Aufgabenorientierung Aufgabenorientierte Planung eines kompetenzorientierten Unterrichts

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Transkript:

Aufgabenorientierung Aufgabenorientierte Planung eines kompetenzorientierten Unterrichts Prof. Dr. Markus Wilhelm, Dr. Herbert Luthiger

Inhaltsverzeichnis 1 Wieso Kompetenzorientierung in der Schule?... 3 2 Wie lassen sich Kompetenzen nach Lehrplan 21 strukturieren?... 3 3 Wie plant man einen kompetenzorientierten Unterricht?... 5 3.1 Klären der Kompetenzfacetten?... 6 3.2 Die didaktische Strukturierung... 7 4 Wie kann eine Unterrichtseinheit aufgabenorientiert geplant werden?... 9 4.1 Zum (richtigen) Ort der Aufgabe... 9 4.2 Lernrelevante Merkmale... 10 4.3 Prozessmodell... 12 5 Literatur... 14 Bitte wie folgt zitieren: Wilhelm, M. & Luthiger, H. (2015). Aufgabenorientierung: Aufgabenorientierte Planung eines kompetenzfördernden Unterrichts. Begleitskript. Luzern: Pädagogische Hochschule Luzern. www.ausb.phlu.ch PH Luzern Pädagogische Hochschule Luzern Pfistergasse 20 Postfach 7660 6000 Luzern 7 T +41 (0)41 228 71 11 F +41 (0)41 228 79 18 www.phlu.ch Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 2 von 15

1 Wieso Kompetenzorientierung in der Schule? Die Ausrichtung auf die Kompetenzorientierung brachte und bringt dem schulischen Unterricht einige wichtige Impulse zur Weiterentwicklung, da vor allem das überkommene schulische Wissens- und Stoffverständnisse kritisiert wird. Unter der Perspektive der Kompetenzorientierung erhält der Umgang mit Wissen eine grössere Aufmerksamkeit, mit der Konsequenz, Wissen aufzubauen, das zur Problemlösung herangezogen werden kann und dessen Sinn sich für die Lernenden nicht vor allem aus dem innerschulischen Bewertungs- und Selektionssystem heraus ergibt (Wilhelm & Kalcsics, in Vorbereitung). Kompetenz entwickelt sich in Situationen, die im Grunde schon die zu erwartende Kompetenz erfordern. Kompetenzentwicklung lässt sich folglich im Unterricht über Aufgaben erreichen, die zunächst von der Anforderungssituation ausgehen und schrittweise an die Anforderungssituation heranführen oder die der Anforderungssituation nachempfunden sind. Im Sinne von Weinert (2002) wird sich kompetenzorientierter Unterricht am Bewähren im Leben ausrichten. Kompetenzorientierter Unterricht wird demgemäss anhand eines für die Lernenden neuen Problems koordiniert, das die Auseinandersetzung mit verschiedenen Wissens- sowie Könnens-Elementen anregt. Entscheidend ist, dass die Lernenden kompetent werden und das heisst, dass sie auf Denk- und Handlungsoptionen hinarbeiten, die sie in Realsituationen der Lebenswelt handlungsfähig machen. Kompetenzorientierter Unterricht strebt diesen Prozess des Kompetenzerwerbs an. Sobald darüber hinaus die gestellten unterrichtlichen Anforderungssituationen individuell auf den Lernprozess von Schülerinnen und Schülern zugeschnitten werden (können), sprechen wir in Erweiterung des kompetenzorientierten Unterrichts von einem kompetenzfördernden Unterricht. Kompetenzfördernder Unterricht erweitert demnach den kompetenzorientierten Unterricht um den Faktor des individuellen Lernprozesses der Schülerinnen und Schüler. Er geht von den Lernenden und ihren Lernvoraussetzungen aus und fokussiert einen bestimmten Prozess des Lernens. In diesem Lernprozess werden in noch unbekannten Anforderungssituationen Probleme gelöst. Dieses kreative Problemlösen ist einerseits geprägt von individuellen und sozialen Komponenten und andererseits vom Übergang von divergenten zu konvergenten Denkprozessen (Wilhelm et al., 2015). 2 Wie lassen sich Kompetenzen nach Lehrplan 21 strukturieren? Planen und Vorbereiten waren schon immer zentrale Aufgaben einer Lehrperson und sie sind es nach wie vor. Sie sind ein wichtiger Teil des Unterrichtens selbst, eine mentale Unterrichtshandlung, wie Kiper (2014, S. 9) es nennt. So gehört es zum professionellen Anspruch an Lehrerinnen und Lehrer, die Auswahl der im Unterricht behandelten Inhalte didaktisch begründen zu können und die Sachbegegnungen methodisch angemessen zu strukturieren. Durch die Orientierung an den Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler entwickeln, also am sogenannten Output, verändert sich aber der Fokus auf die Planung. Denn die erste Frage bei der Planung lautet nun: Welche Kompetenzen sollen die Schülerinnen und Schüler am Ende entwickelt haben und woran kann ich den Kompetenzzuwachs der Schülerinnen und Schüler erkennen? Ausgehend vom angezielten Ende wird der Unterricht konzipiert, indem sozusagen rückwärts, die einzelnen Etappen eines kumulativen Prozess des Kompetenzerwerbs von den Erwartungen her festlegt werden (vgl. Abbildung 1). Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 3 von 15

Abbildung 1: Kompetenzerwerbschema (verändert nach Lersch & Schreder 2013) In der Ausrichtung auf kumulatives Lernen wird der Blick dafür geschärft, was Unterrichtsplanung zu leisten hat. Denn wenn im Unterricht für Lernende aufeinander aufbauende Konzepte und Verknüpfungen zwischen Inhalten sichtbar und verstehbar gemacht werden sollen, und wenn Verknüpfungen zwischen Inhalten und Arbeitsweisen fächerverbindend und fächerübergreifend angelegt werden sollen, damit Synergien sinnvoll genutzt werden können, dann muss sich das in der langfristigen Unterrichtsplanung wiederfinden (vgl. Wilhelm & Kalcsics, in Vorbereitung). Der Lehrplan 21 gibt lediglich die Grundansprüche der jeweiligen Kompetenzen vor, sowie die Kompetenzstufen, die bis zum Orientierungspunkt (z.b. Ende der 4. Primarschulstufe oder Ende des 1. Semesters der 2. Sekundarschulstufe) erreicht werden sollten, nicht aber die konkrete Anordnung der Kompetenzen bzw. Kompetenzstufen im Jahresverlauf. Kompetenzbeschreibungen können folglich nicht wortwörtlich aus dem Lehrplan 21 übernommen werden; die zu erreichende Kompetenz muss an die personelle und strukturelle Situation (Klasse, begangene Lernwege usw.) angepasst werden. Folglich wird aufgrund einer Mehrjahresplanung und der Gewichtung der Themen bzw. der Denkund Handlungsweisen sowie der Lernfortschritte der Klasse die Lehrplankompetenzen neu strukturiert und passend auf die Situation der Schule und Klasse umformuliert. Die Planung beginnt also damit zu fragen, was Schülerinnen und Schüler können sollen, welche Fachkonzepte und Handlungsweisen so bedeutsam und ergiebig sind, dass es sich lohnt, sich damit zu beschäftigen. So werden Lehr- und Lernwege nach dem Prinzip vom Ende her konzipiert. Mit dem Blick auf die zu erarbeitenden Kompetenzen werden Fragen, Probleme, Situationen, Phänomene festgelegt, an denen Schülerinnen und Schüler ihr Wissen, ihre Denk- und Handlungsweisen sowie ihre Einstellungen und Interessen weiterentwickeln können (= kumulativer Prozess). Andererseits soll damit für die Lehrpersonen eine belastbare Grundlage für das weitere Unterrichtshandeln entstehen, die Sicherheit und Orientierung gibt. Eine langfristige Planung bildet das Wesentlich als einen Leitfaden ab. Damit steuert die Lehrperson, welches Wissen, Verstehen und Können im Voraus erhoben werden, was und wie beurteilt wird, wie Materialien und Lehrwerke eingesetzt werden, sowie methodischdidaktische Entscheidungen über Lehr- und Lernprozesse. Diese Planungen geben Freiraum für Lehrende und Lernende, ihre eigenen Wege zu gehen, aber immer mit dem Blick auf das Ziel (Wilhelm et al., 2015). Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 4 von 15

3 Wie plant man einen kompetenzorientierten Unterricht? Ein zentraler Schritt in der Tätigkeit einer Lehrperson ist die fachdidaktische Aufarbeitung der Lerninhalte. Dabei kann entweder das Vorgehen der didaktischen Reduktion oder jener der didaktischen Rekonstruktion begangen werden. Unter didaktischer Reduktion wird die Vereinfachung wissenschaftlicher Aussagen verstanden, die Beschränkung auf das Wesentliche. Dabei geht es um eine Vereinfachung von Konzepten, Definitionen und Regeln, aber auch um eine Beschränkung auf nur notwendige Fachbegriffe. Oft wird unterschieden in eine (a) quantitative didaktische Reduktion: Bestimmte Inhalte eines Themengebietes werden im Unterricht nicht berücksichtigt (Auswahl von Aspekten bzw. Beispielen); (b) qualitative didaktische Reduktion: Die Sachstruktur eines Inhaltes wird vereinfacht (Verringerung der Komplexität, Verzicht auf Tiefe). Bei der Didaktischen Reduktion wird der Lerngegenstand (der Inhalt) immer weiter vereinfacht. Die Grenze der Reduktion ist dann erreicht, wenn durch weitere Vereinfachung fachliche Fehler verursacht würden. Für den kompetenzorientierten Unterricht ist das Vorgehen der didaktischen Reduktion ungeeignet, da sie ausschliesslich beim Lerngegenstand ansetzt, den es aber bei der Kompetenzorientierung in dieser Ausschliesslichkeit nicht mehr gibt. Demgegenüber zielt die ursprünglich auf Kattmann et al. (1997) zurückgehende didaktische Rekonstruktion darauf ab, die Perspektiven der Lernenden und die Sachstruktur des Lerngegenstandes durch geeignete didaktische Strukturierung zusammenzuführen. Für den kompetenzorientierten Unterricht kann der Ansatz der Didaktischen Rekonstruktion erweitert werden (vgl. Abbildung 2). Der zu klärenden Kompetenz der Lernenden steht die zu klärende Fachkompetenz gegenüber, die es über die Didaktische Rekonstruktion zusammenzuführen gilt. Dabei gilt es einerseits didaktische Brückenelemente zu finden zwischen den Konzepten der Lernenden und Fachkonzepten, anderseits eine solche zwischen den Lernenden Denk- und Handlungsweisen und jenen des Faches. Bei der Wahl der Brückenelemente gilt es schliesslich die Einstellungen und Interessen der Schülerinnen und Schüler zu klären und zu berücksichtigen. Abbildung 2: Didaktische Brücke zwischen Kompetenzen der Lernenden und Fachkompetenzen (Didaktische Rekonstruktion für den Kompetenzorientierten Unterricht) Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 5 von 15

3.1 Klären der Kompetenzfacetten? Die didaktische Rekonstruktion einer sachadäquaten Kompetenz geht von den Kompetenzen der Lernenden aus, also von den Vorstellungen der Lernenden und den damit verbundenen Denk- und Handlungsweisen (vgl. Abbildung 3). Um diese beiden Aspekte der Lernenden- Kompetenz zu schärfen, als auch die zu erreichende Fachkompetenz zu klären, werden Denkund Handlungsweisen und Fachkonzepte während einer Klärungsphase getrennt rekonstruiert, um danach bei der didaktischen Strukturierung wieder als Einheit betrachtet zu werden (vgl. Kapitel 3.2). Abbildung 3: Klärung Didaktische Rekonstruktion der Konzepte, Denk-/Handlungsweisen und Einstellungen/Interessen Aus der Klärung der Bedeutsamkeit des Lerninhaltes aus fachlicher und gesellschaftlicher Perspektive, sowie der Betroffenheit aus individueller Perspektive ergibt sich das grundlegenden Anliegen und Ziel, das mit diesem Inhalt im Unterricht verfolgt wird. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte grob erläutert: 1-1 Kompetenzen der Lernenden: Sie fussen auf Erfahrungen der Lebenswelt sowie auf vorangegangen Unterrichtsreihen. 2-1 Denk- und Handlungsweisen der Lernenden: Die Lehrperson erschliesst sich die Denk- und Handlungsweisen der Schülerinnen und Schüler aufgrund empirischer Studien, autobiographischer Rekonstruktion o- der Lernstanddiagnosen vorangehender Unterrichtsreihen. 3-1 Lernenden-Konzepte: Auch die Präkonzepte und Perspektiven der Schülerinnen und Schüler erschliessen sich die Lehrperson aufgrund empirischer Studien, autobiographischer Rekonstruktion, Lernstanddiagnosen vorangehender Unterrichtsreihen oder aufgrund vorunterrichtlicher Präkonzepterhebungen bei den Lernenden. 1-2 Fachkompetenzen: Die zu erreichende Fachkompetenz leitet sich aus den in der Jahresbzw. Stufenplanung als bedeutsam erachteten Kompetenzen ab (vgl. Kapitel 2). Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 6 von 15

2-2 Denk- und Handlungsweisen im Fach: Die der Kompetenz zugrundeliegenden Denk- und Handlungsweisen des Fachs werden durch die Lehrperson geklärt und bei Bedarf geübt. 3-2 Fachkonzepte: Die Lehrperson weiss über die zu unterrichtende Sache, inklusive der durch den Lehrplan vorgegebenen Fokussierung vertieft Bescheid. Lehrbücher und Fachliteratur dienen dazu als Grundlage; weniger geeignet sind Lehrmittel, da dort bereits eine didaktische Reduktion vorgenommen wurde. Einstellung und Interesse: Einstellung und Interesse basieren auf einer Person-Objekt- Beziehung. 2-3 Einstellung und Interesse gegenüber Denk- und Handlungsweisen: Die Lehrperson wird sich bewusst, welche Einstellungen bzw. Interessen die Denk- und Handlungsweisen der Lernenden beeinflussen könnten und inwiefern ihre eigenen Haltungen und Handlungsweisen Beispiel sein können. 3-3 Einstellung und Interesse gegenüber Konzepten: Die Lehrperson klärt, welche Interessenslage bzw. welche Haltungen bei den Schülerinnen und Schülern aus empirischer Sicht gegenüber dem Lerngegenstand zu erwarten sind (z.b. Gendereinflüsse) und legt sich gegenüber Rechenschaft ab, wo sie steht. Rekonstruktion der Konzepte sowie Denk- und Handlungsweisen unter Einbezug von Einstellungen und Interessen. 2-4 Rekonstruktion der Denk- und Handlungsweisen: Die Lehrperson klärt das Potential der Denk- und Handlungsweisen der Lernenden, um mögliche Brückenelemente zu den Denk- und Handlungsweisen im Fach zu finden. Dabei sucht sie nach Anknüpfungspunkten bei den Einstellungen und Interessen der Lernenden. 3-4 Rekonstruktion der Konzepte: Die Lehrperson sucht nach Grenzen der Erklärungsmuster von Lernenden-Konzepten bzw. klärt das Potential der Lernenden- Konzepte, um mögliche Brückenelemente zu Fachkonzepten zu finden. Dabei bezieht sie wiederum Einstellungen und Interessen der Lernenden ein. 3.2 Die didaktische Strukturierung Der entscheidende Schritt bei der Planung von Unterricht ist nach dem Modell der didaktischen Rekonstruktion, dass hier auf der Basis der Klärung Entscheidungen getroffen werden und es so zur didaktischen Strukturierung kommt. Denn die konkreten Ziele für den Unterricht können nicht einfach aus dem Lehrplan abgeleitet werden, sondern sind erst im Ergebnis einer Analyse der Passung von Lernanforderungen und Lernvoraussetzungen möglich. Die didaktische Strukturierung eines lernwirksamen Unterrichts wird hier als Konstruktion einer didaktischen Brücke (vgl. Lange 2002, S. 362) zwischen den Lernenden-Kompetenzen und den sachadäquaten Kompetenzen verstanden (vgl. Abbildung 4). Damit diese Überbrückung gelingt, dienen die während der Klärungsphase (Kapitel 3.1) rekonstruierten Denk- und Handlungsweisen und die rekonstruierten Konzepte als Grundlage. Moduliert wird die didaktische Strukturierung durch motivationale und volitionale Aspekte zum geplanten Unterricht. Hier gilt es insbesondere das individuelle (dispositionale) und situationsbezogene (situationale) Interesse der Lernenden am Lerngegenstand zu unterscheiden. Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 7 von 15

Abbildung 4: Planung Konstruktion einer Didaktischen Brücke zwischen den Lernenden- und den Fachkompetenzen (=Didaktische Strukturierung) Die didaktische Brücke verbindet die Lernenden- Kompetenzen mit den Fachkompetenzen. Damit diese Überbrückung gelingt, dienen die rekonstruierten Denk- und Handlungsweisen und die rekonstruierten Konzepte als Grundlage, das Lernen didaktisch zu strukturieren. Bei der Festlegung dieses didaktischen Konzepts, wird über die Ausrichtung der Unterrichtseinheit entschieden und festgelegt, wie das Wechselspiel zwischen Alltagswelt und Sachwelt ganz konkret gestaltet wird, wie mit den Präkonzepten der Schülerinnen und Schüler im Unterricht umgegangen wird, welche Lernsituationen und Lernumgebungen geschaffen werden und wie die Begleitung und Beurteilung aussieht. Damit die didaktisch strukturierten Elemente der didaktischen Brücke in einen vollständigen Lernprozess überführt werden, ist eine Orientierung an Lernprozessmodellen notwendig, die einen vollständigen Lernzyklus modellieren, z.b. das Creative Problem Solving Model (De Haan 2009) oder das Modell KAFKA (Reusser 1999, 2014) (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1 Das Modell kreativen Problemlösens nach de Haan (2009) und das lernpsychologische Modell nach Reusser (2014) Creative Problem Solving Model der Naturwissenschaften nach de Haan (2009) KAFKA Modell nach Reusser (1999, 2014) Divergierendes Denken K Kontakt herstellen Konvergentes Denken A Aufbauen F Flexibilisieren K Konsolidieren Analogiebildendes Denken A Anwenden Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 8 von 15

4 Wie kann eine Unterrichtseinheit aufgabenorientiert geplant werden? 4.1 Zum (richtigen) Ort der Aufgabe Kompetenzorientierung bei der Unterrichtsgestaltung bedeutet verstärkt mit Aufgaben zu arbeiten. Dabei können den Aufgaben vielfältige Funktionen zugewiesen werden: Sie zielen auf den Auf- und Ausbau fachlicher und überfachlicher Kompetenzen, sie strukturieren Lernprozesse und machen diese sichtbar, sie geben Auskunft über die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler (z.b. Abraham & Müller, 2009; Luthiger, 2014). Doch beim aktuellen Diskurs zur Frage, welche Lernaufgaben kompetenzorientiert sind und welche nicht, wird übersehen, dass Kompetenzförderung ein Lernprozess ist, der Zeit braucht und der über mehrere Stationen erfolgt. Nötig sind deshalb Aufgabensets, im Sinne von Aufgabenfolgen, die im Idealfall kompetenzfördernd sind. Bei einer einzelnen losgelösten Aufgabe kann nicht entschieden werden, ob sie sog. kompetenzorientiert ist oder nicht; der Entscheid hängt immer von der ihr zugewiesenen didaktischen Funktion im Unterrichtssetting ab, bei der die lernrelevanten Aufgabenmerkmale unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Das sich aus den Lernprozessmodellen nach de Haan (2009) und nach Reusser (1999, 2014) (vgl. Tabelle 1) ergebende Modell der didaktischen Funktionen von Lernaufgaben (vgl. Abbildung 5) startet und endet in der Lebenswelt der Schülerinnen und Schülern, also bei ihren Alltagskonzepten und Alltagskompetenzen. Abbildung 5: Modell der didaktischen Funktionen von Lernaufgaben Als Gelenkstelle zwischen Lebenswelt und Unterricht stehen Konfrontationsaufgaben (Kontakt herstellen). Sie beruhen auf lebensweltlichen Problemen bzw. fachauthentischen Phänomenen, machen neugierig, irritieren, werfen Fragen zur Kernidee des Unterrichts auf und regen zum Austausch sowie zu ersten Intuitionen an. Sie fördern divergierendes Denken, lassen alle Asso- Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 9 von 15

ziationen zu und wecken somit das Bedürfnis etwas zu verstehen oder neu zu können. Sie können die Lernenden während der gesamten Unterrichtssequenz begleiten. Die nachfolgende Phase des konvergenten Denkens und Handelns beginnt in der Regel mit Erarbeitungsaufgaben, die einen kognitiv aktivierenden Wissenserwerb anregen (Aufbauen). Klare Strukturierung und unmittelbare Feedbacks ermöglichen eine Verknüpfung der subjektiven Konzepte und Handlungsweisen mit dem regulären Fachwissen. Mittels automatisierenden Übens, den Übungsaufgaben, bzw. durcharbeitenden Übens, den Vertiefungsaufgaben, werden die unterschiedlichen Aspekte des Lerngegenstandes konsolidiert und flexibilisiert (Flexibilisieren und Konsolidieren). Den Abschluss bildet die Phase der Analogiebildung. Mittels Synthese- und Transferaufgaben wird Neues mit Bekanntem in Bezug gesetzt: So kann die Konfrontationsaufgabe zur Syntheseaufgabe umformuliert und/oder in eine Transferaufgabe überführt werden (Anwenden). Die Denk- und Handlungsoptionen werden erweitert und bei gelingendem Unterricht das Niveau der beabsichtigten (Ziel-) Kompetenz erreicht. Entscheidend ist immer der Blick auf die Schülerinnen und Schüler und wo sie in ihrem Lernprozess stehen. Daraus ergibt sich, welche Aufgabe sie brauchen, um den nächsten Schritt machen zu können. Das führt zur Bedeutung der Begleitung von Lernprozessen. In vielen Fachdidaktiken (z.b. Abraham & Müller, 2009; Büchter & Leuders, 2005; Köster, 2008) und in instruktionspsychologischen Ansätzen (z.b. Astleitner, 2006; Leutner, Fischer, Kauertz, Schabram & Fleischer, 2008) wird hierzu zwischen Aufgaben für das Lernen (= Lernaufgaben) und Aufgaben für das Leisten (= Leistungsaufgaben) unterschieden. Das Modell der didaktischen Funktionen von Lernaufgaben ergänzen wir deshalb mit Leistungsaufgaben zur formativen und summativen Beurteilung der Lernenden. Formative Beurteilungsaufgaben können im Verlaufe des gesamten Unterrichtsprozesses eingesetzt werden und sind in vielen Fällen den Merkmalsausprägungen von Erarbeitungs- und Übungsaufgaben ähnlich. Zweifelsohne erfolgen im Verlauf des Unterrichtsprozesses auch informelle formative Beurteilungen, die sich auf das Lösungsverhalten der Lernenden beim Bearbeiten von Lernaufgaben stützen. Dies birgt aber auch im Rahmen eines gut gemeinden Förderprozesses der Lernenden die Gefahr einer unbewussten Vermischung von Lern- und Leistungssituationen (Luthiger, 2014). Deshalb fordert u.a. die Bundes-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK, 1997) die Bewertung der Lernenden die eigentliche Leistungssituation vollständig von der Lernsituation zu trennen. Hierzu sind eigenständige summative Beurteilungsaufgaben notwendig. Im kompetenzfördernden Unterricht weisen sie hohe Merkmalsähnlichkeit mit Synthese- und Transferaufgaben auf und reichen in den Naturwissenschaften von Portfolios, über praktische Laborarbeit bis hin zu reinen Papier- und Bleistifttests. 4.2 Lernrelevante Merkmale Ob Aufgaben lernwirksam sind, hängt aber nicht nur von ihrer chronologisch-sachlogischen Einbettung und dem geschickten Zusammenspiel innerhalb des Kompetenzaufbaus ab, sondern wesentlich auch von der Qualität eigener lernrelevanter Merkmale: (1) Kompetenzabbild, (2) Lebensnähe, (3) Arbeit an (Prä-)Konzepten, (4) Wissensart, (5) Kognitiver Prozess, (6) Strukturierung der Aufgabe, (7) Repräsentationsformen, (8) Offenheit der Aufgabe, (9) Lernunterstützung, (10) Vielfalt der Lernwege. (vgl. Tabelle 2). Dieser Einteilung liegen empirische und theoretische Arbeiten zur Analyse des kognitiven Potentials von Aufgaben (z.b. Abraham & Müller, 2009; Blömeke, S., Risse, J., Müller, Ch., Eichler, Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 10 von 15

D., & Schulz, W. (2006); Bruder, 2010; Büchter & Leuders, 2005; Köster, 2008; Maier, U., Bohl, T., Kleinknecht, M. & Metz, K. (2013)) sowie grundlegende Erkenntnisse aktueller Forschung zur Unterrichtsqualität (Hattie, 2013; Helmke, 2009; Meyer, 2004; Wellenreuther, 2004) zugrunde. Tabelle 2: Zehn lernrelevante Merkmale kompetenzorientierter Aufgaben Merkmalsbereich Merkmal Beschreibung Authentizität Kompetenzabbild Mit diesem Merkmal wird erfasst, inwiefern die ganze Kompetenz oder nur einzelne Kompetenzaspekte mit einer Aufgabe entwickelt werden. Ausprägungen: (1) singulär, (2) additiv, (3) integral. Lebensnähe Mit Lebensnähe wird die Spanne zwischen domänenspezifischem Fachwissen und der Erfahrungs- und Lebenswelt der Jugendlichen definiert. Ausprägungen: (1) ohne, (2) konstruiert, (3) authentisch, (4) real. Kognition Arbeit an (Prä-)Konzepten Kompetenzen werden auf der Grundlage vorhandener Vorstellungen aktiv ausgebaut. Aufgaben unterscheiden sich dadurch, wie mit Vorstellungen der Lernenden gearbeitet wird. Ausprägungen: (1) ohne, (2) implizit, (3) explizit, (4) reflektierend. Wissensart Kognitiver Prozess Dieses Merkmal beschreibt die Grundelemente, welche beim Lösen einer Aufgabe von den Lernenden verlangt sind. Ausprägungen: (1) Fakten, (2) Fertigkeiten, (3) Konzepte, (4) Metakognition. Dieses Merkmal beschreibt die Art der Leistung adressiert, die eine Aufgabenbearbeitung von den Lernenden einfordert. Grundsätzlich kann zwischen einer Reproduktionsleistung und einer Transferleistung (naher, weiter, kreativer) differenziert werden. Ausprägungen: (1) Reproduktion, (2) Naher Transfer, (3) Weiter Transfer, (4) Kreativer Transfer. Komplexität Strukturierung der Aufgabe Die Fragestellung einer Aufgabe besteht in der Regel aus einer oder verschiedenen Teilaufgaben. Von Bedeutung ist, inwiefern der Aufbau dieser Teilaufgaben mit dem Bearbeitungsprozess der Aufgabe strukturgleich ist. Ausprägungen: (1) vorstrukturiert, (2) teilstrukturiert, (3) unstrukturiert. Repräsentationsformen Eine Vielfalt von Repräsentationsformen innerhalb einer Aufgabe wirkt komplexitätssteigernd. Mit diesem Merkmal wird analysiert, in welchen Formen die für die Aufgabenbearbeitung notwendigen Informationen präsentiert werden und in welchen Repräsentationsformen die Lösung verlangt wird. Ausprägungen: (1) singulär, (2) integrierend, (3) transformierend. Differenzierung Offenheit der Aufgabe Aufgaben lassen sich dahingehend einordnen, ob Informationen über die Ausgangssituation (Start) und über das Ergebnis bzw. Lösung (Ziel) jeweils eindeutig oder offen sind. Ausprägungen: (1) erklärt und geschlossen, (2) frei und geschlossen, (3) erklärt und offen, (4) frei und offen. Lernunterstützung Vielfalt der Lernwege Damit individuelle Lernwege innerhalb einer Aufgabe möglich sind, können an bestimmten Stellen Hilfen sog. Scaffolds angeboten werden, die die Lernenden bei Bedarf individuell in Anspruch nehmen können. Ausprägungen: (1) keine, (2) integriert, (3) rückmeldend. Aufgaben, die individuelle Lern- und Bearbeitungswege auf unterschiedlichen Leistungsniveaus (Orientierung am Kompensationsprinzip) und/oder mit unterschiedlich ausgeprägten Interessen (Orientierung am Profilprinzip) zulassen, sind wichtig. Ausprägungen: (1) ohne, (2) kompensierend, (3) profilbildend, (4) selbstdifferenzierend. Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 11 von 15

4.3 Prozessmodell Die lernrelevanten Merkmale können in das Modell der didaktischen Funktionen von Lern- und Leistungsaufgaben (Abbildung 5) integriert werden. Das sich daraus ergebende Prozessmodell beschreibt idealtypisch den Aufbau kompetenzfördernder Aufgabensets (vgl. Abbildung 6). Selbstverständlich bildet das Prozessmodell nie die gesamte Unterrichtswirklichkeit ab (Luthiger, Wilhelm & Wespi, 2014). Auch verläuft der Kompetenzaufbau nicht derart linear, wie es das Modell suggeriert. Gleichwohl hilft es Lehrkräften, einerseits einen Überblick über die jeweilige Funktion der zu entwickelnden Aufgaben zu erhalten, andererseits Aufgaben so auszuwählen bzw. zu entwickeln, dass diese für einen vollständigen Kompetenzaufbau bedeutsam sind und motivierend auf die Lernenden wirken: Abbildung 6: Prozessmodell kompetenzfördernder Aufgabensets (Wilhelm, Luthiger & Wespi, 2014) Typisch für Konfrontationsaufgaben ist, dass sie anregen, die ineinandergreifenden Teilaspekte der zu erlernenden Kompetenz möglichst realitätsnah zu nutzen (Grad der Authentizität); an den Präkonzepten der Lernenden anknüpfen und divergierendes Denken und Handeln fördern (Art der Kognition); vorstrukturiert sind (Grad der Komplexität); offen und somit selbstdifferenzierend sind (Grad der Differenzierung). Typisch für Erarbeitungsaufgaben ist, dass sie unterstützen, mehrere Teilaspekte einer Kompetenz nach- und nebeneinander zu erlernen (Grad der Authentizität); individuelle Vorstellungen explizit ordnen und ergänzen (Art der Kognition); vor- oder teilstrukturiert Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 12 von 15

sind (Grad der Komplexität); zeitnahes sachorientiertes Feedback und Lernunterstützung ermöglichen (Grad der Differenzierung). Typisch für Übungs-/Vertiefungsaufgaben ist, dass sie eng fachlich orientiert sind (Grad der Authentizität); individuelle Vorstellungen implizit ordnen, erweitern (Art der Kognition); immer weniger strukturiert sind (Grad der Komplexität); unterschiedliche Lernvoraussetzungen kompensieren (Grad der Differenzierung). Typisch für Synthese-/Transferaufgaben ist, dass sie anregen, die Teilaspekte der zu erlernenden Kompetenz möglichst integral, also realitätsnah zu nutzen (Grad der Authentizität); anhand der erweiterten Vorstellungen der Lernenden analogiebildendes Denken und Handeln fördern (Art der Kognition); Integration oder Transformation verschiedener Repräsentationsformen einfordern (Grad der Komplexität) zunehmend offene Fragestellungen mit mehreren möglichen Lösungen/Lösungswegen zulassen (Grad der Differenzierung). Typisch für formative Beurteilungsaufgaben ist, dass sie diagnostizieren, inwiefern Teilaspekte einer Kompetenz beherrscht bzw. zusammengeführt werden können (Grad der Authentizität); diagnostizieren explizit individuelle Vorstellungen sowie alle vier erlernten Wissensarten (Art der Kognition); unterschiedlich stark strukturiert sind (Grad der Komplexität); zeitnahes sachorientiertes Feedback und Lernunterstützung geben (Grad der Differenzierung). Typisch für summative Beurteilungsaufgaben ist, dass sie bewerten, inwiefern Teilaspekte der zu erlernenden Kompetenz beherrscht bzw. zusammengeführt werden können (Grad der Authentizität); Lernleistung in allen vier erlernten Wissensarten insbesondere im Hinblick auf analogiebildenden Denken und Handeln bewerten (Art der Kognition); Integration oder Transformation verschiedener Repräsentationsformen einfordern (Grad der Komplexität); auch offene Fragestellungen mit mehreren möglichen Lösungen/Lösungswegen zulassen (Grad der Differenzierung). Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 13 von 15

5 Literatur Abraham, U. & Müller, A. (2009). Aus Leistungsaufgaben lernen. Praxis Deutsch, 36(214), 4-12. Astleitner, H. (2006). Aufgaben-Sets und Lernen: Instruktionspsychologische Grundlagen und Anwendungen. Frankfurt am Main, New York: Lang. BLK (Hrsg.) (1997). Gutachten zur Vorbereitung des Programms Steigerung der Effizienz des mathematischnaturwissenschaftlichen Unterrichts. Bonn: Bundes-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung. Blömeke, S., Risse, J., Müller, Ch., Eichler, D., & Schulz, W. (2006). Analyse der Qualität von Aufgaben aus didaktischer und fachlicher Sicht. Ein allgemeines Modell und seine exemplarische Umsetzung im Unterrichtsfach Mathematik. Unterrichtswissenschaft, 34 (4), 330-357. Bruder, R. (2010). Lernaufgaben im Mathematikunterricht. In: H. Kiper, W. Meints, S. Peters, S. Schlump & S. Schmit (Hrsg.), Lernaufgaben und Lernmaterialien im kompetenzorientierten Unterricht (S. 114-124). Stuttgart: Kohlhammer. Büchter, A. & Leuders, T. (2005). Mathematikaufgaben selbst entwickeln. Lernen fördern - Leistung überprüfen. Berlin: Cornelsen Scriptor. De Haan, R. L. (2009). Teaching Creativity and Inventive Problem Solving in Science. CBE-Life Science Education, 8(3), 172-181. Hattie, J. (2013). Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von "Visible Learning" besorgt von Wolfgang Bewyl und Klaus Zierer. Schneider Verlag Hohengehren: Baltmannsweiler. Kiper, H. (2014). Planung, Durchführung und Reflexion von Unterricht. Handlungspsychologische Überlegungen. In: Journal für Lehrerinnenbildung 4, 7-14. Konsortium HarmoS Naturwissenschaften+ (2009). Naturwissenschaften. Wissenschaftlicher Kurzbericht und Kompetenzmodell. PH Bern. Köster, J. (2008). Lern- und Leistungsaufgaben im Deutschunterricht. Deutschunterricht, 61(5), 4-8. Lange, D. (2002). Die Alltagsgeschichte in der historisch-politischen Didaktik - Zur politischen Relevanz alltagsorientierten Lernens. Berlin: Dissertation [http://www.diss.fu-berlin.de/2002/116/index.html]. Lersch, R. & Schreder, G. (2013). Grundlagen kompetenzorientierten Unterrichtens: Von den Bildungsstandards zum Schulcurriculum. Stuttgart: Barbara Budrich. Leuders, T. (2014). Aufgaben in Forschung und Praxis. In: B. Ralle, S. Prediger, M. Hammann & M. Rothgangel (Hrsg.), Lernaufgaben entwickeln, bearbeiten und überprüfen (S. 33 bis 50). Münster: Waxmann. Leutner, D., Fischer, H. E., Kauertz, A., Schabram, N. & Fleischer, J. (2008). Instruktionspsychologische und fachdidaktische Aspekte der Qualität von Lernaufgaben und Testaufgaben im Physikunterricht. In: J. Thonhauser (Hrsg.), Aufgaben als Katalysatoren von Lernprozessen. Eine zentrale Komponente organisierten Lehrens und Lernens aus der Sicht von Lernforschung, allgemeiner Didaktik und Fachdidaktik (S. 169-181). Münster, New York, München, Berlin: Waxmann. Luthiger, H. (2014). Differenz von Lern- und Leistungssituationen. Eine explorative Studie zu ihrer theoretischen Grundlegung und empirischen Überprüfung. Münster: Waxmann. Luthiger, H., Wilhelm, M. & Wespi, C. (2014). Entwicklung von kompetenzorientierten Aufgabensets. Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 14(3), 56 bis 66. Maier, U., Bohl, T., Kleinknecht, M. & Metz, K. (2013). Allgemeindidaktische Kategorien für die Analyse von Aufgaben. In: M. Kleinknecht, T. Bohl, U. Maier & K. Metz (Hrsg.), Lern- und Leistungsaufgaben im Unterricht: Fächerübergreifende Kriterien zur Auswahl und Analyse (S. 9-45). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Meyer, H. (2004). Was ist guter Unterricht? Berlin: Cornelsen Scriptor. Reusser, K. (1999). Skript zur Vorlesung Allgemeine Didaktik. Zürich: Pädagogisches Institut der Universität Zürich. Reusser, K. (2014). Aufgaben - Träger von Lerngelegenheiten und Lernprozesse im kompetenzorientierten Unterricht. Seminar, 4, 77-101. Wellenreuther, M. (2004). Lehren und Lernen - aber wie? Empirisch-experimentelle Forschungen zum Lehren und Lernen im Unterricht (2). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Weinert, F.E. (2002). Vergleichende Leistungsmessung in Schulen eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In F.E. Weinert (Hrsg.), Leistungsmessung in Schulen (27f.). Weinheim: Beltz. Markus Wilhelm / Herbert Luthiger Seite 14 von 15

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