Arzneimittelrisiken bei Menschen mit Demenz

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Transkript:

Arzneimittelrisiken bei Menschen mit Demenz (Abb. modifiziert nach M.C. Escher) Dipl. pharm. Frank Hanke Geschäftsführer Gero PharmCare Gesellschaft für Geriatrische Pharmazie mbh www.gero-pharmcare.de Erkrankungen durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) gehören zu den häufigsten und kostspieligsten Krankheitskomplexen in den Industrieländern: Sie rangieren vor Depression, Koronarer Herzkrankheit und Diabetes mellitus. Müller-Oerlinghausen, B., Lasek, R., Düppenbecker, H., Munter, K.-H. (Hrsg.): Handbuch der unerwünschten Arzneimittelwirkungen, Urban & Fischer Verlag, München, Jena, 1. Auflage, Juli 1999 1

Medikationssicherheit - ein wesentliches Gesundheitsproblem der Industrieländer chronisch kranke, alte Menschen haben den höchsten Anteil am Arzneimittelumsatz (Multimorbidität). Schwabe U, Paffrath D. Arzneiverordnungs-Report 2005. Springer Medizin Verlag Heidelberg. Berlin, Heidelberg 2006 53,5% der hochaltrigen Frauen haben eine Über- Unter- oder Fehlmedikation. Borchelt M. Potentielle Neben- und Wechselwirkungen der Multimedikation im Alter. In: Methodik u Ergebnisse d Berliner Altenstudie. Z Gerontol Geriat 1995;28:420-428 bis zu 30 % aller Krankenhauseinweisungen bei älteren Menschen sind UAW bedingt. Col N, Fanale JER, Kronholm P. The role of medication non-compliance and adverse Reactions in the hospitalisation of the elderly. Arch Intern Med 1990;150:841-845. Arzneimittelrisiken im Medikationsprozess Überversorgung Fehlversorgung Unterversorgung 2

Arzneimittelbezogene Probleme (ABP) in Altenheimen Dokumentation durch geriatrischen Pharmazeuten Detektionsmodus nach MAI (Medication Appropriateness Index) und modifizierten Beers Kriterien, Klassifizierung der ABP nach modifiziertem PCNE Code Heimplätze gesamt 141 Heimbewohner in A (16 Monate) 108 Heimbewohner in B (9 Monate) 60 Bewohner gesamt (% Frauen) 168 (77,4 %) Alter der Bewohner 83,9 ± 8,4 (Bereich: 53-101) Anzahl Heimbewohnermonate (n) 1801 Demenzkranke gesamt (%) 99 (58,9 %) Hanke, Jaehde, Thürmann Int J Clin Pharmacol Ther 2006 Zahl und Art der ABP in Altenheimen Von ABP sind alle Heimbewohner betroffen, die Arzneimittel erhalten. 782 individuelle ABP bei 129 Heimbewohnern (76,8%). Verordnung und Therapiebeobachtung: 82 ABP UAW zeigen klinisch und ökonomisch die größte Relevanz: Lagerung: 24 ABP Anwendung: 219 ABP 40 Heimbewohner (23,8%) erlitten insgesamt 82 unerwünschte Arzneimittelereignisse. 3

Beispiele Nach Gabe von Omeprazol Pellets über die Sonde wiederholtes zum Verstopfen durch die Pellets. Einnahme von Antazida zeitgleich mit anderen AM Btm-Pflasterwechsel erfolgt nach mehr als 72h Patient spuckt Tropfen bei der Gabe aufgrund von Schluckbeschwerden aus. gemöserte Tabletten, Kapselinhalte werden in Jogurt, Quark gemischt und verabreicht (auch Doxycyclin) AM zum Essen gegeben obwohl die nüchterne Einnahme vorgeschrieben ist MCP-Gabe trotz Parkinson Gleichzeitige Gabe von Calcium mit Biphosphonaten Welche Patientenschädigungen entstehen? 62 % 11 % 49% der UAW vermeidbar! 76 % 89 % 38 % 24 % 67% 33 % 83 % 17 % 34 % 66 % 20 % 80 % Hanke, Jaehde, Thürmann Int J Clin Pharmacol Ther 2006 4

UAW auslösende Medikamente Antidementiva Demenzkranke Heimbewohner erlitten 74,4% aller UAW, häufig durch ZNS wirksame Arzneimittel. Psychopharmaka bei demenzerkrankten Heimbewohnern Abb. aus: Pharmakotherapie von neuropsychiatrischen Symptomen bei Demenz: Querschnitterhebung in 18 Berliner Seniorenwohnheimen Majic, T; Pluta, J; Mell, T; Aichberger, M C; Treusch, Y; Gutzmann, H; Heinz, A; Rapp, M A Dtsch Arztebl Int 2010; 107(18): 320-7 5

Arzneimittelrisiko Multimedikation Beispiel: Verschreibungskaskaden Medikament 1 Nebenwirkung als neue Erkrankung diagnostiziert unerkannte oder nach Nutzen- Risiko-Abwägung unerwünschte Kaskade Medikament 2 erkannte und nach Nutzen- Risiko-Abwägung erwünschte Kaskade (Komedikation) Nebenwirkung als neue Erkrankung diagnostiziert 6

Verschreibungskaskaden Details Es wurden 12 Verschreibungskaskaden identifiziert, 50% davon als vermeidbar eingestuft. Beispiel: Depression Fluoxetin (SSRI) nach 14 Tagen Delir und Halluzinationen Neuroleptika (Melperon) Ataxie und Sturz nach Melperon Schmerzmedikation Ibuprofen Hanke, Jaehde, Thürmann Int J Clin Pharmacol Ther 2006 Multimedikation und UAW - Risiko 13,3 % Heimbewohner < 6 Dauerverordnungen bekamen eine UAW 23,1 % Heimbewohner 6-9 Dauerverordnungen bekamen eine UAW 46,6 % Heimbewohner > 10 Dauerverordnungen bekamen eine UAW Hanke, Jaehde, Thürmann Int J Clin Pharmacol Ther 2006 7

Achtung vor Trugschlüssen! Multimedikation ist nicht immer überflüssig, sondern bedarf der besondern Aufmerksamkeit! (Risikomanagement) Grundsatz: So wenig wie möglich, soviel wie nötig! Wo liegen die Ursachen der Patientenschädigungen durch Arzneimittel.. 8

in der ambulanten Seniorenversorgung? 58% Dosisfehler Interaktionen Ungeeignete Arzneimittelwahl Therapiebeobachtung 61% falsche Einnahme keine Einnahme Einnahme ohne Indikation Verordnung Compliance 21% < 2% Patientenschädigungen Dispensieren Gurwitz et al. Incidence and Preventability of Adverse Drug Events Among Older Persons in the Ambulatory Setting. JAMA 2003; 9:1107 1116. Nicht Einnahme von Medikamenten bei geriatrischen Patienten ist bedingt durch Einnahme vergessen 17,9% Nebenwirkungen 11,4% nachlassende Beschwerden 8,8% Medikament nicht griffbereit 7,6% keine Wirkung 6,5% Skepsis gegen Medikament 5,5% zu viele Medikamente 4,8% Beipackzettel 3,8% Einnahmeschwierigkeiten 3,2% unangenehmer Geschmack 0,5% Fundl I., Medikamenten-Compliance geriatrischer Patienten, aus: Grundlagen der Geriatrie, 1. Auflage, Böhmer F., Rhomberg HP, Weber E. (Hrsg.) Verlagshaus der deutschen Ärzte GmbH, 2003:87-93. 9

Fähigkeit des Patienten selbständig seine Medikation einzunehmen (nach Ruskin und Semla) Ist der Patient fähig die Packungsbeilage zu lesen? die Packung inkl. Sicherheitsverschluss zu öffnen? die Anweisung zu verstehen, um ein Medikament einzunehmen? die Tabletten zu entnehmen und zu greifen? zwischen den Farben und Formen der Tabletten zu differenzieren? Punktzahl ( Fragen, die mit JA beantwortet wurden) Modifiziert nach: Ruscin JM. Semla TP. Assessment of medication management skills in older outpatients. Annals Pharmacotherapy. 1996; 30: 1083-1088. (Tables 1 and 2, page 1085) Fähigkeit eines Patienten, ob dieser selbständig eine Pille oder Tablette einnehmen kann? Braucht der Patient Hilfe bei der Einnahme der Arzneimittel? 0 absolut Nein Ja 1 sehr schlecht Ja 2 schlecht Ja 3 schwer manche 4 ordentlich möglich 5 gut Nein Spezielle Arzneimittelrisiken: Kognitive Beeinträchtigungen durch Anticholinergika 10

Kognitive Beeinträchtigungen durch Anticholinergika (1) Anticholinerge Arzneimittel werden bei etwa 20% der älteren Bevölkerung in der ambulanten, bei etwa 60% in der heimstationären Versorgung verordnet. Blazer DG, Federspiel CF, Ray WA, Schaffner W. The risk of anticholinergic toxicity in the elderly: a study of prescribing practices in two populations. J Gerontol 1983; 149: 2414-2420 Etwa 10% der Senioren die anticholinerge Dauerverordnungen erhalten, bekommen dadurch Leichte kognitive Störungen. Ancelin et al. Non-degenerative mild cognitive impairment in elderly people and use of anticholinergic drugs: longitudinal cohortstudy. BMJ 2006; 332: 455-459 Unerwünschte anticholinerge Effekte Zentrale Symptome: Somnolente Form Somnolenz und Vigilanzminderung Schwindel kognitiver Abbau Amnesie Agitierte Form motorische Unruhe unkordinierte Bewegungen Krämpfe Angst Verwirrtheit und Halluzinationen Periphere Symptome: Mundtrockenheit Obstipation Mydriasis trockene Augen erhöhter Augeninnendruck Harnverhalt Hyperthermie Tachykardie Arrhythmien 11

Wie äußert sich die kognitive Beeinflussung? Französische Studie mit 372 nichtdementen Senioren zeigt signifikante Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten durch Dauergebrauch (> 1 Jahr) von Anticholinergika. Abb. aus: Non-degenerative mild cognitive impairment in elderly people and use of anticholinergic drugs: longitudinal cohort study, BMJ 2006;332;455-459; Kognitive Beeinträchtigung durch anticholinerge Medikamente 45% der Senioren (> 60 Jahre) die dauerhaft Anticholinergika gebrauchen werden dadurch kognitiv geschädigt. 100 80 % Rate der neurologisch feststellbaren, lei chten kognitiven Beeinträchtigung in Prozent [%] 80 60 40 20 35 % 0 Nicht-Verwender Verwender Non-degenerative mild cognitive impairment in elderly people and use of anticholinergic drugs: longitudinal cohort study. Ancelin et al. BMJ 332 (2006) 455-459 12

Anticholinerge Wirkstoffe (1) Wirkstoffe mit anticholinergen Effekten (primäre Anticholinergika): Neuroleptika Antidepressiva Promethazin, Levomepromazin, Haloperidol, Olanzapin, Clozapin,... Amitiptylin, Imipramin, Doxepin, Mirtazapin,... Parkinsonmittel Amantadin, Biperiden, Metixen... Spasmolytika Belladonna Alkaloide, Scopolamin, Oxybutynin, Chlordiazepoxid Antihistaminika Diphenhydramin, Clemastin,... Anticholinerge Wirkstoffe (2) Wirkstoffe mit möglichen anticholinergen Effekten (sekundäre Anticholinergika): Muxelrelaxantien Diazepam, Oxazepam, Bromazepam, Lorazepam,... Antihistaminika Cimetidin (0,86)*, Ranitidin (0,22)*,... Herz-Kreislaufmittel Digoxin (0,25)*, Furosemid (0,22)*, Captopril (0,02)*, Nifedipin (0,22)*,... Sonstige Prednisolon (0,55)*, Theophyllin (0,44)*, Codein (0,11)*,... *Anticholinerge Aktivität in ng/ml Atropin Äquivalente 13

Akute kognitive Beeinträchtigungen durch Arzneimittel: Das Delir Differentialdiagnostik Delir Demenz Depression Beginn plötzlich schleichend langsam Tagesschwankungen stark kaum Abends besser Bewußtsein gestört klar klar Wahrnehmung desorientiert Generell gestört Meist ungestört Psychomotorik Schlaf- Wachrhythmus Gefühlszustand Körperliche Symptome Gesteigert oder reduziert Gestört bis zur Umkehrung Angst, Schreckhaftigkeit Tachykardie, Tremor Meist unverändert Eher reduziert Unterbrochener Schlaf Eher Depressiv, Affektinkontinent Meist keine Früherwachen depressiv Meist keine 14

Epidemiologie des Delirs Von den über 65-jährigen haben etwa 10% bis 20% bei Krankenhausaufnahme ein Delir. Welz-Barth A, Akute und chronische Verwirrtheit, in: F.Böhmer, I.Füsgen (Hg), Geriatrie, Böhlau Verlag, Wien 2008. Die Delirprävalenz in Pflegeheimen ist mit 58% etwa dreimal so hoch. Weyerer S, Bickel H. Epidemiologie psychischer Erkrankungen im höheren Alter. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2007. 30% - 60 % der Delirien bleiben unerkannt, d.h. bei nur 40% erfolgt eine entsprechende Diagnose. Gutzmann H. Delir. in: Bergener M, Hampel H, Möller HJ, Zaudig M (Hg) Gerontopsychiatrie. Grundlagen, Klinik und. Praxis. Stuttgart: WVG. Stuttgart 2005. S 503 521 Fallbeispiel Delir Die 83jährige demente Frau K. leidet unter einer schweren Osteoporose. Medikation: Biphosphonate und Calcium, Schmerzmedikation: Metamizol 4xtgl. zunehmend aggressiv und zurückgezogen. Detektion durch GP, Schmerzanamnese durch Arzt: Fentanylpflaster mit Monitoringauflage durch GP (Risikofaktoren: Demenz, Niereninsuff.) Halluzinationen, akute wahnhafte Zustände. Intervention Pflegekraft (Monitoringauflage!) Arzt: Wechsel auf Buprenorphin, Delir nach kurzer Zeit rückläufig, wesentliche Stimmungsverbesserung. 15

Bei etwa 11%-30% der deliranten Senioren, besteht ein arzneimittelinduziertes Delir. Moore AR, O'Keeffe ST. Drug-induced cognitive impairment in the elderly. Drugs Aging. 1999;15:15-28. Risikofaktoren RR für Delir > 6 Medikamente 13,7 Anticholinergika 4,5-11,7 Natrium < 130 mmol/l 5,7 Demenz 5,2 Harnstoff > 10 mmol/l 4,8 schwere Erkrankung 4,5 Alkoholismus 3,3 Depression 1,9 Seh/Hörstörung 1,9 nach Gutzmann 2005, Inouye et al 1999, Elie et al 1998, O Keefe & Lavan 1996 Arzneimitteltherapiesicherheit in Alten- und Pflegeheimen Petra A. Thürmann, Ulrich Jaehde, Frank Hanke, Stefan Wilm, Simone Bernard, Friderike Schröder 16

1. QUERSCHNITTANALYSE Ablauf des Projekts Dokumentation von ABP/UAE bei ca. 1000 Heimbewohnern, Erhebung zur Sicherheitskultur DATENANALYSE UND INTERDISZIPLINÄRER AUSTAUSCH Festlegung der Interventionsstrategie INTERVENTION AMTS-Schulungen, Teambildung in ausgewählten Heimen (ca. 6 Heime/350 Heimbewohner) 2. QUERSCHNITTSANALYSE Erneute Dokumentation von ABP/UAE in den ausgewählten Heimen nach Intervention, Befragung der Beteiligten, Machbarkeitsanalyse Teilnehmende Heime Ansprache über Dachorganisationen: Bund privater Anbieter, Caritas, Diakonie, Kommune. 17

Heimstatistik 11 stationäre Alteneinrichtungen mit 1046 Heimbewohnern (HB), davon 738 Frauen (70,6%). Einverständnis liegt vor bei 772 HB (73,8%). Ein Heim wird durchschnittlich von 9 Haus-, 15 Fachärzten und 2 Apotheken versorgt. 2. Interventionsphase: Verringerung der Arzneimittelrisiken durch berufsgruppenübergreifende Intervention (Machbarkeitsstudie) 18

Bildung von AMTS-Teams (1) Vorstufe: berufsgruppeninterne Schulungen Schulung! Schulung/ Ausbildung! Apotheke AMTS-Apotheker Heimbewohner Altenpfleger AMTS-Pfleger Schulung/ Ausbildung! Haus- und Fachärzte Arbeit im AMTS Team: Therapiebeobachtung Medikationsanalyse Hausärzte Kurvenvisite Dokumentationsbasis AMTS-Apotheker AMTS-Pfleger AMTS-Team 19