Erwerbsbiografien im Entwicklungsbereich Chancen und Grenzen der Gestaltung in High-Performance-Jobs Anja Gerlmaier, Erich Latniak (unterstützt durch FOM Statistikzentrum) Pinowa-Transferforum Herausforderung Demographie Arbeitslebensphasensensibles Personalmanagement als Chance nutzen München, 26.04.2013
Ausgangslage Infolge des demografischen Wandels wird in den nächsten 15 Jahren insbesondere in den MINT-Berufen ein massiver Fachkräftemangel erwartet Der Rückgang von Berufseinsteigern kann nur in begrenztem Maße durch Migration bewältigt werden Internationale Märkte und rasante Innovationszyklen erfordern von den Beschäftigten ein Höchstmaß an geistiger und räumlicher Flexibilität sowie Belastbarkeit Wie können unter diesen Voraussetzungen hochqualifizierte Fachkräfte rekrutiert werden und ihre Leistungs-und Innovationspotenziale möglichst lange genutzt werden?
pinowa Arbeitslebensphasengerechtes Personalmanagement als Innovationstreiber im demografischen Wandel Ziele Entwicklung arbeitslebensphasensensibler Personalmanagement-Strategien für den Bereich der Technikentwicklung (Ingenieure, IT-Fachleute, Techniker) Analyse kritischer Verwertungsstrategien von Humanressourcen in Unternehmen unter dem Gesichtspunkt erwerbsphasenspezifischer Problemkonstellationen
Biografiemodell zur Identifikation dilemmatischer Konstellationen im Zusammenspiel von Arbeiten und Leben familiärer Lebenszyklus Phase sozialer Orientierung: Identitätsfindung, Wunsch nach Bildung sozialer Netzwerke und Familie Familiengründungsphase: Entscheidung über persönlichen Lebensentwurf und Vereinbarkeit mit beruflichen Zielen Post-Familienphase: Reflexion und ggf. Neuausrichtung des Lebensentwurfs, Betreuung alternder Familienangehöriger betrieblicher Lebenszyklus Phase der beruflichen Orientierung: häufige Status- /Stellenwechsel, Qualifizierungsphase Phase des Wachstums: Karriere horizontal - vertikal Phase der Reife: Spezialisierung, Festlegung des Karrierepfades Phase des beruflichen Austritts: Wissenstransfer Bio-sozialer Lebenszyklus Phase der höchsten körperlichen Belastbarkeit und psychischer Informationsverarbeitungs - fähigkeit Leistungsplateau: Hoher Grad an Wissen/ Kompetenzen bei meist stabiler körperlicher Belastbarkeit Große Sensibilität für Gesunderhaltung, ggf. gesundheitlich bedingte Leistungswandel, Erfahrungswissen tritt als Leistungskomponente hervor Alter (Jahre) 20 30 40 50 60
Fragestellungen zum Biografie-Modell Wie nutzen Unternehmen im Entwicklungsbereich heute ihre vorhandenen Humanpotentiale? Wie wirkt sich das auf die Erwerbsverläufe aus? Gibt es Biografieabschnitte, in denen bestimmte Transitionen gehäuft auftreten oder ist eine Tendenz zum diskontinuierlichen Erwerbsbiografien zu beobachten? Gibt es Unterschiede bei der Biografieentwicklung von Männern und Frauen? Wo kommt es durch Demografie-unsensible Personalpolitiken zu einer unzureichenden Nutzung vorhandener Potenziale? Wo werden Innovationspotenziale durch Verschleiß vorzeitig unnutzbar gemacht?
Theoretischer Ansatz: Verwertung immaterieller Ressourcen in Unternehmen am Beispiel Innovation Innovationsfähigkeit im Team Unternutzung von Innovationsressourcen Folgen der Verwertung immaterieller Ressourcen Ressourcenentfaltung Übernutzung von Innovationsressourcen hohe Berufswechselquote Abnehmende bzw. geringe Anteile von Frauen in Altersgruppen und Positionen abnehmende Anteile von älteren Beschäftigten Geringe Tätigkeitswechsel vorzeitige Erwerbsunfähigkeit psychische Belastungen mit negativem Altersgradienten
Datenbasis o Beschäftigtenstichprobe der Deutschen Rentenversicherung (DRV) sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigte [N= 238233 (2010), 223519 (2004); Ingenieure: 4893, 4403; Techniker: 2669, 2411; DV-Fachleute: 4940, 4096] o Mikrozensus (MZ) Erwerbstätige >15 Jahre, damit auch Selbständige und freiberuflich Tätige [N= 228575 (2009), 224532 (2000); Ingenieure: 2648, 2879; Techniker: 2939, 3156; Informatiker: 1030, 1327)] o Statistisches Bundesamt (Genesis-Datenbank) o IAB (Berufe im Spiegel der Statistik) o Stressreport 2013 der BAUA Erwerbstätige >15 Jahre [Basis: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 (BB-ETB), N=20036, repräsentativ]
Beschäftigtenentwicklung in den letzten zehn Jahren: DV-Fachleute, Ingenieure, Techniker Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Anzahl 600.000 550.000 500.000 450.000 400.000 350.000 300.000 250.000 200.000 2000 2002 2004 2006 2008 2010 Ingenieure/innen Techniker/innen Datenverarbeitungsfachleute Quelle: IAB, Berufe im Spiegel der Statistik, 2012 / eigene Berechnungen
Erwerbsverläufe im Entwicklungsbereich: Verbleib im Beruf Prozentzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 2009, die auch 2010 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit der gleichen Tätigkeit haben 100% 95% 90% 85% 80% 75% 70% 65% 60% bis 29 Jahre 30-39 Jahre 40-49 Jahre 50-59 Jahre über 60 Jahre Altersstufe Ingenieure Techniker DV-Fachleute alle Berufsgruppen Quelle: Deutsche Rentenversicherung, 2012, SUF_AKVS2010 / eigene Berechnungen
Wer geht weg? Übergänge in andere Berufsfelder im Erwerbsverlauf Prozentzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 2009, die 2010 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einer anderen Tätigkeit haben (bei Ingenieuren und Technikern sind Wechsel innerhalb der Tätigkeitsgruppe nicht berücksichtigt). 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0% bis 29 Jahre 30-39 Jahre 40-49 Jahre 50-59 Jahre über 60 Jahre Ingenieure Techniker DV-Fachleute alle Berufsgruppen Quelle: Deutsche Rentenversicherung, 2012, SUF_AKVS2010 / eigene Berechnungen
Sonstige Wechsel Ingenieure 2004 und 2010 (Selbstständigkeit, Abwanderung ins Ausland ) 10% 9% 8% 7% 6% 5% 4% 3% 2% 1% 0% bis 29 Jahre 30-39 Jahre 40-49 Jahre 50-59 Jahre über 60 Jahre Ingenieure 2010 Ingenieure 2004 Alle 2010 Alle 2004 Quelle: Deutsche Rentenversicherung, 2012, SUF_AKVS2010 und 2004 / eigene Berechnungen
Sonstige Wechsel DV-Fachleute 2004 und 2010 (Selbstständigkeit, Abwanderung ins Ausland ) 10% 9% 8% 7% 6% 5% 4% 3% 2% 1% 0% bis 29 Jahre 30-39 Jahre 40-49 Jahre 50-59 Jahre über 60 Jahre DV-Fachleute 2010 DV-Fachleute 2004 Alle 2010 Alle 2004 Quelle: Deutsche Rentenversicherung, 2012, SUF_AKVS2010 / eigene Berechnungen
Frauen in Entwicklungsberufen (1): Guter Start und dann? Studierende und Absolventen 60% Anteil Frauen im Studium 2011 50% 40% 30% 20% 10% 0% Ingenieure Informatiker alle Fächer Studienanfänger Absolventen Quelle: Genesis, Tabellen 21311-0012, 21321-0003 / eigene Berechnungen
Frauen in Entwicklungsberufen (2): Beschäftigungsanteile Frauen, nach Berufen in % 100,00 90,00 80,00 92,50 90,80 81,00 81,10 77,60 84,60 70,00 60,00 50,00 40,00 54,90 45,10 52,30 47,70 30,00 20,00 10,00 7,50 9,20 19,00 18,90 22,40 15,40 0,00 2000 2009 2000 2009 2000 2009 2000 2009 Ingenieure Techniker Informatiker andere Männlich Weiblich Quelle: Mikrozensus 2009 und 2000, FOM / eigene Berechnungen
Frauen in Entwicklungsberufen (3): Beschäftigtenquoten über die Erwerbsspanne hinweg 60% Anteil Frauen bei Beschäftigten mit FH / Uni-Abschluss 50% 40% 30% 20% 10% 0% bis 29 Jahre 30-39 Jahre 40-49 Jahre 50-59 Jahre über 60 Jahre Ingenieure Techniker Informatiker alle Berufsgruppen Quelle: Deutsche Rentenversicherung, 2012, SUF_AKVS2010 / eigene Berechnungen
Frauen in Entwicklungsberufen (4): Kind im Haushalt, 2000/2009, in % der weibl. Beschäftigten 60 50 40 40,00 45,00 46,00 46,00 48,00 44,00 52,00 49,00 30 20 10 0 Ing Tech Inf sonstige 2000, % der weibl. Beschäftigten 2009, % der weibl. Beschäftigten Quelle: Mikrozensus 2009 und 2000, FOM / eigene Berechnungen
Frauen in Entwicklungsberufen (5): Weiblich + Kind im Haushalt nach Alter, 2000/2009, in % 30 2000 2009 35 30 25 25 Später 20 20 15 15 10 10 5 5 0 0 Ing Tech Inf sonstige Ing Tech Inf sonstige Quelle: Mikrozensus 2009 und 2000, FOM / eigene Berechnungen
Männer in Entwicklungsberufen (6): Teilzeit / Vollzeit, 2000 und 2009 in % nach Berufen 100 98,00 97,40 97,60 96,90 95,70 94,70 94,60 94,60 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 2,00 2,60 2,40 3,10 4,30 5,30 5,40 5,40 2000 2009 2000 2009 2000 2009 2000 2009 Ingenieure Techniker Informatiker sonstige Beschäftigte Vollzeit Teilzeit Quelle: Mikrozensus 2009 und 2000, FOM / eigene Berechnungen
Frauen in Entwicklungsberufen (7): Teilzeit / Vollzeit, 2000 und 2009 in % nach Berufen 100 90 80 70 60 82,40 80,70 78,10 72,00 72,30 76,60 62,00 61,90 50 40 38,00 38,10 30 20 17,60 19,30 21,90 28,00 27,70 23,40 10 0 2000 2009 2000 2009 2000 2009 2000 2009 Ingenieurinnen Technikerinnen Informatikerinnen sonstige weibl. Beschäftigte Vollzeit Teilzeit Quelle: Mikrozensus 2009 und 2000, FOM / eigene Berechnungen
Übernutzung: Belastungen Psychische Belastungen, die mit zunehmenden Alter Einfluss auf die Leistungsfähigkeit ausüben bei der Arbeit gestört werden 44 50 49 54 unter hohem Termindruck arbeiten 52 54 61 60 mehrere Aufgaben gleichzeitig bearbeiten 58 67 66 73 Prozent 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Ingenieure Techniker ITK-Berufe Gesamterwerbstätige Quelle: BAuA, 2013
Unternutzung: Ein-und Austritte aus der Arbeitslosigkeit (2010) alle Beschäftigte. DV-Fachleute. Techniker Ingenieure. Grün: Wechsel aus der Arbeitslosigkeit. Rot: Wechsel in die Arbeitslosigkeit bis 29 Jahre bis 29 Jahre 30-39 Jahre 30-39 Jahre 40-49 Jahre 40-49 Jahre 50-59 Jahre 50-59 Jahre über 60 Jahre über 60 Jahre -8% -6% -4% -2% 0% 2% 4% Quelle: Deutsche Rentenversicherung, 2012, SUF_AKVS2010
Nutzung von Humanressourcen im Entwicklungsbereich ein vorläufiges Fazit (1) Transitionen und flexible Erwerbsbiografien: Die Erwerbsbiografien von Beschäftigten im Bereich der Technikentwicklung sind im Vergleich zu anderen Berufsgruppen stabiler, insbesondere Ingenieure weisen wenige Berufswechsel auf Berufswechsel finden vor allem in der beruflichen Orientierungsphase (bis 29 Jahre) statt, die höchsten Wechselquoten finden sich bei Technikern Wechsel in die Selbständigkeit/Abgänge ins Ausland haben in den letzten Jahren leicht abgenommen (leichte Zunahme bei den >60-Jährigen) geringe Verluste an Arbeits-und Innovationspotenzialen durch Abwanderung (in andere Berufe oder ins Ausland) Daten geben keine Auskünfte über Betriebswechsel!
Nutzung von Humanressourcen im Entwicklungsbereich ein vorläufiges Fazit (2) Nutzung unerschlossener Potenziale: Frauen in MINT-Berufen Mit 12% ist der Frauenanteil unter den Studienbeginnern und Absolventen im Bereich Informatik und Ingenieurwissenschaften niedrig; nur wenige Frauen brechen das Studium ab Mit zunehmendem Alter nimmt bei den Ingenieurinnen die Beschäftigungsquote von 17% auf 10% ab ( Babyknick ); bei den Technikerinnen steigen die Quoten nach dem Knick wieder an; bei den IT- Spezialistinnen bleibt sie fast gleich (Anteil ca. 17% bis >60 Jahre ) Familienphase ( Kinder im Haushalt ) in der Tendenz heute ca. 5 Jahre später als 2000; Zunahme bei Ing., Abnahme bei Infor. Dominierend in diesen Berufen ist Vollzeit-Tätigkeit; die Teilzeit-Nutzung ist im Vergleich zu anderen Berufen insgesamt geringer. Dabei nutzen weibliche Beschäftigte anteilig häufiger TZ als männliche; abnehmende TZ-Nutzung bei Informatikerinnen in den letzten Jahren, leichte Zunahme bei Ingenieurinnen und Technikerinnen. Unterdurchschnittlicher Einsatz von Frauen Teilzeitangebot als ein möglicher Ansatzpunkt
Nutzung von Humanressourcen im Entwicklungsbereich ein vorläufiges Fazit (3) Erwerbsbiografien Älterer im Innovationsprozess Entwicklungstätigkeiten bergen ein hohes Maß psychischer Belastungen in sich, die insbesondere im Alter das Risiko einer psychischen Beeinträchtigung der Innovationsfähigkeit mit sich bringen. Die vorliegenden Daten der RV (keine Folie) deuten gegenwärtig aber nicht darauf hin, dass Entwickler deswegen vorzeitig in die Rente eintreten. Es zeigt sich allerdings, dass IT-Fachkräfte >50 Jahre ein überdurchschnittlich hohes Risiko haben, arbeitslos zu werden und bleiben. Bei Technikern ist diese Gefahr ebenfalls, aber weniger ausgeprägt gegeben. Ingenieure haben hier bessere Werte als der Durchschnitt der Beschäftigten Leistungs-und Innovationspotenziale Älterer werden auf dem Arbeitsmarkt bei weitem nicht ausgenutzt.
Implikationen für eine demografiefeste Personalpolitik im Entwicklungsbereich Ältere Beschäftigte als Potenzial nicht genutzt, statt dessen Gefahr der Arbeitslosigkeit Teilzeit-Stellen sind bisher nicht im Planungshorizont der Betriebe TZ-Arbeit als kaum genutztes Angebot an Beschäftigte Stärkere Unterstützung der Familienphase als Ansatzpunkt, um mglw. frühere Rückkehr in Tätigkeit zu erleichtern (Ing./Tech.) und Bindung zu erhöhen Arbeitsgestaltung als ungenutztes Potenzial: Belastungen reduzieren Ressourcen aufbauen => vor dem Gas geben Bremsen lösen alternsgerechter Einsatz erfahrener Beschäftigter
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dr. Anja Gerlmaier Dr. Erich Latniak Institut Arbeit und Qualifikation Universität Duisburg-Essen Gebäude LE 47048 Duisburg Tel.: +49.203.379-2408 /-1814 Mail: anja.gerlmaier(at)uni-due.de erich.latniak(at)uni-due.de www.pinowa.de
Anhang: Untersuchte Berufsgruppen o Ingenieure o 601: Ingenieure/innen des Maschinen- und Fahrzeugbaues o 602: Elektroingenieure/innen (auch: Ingenieure für Energietechnik, Nachrichten- und Fernmeldetechnik) o 607: Sonstige Ingenieure/innen (z.b.: Wirtschaftsingenieure, REFA-, Umweltschutzingenieure, Technische Betriebsleiter, ) o Techniker o 621: Maschinenbautechniker/innen o 622: Techniker/innen des Elektrofaches (auch: Elektrotechnische Assistenten, Ingenieurassistent) o 626: Chemietechniker/innen, Physikotechniker/innen (auch CTA) o DV-Fachleute o 774: Datenverarbeitungsfachleute (auch: Datenverarbeitungskaufleute, Datentechnische Assistenten, Informatikassistenten)
Erwerbsaustritte im Entwicklungsbereich: Frühverrentungen 2004 bis 2010 Alterskohorte 49-53 Jahre in 2004, 55-59 Jahre in 2010 1,00% Jahreswerte 6,00% kumuliert 0,90% 0,80% 5,00% 0,70% 0,60% 4,00% 0,50% 3,00% 0,40% 0,30% 2,00% 0,20% 1,00% 0,10% 0,00% 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 0,00% 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: Deutsche Rentenversicherung, 2012, SUF_AKVS2004 bis 2010, SUF_RTZN2