FRAUENARZT-SERIE MÄDCHEN-SPRECHSTUNDE TEIL 3 Juristische Aspekte der Mädchen- Sprechstunde: Der Behandlungsvertrag Claudia Halstrick Die dritte Folge unserer Serie Mädchen-Sprechstunde widmet sich den juristischen Aspekten. Sie zeigt Ihnen eine Vielzahl von Konstellationen, die bei der Behandlung Minderjähriger auftreten können, und ist daher eine praktische Handlungsanleitung für jeden Frauenarzt. Sie soll Ihnen helfen, in schwierigen Situationen richtig zu reagieren und sich gegen etwaige rechtliche Vorwürfe abzusichern. Die Praxisbeispiele enthalten häufige Fragestellungen von Gynäkologinnen und Gynäkologen. Immer wenn minderjährige Mädchen in die Sprechstunde kommen, sind Sie als Frauenarzt mit einer Reihe von rechtlichen Fragen konfrontiert. An erster Stelle müssen Sie sich oft fragen, ob die Mutter von dem Inhalt des Beratungsgesprächs mit dem Mädchen erfahren darf. Die nachfolgenden Beispiele aus der anwaltlichen Praxis zeigen jedoch, dass die Fragen noch weitaus komplexer sein können: Mache ich mich strafbar, wenn ich einer 13-Jährigen die Pille ohne Einwilligung der Eltern verordne Ich habe ein 16-jähriges schwangeres Mädchen mit Abruptiowunsch. Muss ich die Eltern entgegen ihrem Willen darüber aufklären Ein 15-jähriges schwangeres Mädchen plant einen Schwangerschaftsabbruch. Reicht hierfür die Einwilligung der Mutter Oder muss auch der Vater zustimmen Eine 16-jährige Patientin hat eine Eileiterschwangerschaft. Muss ich die Eltern informieren Eine 13-Jährige mit Kontrazeptionswunsch hat regelmäßigen Geschlechtsverkehr mit einem volljährigen Partner aus dem weiteren Familienkreis. Muss ich die Polizei informieren Die Eltern einer 15-Jährigen wollen eine Abruptio gegen den Willen des Mädchens. Ist das zulässig Viele von Ihnen kennen sicherlich den ein oder anderen der geschilderten Die Initiative Mädchen-Sprechstunde Fälle aus Ihrer eigenen Praxis. Hier eine Entscheidung zu treffen ist nicht immer leicht, denn grundsätzlich gilt: Bei der Behandlung Minderjähriger spielt die Einwilligungsfähigkeit der Jugendlichen eine zentrale Rolle. Sie gibt vor, wie weit die alleinigen Entscheidungsbefugnisse der Minderjährigen gehen und wo die Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht liegen. Der Arzt wiederum muss die Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall abwägen, sprich für jede einzelne Patientin, aber auch für jede Behandlungssituation neu beurteilen. Die nachfolgenden Erläuterungen bieten Ihnen als Gynäkologinnen und Gynäkologen eine konkrete Entscheidungshilfe für den Umgang mit den teilweise schwierigen Rechtsfragen bei der Behandlung Minderjähriger. In besonders komplexen Fällen empfehle ich jedoch immer, eine rechtliche Beratung einzuholen, da ein Beitrag wie dieser die rechtliche Prüfung im Einzelfall nicht ersetzen kann. Aufgrund der Komplexität der Materie ist vorab ein Einblick in den juristischen Hintergrund notwendig. Gegründet wurde die Initiative Mädchen-Sprechstunde von der Grünenthal GmbH mit wissenschaftlicher Unterstützung der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau (ÄGGF). Ziel der Initiative ist es, spezielle Gesprächsangebote für junge Mädchen bei Gynäkolog(inn)en zu etablieren eine Zielsetzung, die auch der Berufsverband der Frauenärzte unterstützt. Eine Folge in sich abgeschlossener Beiträge wird daher im FRAUENARZT die wichtigsten Aspekte bei der Einrichtung einer Mädchen-Sprechstunde erläutern. Bisher erschienen: Teil 1: Aufklärung junger Mädchen in der gynäkologischen Praxis, von Dr. Gisela Gille, Vorsitzende der ÄGGF (FRAUENARZT 5/05); Teil 2: Organisation, von Dr. Ingeborg Voß-Heine (FRAUENARZT 6/05). Das Info-Angebot der Initiative Mädchen-Sprechstunde Broschüre Mädchen-Sprechstunde praktische Tipps für Gynäkologen Praxis-Aufsteller, -Poster und Infoheftchen für Mädchen Gynäkologen-Suchliste unter www.maedchensprechstunde.de Fortbildungsseminare für Gynäkologen Infotalk-Ringmappe Zu beziehen sind die Materialien über die Mitarbeiter der Grünenthal GmbH oder per Fax 0241/569-1112 oder per Mail maedchensprechstunde@grunenthal.de FRAUENARZT 46 (2005) Nr. 7 581
Daher erfolgt zunächst eine Einführung in die rechtlichen Grundlagen, die im Zusammenhang mit der Behandlung Minderjähriger eine Rolle spielen. Anhand von konkreten Fallbeispielen und Sonderfällen wird Ihnen dann gezeigt, wie diese Grundsätze im frauenärztlichen Alltag umgesetzt werden können. Der Behandlungsvertrag Vor jeder Behandlung müssen Sie als Frauenarzt einen Behandlungsvertrag mit der Patientin abschließen. Im Regelfall kommt dieser stillschweigend zwischen der Patientin und Ihnen zustande und bedarf keiner besonderen Form. Nur in Sonderfällen wie z. B. bei IGeL-Leistungen müssen Sie vor der Behandlung einen schriftlichen Behandlungsvertrag abschließen. Bei Verträgen mit Minderjährigen müssen Sie auf zwei Besonderheiten achten: die Geschäftsfähigkeit und die Einwilligungsfähigkeit der Patientinnen. Geschäftsfähigkeit Die Geschäftsfähigkeit betrifft die zivilrechtliche Seite und klärt die Frage, ob und wann eine Minderjährige zivilrechtlich wirksam einen ärztlichen Behandlungsvertrag abschließen kann. Sie betrifft daher vor allem den ärztlichen Vergütungsanspruch. Grundsätzlich gilt: Geschäftsunfähig ist ein Kind bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres. Beschränkte Geschäftsfähigkeit besteht ab Vollendung des 7. bis zum 18. Lebensjahr. Liegt eine beschränkte Geschäftsfähigkeit vor, müssen alle Verträge des Kindes von dem gesetzlichen Vertreter (zum Beispiel den Eltern oder einem Elternteil) genehmigt werden. Davon ausgenommen sind Verträge, die lediglich einen Vorteil für das Kind bedeuten. Die Frage, wann ein Vertrag oder ein Rechtsgeschäft lediglich einen rechtlichen Vorteil für das Kind darstellt, beurteilt das Gesetz jedoch nicht aus wirtschaftlicher Sicht. Entscheidend ist allein, ob ein Vertrag Verpflichtungen für das Kind nach sich zieht, unabhängig davon, welchen Nutzen das Kind davon hat. Beispiel: Ein 13-jähriger Junge kauft im Sonderangebot ein Fahrrad für 200, Euro tatsächlich ist es aber 800, Euro wert. Wirtschaftlich betrachtet liegt hier ein vorteilhaftes Geschäft für den Jungen vor. Faktisch verpflichtet der Kauf den Jungen zu einer Zahlung von 200, Euro. Wegen dieser Verpflichtung liegt hier kein Vertrag vor, der lediglich Vorteile bringt. Der Kauf ist somit schwebend unwirksam und wird erst mit Genehmigung durch die Eltern wirksam. Verweigern die Eltern die Genehmigung, ist der Kauf unwirksam. Das Beispiel des Fahrradkaufs lässt sich ohne Weiteres auf den ärztlichen Behandlungsvertrag übertragen: Der Vertrag verpflichtet die Minderjährige, das ärztliche Honorar für die Behandlung zu bezahlen und ist damit in der Regel rechtlich nicht nur vorteilhaft für die Minderjährige. Ihr Anspruch auf das Honorar ist so gesehen von der Genehmigung der Eltern abhängig. Doch keine Regel ohne Ausnahmen bei ärztlichen Behandlungsverträgen mit Minderjährigen gelten bezüglich der Geschäftsfähigkeit folgende Besonderheiten: der so genannte Taschengeldparagraph, Geschäftsführung ohne Auftrag, familienversichert über die gesetzliche Krankenversicherung. Der Taschengeldparagraph 110 BGB besagt, dass Kinder zwischen 7 und 18 Jahren auch ohne Genehmigung der Eltern einen von Anfang an wirksamen Vertrag schließen können. Voraussetzung: Sie müssen die daraus entstehenden Verpflichtungen mit Mitteln (z.b. Geld) erfüllen, die ihnen zur freien Verfügung stehen. Da die Frage, wann einem Kind Mittel zur freien Verfügung überlassen wurden, im Einzelfall geklärt werden muss, gilt für die Praxis: Minderjährige bezahlen ärztliche Honorare nur selten aus eigenen Mitteln. Am ehesten ist dies der Fall, wenn Sie eine einfache Behandlung durchführen bzw. das ärztliche Honorar gering ist. Geschäftsführung ohne Auftrag Handelte es sich bei der Behandlung einer Minderjährigen um eine dringende Maßnahme (zum Beispiel einen Notfall), kann der Arzt gegebenenfalls einen Anspruch auf Erstattung des ärztlichen Honorars nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag haben. GKV Familienversicherung Rechtlich umstritten ist die Frage, ob die Genehmigung der Eltern überflüssig sein könnte, wenn das Mädchen über einen Elternteil in der gesetzlichen Krankenversicherung als Familienmitglied versichert ist. Die Minderjährige kann jedenfalls gem. 36 I SGB I ab dem 15. Lebensjahr selbst Anträge auf Sozialleistungen stellen, ohne selbst eine Vergütung zu schulden. Unabhängig von den juristischen Feinheiten bedeutet dieser Fall in der Praxis: Bei der Behandlung von gesetzlich versicherten Minderjährigen entstehen bezüglich des ärztlichen Honorars in der Regel keine Probleme. Private Krankenversicherung Bei privat versicherten Kindern müssen Sie als Arzt aufgrund der oben genannten Grundsätze vier Punkte berücksichtigen: Sie sollten sich immer vor der Behandlung erkundigen, wer die Bezahlung übernimmt. Bei einfacher Behandlung und geringen Kosten wird der Vertrag sofort wirksam, sobald die Minderjährige die Rechnung 582 FRAUENARZT 46 (2005) Nr. 7
umgehend (mit ihren Mitteln) begleicht. Bei aufwändigeren Behandlungen und höheren Arzthonoraren ist der Behandlungsvertrag davon abhängig, ob die Eltern ihn bezahlen oder genehmigen. Verweigern die Eltern die Zustimmung, haben Sie weder gegen die Patientin noch gegen die Eltern einen Honoraranspruch. Ausnahmen liegen vor, wenn die Behandlung mit Wissen der Eltern erfolgte oder ein Notfall vorlag sowie eine medizinische Behandlung dringend notwendig war. In diesen Fällen kann der Arzt einen Kostenerstattungsanspruch als Geschäftsführer ohne Auftrag haben. Falls Sie der Minderjährigen die Rechnung per Post zuschicken, müssen Sie sich aus Gründen der Schweigepflicht vorher erkundigen, ob die Rechnung an die Eltern oder an das Mädchen gerichtet werden soll. Weigern sich die Eltern, eine Rechnung für ihre minderjährige Tochter zu bezahlen, bleibt Ihnen schließlich die Möglichkeit, das Honorar auf dem Rechtsweg zu bekommen. Dabei sollten Sie jedoch abwägen, wie hoch anhand der oben genannten Kriterien die Erfolgsaussichten sind und ob sich weitere Maßnahmen (Gerichtskosten, Anwaltskosten etc.) aus wirtschaftlicher Sicht für Sie lohnen. Einwilligungsfähigkeit Im Alltag spielt die Frage nach der Geschäftsfähigkeit einer Minderjährigen eine untergeordnete Rolle. Der Grund: Fehlt die Geschäftsfähigkeit, so betrifft es lediglich Ihren Vergütungsanspruch er könnte entfallen. Fehlt hingegen die Einwilligungsfähigkeit, so kann das für Sie ernsthafte Schadensersatz- oder strafrechtliche Konsequenzen haben. Eine fehlende Einwilligungsfähigkeit hat daher wesentlich gravierendere Folgen als die fehlende Geschäftsfähigkeit. Der Grundsatz in allen ärztlichen Berufsordnungen lautet: Der Arzt bedarf zu jeder Behandlung der Einwilligung des Patienten. Nach eingefahrener Rechtsprechung liegt selbst bei Ein 15-jähriges schwangeres Mädchen plant einen Schwangerschaftsabbruch. Reicht hierfür die Einwilligung der Mutter Bei einer 15-Jährigen können Sie in der Regel davon ausgehen, dass sie nicht die erforderliche Einwilligungsfähigkeit besitzt, um selbst einen Schwangerschaftsabbruch zu verlangen. Daher ist die Einwilligung der Eltern erforderlich. Bei einfachen Routinefällen dürfen Sie sich auch ohne Nachfrage darauf verlassen, dass die Mutter berechtigt ist, die Entscheidung für beide Eltern zu fällen. Bei einem Schwangerschaftsabbruch, unabhängig davon, ob er ambulant oder stationär durchgeführt wird, handelt es sich hinsichtlich der Risiken eher nicht um einen Routinefall. Sie sind daher gut beraten, wenn Sie sich bei der Mutter erkundigen, ob auch der Vater mit diesem Eingriff einverstanden ist. Bejaht die Mutter das, können Sie sich auf diese Aussage verlassen. einem medizinisch indizierten und lege artis durchgeführten Eingriff eine Körperverletzung vor, wenn der Heileingriff eigenmächtig und nicht im Konsens vorgenommen wird (1). Sie benötigen vor jeder Behandlung die Einwilligung Ihrer Patienten. Einwilligen kann aber laut Rechtsprechung nur der vollständig aufgeklärte und voll einsichts- und willensfähige Patient. Doch wann ist die Minderjährige voll einsichts- und willensfähig Aus juristischer Sicht ist die Antwort leicht. Der Bundesgerichtshof hat definiert (2): Es kommt darauf an, ob der Jugendliche nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag. Checkliste zur Einwilligungsfähigkeit Da diese Umschreibung sehr formell ist, haben viele Gynäkologinnen und Gynäkologen zu Recht immer wieder nach einer Art Checkliste oder Kriterienkatalog gefragt, die sich zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen eignen. Nachdem alle Punkte der Liste abgehakt sind, sollte am Ende im Idealfall zweifelsfrei feststehen, ob die Einwilligungsfähigkeit vorliegt oder nicht. Im Gegensatz zur Geschäftsfähigkeit gibt das Gesetz bei der Einwilligungsfähigkeit keine klaren Altersgrenzen und Bedingungen vor. Diese kann es nicht geben, denn der Reifegrad der Jugendlichen entwickelt sich unterschiedlich und stellt kein Ereignis dar, das über Nacht eintritt. Hier müssen Sie immer im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände entscheiden, ob Sie die Minderjährige für einwilligungsfähig halten oder nicht. Um die Einwilligungsfähigkeit zu beurteilen, existieren lediglich allgemeine Kriterien, wie zum Beispiel: der Reifegrad des Mädchens, die Auffassungsgabe, die Fähigkeit, dem Aufklärungsgespräch zu folgen, die Fähigkeit der Minderjährigen, die mitgeteilten Informationen zu verarbeiten, die Minderjährige weist auf besondere Umstände in ihrer Familie, in ihrem sozialen Umfeld etc. hin. Im Übrigen sind Ihre Empathie und Erfahrung gefordert, um abzuschätzen, ob eine Minderjährige die jeweilige Behandlungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite versteht. Zur Feststellung der Einwilligungsfähigkeit: Es gibt keine gesetzlichen Altersgrenzen. Es handelt sich immer um eine Einzelfallentscheidung des Arztes bezogen auf die Minderjährige und die jeweilige Behandlungsmaßnahme. FRAUENARZT 46 (2005) Nr. 7 583
Hält der Arzt die Minderjährige für einwilligungsfähig, entscheidet die Minderjährige allein. Ist die Minderjährige nicht einwilligungsfähig, entscheiden die Eltern. Da es bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit keine Altersgrenzen gibt, müssen Sie als Frauenarzt immer im Einzelfall und bezogen auf die jeweilige Behandlungsmaßnahme entscheiden. Die Einschränkung bezüglich der Behandlungsmaßnahme ist deshalb wichtig, weil Sie eine Minderjährige zwar für einwilligungsfähig in puncto Verordnung von Verhütungsmitteln oder Behandlung einer Infektion halten können, die Frage jedoch, ob dasselbe Mädchen ohne die Zustimmung der Eltern einen Schwangerschaftsabbruch verlangen kann, ganz anders beurteilen. Zweifelsfälle Wenn Sie die Einwilligungsfähigkeit der Jugendlichen im Gespräch nicht eindeutig beurteilen können, gilt die Empfehlung, den Kontakt mit den Eltern zu suchen. Eventuell können Sie den Reifegrad der Jugendlichen anschließend besser beurteilen. Außerdem besteht so die Möglichkeit, dass die Eltern etwaige Behandlungsmaßnahmen von vornherein unterstützen. In einem Gespräch sollten Sie die Minderjährige davon überzeugen, bei dem nächsten Termin die Eltern oder die Mutter mitzubringen, um ein gemeinsames Beratungsgespräch zu führen. Um die Frage der Einwilligungsfähigkeit zu klären, ist es oft auch hilfreich, einen Kollegen oder eine erfahrene Mitarbeiterin hinzuzuziehen. Wie immer Sie sich am Ende entscheiden, gerade in Zweifelsfällen (zum Beispiel bei operativen Maßnahmen) sollten Sie im eigenen Interesse die Inhalte der Gespräche und Ihre Beurteilungskriterien gut dokumentieren. Sonderfälle Schwangerschaftsabbruch Die Zahl von Teenagerschwangerschaften und die damit verbundene Anzahl an Schwangerschaftsabbrüchen bei Jugendlichen steigt (3). Diese Tatsache stellt viele Frauenärzte neben den ethischen Konflikten rechtlich gesehen immer häufiger vor die Frage, in welchem Alter eine Minderjährige auch ohne Zustimmung der Eltern in einen Schwangerschaftsabbruch einwilligen kann. Eine schwierige Frage, zumal zur Einwilligungsfähigkeit von Jugendlichen in einen Schwangerschaftsabbruch teils sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. Bei unter 16-Jährigen ist in der Regel die Zustimmung der Eltern für einen Schwangerschaftsabbruch erforderlich. Bei 16- bis 18-Jährigen kann die Einwilligungsfähigkeit gegeben sein und das Strafbarkeitsrisiko des Arztes ist eher gering. Nach einer Entscheidung des OLG Hamm (4) kann eine Minderjährige Ich habe ein 16-jähriges schwangeres Mädchen mit Abruptiowunsch. Muss ich die Eltern entgegen ihrem Willen darüber aufklären Eine 16-Jährige kann die Bedeutung und die Tragweite eines Schwangerschaftsabbruchs beurteilen und besitzt damit die erforderliche Einsichtsfähigkeit. Von diesem Grundsatz geht heute die überwiegende Meinung aus. Ob Sie dies für Ihre Patientin bejahen können, hängt von Ihrer ärztlichen Beurteilung des Reifegrads und des Entwicklungsstands des Mädchens ab. Wenn Sie Zweifel haben, sollten Sie den Kontakt zu den Eltern suchen. Versuchen Sie zunächst, das Mädchen davon zu überzeugen, dass es besser wäre, die Mutter einzubeziehen. grundsätzlich nicht wirksam in einen Schwangerschaftsabbruch einwilligen. Die Entscheidung widerspricht der überwiegenden Meinung in der juristischen Literatur und Rechtsprechung, wonach ein Mädchen ab 16 Jahren durchaus in der Lage sein kann, eigenverantwortlich über Fortsetzung oder Abbruch der Schwangerschaft zu entscheiden. Unabhängig von der Frage der Einwilligungsfähigkeit müssen natürlich die gesetzlichen Voraussetzungen für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch gemäß 218 a StGB gegeben sein. Sterilisation Minderjähriger Obwohl die Sterilisation Minderjähriger gesetzlich ( 1631 c BGB) verboten ist, kommt es immer wieder vor, dass besorgte Eltern ihr geistig behindertes Mädchen sterilisieren lassen möchten. Die Eltern befürchten, ihre heranwachsende Tochter könne außerhalb des Elternhauses, zum Beispiel in einer betreuten Einrichtung oder während einer Ferienfreizeit, sexuellen Kontakt haben und dadurch in der Folge schwanger werden. Unabhängig davon, wie wahrscheinlich ein solches Ereignis sein mag, ist die Sterilisation Minderjähriger ausnahmslos verboten. Weder die Eltern noch ein Vormundschaftsgericht können eine Sterilisation bei Minderjährigen genehmigen. Einwilligung durch die Erziehungsberechtigten Wenn die Minderjährige in eine Behandlung nicht selbst einwilligen kann, müssen die Eltern oder andere gesetzliche Vertreter die Einwilligung erteilen. In diesem Zusammenhang fällt häufig die Frage, ob nicht die Einwilligung eines Elternteils ausreicht (5). In der Regel üben die Eltern die Personensorge für ihr Kind gemeinsam aus ( 1627 BGB). Wenn die Eltern jedoch nicht verheiratet sind und nicht geklärt ist, ob die elterliche Sorge gemeinsam ausgeübt wird, ob- 584 FRAUENARZT 46 (2005) Nr. 7
liegt der Mutter die Personensorge. Zur Frage, wann ein Elternteil den anderen bei der Entscheidung über medizinische Maßnahmen vertreten kann, hat der Bundesgerichtshof eine Drei-Stufentheorie entwickelt (6): 1. Routinefälle des Alltags Bei einfachen Routinefällen (z. B. einfache Untersuchung, Beratung zum Sexualverhalten, Verordnung von Verhütungsmitteln) können Sie sich ungefragt darauf verlassen, dass der begleitende Elternteil die Einwilligung allein erteilen kann. Sollten Sie jedoch wissen, dass der andere Elternteil mit der Behandlung nicht einverstanden ist oder dass das Sorgerecht nur dem anderen, also dem nicht in die Behandlung einbezogenen Elternteil zusteht, gilt diese Regel nicht. 2. Schwere Eingriffe Bei schweren Eingriffen (zum Beispiel operativen Eingriffen), die nicht unbedeutende Risiken beinhalten können, müssen Sie sich erkundigen, ob der anwesende Elternteil befugt ist, für den anderen mitzuentscheiden. Auf diese Aussage können Sie sich dann verlassen. Bestehen allerdings Zweifel, sollten Sie anregen, den Punkt noch einmal mit beiden Elternteilen zu besprechen. 3. Eingriffe mit großen Risiken Bei Eingriffen mit erheblichen Risiken für das Kind, die mit schwierigen und weit reichenden Entscheidungen verbunden sind, wie beispielsweise die Frage, ob die Behandlung in dieser Form überhaupt durchgeführt wird, müssen beide Elternteile ausdrücklich zustimmen. Ist nur ein Elternteil anwesend, müssen Sie sich bei dem anderen Elternteil erkundigen und explizit vergewissern, dass dieser dem anderen die Entscheidung allein überlässt. Meinungsverschiedenheiten der Eltern Die Eltern einer 15-jährigen Schwangeren wollen einen Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen des Mädchens. Ist das zulässig Nein, sofern nicht besondere Umstände (z. B. medizinische Gründe) hinzukommen. Hier kommt es nicht auf die Einwilligungsfähigkeit des Mädchens an, sondern auf seine Vetomündigkeit. So bezeichnet man die Entscheidungsbefugnis von Minderjährigen, einer von den Eltern gebilligten ärztlichen Maßnahme zu widersprechen. Grundsätzlich können bei einem nicht einwilligungsfähigen Kind alle medizinisch gebotenen Maßnahmen vom Arzt im Einklang mit dem Willen der Eltern vorgenommen werden. Aber: Der Wille des Kindes bekommt mit zunehmendem Alter immer mehr Gewicht, so dass die Vetomündigkeit des Kindes früher als die Einwilligungsfähigkeit einsetzen kann. Das heißt: Auch wenn eine 15-Jährige in der Regel nicht selbst in einen Schwangerschaftsabbruch einwilligen kann, kann sie ihm dennoch widersprechen und ihn damit verhindern. Die Eltern müssen grundsätzlich die Personensorge für ihr Kind gemeinsam und in gegenseitigem Einvernehmen ausüben. Das heißt: Sind sich die Eltern nicht einig, liegt keine Einwilligung vor. Kommt es nun zu der Situation, dass die Jugendliche nicht selbst in einen Eingriff einwilligen kann und die Eltern sich nicht einigen können, so kann der Elternteil, der dem Eingriff zustimmen möchte, das Familiengericht zur Klärung anrufen. Sofern es sich nicht um eine dringende ärztliche und nicht aufschiebbare Maßnahme handelt, trifft Sie in diesem Fall keine Handlungspflicht. Verweigern allerdings beide Elternteile ihre Einwilligung in einen medizinisch notwendigen Eingriff und entsteht so eine Gefahr für die Jugendliche, können Sie das Vormundschaftsgericht anrufen. Sonderkonstellation: Einwilligung bei Jugendlichen in Kinderheimen Wenn das Kind im Jugendheim oder unter Betreutem Wohnen lebt, ist für die Einwilligung entscheidend, wem die Personensorge für die Minderjährige übertragen worden ist. Bestehen Zweifel, sollten Sie eine schriftliche Bestätigung verlangen. Literatur 1. Ausführlich Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 3. Auflage, S. 73 f. 2. BGHZ 29,33,36 = NJW 1959,811: Es kommt darauf an, ob der Jugendliche nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag. 3. Dr. A. Haerty u.a., Schwangerschaft bei Jugendlichen, Der Gynäkologe 9/2004, S. 786. 4. OLG Hamm, NJW 1998, 3424. 5. Ausführlich AG Medizinrecht der DGGG, Stellungnahme zu Rechtsfragen bei der Behandlung Minderjähriger, FRAUENARZT 44 (2003) Heft 10, S. 1111 bis 1112. 6. BGHZ 1005,45 = VersR 1989, 145,146. Autorin Claudia Halstrick Rechtsanwältin Justiziarin des BVF Pettenkoferstraße 35 D-80336 München Lesen Sie in der nächsten Folge Mädchen-Sprechstunde: Juristische Aspekte bei der Verordnung von Kontrazeptiva an Minderjährige (FRAUENARZT 8/05). FRAUENARZT 46 (2005) Nr. 7 585