form Art. 76 ff GG Zitiergebot, Art. 19 I 2 GG 7

en zu Art. 8 I GG 1. Sachlich 2. Persönlich III. verf. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Formelle Verfassungsmkt. 3. Materielle Verfassungsmkt. 3. Materielle Verfassungsmäßigkeit a) Verhältnismäßigkeit Verfassungskonforme Auslegung des VersammlG / BayVersG = Aufgrund der großen Bedeutung des Kommunikationsgrundrechts Versammlungsfreiheit fordert das BVerfG, die Eingriffsermächtigungen der einschränkenden Gesetze eng auszulegen. Daher: 1) Verbot wegen unfriedlichen Verlaufs bedarf konkreter Tatsachen, die eine Gefährdung wichtiger Güter als unmittelbar bevorstehend erscheinen lassen (abstrakte Möglichkeit reicht nicht aus). 2) Kein Verbot ausschließlich zum Schutz der öffentlichen Ordnung ( 15 I VersammlG / Art. 15 I BayVersG) 8

en zu Art. 8 I GG 1. Sachlich 2. Persönlich III. verf. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Formelle Verfassungsmkt. 3. Materielle Verfassungsmkt. 3) Sonderregelungen für Eil- und Spontanversammlungen erforderlich Eilversammlung: rechtzeitige Anmeldung nicht möglich (48h sowohl nach BayVersG als auch nach VersammlG), daher Anzeige mit Bekanntgabe Spontanversammlung: kein Anmeldeerfordernis, entsteht aus dem Augenblick heraus, daher keine Anzeige erforderlich Diese Anforderungen wurden vom BVerfG aufgestellt und im Wege der verfassungskonformen Auslegung in das VersammlG hineingelesen. In Bayern sind sie in den Art. 13 III, IV BayVersG nun explizit kodifiziert. 9

Fall 4: Die spontane Demo Justus Friedlich (F) betreibt in Augsburg einen Eine Welt-Laden. Daneben ist er seit Jahren in einem Arbeitskreis Frieden aktiv und hat für diesen bereits wiederholt Demonstrationen, vor allem gegen Atomkraftwerke, organisiert. Als F am 18.05.2015 gegen 16:00 Uhr erfährt, dass in Kürze der chinesische Ministerpräsident zu einem Staatsbesuch nach München kommen wird, beschließt er, hiergegen ein Zeichen zu setzen und entwirft kurzerhand ein Protestschreiben, das sich an die Feinde der Freiheit in China richtet und dem Gedenken der Opfer vom Platz des Himmlischen Friedens dienen soll. F verteilt dieses Schreiben am 19.05.2014 am Augsburger Königsplatz an die Allgemeinheit. In dem Flugblatt wird am Ende zu einer Protestversammlung gegen den Staatsbesuch aufgerufen, die einen Tag später auf dem Münchener Marienplatz stattfinden soll. Auf dem Schreiben war die private Telefonnummer des F angegeben, der als Verantwortlicher im Sinne des Presserechts zeichnete. Die Versammlung wurde nicht angemeldet. Am 20.05.2014 finden sich um die Mittagszeit etwa 30 Personen auf dem Münchener Marienplatz ein. Einige der Teilnehmer sind mit Trommeln, Trillerpfeifen und Transparenten ausgerüstet. Wieder andere haben zur eigenen Sicherheit Schutzhelme, Schutzbrillen und Gasmasken dabei. Die Versammlung verläuft zunächst ohne Zwischenfälle. Gegen Ende der Demo fallen jedoch einige wenige der Teilnehmer dadurch auf, dass sie zwei Polizisten, die das Geschehen beobachtet haben, durch eine Menschenkette auf der Straße (Sitzblockade) für 15 Minuten an der Weiterfahrt hinderten. Daraufhin wurde die Versammlung wegen des 10 gewalttätigen Verlaufs und der fehlenden Anmeldung aufgelöst (Art. 15 IV, I BayVersG).

F erhält einen Bußgeldbescheid, weil er als Veranstalter eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung durchgeführt habe (Art. 21 I Nr. 7, Art. 13 I, III BayVersG). F sieht sich dadurch in seinen Grundrechten verletzt. Er hält beide Vorschriften für verfassungswidrig. Es sei allgemein anerkannt, dass eine Anzeigepflicht bzgl. sog. Spontanversammlungen in die Versammlungsfreiheit eingreife. F erhebt, nach Erschöpfung des Rechtswegs, Verfassungsbeschwerde. Bearbeitervermerk: 1. Prüfen Sie die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde 2. War die Versammlungsauflösung verfassungsrechtlich gerechtfertigt? 11

A. Art. 8 I GG Lösung Fall 4 Die spontane Demo Frage 1: Obersatz: Die Verfassungsbeschwerde gegen den Bußgeldbescheid ist begründet, wenn der Beschwerdeführer durch die angegriffene Maßnahme der öffentlichen Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt ist. Dies wäre der Fall, wenn die Verurteilung in den Schutzbereich (I) eines Grundrechts eingreift (II), ohne verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein (III). 1. Sachlicher Schutzbereich Vorliegen einer Versammlung? Gemeinsamer Zweck erforderlich? Welcher Zweck? Hier (+) Mindestanzahl von 3 Personen 12

A. Art. 8 I GG Ohne Waffen Waffen im Sinne des Waffengesetzes und gefährliche Werkzeuge, wenn zum Einsatz mitgeführt Hier: Schutzhelm, Gasmaske, Schutzbrille = Sog. passive Bewaffnung Keine Bewaffnung im Sinne des Art. 8 I GG. Friedlich Negativdefinition, solange nicht unfriedlich (kein gewalttätiger oder aufrührerischer Verlauf) Problem: Ist Sitzblockade gewalttätig? h.m. Gewalttätigkeit verlangt eine körperliche Einwirkung, die aggressiv und von einiger Erheblichkeit ist. Hier: Passiver Widerstand erfüllt noch nicht das Merkmal der Gewalttätigkeit 13

A. Art. 8 I GG Problem: Ist das Verhalten der Demonstranten aufrührerisch? Hier: kein Umsturz des pol. Systems, aber Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte Aber wiederum nur passiver Widerstand Bei anderer Ansicht: nur Einzelne wären unfriedlich (Brokdorf) Öffentlichkeit Spielt für die Eröffnung des Schutzbereiches von Art. 8 I GG keine Rolle Zwischenergebnis: Der sachliche Schutzbereich von Art. 8 I GG ist eröffnet. 14

A. Art. 8 I GG 2. Persönlicher Schutzbereich F müsste Deutscher nach Art. 116 I GG sein (sog. Deutschengrundrecht). Zwischenergebnis: Der sachliche wie der persönliche Schutzbereich von Art. 8 I GG ist eröffnet Moderner Eingriffsbegriff Die Verhängung des Bußgelds und deren Aufrechterhaltung durch das Urteil stellen einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit des F aus Art. 8 I GG dar. 15

A. Art. 8 I GG III. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 1. Einschränkbarkeit Einfacher Gesetzesvorbehalt in Art. 8 II GG Frage: Handelt es sich um eine Versammlung unter freiem Himmel? Hier: Versammlung auf dem Marienplatz = keine seitlichen Beschränkungen Somit greift der allgemeine Gesetzesvorbehalt aus Art. 8 II GG ein. Gesetz meint in erster Linie das VersammlG und das BayVersG 16

A. Art. 8 I GG III. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Verf. Eingriffsgrundl. 2. Verfassungsmäßigkeit der Eingriffsgrundlage (Art. 13 I, III, 21 I Nr. 7 BayVersG) a) Formelle Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage aa) Gesetzgebungskompetenz Bisher beim Bund nach Art. 74 I Nr. 3 GG a.f., jetzt bei den Ländern nach Art. 70 I GG. Bis zum Erlass des BayVersG galt in Bayern das VersammlG gemäß Art. 125a I GG fort. bb) Gesetzgebungsverfahren Das BVerfG überprüft nicht, ob das Gesetzgebungsverfahren in den Ländern den Vorschriften der Landesverfassung entspricht (Art. 100 I 1 GG). cc) Form Das Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG wurde durch Art. 23 BayVersG eingehalten. 17

A. Art. 8 I GG III. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Verf. Eingriffsgrundl. b) Materielle Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage Achtung: Aufgrund des unterschiedlichen Regelungsgehalts empfiehlt sich eine getrennte Prüfung von Art. 13 I, III und 21 I Nr. 7 BayVersG. aa) Art. 13 I, III BayVersG (1) Verhältnismäßigkeit (a) Legitimes Ziel Art. 13 I, III BayVersG dient dem Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von Versammlungen ausgehen sowie dem Schutz der Versammlung und ihrer Teilnehmer selbst. Ein legitimes Ziel liegt also vor. (b) Geeignetheit Art. 13 I, III BayVersG ist geeignet dieses legitime Ziel zu fördern. 18

A. Art. 8 I GG III. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Verf. Eingriffsgrundl. (c) Erforderlichkeit Andere Maßnahmen als eine vorherige Anzeige sind nicht gleichermaßen wirksam. (d) Angemessenheit Steht der Eingriff außer Verhältnis zum angestrebten Zweck? Nach st. Rspr. des BVerfG zu 14 VersammlG verstößt das Anzeigeerfordernis nicht gegen Art. 8 I GG, da die Intensität des Eingriffs im Vergleich zum Nutzen gering ist. Allerdings muss 14 VersammlG verfassungskonform so ausgelegt werden, dass bei Eil- und Spontanversammlungen Ausnahmen vorzusehen sind. Spontanversammlungen: kein Anmeldeerfordernis Eilversammlungen: Anzeige mit Bekanntgabe der Versammlung 19

A. Art. 8 I GG III. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Verf. Eingriffsgrundl. Im BayVersG wurden diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben durch Art. 13 III, IV BayVersG umgesetzt, so dass es in Bayern keiner verfassungskonformen Auslegung in diesem Punkt mehr bedarf. (2) Zwischenergebnis Art. 13 BayVersG ist verfassungsgemäß bb) Art. 21 I Nr. 7 BayVersG (1) Verhältnismäßigkeit (a) Legitimes Ziel Ziel der Bußgeldbewehrung ist es, dem Anzeigeerfordernis des Art. 13 I BayVersG stärkere Wirksamkeit zu verleihen. Insofern gilt das oben Gesagte. 20

A. Art. 8 I GG III. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Verf. Eingriffsgrundl. (b) Geeignetheit Art. 21 I Nr. 7 BayVersG ist geeignet dieses Ziel zu fördern. (c) Erforderlichkeit Ein milderes Mittel ist nicht ersichtlich (überhaupt keine Sanktion lediglich Anzeigepflicht wäre nicht gleich wirksam) zudem milder als Strafvorschrift (vgl. Art. 20 BayVersG) (d) Angemessenheit Angesichts der Wichtigkeit der durch Art. 21 I Nr. 7 BayVersG geschützten Güter ist es nicht unangemessen die Durchführung einer unangemeldeten Versammlung unter eine Bußgeldbewehrung zu stellen Beachte Ausnahmen in Art. 13 BayVersG für Eil- und Spontanversammlungen und den möglichen Bußgeldrahmen daher Eingriff auch nicht besonders intensiv (a.a. gut vertretbar) 21

A. Art. 8 I GG III. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Verf. Eingriffsgrundl. (2) Zwischenergebnis: Art. 21 I Nr. 7 BayVersG ist verfassungsgemäß. 22

A. Art. 8 I GG III. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Verf. Eingriffsgrundl. 3. Verf. Einzelmaßnahme 3. Verfassungsmäßigkeit der Anwendung der gesetzlichen Grundlage a) Prüfungsumfang Das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisionsinstanz!! Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts ist grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Das Gericht beschränkt seine Prüfung darauf, ob die Fachgerichte spezifisches Verfassungsrecht verletzt haben. Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts liegt vor, wenn die Gerichte oder die Verwaltung bei der Anwendung einfachen Rechts die Bedeutung der Grundrechte gar nicht erfasst oder in ihrer Reichweite und Bedeutung falsch bewertet haben, wozu auch ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehört. Frage: Ist die Verhängung des Bußgelds verhältnismäßig? 23

A. Art. 8 I GG III. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Verf. Eingriffsgrundl. 3. Verf. Einzelmaßnahme b) Verhältnismäßigkeit Es handelt sich vorliegend um eine Eilversammlung Eine Anzeige hätte bei Bekanntgabe der Versammlung am 19.05.2015 noch stattfinden können. Unter Beachtung des oben aufgeführten ist die Verhängung des Bußgelds nicht zu beanstanden. Zwischenergebnis: Damit war die Anwendung der Rechtsgrundlage verfassungsgemäß, F ist nicht in seinem Grundrecht aus Art. 8 I GG verletzt. 24

A. Art. 8 I GG III. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Verf. Eingriffsgrundl. 3. Verf. Einzelmaßnahme B. Art. 2 I GG B. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG Die Allgemeine Handlungsfreiheit tritt als subsidiäres Auffanggrundrecht hinter Art. 8 I GG zurück, da dessen Schutzbereich eröffnet ist. C. Ergebnis zu Frage 1: Die Verfassungsbeschwerde des F ist unbegründet. 25

Fall 4 Frage 2 A. Einschränkbkt. B. Verf. Eingriffsgrundl. I. Formelle Verfassungsmkt. Teil 2: Obersatz: Die Auflösung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn Art. 8 I GG einschränkbar ist, die Auflösung auf einer verfassungsgemäßen Eingriffsgrundlage beruht und diese verfassungskonform angewendet wurde. A. Einschränkbarkeit Einfacher Gesetzesvorbehalt für Versammlungen unter freiem Himmel, siehe oben. B. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage der Auflösung, Art. 15 IV BayVersG I. Formelle Verfassungsmäßigkeit Siehe oben. 26

Fall 4 Frage 2 A. Einschränkbkt. B. Verf. Eingriffsgrundl. I. Formelle Verfassungsmkt. II. Materielle Verfassungsmkt. II. Materielle Verfassungsmäßigkeit der Eingriffsgrundlage 1. Verhältnismäßigkeit a) Legitimes Ziel Ziel ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Ein legitimes Ziel liegt somit vor. b) Geeignetheit Die Vorschrift ist geeignet diesen Zweck zu fördern. 27

Fall 4 Frage 2 A. Einschränkbkt. B. Verf. Eingriffsgrundl. I. Formelle Verfassungsmkt. II. Materielle Verfassungsmkt. c) Erforderlichkeit Es sind durchaus mildere Mittel denkbar als die Auflösung (Kooperation mit dem Veranstalter, Auflagen ). Um der besonderen Bedeutung von Art. 8 I GG Rechnung zu tragen, ist die Auflösung einer Versammlung nach dem BVerfG ultima ratio polizeilichen Handelns. Art. 15 IV BayVersG sieht nun ausdrücklich auch die Möglichkeit einer Beschränkung vor, was bei 15 III VersammlG noch nicht der Fall ist und im Wege verfassungskonformer Auslegung in die Norm hineingelesen werden muss. Je-Mehr-Desto-Formel: Je mehr Kooperation des Veranstalters, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Einschreiten. Die gesetzliche Regelung ist vorliegend erforderlich. 28

Fall 4 Frage 2 A. Einschränkbkt. B. Verf. Eingriffsgrundl. I. Formelle Verfassungsmkt. II. Materielle Verfassungsmkt. C. Verfmkt. der Einzelmaßnahme d) Angemessenheit Durch die Möglichkeit zu gestuften Reaktionsmöglichkeiten seitens der Behörden ist Art. 15 IV BayVersG auch angemessen. Zwischenergebnis: Art. 15 IV BayVersG ist verfassungsgemäß. C. Verfassungsmäßigkeit der Anwendung der Eingriffsgrundlage (Auflösung) Fraglich erscheint nur die Verhältnismäßigkeit der Auflösung. I. Legitimes Ziel und Geeignetheit Die Auflösung diente der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung und verfolgte damit ein legitimes Ziel. Sie war auch geeignet, da die Blockade die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt hat. Beachte: Eine Sanktion für Nichtbeachtung der Anzeigepflicht wäre kein legitimes Ziel! 29

Fall 4 Frage 2 A. Einschränkbkt. B. Verf. Eingriffsgrundl. I. Formelle Verfassungsmkt. II. Materielle Verfassungsmkt. C. Verfmkt. der Einzelmaßnahme II. Erforderlichkeit Frage: Wäre eine Auflage ein gleichermaßen milderes Mittel gewesen? Wohl (-), da aufgrund der Blockade sofortiges Handeln geboten war und der Veranstalter keinerlei Kooperationsbereitschaft zeigte. Die Auflösung kann somit als erforderlich angesehen werden (a.a. bei Abstellen auf die geringe Zahl der Störer vertretbar Wegtragen der einzelnen Personen). III. Angemessenheit Eine Auflösung ist nur bei unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdungen gleichwertiger Rechtsgüter möglich. Für ein Überwiegen der Versammlungsfreiheit spricht: Herausragende Bedeutung für die Freiheitlich Demokratische Grundordnung ( ein Stück ursprünglicher ungebändigter unmittelbarer Demokratie ) 30

Fall 4 Frage 2 A. Einschränkbkt. B. Verf. Eingriffsgrundl. I. Formelle Verfassungsmkt. II. Materielle Verfassungsmkt. C. Verfmkt. der Einzelmaßnahme Die Versammlung diente dem Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage (Außenpolitik der BRD) Auflösung einer Versammlung ist die härteste Maßnahme und daher von hohem Gewicht. Mehrzahl der Teilnehmer verhielt sich als Nicht-Störer Versammlung verlief ansonsten friedlich Ergebnis: Die Auflösung der Versammlung war verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. 31

Hinweise zur Nachbearbeitung: Der Schwerpunkt von Fall 2 betrifft das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG Bitte arbeite die zahlreichen Besonderheiten dieses Grundrechts nach Wieder einmal war die Grundrechtsprüfung zweistufig aufgebaut (1. Stufe: Gesetz, 2. Stufe: Einzelakt). Dieser in Klausuren häufig vorkommende Aufbau sollte beherrscht werden! 32