Fachwerkträger. (Skript zur Online-Version)



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Fachwerkträger (Skript zur Online-Version) Name: Czapalla Vorname: Oliver E-Mail: czapalla@web.de Online-Version: http://www.biw.fhd.edu/partsch/diplomarbeiten/fachwerktraeger

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines 1 1.1 Was sind Fachwerke? 1 1.2 Annahmen 1 2 Begriffe und Bezeichnungen 2 2.1 Bezeichnung der Stäbe 2 2.2 Ausfachungsarten 3 2.3 Trägerformen 4 2.4 Fachwerkträger als Dachbinder 5 3 Statische Bestimmtheit 6 3.1 Formel 6 3.2 Übungsaufgabe 7 4 Bildungsgesetze 9 4.1 1. Bildungsgesetz 9 4.2 2. Bildungsgesetz 10 4.3 3. Bildungsgesetz 11 5 Nullstäbe 12 5.1 Regeln 12 5.2 Übungsaufgaben 13 6 Stabkräfte 15 6.1 Knotenpunktverfahren 15 6.1.1 Beschreibung 15 6.1.2 Rechenbeispiel 16 6.1.3 Übungsaufgabe 20 6.1.4 Lösung der Übungsaufgabe 21 6.2 Ritterschnitt 23 6.2.1 Beschreibung 23 6.2.2 Rechenbeispiel 24 6.2.3 Übungsaufgabe 26 6.2.4 Lösung der Übungsaufgabe 27 6.3 Cremona-Plan 28 6.3.1 Beschreibung 28 6.3.2 Übungsbeispiel 30 6.3.3 Übungsaufgabe 31 6.3.4 Lösung der Übungsaufgabe 32 Literaturverzeichnis 33

1 Allgemeines 1 1 Allgemeines 1.1 Was sind Fachwerke? Ein Fachwerk ist z.b. "das Haus vom Nikolaus". Ein Tragwerk besteht aus einzelnen geraden Stäben, die in Knotenpunkten miteinander verbunden sind und zur Übertragung von Lasten dienen. Die Stäbe werden nur auf Zug und Druck beansprucht. In diesem Lernprogramm werden nur ebene Fachwerke behandelt, d.h. alle Stäbe und die am Fachwerk angreifenden Kräfte und Stützkräfte, liegen in einer Ebene. 1.2 Annahmen Für die Berechnung der Fachwerke werden folgende vereinfachende Annahmen getroffen: 1. Das Fachwerk besteht nur aus starren und geraden Stäben. 2. Die Stäbe sind an den Knotenpunkten gelenkig miteinander verbunden (die Knoten sind reibungsfreie Gelenke). 3. Die Stabanschlüsse sind zentrisch, d.h. die Schwerlinien der Stäbe (Stabachsen) schneiden sich im Knotenpunkt. 4. Die Belastungen greifen als Einzellasten in den Knotenpunkten an. Das Eigengewicht der Stäbe kann auf die Knoten verteilt oder gegenüber der äußeren Belastung vernachlässigt werden.

2 Begriffe und Bezeichnungen 2 2 Begriffe und Bezeichnungen 2.1 Bezeichnung der Stäbe Die einzelnen Stäbe eines Fachwerkes unterteilt man in: äußere Gurtstäbe bilden den Umriss eines Fachwerkes und werden als - Obergurtstäbe bezeichnet, wenn sie an der Fachwerkoberseite verlaufen und - als Untergurtstäbe, wenn sie an der Fachwerkunterseite liegen. innere Füllstäbe verlaufen zwischen Ober- und Untergurt - sind es geneigte Füllstäbe, nennt man sie Diagonale oder Streben, - verlaufen sie lotrecht zwischen Ober- und Untergurt, heißen sie Ständer oder Pfosten.

2 Begriffe und Bezeichnungen 3 2.2 Ausfachungsarten Für die Ausfachung des durch Ober- und Untergurte gegebenen Umrisses eines Fachwerks gibt es mehrere Möglichkeiten: Reines Strebenfachwerk Strebenfachwerk mit Pfosten Ständerfachwerk mit fallenden Streben Ständerfachwerk mit steigenden Streben Ständerfachwerk mit zur Mitte hin fallenden Streben Ständerfachwerk mit zur Mitte hin steigenden Streben Rautenfachwerk K-Fachwerk Hilfsfachwerk

2 Begriffe und Bezeichnungen 4 2.3 Trägerformen Für Fachwerke gibt es je nach Wahl der äußeren Form und der Ausfachungsart verschiedene Bezeichnungen: Parallelträger Trapezträger Parabelträger Polygonträger Dreieckträger Fischbauchträger

2 Begriffe und Bezeichnungen 5 2.4 Fachwerkträger als Dachbinder Weitere Beispiele für Umrisse und Ausfachung von Fachwerken: Sparrendach deutscher Binder belgischer Binder englischer Binder Wiedmann-, Polonceau oder französischer Binder Säge- oder Sheddachbinder

3 Statische Bestimmtheit 6 3 Statische Bestimmtheit 3.1 Formel Lassen sich bei einem Fachwerksystem die Auflagerkräfte alleine durch die drei Gleichgewichtsbedingungen Σ H, Σ V und Σ M bestimmen, setzt dies nicht voraus, dass sich auch alle Stabkräfte durch die Gleichgewichtsbedingungen berechnen lassen. Deshalb unterscheidet man bei den Fachwerken zwischen innerer und äußerer statischer Bestimmtheit. Die äußere statische Bestimmtheit ergibt sich aus der Bestimmung der Auflagerkräfte, die innere statische Bestimmtheit aus der Bestimmung der Stabkräfte. Die innere statische Bestimmtheit eines Fachwerkes wird nach folgender Formel berechnet: s = 2k 3 s = Anzahl der Stäbe k = Anzahl der Knotenpunkte 3 entspricht der Anzahl der Gleichgewichtsbedingungen in der Ebene Somit ist ein Fachwerk für: s = 2k - 3 stabil und innerlich statisch bestimmt, s > 2k - 3 stabil aber innerlich statisch unbestimmt, wobei s - 2k + 3 den Grad der statischen Unbestimmtheit angibt. s < 2k - 3 labil und nicht im Gleichgewicht

3 Statische Bestimmtheit 7 3.2 Übungsaufgabe A B C Welche Aussagen sind richtig: 1 a) Fachwerk A ist stabil aber 1-fach innerlich statisch unbestimmt b) Fachwerk B ist instabil c) Fachwerk C ist labil Ist dieses Rautenfachwerk: 2 a) stabil und innerlich statisch bestimmt oder b) stabil aber innerlich statisch unbestimmt oder c) instabil (labil)? 1 2

3 Statische Bestimmtheit 8 Wenn man dem Fachwerk einen Stab hinzufügt, wird das System stabil und statisch bestimmt.

4 Bildungsgesetze 9 4 Bildungsgesetze Bei der Bildung statisch bestimmter ebener Fachwerke müssen bestimmte Regeln beachtet werden. Diese finden ihren Niederschlag in den sogenannten Bildungsgesetzen, die sich in drei Bereiche aufteilen lassen. 4.1 1. Bildungsgesetz An einem Stab werden zwei Stäbe, die durch einen Knoten miteinander verbunden sind, so angefügt, dass ein Dreieck entsteht. Dann schließt man zwei weitere Stäbe an zwei beliebige Knoten des vorhandenen Dreiecks an. Dies kann man beliebig fortsetzen, die zwei neuen Stäbe dürfen aber nicht in einer Geraden liegen. Bei jedem Schritt erhöht sich die Anzahl der Knoten um eins, die der Stäbe um zwei. Die Bedingung der statischen Bestimmtheit (s = 2k - 3) ist stets erfüllt.

4 Bildungsgesetze 10 4.2 2. Bildungsgesetz Zwei Fachwerke, die nach dem 1. Bildungsgesetz konstruiert wurden, werden durch 3 Stäbe miteinander verbunden. Diese Stäbe oder deren Verlängerungen dürfen sich nicht alle in einem Punkt schneiden, noch dürfen nicht alle parallel sein. An die Stelle von zwei Stäben kann auch ein beiden Fachwerken gemeinsamer Knoten treten. Jedoch darf weder der dritte Stab, noch seine Verlängerung durch den gemeinsamen Knoten gehen.

4 Bildungsgesetze 11 4.3 3. Bildungsgesetz Ein nach dem 1. oder 2. Bildungsgesetz aufgebautem Fachwerk können ein oder mehrere Stäbe herausgenommen und an anderer Stelle wieder so eingefügt werden, dass das Fachwerk wieder starr wird. Da sich dadurch weder die Anzahl der Stäbe, noch die der Knoten ändert, bleibt die Bedingung s = 2k - 3 weiterhin erfüllt.

5 Nullstäbe 12 5 Nullstäbe 5.1 Regeln Die Bestimmung der Stabkräfte kann zeichnerisch oder rechnerisch erfolgen. Es werden in beiden Verfahren i.a. zuerst die Auflagerkräfte mit Hilfe der drei Gleichgewichtsbedingungen bestimmt. Vor der eigentlichen Berechnung ist es ratsam, das Fachwerk auf sogenannte Nullstäbe hin zu untersuchen. Nullstäbe sind Stäbe, die bei bestimmten Lastfällen weder Zug- noch Druckkräfte erhalten. Folgende Regeln helfen, um Nullstäbe zu erkennen: 1. Sind an einem belasteten Knoten nur zwei Stäbe angeschlossen und greift die äußere Kraft in Richtung des einen Stabes an, so ist der andere Stab ein Nullstab. 2. Sind an einem unbelasteten Knoten zwei Stäbe angeschlossen, die nicht in gleicher Richtung liegen, so sind beide Stäbe Nullstäbe. 3. Sind an einem unbelasteten Knoten drei Stäbe angeschlossen, von denen zwei in gleicher Richtung liegen, so ist der dritte Stab ein Nullstab. Hat man einen Nullstab ermittelt, so wird dieser bei der Ermittlung weiterer Nullstäbe weggedacht.

5 Nullstäbe 13 5.2 Übungsaufgaben Welche Stäbe der nachfolgend abgebildeten Fachwerke sind Nullstäbe? 1 4 2 5 3 6 1 2 3 4 5 6

5 Nullstäbe 14 1 4 2 5 3 6 1 2 3 4 5 6

6 Stabkräfte 15 6 Stabkräfte Für die Bestimmung der Stabkräfte gibt es rechnerische und graphische Verfahren. Die drei hier vorgestellten Methoden zur Ermittlung der Stabkräfte setzen jedoch voraus, dass das ebene Fachwerk innerlich statisch bestimmt ist. Knotenpunktverfahren (rechnerische Ermittlung der Stabkräfte) Ritterschnitt (rechnerische Ermittlung der Stabkräfte) Cremona-Plan (zeichnerische Ermittlung der Stabkräfte) 6.1 Knotenpunktverfahren 6.1.1 Beschreibung Dieses Verfahren zur Bestimmung der Stabkräfte besteht darin, dass man sich jeweils einen Knoten herausgeschnitten denkt. Man also alle, die sich im Knoten treffenden Stäbe vom Fachwerk trennt. Jeder Knoten muss für sich im Gleichgewicht sein und somit die zwei Gleichgewichtsbedingungen Σ H = 0 und Σ V = 0 erfüllen. Da die Stäbe zentrisch an den Knoten angeschlossen sind, entfällt die 3. Gleichgewichtsbedingung Σ M = 0. Wirkt auf einen Knoten eine äußere Kraft, wird diese ebenfalls am freigeschnittenen Knoten mit angetragen. Da sich an einem Knoten höchstens zwei unbekannte Stabkräfte bestimmen lassen, dürfen an einem Knoten nur zwei unbekannte Stabkräfte vorhanden sein. In der Berechnung betrachtet man die unbekannte Stabkraft zunächst als Zugkraft. Liefert die Auflösung des Gleichungssystems für eine Stabkraft ein negatives Vorzeichen, so handelt es sich um eine Druckkraft.

6 Stabkräfte 16 6.1.2 Rechenbeispiel Betrachtet wird folgendes Fachwerk: Zuerst werden die Stäbe und Knoten durchnummeriert und die Auflagerkräfte ermittelt: Auflagerkräfte 1 Σ V = 0: 2 F + 3 F - A - B = 0 2 2 5,0 kn + 3 10,0 kn - A - B = 0 A = B = 20,0 kn

6 Stabkräfte 17 Gleichgewicht am Knoten I Dieser Knoten besitzt nur zwei unbekannte Stabkräfte, die man mit den 2 Gleichgewichtsbedingungen Σ H und Σ V bestimmen kann. Σ V = 0 5,0 kn - 20,0 kn - O1 sin α = 0 O 1 = - 27,0 kn Σ H = 0 + O cos α 0 U1 1 = U 1 = 22,5 kn Da sich für die Stabkraft O 1 ein negativer Wert errechnet hat, handelt es sich hier um eine Druckkraft.

6 Stabkräfte 18 Gleichgewicht am Knoten II Auch dieser Knoten besitzt nur zwei unbekannte Stabkräfte. O 1 wurde vorher als Druckstab ermittelt und wird auch als solcher an den Knoten II angetragen. Σ V = 0 10,0 kn - 27,0 kn sin α - O2 sin α + D 1 cos α = 0 Σ H = 0 27,0 kn cos α + O 2 cos a + D 1 sin α = 0 Aufgelöst ergeben die zwei Gleichungen mit den zwei Unbekannten D 1 und O 2 : D 1 = - 8,3 kn und O 2 = - 21,5 kn Bei D 1 handelt es sich wieder um einen Druckstab.

6 Stabkräfte 19 Gleichgewicht am Knoten VII Hier sind D 2 und U 2 die unbekannten Stabkräfte. Σ V = 0 8,3 kn cos α - D 2 sin β = 0 D 2 = 7,7 kn Σ H = 0 22,5 kn + U + 8,3 kn sin α + D cos = 0-2 2 β U 2 =14,5 kn Da das Fachwerk symmetrisch ist, ergeben sich die fehlenden Stabkräfte wie folgt: O 3 = O 2 O 4 = O 1 D 3 = D 2 D 4 = D 1 U 3 = U 1 Auf der nächsten Seite ist eine Zusammenfassung der ermittelten Stabkräfte dargestellt.

6 Stabkräfte 20 Zusammenfassung der Ergebnisse Überblick der errechneten Stabkräfte: Obergurte [kn] Diagonalen [kn] Untergurte [kn] O 1 27,0 D 1 8,3 U 1-22,5 O 2 21,5 D 2-7,7 U 2-14,4 O 3 21,5 D 3-7,7 U 3-22,5 O 4 27,0 D 4 8,3 Alle Obergurte und die Diagonalen D 1 und D 4 sind Druckstäbe. Alle Untergurte und die Diagonalen D 2 und D 3 Zugstäbe. 6.1.3 Übungsaufgabe Ermitteln Sie die Stabkräfte mit Hilfe des Knotenpunktverfahrens. F 1 = F 2 = F 3 = F 4 = F 5 = 20,0 kn

6 Stabkräfte 21 6.1.4 Lösung der Übungsaufgabe Bestimmung der Auflagerkräfte: Σ V = 0 20,0 kn 5 - A - B = 0 A = B = 50,0 kn Gleichgewicht am Knoten I: Σ V = 0 sin 45-50,0 kn + 20,0 kn = 0 U 1 U 1 = 42,4 kn Σ H = 0 + U cos 45 = 0 O1 1 O 1 = -30,0 kn Gleichgewicht am Knoten II: Σ V = 0 O + 30,0 kn = 0-2 O 2 = -30,0 kn Σ H = 0 20,0 kn + V1 = 0 V 1 = - 20,0 kn

6 Stabkräfte 22 Gleichgewicht am Knoten III: Σ V = 0 D sin 45-42,4 kn sin 45 + 20,0 kn = 0-1 D 1 = -14,1kN Σ H = 0 cos 45 + U - 42,4 kn cos 45 = 0 D1 2 U 2 = 40,0 kn Da das Fachwerk symmetrisch ist, ergeben sich die fehlenden Stabkräfte wie folgt: O 3 = O 2 O 4 = O 1 D 2 = D 1 V 2 = V 1 U 3 = U 1 Obergurte [kn] Untergurte [kn] Diagonalen [kn] Vertikale [kn] O 1-30,0 U 1 42,4 D 1-14,1 V 1-20,0 O 2-30,0 U 2 40,0 D 2-14,1 V 2-20,0 O 3-30,0 U 3 42,4 O 4-30,0

6 Stabkräfte 23 6.2 Ritterschnitt 6.2.1 Beschreibung Beim Ritterschnitt wird das statisch bestimmte Fachwerk in zwei Teile getrennt. Der Schnitt ist dabei so durch das Fachwerk zu legen, dass höchstens drei Stäbe mit unbekannten Stabkräften durchtrennt werden. Diese drei Stäbe und deren Verlängerungen dürfen jedoch keinen gemeinsamen Schnittpunkt besitzen. Die drei Gleichgewichtsbedingungen Σ H = 0, Σ V = 0 und Σ M = 0 der Ebenen können dabei durch geeignete Wahl der Bezugspunkte durch drei Momenten- Gleichgewichtsbedingungen ersetzt werden, so dass sich Gleichungen mit nur einer Unbekannten ergeben.

6 Stabkräfte 24 6.2.2 Rechenbeispiel Betrachtet wird folgendes Fachwerk: Auflagerkräfte 1 Σ V = 0: 2 F + 3 F - A - B = 0 2 2 5,0 kn + 3 10,0 kn - A - B = 0 A = B = 20,0 kn Schnitt durch drei unbekannte Stabkräfte: Es wird ein Schnitt durch die Stäbe O 2, D 2 und U 2 gezeichnet.

6 Stabkräfte 25 Bestimmung des Untergurtes U 2 : Der Knoten III (hier schneiden sich die Wirkungslinien von O 2 und D 2 ) wird für die Berechnung als Momentenbezugspunkt verwendet. Σ M III = 0: 3,0 +10,0 kn 2,4 + 5,0 kn 4,5-20,0 kn 4,5 = 0 U 2 U 2 =14,5 kn Bestimmung von D 2 : Der Knoten I wird als Momentenbezugspunkt verwendet. Dadurch sind die Stäbe O 2 und U 2 in der Momentengleichung nicht vorhanden Σ M I = 0: D 2 sin β 3,0-10,0 kn 2,1= 0 D 2 = 7,7 kn

6 Stabkräfte 26 Bestimmung von O 2 : Der Knoten VII wird als Momentenbezugspunkt verwendet. Dadurch sind die Stäbe D 2 und U 2 in der Momentengleichung nicht vorhanden. Σ M VII = 0: O 1,7 +10,0 kn 0,9 + 5,0 kn 3,0-20,0 kn 3,0 = 0-2 O 2 = - 21,2 kn Anmerkung: Die geringen Abweichungen der Ergebnisse im Vergleich zum Knotenpunktverfahren ergeben sich durch die gerundeten Ergebnisse der Nebenrechnung. 6.2.3 Übungsaufgabe Ermitteln Sie die Stabkräfte O 2, V 1 und U 1 mit Hilfe des Ritterschnitts. F 1 = F 2 = F 3 = F 4 = F 5 = 20,0 kn

6 Stabkräfte 27 6.2.4 Lösung der Übungsaufgabe Bestimmung der Auflagerkräfte: Σ V = 0 20,0 kn 5 - A - B = 0 A = B = 50,0 kn Der Knoten I, II und III werden als Momentenbezugspunkt verwendet. Σ M VI = 0: V 1 1,5 + 20,0 kn 1,5 = 0 V 1 = - 20,0 kn Σ M II = 0: 1,5 sin 45 + 20,0 kn 1,5-50,0 kn 1,5 = 0 U 1 U 1 = 42,4 kn Σ M III = 0: O 1,5 + 50,0 kn 1,5-2 20,0 kn 1,5 = 0 O 2 = -30,0 kn

6 Stabkräfte 28 6.3 Cremona-Plan 6.3.1 Beschreibung Der Cremona-Plan kann als zeichnerische Variante des Knotenpunktverfahrens aufgefasst werden. Das Grundprinzip der Stabkraftbestimmung beruht darauf, dass an jedem Knotenpunkt eines Fachwerks Gleichgewicht herrschen muss, wenn man die in den Stäben wirkenden Stabkräfte an den Knoten als äußere Kräfte anträgt (Σ F = 0). Für jeden Knoten lässt sich ein geschlossenes Krafteck zeichnen. Fügt man die einzelnen Kraftecke zusammen (dies ist möglich, da jede Stabkraft in zwei Kraftecken vorkommt), entsteht der Cremona-Plan. Da nun jede Stabkraft nur einmal vorkommt, ergibt der Cremona-Plan ein geschlossenes Krafteck.

6 Stabkräfte 29 Vorgehensweise 1. Das Fachwerk in einem geeigneten Maßstab aufzeichnen. 2. Die Auflagerkräfte bestimmen. 3. Das Fachwerk auf Nullstäbe hin untersuchen. 4. Geeigneten Maßstab für den Kräfteplan festlegen. 5. Krafteck der äußeren Kräfte (Stützkräfte und Belastungen) zeichnen, das sich schließen muss. 6. Umfahrungssinn, der nur die Reihenfolge der anzutragenden Kräfte im Krafteck bestimmt, festlegen. 7. Gewöhnlich beginnt man an den Auflagern, da dort meist nur zwei Stabkräfte angreifen. Beginnend mit der am Knoten angreifenden, bekannten Kraft wird im Umfahrungssinn das Krafteck gezeichnet. Die Pfeilspitzen der Stabkräfte werden im Kräfteplan nicht eingezeichnet. Somit sind die in diesem Knoten unbekannten Stäbe nach Betrag und Richtung bestimmt. 8. Die Kraftrichtung der Stäbe für diesen Knoten werden im Systembild eingezeichnet und auf die benachbarten Knoten übertragen. 9. Von den Nachbarknoten ist gewöhnlich ein Knoten vorhanden, an dem, unter Berücksichtigung der zuvor ermittelten Stabkräfte, nur zwei unbekannte Stabkräfte angreifen. 10. Mit den schon bekannten Stabkräften beginnend, wird wieder im Umfahrungssinn an das bereits gezeichnete Krafteck ein neues angeschlossen. 11. Beim richtigen und genauen Zeichnen des Kraftecks für den letzten Knoten, muss sich der Kräfteplan schließen.

6 Stabkräfte 30 6.3.2 Übungsbeispiel Da das Fachwerk symmetrisch ist, wäre es nicht notwendig, den vollständigen Kräfteplan zu zeichnen, da schon nach Antragen der Stäbe von Knoten I, II und VII alle Stabkräfte bestimmt sind. Den Kräfteplan sollte man jedoch als Kontrolle bis zum letzten Knoten durchführen, denn wenn sich das Krafteck schließt, so hat man richtig gezeichnet. Die einzelnen Stäbe können nun im Kräfteplan abgemessen und nach dem zuvor festgelegten Maßstab umgerechnet werden. Durch die Symmetrie im Kräfteplan erkennt man, dass die Stabkraft von O 1 mit O 4 und von O 2 mit O 3 identisch ist. Ebenfalls die gleiche Kraft haben die Stäbe D 1 und D 4, D 2 und D 3, U 1 und U 3.

6 Stabkräfte 31 6.3.3 Übungsaufgabe Zeichnen Sie den Kräfteplan nach Cremona und ermitteln Sie die Stabkräfte. F 1 = F 2 = F 3 = F 4 = F 5 = 20 kn

6 Stabkräfte 32 6.3.4 Lösung der Übungsaufgabe Gewählter Maßstab: 1cm entspricht 10 kn Im Folgenden werden die Reihenfolgen der anzutragenden Stäbe und Kräfte beschrieben (siehe Kräfteplan: rote Zahlen): Knoten I: A:1 2, F 1 : 2 3, O 1 : 3 4, U 1 : 4 1 Knoten II: O 1 :4 3, F 2 : 3 5, O 2 : 5 6, V 1 : 6 4 Knoten III: U 1 :1 4, V 1 : 4 6, D 1 : 6 7, U 2 : 7 1 Knoten IV: D 1 :7 6, O 2 : 6 5, F 3 : 5 8, O 3 : 8 9, D 2 : 9 7 Knoten V: U 2 :1 7, D 2 : 7 9, V 4 : 9 10, U 3 : 10 1 Knoten VI: O 3 :9 8, F 4 : 8 11, O 4 : 11 10, U 2 : 10 9 Knoten VII: U 2 :1 7, D 2 : 7 9, V 4 : 9 10, U 3 : 10 1 Die Auflagerkräfte A und B betragen beide 50 kn. Die Längen der Stabkräfte werden aus dem Kräfteplan herausgemessen und entsprechend dem Maßstab umgewandelt. Die Stabkräfte sollten dann folgendes Ergebnis aufweisen: O 1 = O 2 = O 3 = O 4 = -30 kn V 1 = V 2 = -20 kn D 1 = D 2 = -14 kn U 1 = U 3 = 42 kn U 2 = 40 kn

Literaturverzeichnis 33 Literaturverzeichnis Clemens: Technische Mechanik im Bauwesen. 1. Aufl., Werner-Verlag GmbH, Düsseldorf 1996 Hitschfeld, K.: Baustatik Theorie und Beispiele. 9. Aufl., Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, New York 1969 Magnus, K.; Müller H.H.: Grundlagen der technischen Mechanik. 3. Aufl., B.G. Teubner, Stuttgart 1982 Pestel, E.: Technische Mechanik. 2. Aufl., Meisenheim/Glau Schneider, K.-J.: Bautabellen für Ingenieure 11.Aufl., Werner-Verlag, Düsseldorf 1994 Stüssi, F.: Baustatik I. 4.Aufl., Birkhäuser Verlag, Basel und Stuttgart 1971 Wagner/Erlhof: Praktische Baustatik Teil 1. 19.Aufl., B.G. Teubner, Stuttgart 1994 http://www.amm.mw.tum.de http://www.fh-lippe.de http://wwwfb10.uni-paderborn.de http://homepages.fh-regensburg.de/~rig39165 http://www.tu-harburg.de http://home.zhwin.ch