Wirksame Führung und Aufsicht von Spitälern



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Wirksame Führung und Aufsicht von Spitälern Rechtliche Anforderungen an den Spital-Verwaltungsrat Prof. Dr. Andreas Binder 2012 1 Themen Organisationsformen von Spitälern Führungsorganisation in Spitälern Eigentümerstrategie Organisation der Aktiengesellschaft Paritätsprinzip Unübertragbare Aufgaben des Verwaltungsrats Pflichten und Rechte der Verwaltungsräte Exkurs: Verwaltungsrat im Konzern Haftung und Verantwortlichkeit Zivilrechtlich Verwaltungs- und steuerrechtlich Strafrechtlich D&O-Versicherung Fazit 2 1

Organisationsformen von Spitälern Öffentlichrechtlich Selbständige öffentlich-rechtliche Anstalt Universitätsspital Zürich, Kantonsspital Uri Spezialgesetzliche Aktiengesellschaft Bund: Swisscom AG (Rechtsnatur umstritten) Kantone: kantonal zwingend: öffentlichrechtliche Rechtsnatur, subsidiäre Staatshaftung [bei Gründung nach 1883]; OR 763 Privatrechtlich Gewinnstrebige Aktiengesellschaft nach OR 620 Klinik Hirslanden AG, Privatspital AG Gemeinnützige Aktiengesellschaft nach OR 620 III Solothurner Spitäler AG, Kantonsspital Aarau AG, Kantonsspital Baden AG Stiftung nach ZGB 80 Inselspital-Stiftung 3 Führungsorganisation in Spitälern Universitätsspital Zürich, Kantonsspital Uri Spitalrat: Aufgaben vergleichbar mit VR einer AG Spitaldirektion/-leitung: Operatives Führungsorgan Inselspital-Stiftung Stiftungsrat (Verwaltungsrat): Aufgaben vergleichbar mit VR einer AG Geschäftsführung (Spitalleitung): Operatives Führungsorgan Klinik Hirslanden AG, Solothurner Spitäler AG, Kantonsspital Aarau AG, Kantonsspital Baden AG Verwaltungsrat Geschäftsleitung 4 2

Eigentümerstrategie Wer ist der Eigentümer? Wer entscheidet für ihn? Universitätsspital Zürich Kanton Zürich Regierungsrat, Kantonsrat, Volk (USZG) Solothurner Spitäler AG Kanton Solothurn Regierungsrat, Kantonsrat, Volk (SpiG) Kantonsspital Aarau AG, Kantonsspital Baden AG Kanton Aargau Regierungsrat, Grossrat, Volk (SpiG) Klinik Hirslanden AG, Privatspital AG Private Aktionäre Inselspital-Stiftung Kein Eigentümer! Stiftungsurkunde der Stifterin Anna Seiler (1354) als Leitbild Stiftungsaufsicht (kantonal!) 5 Eigentümerstrategie in der privaten AG Leitidee und Unternehmenswerte Unabhängigkeit Ergebnisorientierung Verantwortung gegenüber Gesellschaft, Kunden, Lieferanten, Eigentümern und Umwelt Struktur der Führung und Art der führungsmässigen Einflussnahme Innovationsorientierung Wachstum Finanzierung Risikopolitik Dividendenpolitik Aktionärbindungsvertrag Umgang mit Aktionärsminderheiten Aktionärswechsel Nachfolgeregelung 6 3

Eigentümerstrategie mit Kanton als Eigentümer Wer entscheidet für den Kanton? Regierungsrat Kantonsrat Volk Mehrfachrolle und Interessenkonflikte des Kantons Eigentümer des Spitals Festlegung Eigentümerstrategie Leistungserbringer Strategische und operative Einflussnahme des Departements Leistungsbesteller Bestimmung Leistungsauftrag Eigentümer der Spitalliegenschaften Strategische und operative Einflussnahme Kantonale Stiftungsaufsicht 7 Ein Beispiel: Eigentümerstrategie Kantonspital Aarau AG, Kantonsspital Baden AG, Psychiatrische Dienste AG Kompetenz Volk (Spitalgesetz) Umwandlung der drei dem Kanton gehörenden Spitäler in drei gemeinnützige AG nach OR 620 III Kanton behält Eigentum an Immobilien Kanton hält mindestens 70% der Aktien Anforderungsprofil an VR Fachliche und persönliche Kompetenz Unabhängigkeit von den Leistungseinkäufern mit Ausnahme der Einsitznahme einer Person als Kantonsvertretung Unabhängigkeit einer Mehrheit der Mitglieder von den beiden anderen Spitalaktiengesellschaften des Kantons Ausschluss VRP, VRVP, VRD für Person, die den Kanton vertritt Ausschluss der Übernahme von mehr als einem VRP, VRVP und VRD in den drei Spitalaktiengesellschaften durch dieselbe Person Rechtsbeziehungen zwischen jeder Spitalaktiengesellschaft und privaten Dritten richten sich grundsätzlich nach dem Privatrecht (vorbehalten hoheitliche Tätigkeiten) 8 4

Eigentümerstrategie Kantonspital Aarau AG, Kantonsspital Baden AG, Psychiatrische Dienste AG Kompetenz Grossrat Zustimmung zur Übertragung von Aktien Genehmigung der Gründungsstatuten und von nachträglichen Änderungen, die nach OR ein qualifiziertes Mehr verlangen Änderungen des Spitalgesetzes (unter Vorbehalt des fakultativen Referendums) Interpellation betreffend Auswahl der Verwaltungsräte der Spitalaktiengesellschaften Konkretes Anforderungsprofil des Regierungsrates an die zu wählenden Verwaltungsräte Konkretisierung der Kriterien fachliche Kompetenz, persönliche Kompetenz und Unabhängigkeit Bereitschaft zum Beizug einer externen Executive-Search- Firma Gesundheitspolitische Gesamtplanung 9 Eigentümerstrategie Kantonspital Aarau AG, Kantonsspital Baden AG, Psychiatrische Dienste AG Kompetenz Regierungsrat Ausübung der Aktionärsrechte Einsitznahme in Spitalaktiengesellschaften Erlass von Richtlinien zur Public Corporate Governance Rückzug Regierungsrat aus Verwaltungsräten Erlass Eigentümerstrategie für die drei Kantonsspitäler Spitalkonzeption und Spitalliste (Leistungsangebot, Leistungsaufträge an einzelne Spitäler) Steuerungsaufgaben des Gesundheitsdepartements 10 5

Zwischenfazit zur Corporate Governance in Spitälern mit Staat als Eigentümer Man will das Spiel der AG spielen Das oberste Führungs- und Aufsichtsorgan ist der Verwaltungsrat oder ein Organ mit vergleichbaren Aufgaben Dem Verwaltungsrat sind aber nach OR Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten zwingend zugewiesen, die von den politischen Akteuren häufig nicht oder nicht genügend beachtet werden Bei öffentlichrechtlichen Spitälern ist das grundsätzlich zulässig Bei privatrechtlichen Aktiengesellschaften ist dies rechtswidrig 11 Organisation der Aktiengesellschaft Aktionäre Willensbildung Aktionäre über / ausserhalb AG Paritätsprinzip Generalversammlung Verwaltungsrat Willensbildung / Einflussnahme Aktionäre in AG Unübertragbare und unentziehbare Aufgaben (4 S) Fakultatives Organ Geschäftsleitung Operative Geschäftsführung ausserhalb der 4 S-Aufgaben 12 6

Generalversammlung: Unübertragbare und unentziehbare Aufgaben und Kompetenzen (OR 698) Festsetzung Statuten (Firma, Sitz, Zweck, Aktienkapital, Vinkulierung, Stimmrechtsbeschränkung etc.) Wahl Verwaltungsrat und Revisionsstelle Genehmigung Jahresbericht und Jahresrechnung Genehmigung Konzernrechnung Verwendung Bilanzgewinn (Dividende) Entlastung Verwaltungsrat Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen (OR 650 ff) Sonderprüfung (OR 697a) Auflösung der Gesellschaft mit oder ohne Fusion (OR 736 Ziff. 2; FusG 18 I) 13 Verwaltungsrat: Unübertragbare und unentziehbare Aufgaben (OR 716a) S S S S S trategies (Oberleitung: Ziele, Mittel, Gleichgewicht zwischen Zielen und Mitteln) S ystems (Organisation, Systeme) S taff (Oberste Führungsebene) S upervision (Oberaufsicht) 14 7

Konstituierung des Verwaltungsrats Anzahl Mitglieder (Statuten) Präsident (VR oder GV; OR 712 II) Im Übrigen Grundsatz der Selbstorganisation zwingend (h.l.) Vizepräsident (fakultativ) Delegierter (fakultativ) Ausschüsse (fakultativ) VR-Ausschuss Committees (z.b. Audit & Risk; Nomination, Compensation & HR) Ad hoc Ausschüsse Sekretär (OR 712 I) Verwaltungsratsmitglied kann zusätzlich Arbeitnehmer sein Merke: 4 S - Aufgaben = Gesamt-Verwaltungsrat! 15 Gesetzliche Anforderungen an den Verwaltungsrat Kein gesetzlich explizit formuliertes Anforderungsprofil Aber: Fachkompetenz und zeitliche Verfügbarkeit werden vorausgesetzt Mangelnde Kompetenz / Zeitmangel führen nicht zu Haftungsbefreiung (objektivierter Verschuldensmassstab); anderseits führen besondere Qualifikationen zu erhöhter Verantwortlichkeit Qualifikationsaktie mit kleiner AG-Revision per 1.1.2008 abgeschafft (OR 707); beachte neu OR 702a: Recht der Mitglieder des Verwaltungsrats auf Teilnahme an der Generalversammlung und auf Antragsstellung, auch wenn sie nicht Aktionäre sind Mehrheit Schweizer oder EU-Bürger mit Wohnsitz in Schweiz mit kleiner AG-Revision per 1.1.2008 abgeschafft (OR 708) Wahl durch GV und Eintrag im Handelsregister (aber: stiller VR; verdeckter VR; faktische Organstellung) 16 8

Pflichten eines Verwaltungsrats Aktives Mitwirken bei der Wahrnehmung der dem Verwaltungsrat als Gremium zugewiesenen Aufgaben Aufgaben gemäss Gesetz (OR 716a) Aufgaben gemäss Statuten und Organisationsreglement Treuepflicht (OR 717 I): Verpflichtung auf das Gesellschaftsinteresse, nicht auf das blosse Aktionärsinteresse: Interessen der Gesellschaft in guten Treuen wahren ; dauerndes Gedeihen des Unternehmens Sorgfaltspflicht (OR 717 I) Geheimhaltungspflicht (OR 717 I; StGB 162) Ausstand bei Interessenkonflikten (abgeleitet aus OR 717 I) Pflicht zur angemessenen Information / Informationsbeschaffung Gleichbehandlung der Aktionäre (OR 717 II) 17 Rechte eines Verwaltungsrats Recht auf (unverzügliche) Einberufung einer VR-Sitzung (OR 715) Recht auf Auskunft über alle Angelegenheiten der Gesellschaft (OR 715a) In den Sitzungen, gegenüber VR und GL: umfassend Ausserhalb der Sitzungen, gegenüber GL: Geschäftsgang, einzelne Geschäfte nur bei Ermächtigung durch Präsidenten Recht auf Einsicht in Bücher und Akten (OR 715a) Nur soweit zur Erfüllung einer Aufgabe erforderlich Grundsätzliche Schranke: Arztgeheimnis Zudem: Rechte als Aktionär Mit Abschaffung der Qualifikationsaktie im Rahmen der kleinen AG-Revision (OR 707) seit 1.1.2008 nur noch, wenn Aktionär In jedem Fall aber: Recht auf Teilnahme und Antragstellung an GV (OR 702a) 18 9

Exkurs: Der Verwaltungsrat im Konzern Definition Konzern Zusammenfassung rechtlich selbständiger, aber wirtschaftlich unter einheitlicher Leitung stehender und nach gemeinsamem Plan arbeitender Unternehmungen zu einer Gesamtunternehmung Muttergesellschaft Tochtergesellschaft 1 Tochtergesellschaft 2 19 Der Verwaltungsrat im Konzern Ungelöster Widerspruch zwischen Konzernrealität und Konzernrecht Konzernrealität Das Entscheidungszentrum liegt bei der Konzernobergesellschaft Viele der 4 S - Aufgaben werden nicht in der Konzerntochtergesellschaft wahrgenommen, sondern durch die Obergesellschaft (Widerspruch zu OR 716a) Viele Entscheidungen sind im Konzerninteresse, aber nicht im Gesellschaftsinteresse der Gesellschaft, die den Entscheid trifft resp. von ihm betroffen ist (Widerspruch zu OR 717) 20 10

Der Verwaltungsrat im Konzern Konzernrecht Klassische Ansicht: OR 716a und OR 717 gelten auch im Konzern uneingeschränkt (BGE 4A_188/2008; BGE 130 III 213; Forstmoser) Differenzierte Ansicht: OR 716a und 717 sind im Konzern differenziert anzuwenden, reduziert auf ihren Kerngehalt (Böckli) Aber auch nach der differenzierten Ansicht muss stets und ausnahmslos dafür Sorge getragen werden, dass die Untergesellschaft ihre Gläubiger jederzeit befriedigen kann 21 Der Verwaltungsrat in privatrechtlicher Spital-AG mit Kanton als Eigentümer OR 717 gilt uneingeschränkt Verpflichtung auf das Gesellschaftsinteresse, nicht auf das blosse Aktionärsinteresse: Interessen der Gesellschaft in guten Treuen wahren ; dauerndes Gedeihen des Unternehmens OR 716a gilt uneingeschränkt 4 S - Aufgaben sind unübertragbar und unentziehbar in der Kompetenz des Verwaltungsrats 22 11

Zivilrechtliche Haftung der Organe (OR 754) Passivlegitimation (Haftbare Personen) Verwaltungsräte und alle mit der Geschäftsführung befassten Personen Formelle Organe Materielle Organe Faktische Organe Organstellung abzugrenzen gegen Hilfspersonen: Organ hat massgebende Mitbestimmung bei der Willensbildung der Gesellschaft (Entscheidungen der Unternehmensspitze; "Geschäftsführung") 23 Haftungsvoraussetzungen Schaden Rechtswidrigkeit / Pflichtverletzung: Verletzung aktienrechtlicher oder anderer gesetzlicher Vorschriften z.b. Sorgfaltspflicht; Treuepflicht; Konkursverschleppung z.b. StGB: fahrlässige Tötung, Körperverletzung Adäquater Kausalzusammenhang Verschulden Merke: Haftung des Spitals / der AG Haftung des Organs 24 12

Fall Konkursverschleppung Die Hupec AG, welche seit jeher eine dünne Eigenkapitaldecke von unter 10% aufwies, wird von der wirtschaftlichen Krise schwer getroffen. Ende 2006 betrug das Eigenkapital CHF 3 Mio. Im Geschäftsjahr 2007 realisiert die Hupec AG einen Verlust in Höhe von CHF 4 Mio, wovon allein CHF 1 Mio. im Dezember. Die Raw AG, eine Hauptlieferantin der Hupec AG, hat per Ende 2007 offene Forderungen gegenüber der Hupec AG aus Warenlieferungen von CHF 300 000. 25 Fall Konkursverschleppung Mitte 2008 geht der Hupec AG die Liquidität aus. Sie kann Ende Juni die Löhne der Arbeitnehmer nicht bezahlen und deponiert ihre Bilanz beim Richter, welcher über die Hupec AG den Konkurs eröffnet. Die offenen Forderungen der Raw AG gegenüber der Hupec AG aus Warenlieferungen betragen per Datum der Konkurseröffnung CHF 500 000. Diese Forderungen erleiden im Konkurs der Hupec AG einen Totalausfall. 26 13

Business Judgment Rule Entwickelt in den USA Rezipiert in Kontinentaleuropa In CH-Literatur (z.b. Andrea Grass, CH-Dissertation!) In CH-Rechtsprechung erst ganz ansatzweise In Gesetzgebung (Deutschland!) Grundidee: Bei unternehmerischen Entscheiden soll nicht der Richter sein unternehmensfernes Wissen und Ermessen anstelle des Wissens und Ermessens der Unternehmensführung stellen Bei unternehmerischen Entscheiden findet daher primär ein Verfahrenstest statt: Wie ist der Entscheid des VR zustandegekommen? Wenn das Verfahren korrekt war, gilt auch der getroffenen Entscheid als korrekt und rechtmässig 27 Business Judgment Rule 93 I Satz 2 D-AktG: "Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied 1) bei einer unternehmerischen Entscheidung 2) vernünftigerweise annehmen durfte, 3) auf der Grundlage angemessener Information 4) zum Wohle der Gesellschaft zu handeln". 1) Unternehmerische Entscheidung vs rechtlich gebundene Entscheidung 2) vernünftigerweise annehmen durfte Gutgläubigkeit frei von Interessenkonflikten 3) angemessene Information Ratschlag: Sich umfassend informieren und dies dokumentieren 4) Handlung zum Wohl der Gesellschaft d.h. es gibt auch materielle Prüfung des Entscheids, aber nur grob 28 14

Haftung der Organe aufgrund verwaltungs- und steuerrechtlicher Vorschriften AHVG 52: Haftung für nicht abgelieferte AHV-Beiträge Viele weitere öffentlich-rechtliche Vorschriften, die ein - häufig nicht erkanntes - Haftungsrisiko für die Organe bergen Beispiel: Haftung für Ablieferung von VOC-Abgaben Steuerrechtliche Vorschriften sehen zum Teil eine Haftung der formellen und faktischen Exekutivorgane sowie der Liquidatoren für Steuerschulden der Gesellschaft vor 29 Strafrechtliche Verantwortlichkeit der Organe Die meisten Straftatbestände sind nur bei Vorsatz strafbar (zivilrechtlich genügt dagegen leichte Fahrlässigkeit) Absicht ("wissen und wollen und bezwecken") Vorsatz ("wissen und wollen") Eventualvorsatz ("ernsthaft für möglich halten und in Kauf nehmen") Bewusste Fahrlässigkeit: Der Täter erkennt die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung, er setzt sich jedoch, mehr oder weniger leichtfertig, darüber hinweg, im Vertrauen darauf, dass schon nichts geschehen wird Unbewusste Fahrlässigkeit: Der Täter bedenkt nicht einmal die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung Merke: Imperatives Ziel muss sein, nie in Grauzone zu gelangen / in Strafverfahren verwickelt zu werden! 30 15

Organhaftpflichtversicherung (D&O-Versicherung) Versicherungsnehmer: Gesellschaft Versicherungssumme: typisch CHF 10-100 Mio. Versicherte Personen: Formelle, materielle und faktische Organe Deckung Kosten der Anspruchsabwehr (zivil- und [teilweise] strafrechtlich) Schadenersatz 31 Organhaftpflichtversicherung (D&O-Versicherung) Deckungsausschlüsse Falsche Deklarationen in Versicherungsantrag Vorsätzliche Pflichtverletzungen Oft auch grobfahrlässige Pflichtverletzungen Klagen der Gesellschaft Klagen der wesentlichen Aktionäre (z.b. über 10%) Claims made-prinzip: führt zu einer Inkongruenz auf der Zeitachse zwischen möglicher Konfrontation mit Haftungsansprüchen und Versicherungsdeckung! (immerhin z.t. Nachversicherungsmöglichkeit für limitierte Zeit) Haftung für Sozialversicherungsabgaben!? Merke: Die Prämienhöhe ist bei weitem nicht das einzige Kriterium bei der Auswahl des Versicherers! ("Lass nicht den alleinigen Lead dem Broker!") 32 16

Fazit Grosse Aufgabenfülle der Organe Umfassender undelegierbarer und unentziehbarer Pflichtenkatalog Hoher Pflichtenstandard Solidarische Haftung sämtlicher (formeller, materieller und faktischer) Organe 33 Anforderungsprofil Verwaltungsrat Professionalität Selektion Einsatzbereitschaft Honorierung Unabhängigkeit persönlich finanziell Zivilcourage 34 17