Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Medienrecht Grundzüge des Handelsrechts Sonderprivatrecht der Kaufleute
Warum gibt es das Handelsrecht? Handelsverkehr kann nur dann gut funktionieren, wenn er schnell und einfach ist. Das Recht trägt diesem Erfordernis v. a. dadurch Rechnung, dass es von einer geringeren Schutzbedürftigkeit der Kaufleute und einem größeren Vertrauen zwischen ihnen ausgeht. Bsp.: Publizität des Handelsregisters, 15 HGB Kaufmännisches Bestätigungsschreiben, 346 HGB Formlosigkeit der Bürgschaftserklärung, 350 HGB Prokura, 48 ff. HGB Rügeobliegenheit, 377 HGB
Der Kaufmann, 1 HGB Kaufmann ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt Gewerbe = jede selbständige, nicht schlechthin verbotene, auf eine unbestimmte Vielzahl von Geschäften angelegte entgeltliche (bzw. mit Gewinnerzielungsabsicht, str.), nach außen in Erscheinung tretende Tätigkeit mit Ausnahme der freien Berufe sowie der künstlerischen und wissenschaftlichen Tätigkeit. Handelsgewerbe ist ein Gewerbe, wenn es nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert.
Wie wird man noch Kaufmann? Kaufmann kraft Rechtsform, 6 HGB Bestimmte Gesellschaften wie die GmbH ( 13 III GmbHG) und die AG ( 3 I AktG) sind immer Kaufmann; unabhängig davon, ob sie die Definition des Kaufmanns erfüllen Kleingewerbetreibender, der sich eintragen lässt, 2 HGB Betreibt jemand ein Gewerbe, das kein Handelsgewerbe ist, kann er sich in das Handelsregister eintragen lassen und so zum Kaufmann werden Kaufmann kraft Eintragung, 5 HGB Betreibt jemand ein Gewerbe und ist er im Handelsregister eingetragen, muss er sich als Kaufmann behandeln lassen Kaufmann kraft Rechtsschein, 242 BGB Wer behauptet, Kaufmann zu sein, muss sich von einem Dritten, der gutgläubig hierauf vertraut, grundsätzlich hieran festhalten lassen
BEISPIELFÄLLE 1. D handelt mit gestohlenen Autos. Das Spektrum reicht vom Oldtimer über den Standardgebrauchtwagen bis zu neuen Luxuswagen. Sein Jahresumsatz beträgt 50 Mio.. Er beliefert seine Kunden weltweit und beschäftigt in den jeweiligen Ländern 40 kaufmännische Angestellte. 2. L betreibt in der Sommersaison einen kleinen Eisstand im Freibad. 3. Rechtsanwalt S ist versehentlich in das Handelsregister eingetragen worden. 4. C ist angestellter Filialleiter einer Einzelhandelskette. 5. G ist begeisterter Hobbygärtner und erntet viel Obst und Gemüse. Er verkauft im Sommer gelegentlich das überschüssige Obst aus seinem Garten. 6. B spekuliert in großem Umfang an der Börse. Handelt es sich jeweils um einen Kaufmann? Rechtsaspekte junger Unternehmen
Das Handelsregister, 8-16 HGB Bestimmte Tatsachen sind in das Handelsregister einzutragen und bekanntzumachen. Geschieht dies nicht oder fehlerhaft, kann die Publizität des Handelsregisters dazu führen, dass die im Handelsregister bzw. der Bekanntmachung zum Ausdruck kommende Lage im Geschäftsverkehr nach Wahl des zu schützenden Dritten als wahr unterstellt wird. 15 Abs. 1 HGB: Negative Publizität Auf das Schweigen des Handelsregisters kann man vertrauen 15 Abs. 2 HGB: Normalfall 15 Abs. 3 HGB: Positive Publizität Auf das Reden des Handelsregisters kann man vertrauen
Fallbeispiele 1. Kaufmann K erteilt dem P Prokura, aber noch bevor er nach außen auftritt, wird er wegen schwerer Verfehlung fristlos entlassen. Hierdurch erlischt die Prokura ( 168 BGB). K unterlässt die erforderliche Eintragung und Bekanntmachung nach 53 Abs. 1 und 2 HGB, da er sie für überflüssig hält und gerne Kosten sparen will. Wie ist K`s Vorgehen zu bewerten? 2. M wird von einem LKW der K-OHG angefahren und schwer verletzt. M nimmt den noch im Handelsregister eingetragenen, aber bereits vor dem Unfall aus der K-OHG ausgeschiedenen Gesellschafter Reich unter Berufung aus 15 Abs. 1 HGB in Anspruch. Richtig? 3. R ist als Gesellschafter aus der K-OHG ausgeschieden. Dies wurde am 20.1.2010 eingetragen und bekannt gemacht. G nimmt R wegen einer am 28.2.2010 entstandenen Forderung in Anspruch, weil er gutgläubig auf die Gesellschafterstellung vertraut. Richtig? Rechtsaspekte junger Unternehmen Entnommen aus Jung, Handelsrecht, S. 64 ff..
Prokura, 48 ff. HGB Sonderform der Vollmacht Erteilung Kaufmann persönlich ausdrücklich höchstpersönlich nicht identisch Umfang = alle Rechtsgeschäfte und Prozesshandlungen die der Betrieb irgendeines Handelsgewerbes mit sich bringt grds. nicht rechtsgeschäftlich beschränkbar) Gesetzlich NICHT erfasst: Privatgeschäfte, Inhabergeschäfte, Grundlagengeschäfte Erlöschen Verlust der Kaufmannseigenschaft des Erteilers Verlust der Geschäftsinhaberschaft des Erteilers Prokurist wird Geschäftsinhaber oder Organ Beendigung Grundverhältnis Widerruf Tod des Prokuristen
Inhaberwechsel, 25-28 HGB Das Unternehmen des Kaufmanns selbst, also der Gesamtbestand an personalen und sachlichen Mitteln, ist nicht rechtsfähig. Wird das Unternehmen von seinem Rechtsträger (dem Kaufmann) getrennt z. B. weil er es veräußert ( 25 HGB), weil er stirbt ( 27 HGB) oder weil er es in eine Personenhandelsgesellschaft einbringt ( 28 HGB), besteht ein Bedürfnis dafür, auch den neuen Rechtsträger für die bereits entstandenen Verbindlichkeiten haften zu lassen. Rechtsfolgen: Haftung für alle früheren Geschäftsverbindlichkeiten des Vorgängers Früherer Inhaber bleibt weiter verpflichtet. 25-28 HGB sind keine Anspruchsgrundlagen, sondern dehnen nur die Haftung auf den Erwerber des Unternehmens aus (der an der Entstehung der Verbindlichkeit nicht beteiligt war!).
Bei der Veräußerung nach 25 HGB kommt es häufig vor, dass der Kaufmann mit dem Unternehmen praktisch sein gesamtes Vermögen überträgt und bei ihm nicht mehr viel zu holen ist. Außerdem entsteht für den Rechtsverkehr der Eindruck der Haftungskontinuität, wenn das Unternehmen und die Firma (also der Name) im Kern fortgeführt werden. 27 HGB folgt dem Grundsatz, dass die Erben auch für die Schulden des Erblassers haften, gestattet ihnen jedoch, der Haftung zu entgehen, indem sie das Geschäft nicht fortführen. 28 HGB schützt davor, dass jemand ein Urteil gegen den Kaufmann erwirkt hat, es wegen der Einbringung des Unternehmens in eine Gesellschaft (neuer Rechtsträger!!) aber nicht mehr vollstrecken könnte.
FALLBEISPIEL a.) V verkauft ihre Modeboutique an K, wobei sie auch ihre Rechte und Pflichten aus dem kürzlich mit dem Vermieter D auf 10 Jahre geschlossenen Geschäftsraummietvertrag auf K überträgt. Da D die zur Übertragung der Mietrechte erforderliche Zustimmung verweigert, fragt K sich, ob er den Vertrag rückgängig machen oder Schadensersatz verlangen kann. Wie ist die Rechtslage? b.) Es besteht außerdem ein Schadensersatzanspruch gegen D aus dem Mietverhältnis, der bei dem Verkauf aber ausdrücklich vom Forderungsübergang ausgeschlossen wird. D leistet angesichts der mit Einwilligung der V von K fortgeführten Firma an K. Ist er damit von seiner Schadensersatzpflicht befreit? Rechtsaspekte junger Unternehmen Entnommen aus Jung, Handelsrecht, S. 132.
Allgemeine Vorschriften über Handelsgeschäfte Die 343 ff. HGB enthalten für Handelsgeschäfte wesentliche Besonderheiten gegenüber dem BGB und sind grds. bereits dann anwendbar, wenn nur eine Partei Kaufmann ist ( 345). Unter Handelsgeschäften versteht das Gesetz alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zu seinem Handelsgewerbe gehören ( 343), wobei eine widerlegliche Vermutung besteht ( 344), nach der die von einem Kaufmann vorgenommenen Rechtsgeschäfte Handelsgeschäfte sind. Bedeutende Regelungen sind u.a.: 346 HGB: Handelsbräuche (z. B. Kaufmännisches Bestätigungsschreiben) 347 HGB: Erhöhter Sorgfaltsmaßstab gegenüber 276 BGB 350 HGB: Formfreiheit der Bürgschaftserklärung des Kaufmanns 352 HGB: Höherer Zinssatz (vgl. auch 288 Abs. 2 BGB für den Verzug) 362 HGB: Schweigen wird ausnahmsweise als Ja, okay verstanden 366 HGB: Leichterer, gutgläubiger Erwerb von Sachen möglich
Kaufmännisches Bestätigungsschreiben Grundlagen: Verträge sind zwar mündlich wirksam; über ihren Inhalt gibt es im später häufig Streit. Das gewohnheitsrechtlich anerkannte kaufmännische Bestätigungsschreiben dient dem Beweis und soll für Rechtssicherheit sorgen. Voraussetzungen: 1. Sachlicher Anwendungsbereich: Vertragsverhandlungen mit Klarstellungsbedürfnis, die tatsächlich oder aus Sicht des Bestätigenden zu Vertragsschluss geführt haben (regelmäßig bei Mündlichkeit) 2. Persönlicher Anwendungsbereich: a) Empfänger: Kaufmann (oder jemand, der wie ein K. am Wirtschaftsleben teilnimmt) b) Absender: Kaufmann (oder jemand, der wie ein K. am Wirtschaftsleben teilnimmt) 3. Schreiben muss behaupteten Vertragsschluss eindeutige, endgültige und in seinem wesentlichen Inhalt wiedergeben 4. Zeitliche Nähe zu den Vertragsverhandlungen 5. Schweigen / kein unverzüglicher Widerspruch des Empfängers 6. Redlichkeit des Absenders bzgl. des Inhalts ( 242 BGB) Rechtsfolge: Vertragsschluss mit dem Inhalt des kaufmännischen Bestätigungsschreibens
Die Rügeobliegenheit, 377 BGB Grundlagen: Die Mängelgewährleistungsfrist von grds. zwei Jahren beim Kauf von Sachen ist für den Handelsverkehr ungeeignet. Unter Kaufleuten besteht daher die Obliegenheit, einen Mangel an der Kaufsache unverzüglich zu rügen. Voraussetzungen: 1. Beiderseitiger Handelskauf, 343 f. HGB 2. Ablieferung der Sache 3. Kein arglistiges Verschweigen des Mangels, 377 Abs. 5 HGB 4. Unterlassen der rechtzeitigen Rüge, 377 Abs. 1, 3 HGB (Frist hängt von Erkennbarkeit des Mangels ab) Rechtsfolge: Bei verspäteter Rüge: Ausschluss der Gewährleistungsrechte, 377 Abs. 2 HGB ( Genehmigungsfiktion )
FALLBEISPIELE 1. Schreibwarenhändler S bestellt bei Großhändler G mehrere Posten Ringblöcke und Hefter. Die Bestellung spricht er auf den Anrufbeantworter. G sagt die Lieferung per Email zu und erhält daraufhin von S ein Bestätigungsschreiben mit einer zusätzlichen handelsüblichen Skontoklausel. G erklärt S 2 Monate später, dass er mit der Klausel nicht einverstanden ist. Ist die Klausel Bestandteil des Vertrages geworden? 2. Blumengroßhändler B kauft privat einen Transporter bei V um sein Surfboard besser transportieren zu können. V und B kennen sich von einer Veranstaltung der Handelskammer und unterhalten sich während des Verkaufsgesprächs ausschließlich über die Transportschwierigkeiten von Blumen und die diesbezügliche Nützlichkeit eines Transporters. Liegt aus Sicht des V ein Handelsgeschäft des B vor? 3. B entscheidet sich nun auch einen Transporter für sein Geschäft zu kaufen. Nach 2 Monaten bemerkt B, dass das die Scheibenwischer (von Anfang an) nicht funktionieren und wendet sich an V. V beruft sich auf die Genehmigungsfiktion nach 377 HGB. Kann B Gewährleistungsrechte gegen V geltend machen? Rechtsaspekte junger Unternehmen