Wiss. Mitarbeiter Ass. iur. Alexander Kraus, LL.M. Wiss. Mitarbeiter RA Dr. Ludwig Griebl Fachgebiet Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht Hinweis: Die Musterlösung der Klausur aus dem Sommersemester 2011 soll Ihnen einen Eindruck geben, welche Leistung inhaltlicher und stilistischer Art für die Note 1,0 erwartet wurde. Sachverhalt Klausur UR I vom 3. August 2011 Adrian (A) und Benedikt (B) sind die beiden einzigen Gesellschafter der im Handelsregister eingetragenen A & B Landmaschinen-OHG (A & B-OHG). Ihr ehemaliger Studienkollege Paul (P) ist bei der A & B-OHG angestellt und erhält Prokura. Die Erteilung der Prokura wird ins Handelsregister eingetragen. Aufgrund einer ausdrücklichen Bestimmung im Anstellungsvertrag mit der A & B-OHG ist es P untersagt, einzelne Geschäfte über mehr als 100.000 ohne Zustimmung von A und B abzuschließen. Nach einiger Zeit kommt es zum Zerwürfnis zwischen A und B einerseits und P andererseits. P wird daraufhin kurzerhand die Prokura entzogen. Dies wird jedoch aufgrund eines Versehens nicht ins Handelsregister eingetragen. Kurze Zeit später erwirbt P dennoch im Namen der A & B-OHG von Valentin (V) eine Landmaschine der Marke John Deere im Wert von 150.000, ohne ihn auf die Beschränkung seiner Vertretungsmacht hinzuweisen. V, dem auch der Widerruf der Prokura nicht bekannt war, kontaktiert nun A und B und verlangt von der A & B-OHG Zahlung von 150.000 sowie Abnahme der Landmaschine. Aufgabenstellung: 1. Erstellen Sie ein Gutachten zu der Frage, ob V von der A & B-OHG Zahlung in Höhe von 150.000 verlangen kann. Gehen Sie bei der Beantwortung insbesondere darauf ein: a) ob überhaupt eine OHG besteht (4 P.) b) ob wirksam Prokura erteilt und u.u. wieder entzogen wurde (9 P.) c) ob eine Vertretung kraft Rechtsscheins einschlägig ist (4 P.) d) welchen Umfang die Vertretungsmacht hat (7 P.) 2. Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn V zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von der Beschränkung der Prokura des P hatte? Aufgabe 1 = 35 Punkte Aufgabe 2 = 5 Punkte
Musterlösung Aufgabe 1 V könnte gegen die A & B-OHG einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 150.000 gem. 433 Abs. 2 BGB i.v.m. 124 Abs. 1 HGB haben. Zunächst müsste überhaupt eine OHG bestehen und diese müsste ein verpflichtungsfähiger Rechtsträger sein. Das Bestehen einer OHG gem. 124 Abs. 1 HGB setzt nach 105 Abs. 1 HGB den Betrieb eines Handelsgewerbes voraus. Der von der A & B-OHG betriebene Handel mit Landmaschinen stellt ein Gewerbe i.s.d. 1 Abs. 1 HGB dar. Dieser Handel muss zudem gem. 1 Abs. 2 HGB einen nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern (Vermutung). Dies ist aufgrund der Höhe der dem P eingeräumten Prokura anzunehmen. Ohnedies ist die A & B-OHG, da sie im Handelsregister eingetragen ist, gem. 105 Abs. 2 S. 1 HGB eine OHG kraft Eintragung. Die OHG ist nach 124 Abs. 1 HGB rechtsfähig. Die A & B-OHG kann damit grundsätzlich Vertragspartei eines Kaufvertrages mit V geworden sein Es müsste ein wirksamer Kaufvertrag zwischen V und der A & B-OHG zustande gekommen sein. Die zwischen V und der A & B-OHG erforderliche Einigung über den Verkauf der Landmaschine setzt zunächst voraus, dass P die A & B-OHG wirksam vertreten hat, 164 ff. BGB: Eine eigene Willenserklärung des P liegt vor. Er hat auch im Namen der A & B-OHG gehandelt (Offenkundigkeitsprinzip). Fraglich ist, ob P mit Vertretungsmacht gehandelt hat. Die erforderliche Vertretungsmacht des P für die A & B-OHG könnte aufgrund einer ihm von der Gesellschaft wirksam erteilten Prokura bestehen. P müsste wirksam Prokura gem. 48 Abs. 1 HGB erteilt worden sein. Die Prokura muss bei einer OHG durch organschaftliche Vertreter erteilt werden. Gem. 125 HGB sind dies die nicht von der Vertretung ausgeschlossenen Gesellschafter. Mangels gegenteiliger Angaben ist davon auszugehen, dass die Voraussetzung in casu erfüllt ist. Eine wirksame Erteilung der Prokura gem. 48 Abs. 1 HGB ist damit gegeben. Die in 53 Abs. 1 S. 1 HGB angeordnete Anmeldung der Prokuraerteilung ins Handelsregister hat nur deklaratorischen, nicht aber konstitutiven Charakter. P wurde demnach ursprünglich wirksam Prokura erteilt.
Nun ist zu prüfen, ob dem P die Prokura wieder wirksam entzogen worden ist. P fehlte es bei Abschluss des Vertrages mit V an der erforderlichen Vertretungsmacht, wenn ihm die Prokura bereits vorher wieder wirksam entzogen worden ist. Die Prokura ist gem. 52 Abs. 1 HGB jederzeit frei widerruflich. Der Widerruf wird wirksam mit Zugang der Widerrufserklärung beim Prokuristen ( 130 Abs. 1 BGB). Ein wirksamer Widerruf der Prokura liegt vor. Die hier unterbliebene Eintragung des Widerrufs im Handelsregister gem. 53 Abs. 2 HGB hatte ebenso wie die Eintragung der Erteilung nur deklaratorischen Charakter. P hatte demzufolge bei Abschluss des Kaufvertrages mit V keine Prokura und folglich keine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht für die A & B-OHG mehr. Es könnte aber eine Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins gegeben sein. P könnte über die Vorschriften zur Handelsregisterpublizität nach 15 HGB so zu stellen sein, als habe er zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses mit V noch Prokura und damit die erforderliche Vertretungsmacht gehabt. Die A & B-OHG kann sich gegenüber V nicht auf den Widerruf der Prokura berufen, wenn diese Tatsache nicht im Handelsregister eingetragen und ordnungsgemäß bekannt gemacht ist (negative Publizität des Handelsregisters gem. 15 Abs. 1 HGB). Die Eintragung des Widerrufs der Prokura ins Handelsregister ist nicht erfolgt und V hatte auch keine Kenntnis von dem Widerruf. Die A & B-OHG muss sich damit dem V gegenüber so behandeln lassen, als hätte P zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch Prokura und damit die erforderliche Vertretungsmacht gehabt. Problematisch ist der Umfang der Vertretungsmacht. Voraussetzung einer wirksamen Vertretung der A & B-OHG beim Vertragsschluss mit V ist, dass P bei Abschluss des Rechtsgeschäfts seine Vertretungsmacht nicht überschritten hat. P könnte seine Vertretungsmacht hier dadurch überschritten haben, dass er entgegen der ausdrücklichen dienstvertraglichen Beschränkung einen Kaufvertrag über 150.000 ohne Zustimmung der Gesellschafter A und B abschloss. Grundsätzlich kann die Vereinbarung zwischen Geschäftsherr und Vertreter, wonach dieser von einer Vollmacht nur in einem bestimmten Umfang Gebrauch machen darf, nach den allgemeinen Regeln des Stellvertretungsrechts als Begrenzung der Vollmacht an sich aufzufassen sein. Ein hiergegen verstoßender Vertreter würde dann im Außenverhältnis als
vollmachtloser Vertreter tätig; ein wirksamer Vertrag würde grds. nicht zustande kommen (vgl. Aufgabe 2). Für die Prokura als Fall einer gesetzlich typisierten Vertretungsmacht finden die allgemeinen Grundsätze des Stellvertretungsrechts jedoch keine Anwendung. Die Prokura gewährt gem. 49 HGB im Interesse des Vertrauensschutzes (Dritter) und der Rechtssicherheit einen gesetzlich zwingend festgelegten Umfang der Vertretungsmacht. Daher ist eine Beschränkung des Umfangs der Prokura nach 50 Abs. 1 HGB Dritten gegenüber unwirksam. Die zwischen der A & B-OHG und P vereinbarte dienstvertragliche Beschränkung der Prokura (Vollmachtsbeschränkung) auf Geschäfte bis zu einem Betrag von 100.000 wirkt sich nur im Innenverhältnis zwischen der A & B-OHG und P aus. P überschreitet mit dem Vertragsschluss zwar das rechtliche Dürfen, nicht jedoch das rechtliche Können im Außenverhältnis zu Dritten. P hat die A & B-OHG mithin beim Vertragsschluss mit V wirksam gem. 164 Abs. 1 S. 1 BGB vertreten. Es sind insbesondere auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kaufvertrag nach 138 Abs. 1 BGB nichtig ist. Sittenwidriges kollusives Zusammenwirken setzt bei der Überschreitung der betragsmäßigen Beschränkung der Prokura voraus, dass sowohl der Vertreter als auch der Vertragspartner bewusst zur Schädigung des Vertretenen agieren. Hierfür gibt es im Sachverhalt indes keine Anhaltspunkte. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht liegt nicht vor, weil keine Evidenz auf Seiten des V festzustellen ist. Ihm musste es sich nicht aufdrängen, dass P seine Vertretungsmacht überschreitet. Der Kaufvertrag zwischen der A & B-OHG, vertreten durch P, und V ist durch Angebot und Annahme wirksam zustande gekommen ( 145, 147 BGB). Im Ergebnis hat V gegen die A & B-OHG einen Anspruch auf Zahlung von 150.000 aus 433 Abs. 2 BGB i.v.m. 124 Abs. 1 HGB. Aufgabe 2 V könnte seinen gegenüber der A & B-OHG bestehenden Kaufpreisanspruch nicht durchsetzen, wenn dieser in Bezug auf den Anspruch des V die auf 242 BGB gestützte Einrede der unzulässigen Rechtsausübung zustehen würde.
Die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung ist grundsätzlich möglich bei einem Missbrauch der Vertretungsmacht. Der Vertreter muss vorsätzlich die Grenzen seines rechtlichen Dürfens überschreiten. Dies ist in casu zu bejahen (s.o.). Der Vertragspartner muss wissen bzw. ihm muss es sich aufdrängen (Evidenz), dass der Vertreter seine im Innenverhältnis beschränkten Befugnisse beim Abschluss des konkreten Rechtsgeschäfts überschreitet. Auch dies ist zu bejahen (siehe Aufgabenstellung). Die A & B-OHG kann gegenüber dem Zahlungsanspruch des V aus 433 Abs. 2 BGB i.v.m. 124 Abs. 1 HGB die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung erheben ( 242 BGB). Wird die Einrede erhoben, ist der Anspruch des V gegenüber der A & B-OHG nicht durchsetzbar. (Teile der Lehre wenden beim Missbrauch der Prokura hingegen 177 BGB analog an, so dass eine alternative Lösung über die Vorschriften zum falsus procurator, 177, 179 BGB analog möglich ist. Dann wäre das Geschäft schwebend unwirksam und hinge von der Genehmigung durch die OHG ab. P würde nach 179 BGB analog haften. Wieder andere stellen auf die Grundsätze der c.i.c. ab.)