Mathematische Methoden der Zuverlässigkeitstheorie



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Transkript:

Mathematische Methoden der Zuverlässigkeitstheorie Christiane Takacs, Dmitry Efrosinin Institut für Stochastik 3. Auflage, 2005

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 3 2 Grundlagen 4 2.1 Begriffe...................................... 4 2.2 Wichtige Lebensdauerverteilungen....................... 9 2.2.1 Exponentialverteilung.......................... 10 2.2.2 Weibullverteilung............................. 11 2.2.3 Erlangverteilung............................. 12 2.2.4 Potenzverteilung............................. 12 2.2.5 Logarithmische Normalverteilung.................... 13 2.2.6 IFR- (DFR-) Verteilungen........................ 13 2.3 Lebensdauerschätzungen............................. 15 2.3.1 Maximum-Likelihood-Schätzer..................... 15 2.3.2 Maximum-Likelihood-Schätzer für zensurierte Daten......... 17 2.3.3 Graphische Methoden.......................... 22 2.4 Strukturierte Systeme.............................. 22 2.4.1 Seriensystem............................... 23 2.4.2 Parallelsystem.............................. 23 2.4.3 Redundante Systeme........................... 24 2.5 Spezielle Modelle................................. 24 2.5.1 Competing Riscs............................. 24 2.5.2 Mischungen................................ 26 2.5.3 Einfluss unterschiedlicher Lebensbedingungen............. 26 3 Boolesche Zuverlässigkeitsmodelle 29 3.1 Boolesche Funktionen.............................. 30 3.2 Ermittlung der Strukturfunktion........................ 33 3.2.1 Pivotzerlegung.............................. 33 3.2.2 Pfad- und Schnittdarstellungen..................... 34 3.2.3 Verfahren zur Ermittlung der minimalen Pfade und Schnitte.... 36 3.2.4 Orthogonalformen............................ 37 3.3 Systemverfügbarkeit............................... 38 3.4 Importanz..................................... 40 3.5 Ereignisbäume.................................. 42 1

INHALTSVERZEICHNIS 2 4 Markovsche Systeme 43 4.1 Grundlagen.................................... 43 4.1.1 Homogene Markov-Ketten mit diskreter Zeit............. 45 4.1.2 Homogene Markov-Ketten mit kontinuierlicher Zeit.......... 46 4.1.3 Graphische Veranschaulichung von Markov-Ketten.......... 47 4.1.4 Die eingebettete Markov-Kette..................... 49 4.2 Langzeitverhalten................................. 50 4.2.1 Markov-Ketten mit diskreter Zeit.................... 50 4.2.2 Markov-Ketten mit kontinuierlicher Zeit................ 50 4.2.3 Existenz und Eindeutigkeit stationärer Verteilungen......... 51 4.2.4 Konvergenz ins Gleichgewicht...................... 52 5 Grundbegriffe der Erneuerungstheorie 54 5.1 Langzeitverhalten................................. 54 Literaturverzeichnis [1] Aggarwal, K.K.: Reliability Engineering, 1993, Kluwer, Mathbibl. 13265 [2] Beichelt, F.: Zuverlässigkeits- und Instandhaltungstheorie, 1993, Teubner, Mathbibl. 13006 [3] Gertsbakh, I.: Reliability Theory, With Applications to Preventive Maintainance, 2001, Springer, Mathbibl. 15598 [4] Leemis, L.M.: Reliability, Probabilistic Models and Statistical Methods, 1995, Prentice Hall, Mathbibl. 14936: Besonders interessant das Kapitel über Lebensdauerverteilungen mit vielen Zitaten weiterführender Arbeiten Das vorliegende Skriptum gehört zur gleichnamigen Spezialvorlesung an der Universität Linz aus dem Sommersemester 2005. Das Skriptum selbst ist als Gedächtnisstütze gedacht. Daher werden die letzten Details mancher Argumente nicht ausgeführt. Viel Spaß beim Lesen und beim Kennenlernen der Materie! Christiane Takacs und Dmitry Efrosinin

Kapitel 1 Einleitung Die Zuverlässigkeitstheorie beschäftigt sich mit der Messung, Vorhersage, Erhaltung und Optimierung der Zuverlässigkeit technischer Systeme. Dabei versteht man unter der Zuverlässigkeit eines Systems seine Eignung, während vorgegebener Zeitspannen und Anwendungsbedingungen vorgegebene Forderungen zu erfüllen. Zuverlässigkeitskenngrößen, die auch quantitativ messbar sind, sind etwa die Überlebenswahrscheinlichkeit, die Verfügbarkeit oder auch die mittlere Lebensdauer eines Systems. Demnach werden in der Zuverlässigkeitstheorie folgende Problemkreise behandelt: Schätzung der Zuverlässigkeitskenngrößen von Systemen, Zusammenhang zwischen Zuverlässigkeitskenngrößen eines Systems und seiner Komponenten, Modellierung des Ausfallsverhaltens und der Abnutzung von Systemen, Entwicklung und Optimierung von Maßnahmen zur Erhaltung, Verbesserung bzw. Wiederherstellung der Zuverlässigkeit von Systemen (Instandhaltungstheorie). Methoden der Zuverlässigkeitstheorie werden in der Design-Phase (Vergleich von Systementwürfen, Prognose der Zuverlässigkeit im Hinblick auf Garantieleistungen) und in der Produktionsphase (Ermittlung von Schwachstellen, quantitativer Sicherheitsnachweis), aber auch bei der Wartung von Systemen im laufenden Betrieb gebraucht, sie sind stets mit Kostenüberlegungen verbunden. Das theoretische Fundament der Zuverlässigkeitstheorie ist die Wahrscheinlichkeitstheorie, da die Zuverlässigkeit eines Systems naturgemäß etwas Zufälliges ist. Systemausfälle oder Unfälle wird man nie mit Sicherheit ausschließen können. Man wird aber danach trachten, das Risiko für ihr Auftreten durch materielle und personelle Aufwendungen hinreichend klein zu halten. 3

Kapitel 2 Grundlagen 2.1 Begriffe Ein einfaches System ist die kleinste Einheit in einem System. Es wird hinsichtlich seiner Zuverlässigkeitseigenschaften nicht weiter differenziert. Typischerweise handelt es sich bei einfachen Systemen um Bauelemente (Komponenten). Ein einfaches System kann ausschließlich intakt (=1) oder defekt (=0) sein. Der Systemzustand zum Zeitpunkt t wird dann durch eine Boolesche Variable { 1 falls das System zur Zeit t intakt ist z (t) = 0 falls das System zur Zeit t defekt ist beschrieben. Den Übergang vom Zustand 1 in den Zustand 0 nennen wir Ausfall (Sprungbzw. Totalausfall) des Systems. Wir bezeichnen die Zeit X von der Inbetriebnahme des Systems bis zu seinem Ausfall als Lebensdauer des Systems. Die Lebensdauer ist eine Zufallsvariable, die nur positive Werte annimmt. Wir nehmen überdies an, dass sie eine stetige Zufallsvariable 1 ist. Damit ist auch der Systemzustand zum Zeitpunkt t eine Zufallsvariable { 1 falls t X Z (t) = 0 falls t > X. Die stetige (!) Verteilungsfunktion der Lebensdauer F X (t) = P [X < t] bezeichnen wir als Ausfallwahrscheinlichkeit. In der Zuverlässigkeitstheorie hat sich auch der Begriff der Überlebenswahrscheinlichkeit F X (t) = P [X t] = 1 F X (t) = R (t) eingebürgert, sie wird häufig auch Zuverlässigkeitsfunktion oder auch nur Zuverlässigkeit (reliability) genannt und mit R (t) bezeichnet. Die Dichtefunktion f X (t) (der stetigen 1 Wir treffen diese Annahme, weil meistens dieser Fall vorliegt. Die Verallgemeinerung auf diskrete oder gemischte Zufallsvariablen geschieht in der üblichen Weise. 4

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 5 Verteilungsfunktion F X (t)) wird als Ausfalldichte oder Lebensdauerdichte bezeichnet. Die erwartete Lebensdauer E[X] läßt sich mittels E[X] = 0 F X (t)dt aus der Überlebenswahrscheinlichkeit berechnen. (Beweis als Übung) Beispiel: Lebensdauerverteilungen Eine typische Lebensdauerverteilung ist die Weibullverteilung We(λ, β) mit { F X (t) = 0 falls t 0 1 e λtβ falls t > 0 { und f X (t) = 0 falls t 0 λβt β 1 e λtβ falls t > 0. Für β = 1 ergibt sich die Exponentialverteilung, für β = 2 die Rayleighverteilung. Die Überlebenswahrscheinlichkeit ist F X (t) = e λtβ, die mittlere Lebensdauer 2 einer Weibullverteilten Zufallsvariablen X ist ( ) Γ 1 β + 1 E[X] = λ 1/β. Eine weitere häufig gewählte Lebensdauerverteilung ist die logarithmische Normalverteilung LN (µ, σ) mit F X (t) = { Φ { 0 ) falls t 0 falls t > 0 und f X (t) = ( log t µ σ 1 2πσt exp 0 falls t 0 ( falls t > 0, ) (log t µ)2 2σ 2 wobei Φ die Verteilungsfunktion 3 der Standard-Normalverteilung bezeichnet. Ist X logarithmisch normalverteilt, so ist log X normalverteilt mit denselben Parametern. Die mittlere Lebensdauer einer logarithmisch normalverteilten Zufallsvariablen X ist 2 Zur Erinnerung Für x N gilt Γ(x) = (x 1)! 3 Wir bezeichnen mit E[X] = exp Γ (x) = 0 φ(t) := 1 2π t die Verteilungsfunktion der Standard-Normalverteilung. (µ + σ2 2 t x 1 e t dt. ). e x2 2 dx

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 6 Neben der Verteilung der Lebensdauer X interessiert uns auch die bedingte Ausfallwahrscheinlichkeit (bedingte Verteilung), das ist die Verteilungsfunktion F X (t, τ) = P [X < t + τ X t] für die Restlebensdauer τ 0 nach t 0, d.h. die Verteilung der restlichen Lebensdauer, wenn das System bereits eine Zeitspanne t überlebt hat. Für die Ausfallwahrscheinlichkeit gilt F X (t, τ) = F X (t + τ) F X (t). 1 F X (t) Für die bedingte Überlebenswahrscheinlichkeit gilt F X (t, τ) = 1 F X (t, τ) = F X (t + τ). F X (t) Ein Systemmit Lebensdauer X heißt im Intervall [t 1, t 2 ] alternd, wenn für beliebiges aber festes τ > 0 die bedingte Überlebenswahrscheinlichkeit F X (t, τ) in t [t 1, t 2 ] streng monoton fallend ist. Beispiel: Alternde Systeme Für eine Weibull-verteilte Zufallsvariable gilt F X (t, τ) = e λ((t+τ)β t β ). Mit β > 1 kann sie die Lebensdauern alternder Systeme beschreiben. Für β = 1 (Exponentialverteilung) stimmt die bedingte Überlebenswahrscheinlichkeit mit der unbedingten überein, d.h. es gilt F X (t, τ) = F X (τ). Systeme mit einer exponential verteilten Lebensdauer altern also nicht. Umgekehrt kann man zeigen, dass eine Lebensdauer, deren Verteilung die obige Funktionalgleichung erfüllt, exponentialverteilt ist. Im Fall β < 1 nimmt die bedingte Überlebenswahrscheinlichkeit mit wachsendem t zu, damit lassen sich etwa Ausfälle durch Anlaufschwierigkeiten modellieren. Unter der Ausfallrate λ X (t) (auch als hazard rate h(t) oder Hazard function - Risikofunktion - bezeichnet) versteht man die bedingte Dichtefunktion P [X < t + τ X t] λ X (t) = lim. τ 0 τ Wenn man weiß, dass das System zum Zeitpunkt t intakt ist, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass es im Intervall [t, t + dt[ ausfällt, ungefähr gleich λ X (t)dt. Für die Ausfallrate gilt λ X (t) = f X (t) 1 F X (t).

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 7 Beachtet man, dass f X (t) 1 F X (t) = d dt ln(1 F X (t)) gilt, so folgt aus der Definition für λ X sogleich F X (t) = 1 e t 0 λ X(τ)dτ als Darstellung für die Ausfallwahrscheinlichkeit aus der Ausfallrate. Jede der Größen Ausfallwahrscheinlichkeit, Überlebenswahrscheinlichkeit, Ausfalldichte, Ausfallrate kann aus jeder anderen dargestellt werden. (Man fertige als Übung eine Umrechnungstabelle an.) Manchmal wird auch die kumulative Ausfallfunktion Λ X (t) = t als Kenngröße für die Lebensdauer verwendet. 0 λ X (τ)dτ Satz 2.1 Ein System altert im Intervall [t 1, t 2 ] genau dann, wenn seine Ausfallrate dort streng monoton wächst. Beweis Alterung bedeutet, dass für τ > 0 0 > d dt F X (t, τ) = d dt F X (t + τ) F X (t) = f X (t + τ) F X (t) + F X (t + τ) f X (t) ( FX (t) ) 2 gilt, was mit f X (t + τ) F X (t) > F X (t + τ) f X (t) und damit λ X (t + τ) = f X (t + τ) F X (t + τ) > f X (t) F X (t) = λ X (t), also Monotonie der Ausfallrate, gleichbedeutend ist. In der Praxis wird die Ausfallrate λ X (t) häufig die Gestalt einer Badewannenkurve haben. Die Abnahme für kleine t repräsentiert die anfängliche Auftreten von Kinderkrankheiten, die Konstanz für mittlere t repräsentiert eine gewisse Zeitspanne des Nichtalterns, die Zunahme für große t repräsentiert das Auftreten von Alterserscheinungen. Denkbar sind aber auch periodisch schwankende Ausfallraten als Folge saisonbedingter Störeinflüsse.

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 8 Beispiel: Ausfallrate Eine Weibullverteilte Lebensdauer mit { 0 falls t < 0 F X (t) = 1 e λtβ falls t 0 { und f X (t) = 0 falls t < 0 λβt β 1 e λtβ falls t 0. hat als Ausfallrate λ X (t) = f X (t) 1 F X (t) = λβtβ 1, die für β < 1 streng monoton fällt, für β = 1 konstant ist und für β > 1 streng monoton wächst. Eine Weibullverteilte Lebensdauer mit β > 1 beschreibt daher ein alterndes System. Für elektronische Bauteile ist die Ausfallrate ein Qualitätsmerkmal und wird in Tabellen angegeben. Beispiel: Schocks In der Praxis gibt es häufig besondere Umstände, unter denen besonders leicht Ausfälle eintreten, so genannte Schocks. Wir nehmen nun an, dass ein Schock unabhängig von allem anderen mit Wahrscheinlichkeit p einen Systemausfall verursacht und je Zeiteinheit im Mittel s Schocks eintreffen, die einem Poissonprozess gehorchen. Dann ist die Zeit bis zum Systemausfall durch einen Schock exponentialverteilt mit Parameter sp. Wenn λ (t) die Ausfallrate durch andere Systemausfälle ist, so ergibt sich als Ausfallrate insgesamt λ (t) + sp (Beweis siehe unten). In der Geschichte der Zuverlässigkeitstheorie war die folgende Erkenntnis eine wichtige Grundlage für das Design zuverlässiger Systeme. Ist ein System, das aus n unabhängigen Komponenten besteht, genau dann intakt, wenn alle n Komponenten intakt sind (So ein System heißt Seriensystem.), so ist seine Ausfallrate die Summe der Ausfallraten der Komponenten. Beweis Bezeichnen X 1, X 2,..., X n die Lebensdauern der Komponenten und Y die Lebensdauer des Systems, so folgt aus n n F Y (t) = P [Y > t] = P [X i > t] = F Xi (t) durch Logarithmieren und Ableiten nach t f Y (t) F Y (t) = n f Xi (t) F Xi (t), was die Aussage beweist. Wird ein System, nachdem es ausgefallen ist, wieder instandgesetzt bzw. erneuert, so ist auch diese Instandsetzungszeit eine Zufallsvariable. Im Verlauf der Zeit wechseln sich

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 9 die Systemzustände Intakt und Defekt ab. In diesem Zusammenhang ist die Wahrscheinlichkeit, dass das System zum Zeitpunkt t intakt ist, die so genannte Verfügbarkeit des Systems zum Zeitpunkt t P [Z (t) = 1] = E[Z (t)], eine interessante Kenngröße. Für lange Betriebsdauern verwendet man der Einfachheit halber die stationäre Verfügbarkeit lim P [Z (t) = 1], t falls dieser Grenzwert existiert. Ist ein System in einem langen Intervall T 1 Zeiteinheiten intakt und T 0 Zeiteinheiten defekt, so ist seine stationäre Verfügbarkeit ungefähr gleich T 1 T 0 + T 1. 2.2 Wichtige Lebensdauerverteilungen Eine Familie von Verteilungen nennen wir skalierungsinvariant, wenn daraus, dass die Verteilung von X zu der Familie von Verteilungen gehört, folgt, dass für σ > 0 auch die Verteilung von σx dazugehört. Eine Familie von Verteilungen nennen wir lageinvariant, wenn daraus, dass die Verteilung von X zu der Familie von Verteilungen gehört, folgt, dass auch die Verteilung von X + µ dazugehört. Skalierungs- und lageinvariante Familien sind günstig, weil es bei ihnen nicht darauf ankommt, in welchen Einheiten gemessen wird. Die Familie der Normalverteilungen ist skalierungs- und lageinvariant. Zuerst werden die Kenngrößen der wichtigsten Lebensdauerverteilungen, wie Exponentialverteilung E (λ), Weibullverteilung W (λ, β), Erlangverteilung ER(n, λ), Potenzverteilung 4 PT (β, δ) auf [0, δ[ und Logarithmische Normalverteilung 5 LN ( µ, σ 2) zusammengestellt. (Umfangreichere Tabelle siehe etwa [4] S. 95) 4 Die unten angegebenen Formeln gelten für t [0, δ[. 5 Wir bezeichnen mit φ(t) := 1 2π t die Verteilungsfunktion der Standard-Normalverteilung. e x2 2 dx

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 10 F X (t) f X (t) λ X (t) E[X] V [X] E (λ) e λt λe λt ( 1 λ 1 2 λ) W (λ, β) e λtβ λβt β 1 e λtβ λβt β 1 Γ ER(n, λ) PT (β, δ) LN ( µ, σ 2) e λt n 1 k=0 ( 1 t 1 φ (λt) k k! λ (λt)n 1 (n 1)! ) e λt β β ( δ δ 1 t δ ( ) t µ)2 ln t µ 1 (ln σ 2πσt e 2σ 2 ր t λ ) β 1 β δ t nicht monoton λ( ) 1 β +1 λ 1/β n λ δ β+1 ( ) ( ) 2 Γ 2 β +1 Γ 1 β +1 λ 2/β n λ 2 βδ 2 (β+1) 2 (β+2) ( e µ+ σ 2 2 e 2µ+σ2 e σ2 1 Häufig werden auch Verteilungen verwendet, die um einen Parameter t 0 mehr enthalten, wenn man z.b. weiß, dass ein Ausfall mit Sicherheit erst nach einer gewissen Zeit t 0 auftritt, und X t 0 die entsprechende Verteilung hat. 2.2.1 Exponentialverteilung Die Exponentialverteilung hat viele schöne Eigenschaften (vgl. [4], 4.2). 1. Nichtalterungseigenschaft: Sei X negativ exponentialverteilt, dann gilt P [X t + h X t] = P [X h] t 0, h 0 2. Die Exponentialverteilung ist die einzige stetige Verteilung mit der Nichtalterungseigenschaft. 3. Sei X negativ exponentialverteilt mit Parameter λ, dann gilt E[X s ] = λ s Γ (s + 1), also E[X] = λ 1, V[X] = λ 2, Variationskoeffizient V[X] / E[X] = 1 4. Skalierungsinvarianz: X E (λ) λ X E (1) Die Familie der zweiparametrigen Exponentialverteilungen ist sogar skalierungs- und lageinvariant. 5. Seien X 1, X 2,..., X n vollständig unabhängig und X i E (λ i ), dann gilt (für die Lebensdauer eines Seriensystems) ( n ) min {X 1, X 2,...,X n } E λ i. 6. Seien X 1, X 2,..., X n vollständig unabhängig und X i E (λ), dann gilt 2λ n X i χ 2 (2n), n X i ER(n, λ) Man beachte, dass es sich beim letzteren um die Verteilung der Lebensdauer eines Systems mit einer Komponente im Betrieb und n 1 Reservekomponenten handelt. )

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 11 7. Seien X 1, X 2,..., X n vollständig unabhängig und X i E (λ) und X (1), X (2),..., X (n) seien die zugehörigen Ordnungsstatistiken (X 1, X 2,..., X n der Größe nach sortiert), dann gilt X (1), X (2) X (1),..., X (n) X (n 1) sind vollständig unabhängig und exponentialverteilt, wobei P [ X (k) X (k 1) t ] = e (n k+1)λt t 0, k = 1, 2,...,n. Man beachte, dass diese Zufallsvariablen bei einem Lebensdauertest auftreten. 8. Seien X 1, X 2,..., X n vollständig unabhängig und X i E (λ) und X (r) sei die r-te Ordnungsstatistik mit X (0) = 0, dann gilt für r = 1,...,n E[X (r) ] = 1 λ r k=1 V[X (r) ] = 1 λ 2 r k=1 1 n k + 1, 1 (n k + 1) 2. 9. Seien X 1, X 2,..., X n vollständig unabhängig und X i E (λ i ), dann gilt 2.2.2 Weibullverteilung 2 n λ i X i χ 2 (2n). Die Weibullverteilung 6 wurde Ende der 40er Jahre vom schwedischen Ingenieur Weibull zur Beschreibung der Lebensdauern von Verschleißteilen vorgeschlagen. Sie war jedoch schon vorher von Wissenschaftern der Universität Freiberg entdeckt worden und ist daher in der montanwissenschaftlichen Literatur als Rosin/Rammler-Verteilung bekannt. 1. Die Familie der Weibullverteilungen ist skalierungsinvariant. Ist etwa X W (λ, β) verteilt, so ist λ 1/β X W (1, β) verteilt. Der Parameter β ist der eigentliche Formparameter, die Größe λ 1/β ist lediglich ein Skalenparameter. 2. Mit Hilfe der Weibullverteilung können alternde (β > 1) und verjüngende (β < 1) Systeme beschrieben werden. 3. Besteht ein System aus sehr vielen unabhängigen hochzuverlässigen Komponenten mit negativ exponentialverteilten Lebensdauern und braucht es zu seiner Funktion eine vorgegebene Anzahl von intakten Komponenten, wobei defekte nicht ersetzt werden, so ist seine Lebensdauer näherungsweise Weibullverteilt mit β > 1, siehe [3] Seite 36. 6 Achtung: Die Angabe der Parameter (Reihenfolge, λ ersetzt durch λ 1/β ) einer Weibullverteilung ist in der Literaur sehr unterschiedlich, vgl. auch Mathematica. Man muss immer genau prüfen, welche Parameter gemeint sind.

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 12 4. Die Weibullverteilung ist eine Extremwertverteilung in folgendem Sinn: Sind X 1, X 2,... unabhängige Zufallsvariablen mit der Eigenschaft P [X k t] = ct d (1 + o (1)) für t > 0 in der Nähe von 0 und c, d > 0 und gilt weiters Z n = n 1/d min {X 1,...,X n }, so kann man zeigen, dass Z n in Verteilung gegen eine Zufallsvariable Z mit Verteilung W (c, d) konvergiert. 5. Sind X k W (λ k, β) unabhängige Zufallsvariablen und λ = n k=1 λ k, so gilt min {X 1,...,X n } W (λ, β). 6. Ist X W (λ, β) verteilt, so heißt die Verteilung von lnx Extremwertverteilung vom Typ III. Die Familie dieser Verteilungen ist skalierungs- und lageinvariant. Beweis Einerseits gilt P [lnx < t] = P [X < exp(t)] λ(exp t)β = 1 e = 1 e λexp(βt) und andererseits für σ > 0 [ ( )] t µ P [σ lnx + µ < t] = P X < exp σ t µ = 1 e λ(exp( σ )) β µβ λ = 1 e exp( σ )exp( β t) σ, was offensichtlich dieselbe Gestalt wie der obige Ausdruck hat. 2.2.3 Erlangverteilung Bei der Erlangverteilung ist n ein Formparameter und λ ein Skalenparameter. Sind X 1, X 2,..., X n vollständig unabhängig und X i E (λ), dann gilt n X i ER(n, λ). Man beachte, dass es sich hier um die Verteilung der Lebensdauer eines Systems mit einer laufenden Komponente und n 1 Reservekomponenten handelt. Eine solche Lebensdauer tritt aber auch dann auf, wenn auf ein System Schocks eintreffen, die einem Poissonprozess mit Intensität λ gehorchen, und das System beim n-ten Schock zerstört wird. Eine Verallgemeinerung der Erlangverteilung ist die Gammaverteilung, sie ist allerdings im Vergleich zur Weibullverteilung weniger populär, weil die Überlebenswahrscheinlichkeit keine so einfache Gestalt hat. Zur Klasse der Gammaverteilungen gehört auch die χ 2 -Verteilung. 2.2.4 Potenzverteilung Bei der Potenzverteilung ist β ein Formparameter und δ ein Skalenparameter, für δ = β = 1 ergibt sich die Gleichverteilung im Intervall [0, 1]. Eine PT (β, δ) verteilte Lebensdauer endet mit Sicherheit vor dem Zeitpunkt δ.

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 13 2.2.5 Logarithmische Normalverteilung Die logarithmische Normalverteilung wird vor allem als Verteilung von Reparaturdauern verwendet, sie beschreibt aber auch die Einsatzdauern von Fahrzeugen pro Jahr. Ist X normalverteilt, so ist e X logarithmisch normalverteilt. Ist nicht bekannt, zu welcher Klasse eine Lebensdauerverteilung gehört, so versucht man, wenigstens den Typ der Ausfallrate, ob fallend oder steigend, herauszufinden. Bei Vorliegen eines gewissen Typs können nämlich Abschätzungen mithilfe der Exponentialverteilung herangezogen werden, wobei lediglich die Kenntnis gewisser Momente erforderlich ist. 2.2.6 IFR- (DFR-) Verteilungen Man sagt, eine Verteilungsfunktion F ist eine IFR- (DFR-) Verteilung, wenn F (t, τ) für jedes τ > 0 in t streng monoton steigt (fällt). IFR (increasing failure rate) bzw. DFR (decreasing failure rate) bedeutet für die Ausfallrate, dass sie streng monoton steigt bzw. fällt. Beispiele IFR: Exponentialverteilung, Weibullverteilung mit β 1, Erlangverteilung, Potenzverteilung DFR: Exponentialverteilung, Weibullverteilung mit β 1 Weisen alle Komponenten eines Seriensystems aus unabhängigen Komponenten eine Lebensdauerverteilung vom selben Typ auf, so hat die Lebensdauerverteilung des Systems denselben Typ. Sind X 1, X 2,..., X n unabhängige Zufallvariablen, so heißt die Zufallsvariable Y eine Mischung von X 1, X 2,..., X n, falls es α 1, α 2,..., α n > 0 gibt mit n α i = 1 und n P [Y < t] = α i P [X i < t]. Die Verteilungsfunktion von Y ist also Konvexkombination der Verteilungsfunktionen der X i. Dieselbe Beziehung gilt auch für die Überlebens- und die Dichtefunktionen. Eine Mischung tritt z.b. auf, wenn etwa in einer Firma gleichartige Bauteile auf verschiedenen Maschinen erzeugt werden, sodass sich abhängig davon unterschiedliche Lebensdauern ergeben. Eine Mischung von exponentialverteiten Zufallsvariablen hat eine DFR-Verteilung. Beweis Sei X i E (λ i ) und Λ eine Zufallsvariable mit P [Λ = λ i ] = α i und n α i = 1, dann gilt n F Y (t) = P [Y t] = α i P [X i t] = n α i e λit = E [ e Λt].

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 14 Für die Ausfallrate ergibt sich d dt λ Y (t) = d2 dt 2 ln( FY (t) ) = d2 dt 2 ln( E [ e Λt]) = E[ Λ 2 e Λt] E [ e Λt] ( E [ Λe Λt]) 2 0, (E[e Λt ]) 2 wobei die letzte Gleichheit folgt, indem man die Ableitung in den Erwartungswert hineinzieht, und die Ungleichheit aus der Cauchy-Schwarz-Ungleichung 7. Abhängig vom Typ der Lebensdauerverteilung, gibt es verschiedene Abschätzungen für die Überlebenswahrscheinlichkeit. Bezeichnet µ k := E[X k ], so gilt etwa 8 für eine IFR- Verteilung und für eine DFR-Verteilung F X (t) e t µ µ 2 2µ 2 +1 F X (t) e t ( k! µ k ) 1/k für t µ 1/k k 0 für t > µ 1/k k { e t µ für t µ µ et für t > µ. Liegen die Schranken nahe beisammen, so kann die Überlebenswahrscheinlichkeit gut abgeschätzt werden. 7 E [ V 2] E [ W 2] (E[V W]) 2 0 8 Der Beweis ist nicht trivial.

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 15 2.3 Lebensdauerschätzungen Es gibt viele Schätz- und Testmethoden, die dazu dienen, die Zuverlässigkeit eines Systems festzustellen. Man unterscheidet Lebensdauerschätzungen (dauert lang, daher zensurierte Daten, eventuell Beschleunigungsmodell), Restlebensdauerschätzungen (Wann soll man erneuern?), Tests unter Grenzbelastungen, Qualitätsüberwachung. Man unterscheidet die Untersuchungsmethoden auch hinsichtlich folgender Aspekte: Destruktive und nicht destruktive Methoden Tests im Labor oder in der tatsächlichen Umgebung (simuliert oder echt) Analysen auf verschiedenen Levels (Tests für Komponenten, Teilsysteme verschiedener Größe, ganze Systeme) Untersuchungsmethoden abhängig von ihrem Zweck 2.3.1 Maximum-Likelihood-Schätzer Bei einem Schätzproblem kennt man eine Stichprobe x 1,...,x n (von Lebensdauern), wobei von den zugehörigen unabhängigen und identisch verteilten Zufallsvariablen X 1,...,X n nur bekannt ist, dass ihre Verteilung aus einer Familie von Verteilungen stammt, die durch einen Parametervektor θ R p parametrisiert ist. Die Verteilungsfunktion von X i wird mit F Xi ( θ) bezeichnet. Ein Schätzer θ für θ heißt erwartungstreu (oder unverzerrt), wenn E( θ) = θ gilt. Eine Folge [ von Schätzern θ (X 1,...,X ] n ) n N für θ heißt konsistent, wenn für alle ε > 0 gilt lim P θ (X 1,...,X n ) θ < ε = 1. n Der Maximum-Likelihood-Schätzer für θ für das Datenmaterial {x 1,...,x n } ist jener Wert θ, der die Likelihood-Funktion L(x 1,...,x n θ) = n f Xi (x i θ) maximiert. Dabei entspricht die Likelihood-Funktion L(x 1,...,x n θ) der Wahrscheinlichkeit, dass bei Vorliegen von θ die Stichprobe x 1,...,x n auftritt. Ein Maximum- Likelihood-Schätzer ist nicht notwendigerweise erwartungstreu. Gegeben sei ein Schätzproblem und seine Likelihood-Funktion L(x 1,...,x n ) : R p R. Dann heißt die p p-matrix ( ]) I (θ) = E [ 2 lnl(x 1,...,X n θ) θ i θ j 1 i,j p die Fisher sche Informationsmatrix von X 1,...,X n. Der Maximum-Likelihood-Schätzer θ für θ ist asymptotisch normalverteilt mit Erwartungswertvektor θ und Kovarianzmatrix I 1 (θ) (ohne Beweis; weitere asymptotische Eigenschaften siehe [4] Kapitel 7). Die (näherungsweise) Kenntnis der Verteilung von θ ermöglicht es, einen Test auf Vorliegen eines gegebenen Parameters zu machen und/oder

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 16 ein Konfidenzintervall zu konstruieren. In jedem Fall wird man sich aber mit einem Schätzer für I (θ) zufrieden geben müssen. Die sogenannte geschätzte Informationsmatrix [ ( ) ] O( θ) := 2 lnl(x 1,...,x n θ) θ i θ j 1 i,j p θ= θ ist für viele Verteilungen, insbesondere für die Exponentialverteilung, ein konsistenter Schätzer für I (θ). Exponentialverteilung - vollständiger Datensatz Gegeben seien Realisierungen x 1, x 2,...,x n von unabhängigen Zufallsvariablen X 1,...,X n, die alle exponentialverteilt sind mit unbekanntem Parameter λ. Für λ sind ein Schätzer und ein Konfidenzintervall gesucht. Für die logarithmierte Likelihood-Funktion ergibt sich n lnl(x 1,...,x n λ) = ln(f Xi (x i λ)) = n ( ) ln λe λx i = n ln(λ) λ Durch Extremwertbestimmung erhalten wir als Schätzer für λ λ (x 1,...,x n ) = n n. x i Man beachte, dass es sich bei n x i. n x i um die Gesamtzeit für den Test handelt. Um ein Konfidenzintervall für λ zu bestimmen, benötigen wir die Eigenschaft 6. der Exponentialverteilung, dass nämlich 2λ n X i χ 2 (2n) gilt. Bezeichnen wir nun mit χ 2 α (2n) das α-quantil der χ 2 -Verteilung, dann gilt [ ] n 1 α = P χ 2 α (2n) 2λ X i χ 2 1 α (2n) 2 2 [ ] = P χ 2 2nλ α (2n) 2 λ (X 1,...,X n ) χ2 1 α (2n). 2 Ein Konfidenzintervall mit Niveau 1 α für den Parameter λ ist also [ λ (X1,...,X n ) χ 2 α (2n), λ ] (X 1,...,X n ) χ 2 1 2n 2 2n α (2n). 2 Durch einfaches Umformen erhält man auch für die Überlebenswahrscheinlichkeit F X (t) = exp( λt) ein Konfidenzintervall mit Niveau 1 α nämlich [ ( ) ( )] 1,...,X n ) exp t λ(x χ 2 (X 1,...,X n ) 1 2n α (2n), exp t λ χ 2 α (2n). 2 2n 2

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 17 2.3.2 Maximum-Likelihood-Schätzer für zensurierte Daten In der Praxis wird man oft nicht so lange warten, bis alle Systeme ausgefallen sind, d.h. man wird nicht alle Realisierungen der zufälligen Lebensdauern kennen. Es liegt also ein zensuriertes Datenmaterial vor. Setzt man eine zeitliche Grenze fest, bei der das Experiment beendet wird, selbst wenn noch einige Systeme intakt sind, so handelt es sich um rechtsseitig zensurierte Daten. Dabei werden die Ausfälle von Anfang an bis zu einem fixen oder zufälligen Zeitpunkt beobachtet. Man unterscheidet 3 Arten von rechtsseitiger Zensurierung. Zensurierung nach der Ordnungsstatistik (Typ-II-Zensurierung): Das Experiment wird beim r-ten Ausfall beendet. Dabei ist die Gesamtdauer des Experiments zufällig. Zensurierung zu einem fixen Zeitpunkt (Typ-I-Zensurierung): Das Experiment wird zum fixen Zeitpunkt c abgebrochen. Hier ist die Anzahl der Ausfälle zufällig. Auch die Gesamtdauer des Experiments ist zufällig, aber nach oben beschränkt. Zufällige Zensurierung: Jedes System i wird bis zu einem zufälligen Zeitpunkt C i beobachtet. Üblicherweise nimmt man an, dass die Lebensdauer T i und C i unabhängige Zufallsvariablen sind. Viel seltender als rechtsseitig zensurierte Daten trifft man auf linksseitig zensurierte Daten, etwa wenn bei einem (wissenschaftlichen) Experiment Lebensdauern auftreten, die so kurz sind, dass sie von den Messgeräten nicht erfasst werden können. Analog können auch beidseitig zensurierte Daten auftreten. Eine andere Art der Zensurierung ist die sogenannte Intervallzensurierung. Sie tritt etwa dann auf, wenn die Systeme nur in bestimmten periodischen Intervallen überprüft werden. Findet man ein System defekt vor, so weiß man lediglich, dass es irgendwann seit der letzten Überprüfung ausgefallen ist. Die Likelihood-Funktion für rechtsseitig zensurierte Daten Gegeben seien die Zeitpunkte der rechtsseitigen Zensurierung c 1, c 2,...,c n für die Beobachtungen (im Fall der Typ I Zensurierung etwa gilt c 1 = c 2 =... = c n = c). Weiters seien die unabhängigen und identisch mit Parameter θ R p verteilten Zufallsvariablen Y 1,...,Y n gegeben, die zensuriert sind, d.h. es gilt X i = min {Y i, c i }. Seien nun x 1, x 2,...,x n Realisierungen von X 1,...,X n. Der Datenpunkt x i stimmt also mit der Lebensdauer des i-ten Systems überein, wenn diese kürzer ist als c i, und wird sonst auf c i gesetzt. Wir definieren zuerst die Mengen U = {i x i < c i }, C = {i x i = c i }, die die Indizes der ausgefallenen Systeme (unzensuriert) bzw. der überlebenden Systeme (zensuriert) beinhalten. Mit Hilfe von U und C stellen wir nun die Likelihood-Funktion unseres Datensatzes auf. L(x 1,...,x n θ) = i U f Xi (x i θ) i C F Xi (x i θ).

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 18 Durch Logarithmieren und Einsetzen von f X (x) = λ X (x) F X (x) bzw. 9 FX (x) = exp( Λ X (x)) ergibt sich lnl(x 1,...,x n θ) = ln(f Xi (x i θ)) + ln ( F Xi (x i θ) ) i U i C = n ln(λ Xi (x i θ)) + ln ( F Xi (x i θ) ) i U = n ln(λ Xi (x i θ)) Λ Xi (x i θ). i U Je nachdem welche der Kenngrößen f T, F T, λ T und Λ T der Verteilung man zur Verfügung hat, wird man die geeignete Darstellung verwenden. Exponentialverteilung - Typ-II-zensurierte Daten Ein Lebensdauertest von n Systemen, deren Lebensdauern Y 1,...,Y n unabhängig und exponentialverteilt mit unbekanntem Parameter λ sind, wird nach dem r-ten Ausfall abgebrochen. Für λ sind ein Schätzer und ein Konfidenzintervall gesucht. Die (in diesem Fall zufälligen) Zeitpunkte c i der Zensurierung sind für alle Systeme gleich Y (r), also erhalten wir X i = min { Y i, Y (r) }. Liegt nun die Stichprobe x1, x 2,...,x n vor, so erhalten wir für die logarithmierte Likelihood-Funktion lnl(x 1,...,x n λ) = i U ln(λ) λ n x i = r ln(λ) λ((n r)x (r) + r x (i) ). Durch Extremwertberechnung erhalten wir den Maximum-Likelihood-Schätzer für λ λ = Man beachte, dass es sich bei r n x i = r (n r)x (r) + r x (i) n x i um die Gesamtzeit für den Test handelt. Um ein Konfidenzintervall für λ zu bestimmen, benötigen wir zunächst die Eigenschaft 7. der Exponentialverteilung. Es gilt nämlich für die Ordnungsstatistiken Y (0) = 0, Y (1), Y (2),..., Y (n), dass die Differenzen aufeinanderfolgender Ordnungsstatistiken vollständig unabhängig und exponentialverteilt sind, d.h. für k = 1, 2,..., n gilt Y (k) Y (k 1) E ((n k + 1) λ). Damit folgt (vgl. Eigenschaft 9. der Exponentialverteilung) 2λ( r X (j) + (n r)x (r) ) χ 2 (2r). j=1 x 9 Mit Λ X (x) := λ X (ξ) dξ bezeichnen wir die kumulierte Ausfallsrate. 0.

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 19 Mit dieser Aussage können wir nun ein Konfidenzintervall herleiten. Es gilt [ ] r 1 α = P χ 2 α (2r) < 2λ( X 2 (i) + (n r)x (r) ) < χ 2 1 α (2r) = 2 [ = P χ 2 α (2r) < 2rλ ] 2 λ < χ2 1 α (2r). 2 Ein Konfidenzintervall mit Niveau 1 α für den Parameter λ ist also [ λ 2r χ2 α (2r), λ ] 2 2r χ2 1 α (2r). 2 Man beachte, dass bei gleichem ˆλ das Konfidenzintervall nicht von der Gesamtzahl n der Systeme abhängt. In einem Lebensdauertest mit r Systemen, bei dem man wartet, bis alle ausgefallen sind, erhält man also ˆλ mit derselben Genauigkeit wie bei einem Test mit n Systemen, bei dem nach dem r-ten Ausfall abgebrochen wird. Man braucht also n r Systeme mehr, um die gleiche Genauigkeit der Schätzung zu erhalten. In der Praxis heißt dies: Das Kapital, das man durch eine kürzere Versuchszeit spart, muss zumindest teilweise in einen höheren Materialeinsatz investiert werden. Exponentialverteilung - Typ-I-zensurierte Daten Ein Lebensdauertest von n Systemen, deren Lebensdauern Y 1,...,Y n unabhängig und exponentialverteilt mit unbekanntem Parameter λ sind, wird zu einem fixen Zeitpunkt c abgebrochen. Für λ sind ein Schätzer und ein Konfidenzintervall gesucht. Die (in diesem Fall fixen) Zeitpunkte c i der Zensurierung sind für alle Systeme gleich c, also erhalten wir X i = min {Y i, c}. Von den ursprünglich n vorhandenen Systemen sind bis zum Zeitpunkt c eine zufällige Anzahl R ausgefallen. Liegt nun die Stichprobe x 1, x 2,...,x n vor, wobei vor c eine Anzahl von r Systemen ausgefallen sind, so erhalten wir für die logarithmierte Likelihood-Funktion lnl(x 1,..., x n λ) = i U = r lnλ λ lnλ Xi (x i, λ) n x i n Λ X (x i, λ) Für den Schätzer ergibt sich daraus dieselbe Formel wie bei der Typ-II-Zensurierung Auch hier handelt es sich bei λ = r n x i. n x i um die Gesamtzeit für den Test. Auch das Konfidenzintervall für λ führt man heuristisch auf das der Typ-II-Zensurierung zurück, indem man annimmt, man hätte statt c den Zeitpunkt X (r) oder X (r+1) gewählt (siehe [4] 8.2).

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 20 Exponentialverteilung - zufällig zensurierte Daten Ein Lebensdauertest von n Systemen, deren Lebensdauern Y 1,...,Y n unabhängig und exponentialverteilt mit unbekanntem Parameter λ sind, wird für jedes System i zu einem zufälligen Zeitpunkt C i abgebrochen, wobei C 1,...,C n unabhängig und unabhängig von Y 1,...,Y n sind. Für λ sind ein Schätzer und ein Konfidenzintervall gesucht. In diesem Fall gilt X i = min {Y i, C i }. Von den ursprünglich n vorhandenen Systemen sind eine zufällige Anzahl R ausgefallen. Liegt nun die Stichprobe x 1, x 2,...,x n vor, wobei eine Anzahl von r Systemen ausgefallen sind, so erhalten wir für die logarithmierte Likelihood- Funktion wie oben n lnl(x 1,..., x n λ) = r lnλ λ und daher auch wie oben λ = r n Da 1 n R X i eine Zufallsvariable ist, deren Verteilung in der Regel analytisch nicht zugänglich ist, behilft man sich bei der Bestimmung eines Konfidenzintervalls mit asymptotischen Aussagen. Man weiß, dass λ asymptotisch normalverteilt ist mit Erwartungswert λ und Varianz ( ]) 1 I (λ) 1 = E [ 2 λ 2 lnl(x 1,...,X n θ) ( [ ]) R 1 = E λ 2 = λ2 E[R]. Näherungsweise erhält man daher für den Schätzer ˆλ eine Normalverteilung mit Erwartungswert λ und Varianz O(ˆλ) 1 = ˆλ 2 r. Übung: Likelihoodfunktion für links und rechts zensurierte Daten Beispiel - Vergleich der verschiedenen Konfidenzintervalle An einer Anzahl von 21 Patienten wurde ein Medikament getestet. Man nimmt an, dass dessen Verweilzeit im Körper negativ exponentialverteilt ist. Bei insgesamt 9 Patienten konnte das Medikament vor Ablauf der Beobachtungszeit nicht mehr nachgewiesen werden. Die gesamte Studie dauerte 359 Wochen. Für den Parameter λ der Exponentialverteilung sind ein Schätzer und ein Konfidenzintervall gesucht. Für den Schätzer erhalten wir λ = r n x i. = 9 = 0.0 251. 359 x i Im Mittel verweilt das Medikament also ca. 40 Wochen im Körper. x i

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 21 Als 95%-Konfidenzintervall für λ bei Typ-II-Zensurierung ergibt sich 0.0115 = λχ 2 2.5 (18) 18 < λ < λχ 2 97.5 (18) 18 = 0.0439. Die erwartete Verweilzeit liegt also in diesem Fall mit 95%-iger Sicherheit zwischen etwa 23 und 87 Wochen. Berechnet man das 95%-Konfidenzintervall für λ mit Hilfe der asymptotischen Normalverteilung von ˆλ, so ergibt sich λ λ N (0, 1), O 1 2( λ) ungefähr wobei O(ˆλ) 1 = ˆλ 2 r der Schätzer für die Varianz von ˆλ ist. Bezeichnen wir mit n α das α-quantil der Standardnormalverteilung, so gilt mit 95%-iger Sicherheit 0.0087 = λ n 97.5 ˆλ 9 < λ < λ + n 97.5 ˆλ 9 = 0.0415, was einer mittleren Verweilzeit zwischen 24 und 115 Wochen entspricht. Man beachte, dass man auch mit Hilfe des Maximum-Likelihood-Quotiententests ein Konfidenzintervall konstruieren hätte können. Wiederholung: Maximum-Likelihood-Quotiententest Weibullverteilung - rechtsseitig zensurierte Daten Wir wollen nun einen Maximum-Likelihood-Schätzer für die Parameter der Weibullverteilung gewinnen. Liegt die Stichprobe x 1,...,x n mit r unzensurierten Werten vor, so hat die logarithmierte Likelihood-Funktion hier die Gestalt lnl(x 1,...,x n (λ, β)) = i U = i U ln(λ Xi (x i (λ, β))) + ( ln λβx β 1 i ) + n ln ( F Xi (x i (λ, β)) ) n ( ln e λxβ i = r lnλ + r lnβ + (β 1) i U Das optimale Paar (ˆλ, ˆβ) muss die beiden Gleichungen 0 = rˆλ n 0 = rˆβ + i U xˆβ i lnx i ˆλ n xˆβ i lnx i ) lnx i λ n x β i.

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 22 erfüllen. Berechnet man aus der ersten Gleichung ˆλ und setzt es in die zweite ein, so erhält man eine nichtlineare Gleichung für ˆβ, die numerisch etwa mit dem Newtonverfahren 10 leicht zu lösen ist. Als Startwert lässt sich das durch die graphische Methode (siehe unten) gefundene β verwenden. Ein asymptotischer Konfidenzbereich läßt sich mit Hilfe der beobachteten Fisher schen Informationsmatrix bestimmen. Es gilt ) O (ˆλ, ˆβ = r ˆλ 2 n xˆβ i lnx i n xˆβ i lnx i r + ˆλ n xˆβ ˆβ 2 i (lnx i) 2 Häufig werden auch die Logarithmen der Lebensdauern verwendet und die Parameter der entsprechenden Extremwertverteilung geschätzt. Beispiel: Lebensdauern von Kugellagern vgl.[4] E 8.16 (E 8.1) 2.3.3 Graphische Methoden i Diese Methoden beruhen darauf, dass man, wenn man eine Verteilungsfunktion F X (t) auf einem geeigneten Papier aufträgt, eine Gerade erhält. Sie sind bei IngenieurInnen auch heute noch relativ weit verbreitet und dienen in erster Linie einer ersten Orientierung und wie etwa bei der Weibullverteilung der Gewinnung von Startwerten. Im Fall einer Exponentialverteilung, d.h. F X (t) = 1 e λt wird ln(1 F X (t)) gegen t aufgetragen. Man erhält eine Gerade durch den Ursprung mit Steigung λ. Soll nun aus einem Datenmaterial mit den beobachteten Lebensdauern x (1) <... < x (n) der Parameter λ ( geschätzt werden, so wird gegen x (i) auf der waagrechten Achse ln 1 ˆF ( ) ) X x(i) senk- ( ) recht aufgetragen, wobei ˆFX x(i) = n+1 ungefähr der empirischen Verteilungsfunktion entspricht, und die Regressionsgerade durch den Ursprung eingezeichnet. Den Schätzwert für 1/λ liest man auf der waagrechten Achse beim Funktionswert 1 ab. (Folie) Im Fall einer Weibullverteilung, d.h. F X (t) = 1 e λtβ wird analog ln ( ln(1 F X (t))) gegen lnt aufgetragen. Man erhält eine Gerade durch den Ursprung mit Steigung β und Achsenabschnitt lnλ. Näheres siehe [1] 9.4. 2.4 Strukturierte Systeme Wir nehmen nun an, ein System bestehe aus n unabhängigen Elementen (Teilsystemen) mit den Lebensdauern X i, deren Verteilungen man kennt. Gesucht ist die Verteilung der Lebensdauer X des Systems. Diese hängt von der Struktur des Systems ab. Im einfachsten Fall handelt es sich um Seriensysteme, Parallelsysteme oder k-aus-n-systeme. 10 In Mathematica leistet der Befehl FindRoot das Gewünschte..

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 23 2.4.1 Seriensystem Für die Lebensdauer X s eines Seriensystems gilt X s = min {X 1,...,X n }, das System ist nur solange intakt, solange alle Elemente intakt sind. Aus der Unabhängigkeit der Elemente folgt die Produktformel F Xs (t) = n F Xi (t) für die Überlebenswahrscheinlichkeit. Die Ausfallrate des Seriensystems kennen wir bereits, sie ist die Summe der Ausfallraten der Elemente. Durch Seriensysteme können nicht nur in naheliegender Weise in Serie geschaltete Komponenten modelliert werden, die durch Unterbrechung des Stromkreises ausfallen, sondern alle Systeme, bei denen ein Systemausfall durch n unabhängige global wirksame Ursachen zustande kommen kann. Aufgabe Man schätze die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Seriensystems ab, wenn man weiß, dass die Lebensdauern der Elemente einer IFR-Verteilung genügen, und ihre Erwartungswerte bekannt sind. 2.4.2 Parallelsystem Für die Lebensdauer X p eines Parallelsystems gilt X p = max {X 1,...,X n }, das System ist solange intakt, solange zumindest ein Element intakt ist. Es fällt dann aus, wenn alle Elemente ausfallen. Aus der Unabhängigkeit der Elemente folgt hier die Produktformel F Xs (t) = n F X i (t) für die Ausfallwahrscheinlichkeit. Parallelsysteme dienen zur Modellierung von Systemen, bei denen es zu einem Arbeitselement n 1 Reserveelemente gibt, die beim Ausfall dessen Funktion übernehmen, falls sie nicht selbst früher ausfallen. Eine elektrische Parallelschaltung muss vom zuverlässigkeitstheoretischen Standpunkt aus nicht unbedingt ein Parallelsystem sein. Fallen die Elemente etwa durch Kurzschluss aus, so entsteht in der Parallelschaltung ein Kurzschluss, sobald mindestens ein Element ausgefallen ist. Aus der Sicht der Zuverlässigkeitstheorie handelt es sich damit um ein Seriensystem. Aufgabe Man berechne die mittlere Lebensdauer eines Parallelsystems aus n unabhängigen Komponenten mit exponentialverteilter (Parameter λ ) Lebensdauer. Wieviele Elemente braucht man im Parallelsystem, um die mittlere Lebensdauer zu verdreifachen? Aus wievielen Komponenten mit exponentialverteilter (Parameter λ) Lebensdauer muß ein Parallelsystem mindestens bestehen, wenn es im Intervall [ 0, λ] 1 mit 95% Wahrscheinlichkeit nicht ausfallen soll.

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 24 2.4.3 Redundante Systeme Parallelsysteme können nun insofern verallgemeinert werden, als die Reserveelemente nicht die ganze Zeit in Betrieb sein müssen. Man unterscheidet dabei heiße, warme und kalte Reserve. Man spricht auch von belasteter, erleichterter und unbelasteter Redundanz. Die Elemente können selbst auch wiederum Teilsysteme sein, zu denen es eine Reserve gibt. Die Anzahl der Elemente im Parallelsystem heißt Maßstab der Redundanz. Ein höherer Maßstab liefert bei gleicher Anzahl von Elementen im System in der Regel zwar eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit, erfordert aber weniger (fehleranfällige) Umschaltvorgänge und ist technisch leichter zu realisieren. Häufig sind auch k-aus-n-systeme anzutreffen, die aus n Elementen mit identisch verteilten Lebensdauern X 1,...,X n bestehen und genau dann intakt sind, wenn zumindest k Elemente intakt sind. Für die Überlebenswahrscheinlichkeit des k-aus-n-systems gilt F X (t) = n j=k ( ) n F X1 (t) j F X1 (t) n j. j Für exponentiell verteilte Lebensdauern X i E (λ) wird die erwartete Lebensdauer eines k-aus-n-systems wie folgt berechnet: E[X] = 0 F X (t)dt n ( ) n ( = e λtj 1 e λt) n j dt j j=k 0 n ( ) n 1 = z j (1 z) n j 1 j j=k 0 λz dz = 1 n 1 λ j. j=k Ein typisches Beispiel für ein k-aus-n-system dient etwa zur Überwachung eines schwer messbaren Parameters, wobei n Sensoren (die bei der Messung relativ leicht kaputt gehen können) den Parameter messen und einem Auswahlelement mitteilen. Sind zumindest k Messwerte (abgesehen von Messfehlern) ident, so wird dieser Wert als wahrer Wert angesehen und zum Systemausgang geschaltet. Diejenigen Sensoren, die falsche Meßwerte liefern, werden instandgesetzt. Man spricht von Majoritätsschaltungen, wenn k > n 2 gilt. Häufig werden 2-aus-3- Systeme verwendet. 2.5 Spezielle Modelle 2.5.1 Competing Riscs Dieses Modell wird verwendet, wenn es für einen Systemausfall verschiedene Ursachen gibt, etwa, wenn ein elektrisches Gerät durch Kurzschluss oder Stromausfall ausfallen kann. So

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 25 kann durch Kombination mehrerer unabhängiger Ausfallursachen eine Ausfallrate entstehen, die sich als Summe der einzelnen Ausfallraten ergibt. Auf diese Art kann man auch die Badewannenkurve erreichen. Betrachtet man die Ausfälle durch den Fehler j (j = 1,...,k nicht unbedingt unabhängig), so muss man zwischen den potentiellen Lebensdauern ( net lives ) und den beobachteten Lebensdauern ( crude lives ) unterscheiden. Die potentielle Lebensdauer (bezeichnet mit X j ) würde erreicht, wenn es nur den Fehler j gäbe. Sie wird aber nur dann beobachtet, wenn der Fehler j vor allen anderen Fehlern zum Ausfall führt. Die beobachtete Lebensdauer mit Fehler j bezeichnen wir mit Y j. Mit T = min {X 1,...,X k } bezeichnen wir die Lebensdauer des Systems (mit einem beliebigen Fehler). Mit π j = P [T = X j ] die Fehlerwahrscheinlichkeit für den Fehler j. Wie man aus F Yj (t) = P [X j < t T = X j ] = P [T < t T = X j ], k k F T (t) = P [T < t, T = X j ] = π j F Yj (t) j=1 sieht, sind die Verteilungen der Y j aus der gemeinsamen Verteilung der X i leicht zu bestimmen. Die Verteilung von T ist durch die Verteilungen der Y j und die Fehlerwahrscheinlichkeiten festgelegt. Die umgekehrte Richtung, nämlich die Verteilungen der X i aus den Verteilungen der Y j zu berechnen, ist nur möglich, wenn die X i vollständig unabhängig sind. Dann gilt für die Ausfallrate π i f Yi (t) λ Xi (t) = k j=1 π j F Yj (t). j=1 Man beachte, dass im Nenner gerade F T (t) steht. Beweis Wir berechnen zuerst k π j FYj (t) = F k T (t) = P [X j t], j=1 j=1 π i f Yi (t)dt = P [T = X i ] P [Y i [t, t + dt[] = P [T = X i ] P [X i [t, t + dt[ T = X i ] = P [X i [t, t + dt[,t = X i ] = P [X i [t, t + dt[] j i P [X j t + dt]. Daraus folgt nun π i f Yi (t) = f Xi (t) j i P [X j t] und durch Einsetzen π i f Yi (t) k j=1 π j F Yj (t) = f X i (t) j i P [X j t] k j=1 P [X j t] = f Xi (t) P [X i t]

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 26 die Behauptung. Beispiel Ein Gerät habe zwei unabhängige Ausfallursachen mit X 1 We(5, 0.5) und X 2 We(5, 3). Man bestimme die Verteilung von T, die Verteilungen von Y j und die zugehörigen Ausfallraten und Erwartungswerte. 2.5.2 Mischungen Bei einem solchen Modell nimmt man an, dass die Lebensdauer X von einem zufälligen Parameter θ abhängt, etwa, weil die Systeme auf unterschiedlichen Maschinen, bei unterschiedlicher Temperatur oder bei unterschiedlichen Verhältnissen produziert wurden. Es ergibt sich F X (t) = F X (t δ)df θ (δ), wobei F X (t δ) = P [X < t θ = δ] bezeichnet. Der Parameter θ kann eine diskrete oder eine stetige Zufallsvariable sein, er heißt Mischungsparameter. In diese Modellklasse fallen etwa endliche Mischungsmodelle, Modelle mit einem stochastischen Parameter und Bayes sche Modelle. Beispiel Eine Lebensdauer X sei mit Wahrscheinlichkeit p 1 exponentialverteilt mit Parameter λ 1 und mit Wahrscheinlichkeit p 2 exponentialverteilt mit Parameter λ 2. Man bestimme die Verteilung von X (Hyperexponential-Verteilung). Beispiel Eine Lebensdauer X sei exponentialverteilt mit Parameter Λ, wobei Λ exponentialverteilt ist mit Parameter λ. Man bestimme die Verteilung von X (Log-Logit-Verteilung). Nicht einmal bei endlichen Mischungsmodellen ist es möglich, aus der Mischungsverteilung, die zugrundeliegenden bedingten Verteilungen zu bestimmen. 2.5.3 Einfluss unterschiedlicher Lebensbedingungen Man nimmt an, die Lebensdauer X hängt von den Lebensbedingungen z ab, wobei z = o den Standardbedingungen entspricht. Ein solcher Ansatz wird dann gebraucht, wenn man etwa in verkürzter Zeit eine Lebensdauerschätzung oder einen Test durchführen will. Accelerated Life - Ansatz In diesem Fall nimmt man an, dass eine erhöhte Belastung eine Beschleunigung im zeitlichen Verlauf mit sich bringt, dass sich also im belasteten Fall die Zeit um einen gewissen

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 27 Faktor verkürzt. Man spricht von linearer Beschleunigung. Bezeichnet Ψ ( z) den Beschleunigungsfaktor, so gilt für die Lebensdauern X ( z) und X (o), und daher für ihre Ausfallwahrscheinlichkeit X ( z) = 1 Ψ ( z) X (o) F X( z) (t) = F X(o) (Ψ ( z) t). Man beachte, dass, falls wirklich eine Beschleunigung vorliegt, Ψ ( z) > 1 gelten muss. Spezielle parametrische Ansätze für Ψ ( z) werden im Folgenden beschrieben. Das Arrheniusmodell ist physikalisch motiviert und wird dann verwendet, wenn die die Lebensdauer X von der Temperatur T abhängt. Man wählt ( ) H X (T) = A exp, kt wobei A und H unbekannte Konstante sind und k die Boltzmann-Konstante. Mit ( ) H X (T 0 ) = A exp kt 0 ergibt sich ( ( H 1 X (T) = exp k T 1 )) X (T 0 ). T 0 Im Rahmen dieses Modells reicht also eine Schätzung von H aus, um die Beschleunigungsfaktoren zwischen beliebigen Temperaturen zu gewinnen. Das Eyringmodell lässt außer der Temperatur T auch andere Belastungen S zu ( ) (( H X (T, S) = A T α exp exp B + C ) ) S. kt T Die Formel wurde durch physikalisch-chemische Überlegungen aus der Quantenmechanik und der chemischen Reaktionsdynamik theoretisch hergeleitet. In diesem Zusammenhang kann H physikalisch als Aktivierungsenergie für ein Elektron interpretiert werden. Mehrere nicht thermische Belastungen S i gehen in Form weiterer Faktoren der Gestalt (( exp B i + C ) ) i S i T ein. In einem kleinen Temperaturbereich oder wenn α klein ist und außer der Temperatur keine Belastungen vorliegen, geht das Eyringmodell in das Arrheniusmodell über. Beispiel Die Lebensdauer eines elektronischen Bauteils hängt nach dem Eyringmodell von Temperatur und Spannung ab. Wie geht man beschleunigt vor, um die Lebensdauer unter Normalbedingungen zu schätzen?

KAPITEL 2. GRUNDLAGEN 28 ( ) Der statistische Ansatz setzt Ψ ( z) = exp β t z. Damit ergibt sich aus durch Logarithmieren X (o) ( ) X ( z) = exp β t z lnx (o) lnx ( z) = β 1 z 1 +... + β k z k. Man erhält also ein Regressionsmodell für lnx ( z) in Abhängigkeit von z. Proportional Hazards - Ansatz Hier wird die Proportionalität bei der Ausfallrate angenommen, d.h. λ X( z) (t) = Ψ ( z)λ X(o) (t). Aufgabe Berechnen Sie für beide Ansätze (Accelerated Life und Proportional Hazards) die anderen Kenngrößen der Verteilung von X ( z). Zum Vergleich der beiden Ansätze siehe auch [4] Seite 126.