Seminar: Bestimmungsgründe und Verlauf der Eurokrise Bestimmungsgründe und Verlauf der Eurokrise
Inhalt - Warum wurde der Euro eingeführt? - Erfahrungen mit dem Euro - Beginn der Krise - Gründe für die Krise - Wie wurde die Krise bekämpft? 2
Situation vor Einführung des Euro - Vor Einführung gab es EWS: Wechselkurse zwischen Mitgliedern schwankten in Korridoren - Abwertung war möglich Abwertung verbilligt Exporte, verteuert Importe -> Inflation - Abwertung verringert den Wert der von Ausländern gehaltenen Geldforderungen Risiko für internationale Kreditgeber - Internationale Kreditgeber fordern für das höhere Risiko höhere Zinsen - Abwertung manchmal politisch gewollt, vielfach aber auch durch Finanzmärkte erzwungen 3
Abwerter und Aufwerter seit 1970 Nominale effektive Wechselkurse (mit 24 Handelspartnern) (1970=100) 300 250 EWS EWS-Krise Greece 200 150 Germany Italy Spain 100 50 Ireland Austria Netherlands 0 Portugal 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 Quelle: AMECO, eigene Berechnungen 4
Inflationsentwicklung der Länder Jährliche prozentuale Änderung des BIP-Deflators 30 25 20 15 10 5 0-5 1971 1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 Germany Austria Netherlands Greece Italy Spain Ireland Portugal Quelle: AMECO, eigene Berechnungen 5
Wechselkursrisiko: Je höher Inflation und Abwertungswahrscheinlichkeit, desto höher Zinsen 30 Langfristige Zinsen auf Staatanleihen 25 Germany 20 15 Austria Netherlands Greece 10 5 Italy Spain Ireland 0 Portugal 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 Quelle: AMECO 6
Gründe für die Euroeinführung - Fester Wechselkurs erhöht Glaubwürdigkeit ohne Abwertungsmöglichkeit keine Entwertung ausländischer Forderungen - Ohne Abwertungsmöglichkeit auch geringere Inflation - Beides führt zu geringeren Zinsen und mehr Kredit - Feste Wechselkurse auch gut für Handel - Da Euro vor allem aus der Erfahrung der Inflation geboren wurde, sind die Euroinstitutionen auch primär für Inflationsbekämpfung ausgerichtet - Politisches Motiv: Dominanz der Bundesbank sollte gebrochen werden (EWS-Krise 1992/3) 7
Wichtige Regeln und Institutionen des Euro - Euro ist ein Festwechselkurssystem - Wechselkurse nicht mehr veränderbar (außer durch Austritt) - Haben gemeinsame Zentralbank die Europäische Zentralbank (EZB), die gemeinsames Geld (Euro) emittiert - Primäres Ziel der EZB ist eine geringe Inflation; andere Ziele (Wachstum und Beschäftigung) sind dem untergeordnet - Gemeinsame Regeln zur Wirtschaftspolitik durch europäische Verträge sollen vor allem staatliche Schulden gering halten - No-Bail-Out-Klausel Schulden eines Staates sollen nicht von anderen Staaten übernommen werden - Zentralbank darf den Staaten nicht direkt Kredit geben - Stabilitäts- und Wachstumspakt beschränkt staatliche Defizite auf 3 % des BIP 8
Hat der Euro seine Versprechen gehalten? Inflation stark gesunken 30 25 20 15 10 5 0-5 Jährliche %-Veränderung des BIP-Deflators Einführung des Euro 1971 1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 Germany Austria Netherlands Greece Italy Spain Ireland Portugal -10 Quelle: AMECO, eigene Berechnungen 9
Zinsen stark gesunken aber nur bis zur Eurokrise Hohe Zinsen ab 2010 sind die Eurokrise 40 35 30 25 20 15 10 5 0 France Portugal Spain Greece Germany Ireland Italy Finanzkrise 2009 Eurokrise 01.01.1992 01.01.1993 01.01.1994 01.01.1995 01.01.1996 01.01.1997 01.01.1998 01.01.1999 01.01.2000 01.01.2001 01.01.2002 01.01.2003 01.01.2004 01.01.2005 01.01.2006 01.01.2007 01.01.2008 01.01.2009 01.01.2010 01.01.2011 01.01.2012 01.01.2013 01.01.2014 01.01.2015 01.01.2016 Quelle: Macrobond 10
Hohes Wachstum vor der Krise, Rezession nach der Krise BIP, 1999=100 180 170 160 150 140 130 120 110 100 90 Beginn des Euro Finanzkrise 2009 Eurokrise Irland Griechenland Portugal Spanien Italien Deutschland EZ12 Quelle: AMECO, eigene Berechnungen 11
Warum kommt plötzlich die Krise? - In den 2000er Jahren Immobilienboom in den USA, finanziert durch verbriefte Kredite (MBS) - Verkauf dieser Kredite an europäische Banken (v.a. in Dtl., Fr., GB und CH.) - 2007 beginnt Ausfall vieler Kredite BNP Paribas in Fr. und IKB in Dtl. Betroffen - Sept. 2008 Zusammenbruch von Lehman Brothers Zusammenbruch des internationalen Interbankenmarktes - Viele europäische Banken werden vom Staat gerettet - Banken in Fr. und Dtl. Verringern auch Forderungen ggü. anderen Schuldnern den heutigen Krisenländern 12
Deutsche und französische Banken überall dabei, wo es später brennt 13
Verluste der Banken 14
Auslöser der Krise - Im Herbst 2009 machte neue griechische Regierung öffentlich, dass staatliche Defizite viel höher sind als vorher angegeben - Verunsicherung der Investoren, ob der griechische Staat seine Schulden noch refinanzieren kann - Probleme mit griechischem Staatsdefizit führen nicht nur zu steigenden Renditen in Griechenland - Auch in Portugal und Irland stiegen Renditen auf Staatsanleihen - Irland: Banken werden verstaatlicht mit Schulden finanziert - Portugal wird einfach als Wackelkandidat gesehen - Ab Mitte 2011 steigen auch Renditen von Italien und Spanien 15
Exkurs: Finanzbedarf von Staaten Staaten brauchen Kredite für zwei Zwecke: A) Finanzierung laufender Defizite B) Tilgung auslaufender Schulden das ist oft der Hauptbedarf an Finanzmitteln - Tilgung wird zumeist nicht aus laufenden Einnahmen geleistet gilt für alle Staaten (und die meisten Unternehmen) - Sind Finanzmärkte nicht zur Kreditverlängerung bereit, droht Zahlungsausfall Verluste für bisherige Kreditgeber 16
Bestimmung von Renditen - Staaten finanzieren sich über Ausgabe von Anleihen - Käufer auf Primärmarkt geben Staat Kredit - Z.B. Wertpapierkredit von 1000 Euro und jährliche Couponzahlung von 100 Euro: 10 % Zinsen, wenn Käufer Anleihe bis zum Laufzeitende hält - Anleihen können aber auch auf Sekundärmarkt gehandelt werden - Preise können sich ändern je nach Angebot/Nachfrage - Sinkt Preis z.b. auf 500 Euro erhöht sich Rendite: 100/500=20 % - Steigen Preise, verringert sich Rendite - Preisänderungen wegen Risiko, dass Schuldner Couponzahlung und Tilgung nicht leistet - Preisänderung, wenn neue Anleihen höhere / geringere Couponraten zahlen 17
Hohe Staatsverschuldung als Auslöser? Quelle: AMECO, eigene Berechnungen 18
Staatliche Schulden sind vielfach durch Bankenrettungen gestiegen aber nicht nur in Krisenländern 60 50 40 30 20 10 DE IE EL ES CY NL AT PT Erhöhung der staatlichen Bruttoschuldenstände In % des BIP 0-10 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Quelle: Eurostat, eigene Berechnungen 19
Hohe Leistungsbilanzdefizite in allen Krisenländern = jährliche Nettokreditaufnahme im Ausland Leistungsbilanzdefizite in % des BIP 10 5 0-5 -10-15 Griechenland Portugal Italien Spanien Irland -20 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Quelle: AMECO, eigene Berechnungen 20
Krisenländer sind im Gegensatz zu Nichtkrisenländern netto im Ausland verschuldet Nettoauslandsvermögen in % des BIP 60 40 20 0-20 -40-60 -80 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Deutschland Griechenland Spanien Irland Portugal -100-120 Quelle: Eurostat, eigene Berechnungen 21
Private, nicht öffentliche Verschuldung als größtest Problem Bruttoverschuldung der Sektoren in % des BIP 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 Haushalte Staat Unternehmen Griechenland Spanien Portugal Irland Quelle: Eurostat, eigene Berechnungen 22
Aber warum gerade eine Krise der Staatsanleihen? In der Eurokrise ist klar geworden, dass Euro eine Art Fremdwährung für Euromitglieder ist EZB kauft bis Anfang 2015 kaum staatliche Anleihen (wie es in GB, USA, Japan geschehen ist) Öffentliche Verschuldung in den Ländern vor allem bei den Banken Solvenz der Banken und Solvenz der Staaten im Teufelskreis Banken kommen in Schieflage (Irland, Spanien, Griechenland), werden von Staaten gerettet höhere Staatsschulden Banken halten staatliche Anleihen, deren Abschreibung bedroht Bankensolvenz Staat steht wieder in der Pflicht Problem intensiviert sich, wenn Banken vor allem im Ausland verschuldet sind Investoren ziehen schneller ihre Gelder ab 23
Warum ist der Euro eine Fremdwährung für die Mitglieder des Euroraums? - Länder beeinflussen EZB nur begrenzt: - Vertreter der eigenen Zentralbank im EZB-Direktorium - No-Bail-out Klausel: Europäischen Verträge verbieten Übernahme von Schulden eines Staates - Solange Zentralbank nicht Staatsanleihen kaufen, sind Staaten vollkommen abhängig von privaten Finanzmärkten oder offiziellen Institutionen (andere Länder, IWF etc.) wie jeder Privatschuldner - Kontrollverlust über Währung führt zu Kontrolle durch private Finanzmärkte politisch gewollt durch die europäischen Verträge! 24
Gefahren von Staatsinsolvenzen - Würde No-Bail-Out-Klausel konsequent angewandt, wären Staatsinsolvenzen unausweichlich - Staatsanleihen sind aber Anker für das Finanzsystem - Banken, Versicherungen und Pensionsfonds halten auch wegen Regulierung viele Staatsanleihen, weil diese sicher sind (waren) - Über Pensionsfonds große Teile der Alterssicherung von Staatsanleihen abhängig - Geringe Rendite, aber sicher; sehr liquide, also im Notfall in Liquidität umwandelbar - Zinsen auf Staatsanleihen deswegen Benchmark für Zinsen auf private Kredite - Steigen Zinsen auf Staatsanleihen, dann auch Zinsen auf Privatkredite - Staatsbankrott treibt Finanzsystem in Krise und damit auch Realwirtschaft 25
Staatsinsolvenz Griechenlands im Euro - Im Sommer 2011 wird beschlossen, in Griechenland einen Schuldenschnitt durchzuführen - Staatsanleihen unterliegen im Euroraum also einem Insolvenzrisiko Investoren verlassen in Scharen spanische und italienische Anleihen - Renditen steigen, private und staatliche Kreditaufnahme verteuert sich massiv, Länder und Banken geraten in Schwierigkeiten - Tatsächliche Abschreibung griechischer Schulden Anfang 2012 stürzt gr. Finanzsystem (inkl. Rentensystem) in Bankrott - Zyprische Banken auch betroffen, da sie gr. Staatsanleihen halten - Muss durch offizielle Kredite der Europäer rekapitalisiert werden was Schulden der Griechen wieder erhöht! 26
USA und GB im Vergleich: Dollar und Pfund als eigene Währung - Auch USA und GB hatten Häuserpreisblase, Bankenkrisen, Leistungsbilanzdefizite, Auslandsschulden - Besonders von Krise 2009 betroffen - Aber: Zentralbank hat früh per Quantitative Easing (QE) Staatsanleihen auf Sekundärmarkt gekauft - Staat war niemals in Gefahr insolvent zu werden - Zinsen blieben also niedrig 27
Renditen auf Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von 10 Jahren 18 16 14 12 10 8 6 4 2 Deutschland Irland Italien USA Portugal Spanien GB 0 01.01.2009 01.01.2010 01.01.2011 01.01.2012 01.01.2013 01.01.2014 01.01.2015 01.01.2016 28
Wie hat die Politik auf die Krise reagiert? - Weil private Finanzmärkte ihre Kreditvergabe eingestellt haben, haben Griechenland, Irland, Portugal, Zypern und Spanien Kredite von anderen Staaten, EFSF, ESM, IWF erhalten - Zinsen für diese Kredite viel geringer als auf den privaten Finanzmärkten - Kredite vor allem zur Tilgung von auslaufenden Schulden, kaum zur Defizitfinanzierung - Offizielle Kredite kommen unter harten Spar- und Reformauflagen - Im Sommer 2012 kündigt die EZB an, im Notfall Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt zu kaufen (OMT) - Ab Anfang 2015 kauft die EZB direkt Staatsanleihen (QE) 29
Das große Sparen Veränderung von Ausgaben und Einnahmen zwischen 2009 und 2014 in % 25 15 5-5 -15-25 -35 Ausgaben Ausgaben ohne Zinsen Einnahmen Griechenland Irland Spanien Portugal Italien 30
Probleme mit der Austerität - Defizit = Einnahmen - Ausgaben - Staatsausgaben = Einkommen des Privatsektors (Aufträge für Investitionen, Angestellte, Transfers) - Steuern = Ausgaben des Privatsektors - Weniger Ausgaben und mehr Steuern reduzieren das verfübare Einkommen von Haushaltes und Unternehmen (Privatsektor) - Haushalte kaufen weniger Unternehmen verkaufen weniger - Weil private Einkommen und BIP sinken, sinken auch Einkommensteuern, so dass Staat für bestimmtes Defizitziel noch mehr Ausgaben senken oder Steuern erhöhen muss - Austerität wirkt sehr hart in geschlossenen Volkswirtschaften, weniger in offenen Volkswirtschaften 31
Folgen der Austerität für die Schuldenstandquote - Im Stabilitäts- und Wachstumspakt und den offiziellen Kreditprogrammen steht die Schuldenstandquote im Mittelpunkt: Schulden/ nominales BIP - Nominales BIP = reales BIP * BIP-Deflator - Schuldenstandquote kann steigen, wenn Schulden sich nicht verändern, aber nominales BIP durch zu harte Austerität fällt - Austerität kann also genau Absicht entgegenlaufen, die Schuldenstandquote zu senken 32
Schuldenstandquoten in vielen Fällen trotz großem Sparen gestiegen 200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 Greece Ireland Italy Spain Portugal Germany 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 33
Absolute Schulden und Schulden in % des BIP Quelle: FAZ 34
Beitrag des Wachstums des nominalen BIP zur Schuldenstandquote 20 15 10 5 0-5 -10 Ireland Germany Spain Portugal Italy Greece -15 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 35
Problem mit Arbeitsmarktreformen in der Krise - Arbeitsmarktreformen (Senkung des Kündigungsschutzes, von Mindestlöhnen, Deregulierung etc.) senkt Löhne - Lohnsenkungen führen zu Kaufkraftsenkungen im Inland - Absatz für Unternehmen sinkt, diese haben höhere Probleme, ihre Schulden zu bezahlen - Arbeitsmarktreformen können Krise besonders wenn mit Austerität gekoppelt noch verschärfen 36
Ausmaß der Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt Quelle: Matthes 2015 37
Stark gestiegene Arbeitslosigkeit Arbeitslosenquote in % 30 25 20 15 10 Griechenland Irland Portugal Spanien Italien 5 0 01.01.2007 01.06.2007 01.11.2007 01.04.2008 01.09.2008 01.02.2009 01.07.2009 01.12.2009 01.05.2010 01.10.2010 01.03.2011 01.08.2011 01.01.2012 01.06.2012 01.11.2012 01.04.2013 01.09.2013 01.02.2014 01.07.2014 01.12.2014 01.05.2015 01.10.2015 01.03.2016 38
Geldpolitik in der Krise - Draghi-Rede 07/2012: Whatever it takes - 09/2012 Ankündigung von OMT Outright Monetary Transactions - Unbegrenzter Kauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt, wenn Land in Schwierigkeiten gerät - Dafür muss es aber Reformprogramm umsetzen - Keine Staatsanleihe ist mit diesem Programm gekauft worden; Effekt hat aber Staatsanleihenmärkte stark beruhigt, Kurse steigen lassen - QE Quantitative Easing im Januar 2015, weil Inflation massiv gesunken ist 39
Effekte auf die Renditen 18 16 14 12 10 8 6 4 2 Whatever it takes-rede Deutschland Irland Italien Portugal Spanien 0 01.01.2009 01.01.2010 01.01.2011 01.01.2012 01.01.2013 01.01.2014 01.01.2015 01.01.2016 40