Teil 4. Eliminierungen

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Teil 4 Eliminierungen 88

4.1,-β-Eliminierungen 4.1.1 Einleitung und Grundbegriffe Bei Eliminierungen werden aus einem Molekül zwei Molekülfragmente und Y entfernt. Sie sind also die Umkehrung von Additionen. Am häufigsten sind sogenannte β-eliminierungen, bei denen die beiden Fragmente vicinal zueinander stehen und die beiden frei werdenden Valenzen durch Ausbildung einer Doppelbindung gesättigt werden. Es sind aber auch α-eliminierungen bekannt, bei denen beide Fragmente geminal am gleichen Kohlenstoffatom sitzen, wobei Carbene erzeugt werden, sowie auch γ-eliminierung unter ingschluss zu Cyclopropanen. E α 2 1 Y 1 2 + + Y E β Y 2 1 3 4 1 3 2 4 + + Y E γ 1 3 1 3 + + Y 2 Y 4 2 4 Bei β-eliminierungen unterscheidet man anti- und syn-eliminierungen je nachdem, ob die Eliminierung aus einer Konformation stattfindet, in der sich die beiden zu ewntfernenden Fragmente und Y auf entegegengesetzten Seiten oder auf der gleichen Seite der Ebene der entstehenden C,C-Doppelbindung befinden. syn 1 C 2 Y C 34 2 1 3 4 anti 1 C 2 3 C 4 Y 2 1 4 3 Ferner unterscheidet man sogenannte,-eliminierungen, bei denen einer der beiden entfernten Molekülteile ein Wasserstoff ist, von,y-eliminierungen. Erstere sind bei weitem am häufigsten anzutreffen, während letztere einige wichtige, spezielle Anwendungen haben. 89

4.1.2 Mechanismen von,-β-eliminierungen Typische,-β-Eliminierungen laufen nach drei unterscheidbaren Mechanismen ab, dem E 1 -, dem E 1,cb - und dem E 2 -Mechanismus, bei denen es sich wie bei den Mechanismen der nucleophilen Substitution um idealisierte Mechanismen handelt, zwischen denen ein kontinuierliches Spektrum realer eaktionen existiert. Ein Sonderfall sind sogenannte pyrolytische Eliminierungen, die nach einem konzertierten Mechanismus ablaufen. 4.1.2.1 E 1 -Mechanismus Bei Eliminierungen nach dem E 1 -Mechanismus wird zunächst eine gute Abgangsgruppe abgespalten und so ein freies Carbeniumion erzeugt, das dann durch Abspaltung eines Protons vom benachbarten Kohlenstoff stabilisiert wird. Der Zusatz einer externen Base ist normalerweise nicht nötig. Das Solvens fängt das Proton ab. Allerdings sollten wegen der Konkurrenz durch die nucleophile Substitution (siehe unten) nicht zu nucleophile Solventien eingesetzt werden. E 1 2 3 E 4-2 1 E 3 4 - E 1 3 2 4 1 2 ZS G 2 G 1 langsam schnell Merksatz: Bei einer E 1 -eaktion wird zuerst die Bindung zur Abgangsgruppe heterolytische gespalten. Charakteristisch ist das Auftreten eines Carbeniumions als reaktiver Zwischenstufe, das sich durch Abspaltung eines Protons stabilisiert. Die eaktionsverlauf zeigt folgende Charakteristika: Der Mechanismus ist zweistufig, mit einem Carbeniumion als reaktiver Zwischenstufe. Der erste Schritt, der Austritt der Abgangsgruppe, ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt. Die eaktion ist im geschwindigkeitsbestimmenden Schritt unimolekular Die eaktion folgt einer Kinetik 1. rdnung: kt v SN 1 = d[] dt = k 1 [] 90

Es ist offensichtlich, dass der E 1 -Mechanismus zum einen am ehesten als die Umkehrreaktion einer elektrophilen Addition (A e ) über offenkettige Carbeniumionen anzusehen ist. Zugleich ist der E 1 -Mechanismus sehr eng mit dem S N 1-Mechanismus verwandt ist. Merksatz: E 1 -eaktionen, A e -eaktionen und S N 1-eaktionen verlaufen alle über eine gemeinsame Zwischenstufe, ein offenkettiges Carbeniumion. Konkurrenz zur nucleophilen Substitution. Führt man mit tertiären Verbindungen mit guten Abgangsgruppen das folgende doppelte Konkurrenzexperiment durch, so erhält man ein Gemisch aus Substitutionsund Eliminierungsprodukten. Me S Me 2 /Et k 1 2 /Et k 2 k 1 36.3% 63.7% 35.7% 64.3% In diesem Beispiel werden zwei Aspekte deutlich: Die Natur der Abgangsgruppe ist egal für den Ausgang der eaktion (solange sie ausreichend gut ist), was ein Beweis für das Vorliegen eines freien Carbeniumions als gemeinsamer, echter Zwischenstufe ist. Da das freie Carbeniumion auch die Zwischenstufe in der S N 1-eaktion ist, treten E 1 - und S N 1- eaktion als Konkurrenzreaktionen auf, wenn ein ausreichend gutes Nucleophil (zum Beispiel ein nucleophiles Solvens) anwesend ist. Folgende Faktoren begünstigen also eine E 1 -eaktion (insgesamt und im Vergleich zur S N 1-eaktion): Die Anwesenheit einer guten Abgangsgruppe, zum Beipsiel, I, Ts oder Tf ist entscheidend. Wie bei S N 1-eaktionen ist daher auch die Aktivierung schlechterer Abgangsgruppen durch elektrophile Katalyse üblich. C6 13 + CF 3 C C6 13 - C 6 13-1 2 + (S 2 CF 3 ) 2 1 "Tf 2 " 2 - CF 3 S 3 - S CF 3 "Tf " 1 2 1 2 "Triflat" Da das zugleich bedeutet, dass eine schwache Base und somit eine starke Säure ist, müssen die eaktionsbedingungen so gewählt werden, dass das gebildete Proton vom Solvens abgefangen wird, um der Eliminierung gegenüber der Addition als ückreaktion Triebkraft zu verleihen. 91

Es darf aber kein gutes Nucleophil Y anwesend sein, um die E 1 -eaktion gegenüber der S N 1-eaktion zu begünstigen. Das Solvens muss also das Proton abfangen, darf aber nicht zu nucleophil sein. Ein wichtiger Faktor zur selektiven Begünstigung der E 1 -eaktionist die Erhöhung der eaktionstemperatur. Bei Eliminierungen nimmt die Entropie zu, da mehr Teilchen entstehen, während bei Substitutionen die Teilchenzahl konstant bleibt. Eine Temperaturerhöhung bevorzugt die Eliminierung daher nach G = T S thermodynamisch sowohl gegenüber der Addition als ückreaktionals auch gegenüber der Substitution. Merksatz: Eliminierungen unter E 1 -Bedingungen werden typischerweise bei erhöhter Temperatur durchgeführt, um die Eliminierung gegenüber der Addition als auch gegenüber möglicher Substitutionen zu begünstigen. 4.1.2.2 E 1,cb -Mechanismus Beim E 1,cb -Mechanismus wird im Unterschied zum E 1 -Mechanismus zuerst mit einer externen Base in einem vorgelagerten Gleichgewicht ein Proton entfernt (deswegen cb = conjugate base ). Das intermediär gebildete Anion stabilisiert sich dann durch die Abspaltung der Abgangsgruppe als Anion. E 1 2 3 E 4 + B - 1 2 3 4 + B - 1 3 2 4 1 2 G 1 ZS G 2 schnell reversibel langsam kt Voraussetzung für das Vorliegen eines eindeutigen E 1,cb -Mechanismus ist also die Anwesenheit einer starken Base; die Anwesenheit eines relativ aciden Protons bzw. einer Stabilisierung des Anions, vorzugsweise durch π-akzeptorsubstituenten; die Anwesenheit einer relativ schlechten Abgangsgruppe, wodurch E 1 -Mechanismus und S N 1-Mechanismus benachteiligt werden. 92

Typische Substrate sind also: 1 Z 3 2 Z = C N N 2 S 2 N 2 = N 3 So lassen sich zu Beispiel β-nitroalkohole unter Einwirkung starker Basen zu lefinen umsetzen. N 2 NaMe N 2 N 2 äufig findet man E 1,cb -Mechanismen bei Eliminierungen an C,C-Doppelbindungen unter Bildung von Alkinen, da die C,-Acidität mit dem s-anteil der C,-σ-Bindung, also in der eihenfolge sp 3 < sp 2 < sp zunimmt. Deswegen ist auch eine doppelte Eliminierung aus disubstituierten Substraten zum Alkin möglich. K - K - Führt man derartige eaktionen mit NaD als Base aus und bricht ab, bevor das Edukt vollständig umgesetzt ist, so erhält man auch deuterierte Verbindungen, was ein Beweis für das vorgelagerte Deprotonierungsgleichgewicht ist. ± NaD ± D ± D ± NaD D - Ein weiterer inweis ist die Tatsache, dass Eliminierungen in D 2 schneller verlaufen als 2, da wegen des großen Überschuss des Lösungsmittels die ückprotonierung (als Konkurrenz zur sofortigen Weiterreaktion zum Produkt) nur mit Deuterium stattfindet, die wegen des Isotopeneffekts langsamer ist. 2 N KD D 2 2 N D 2 slow 2 N N 3 irreversibel N 3 D N 3 - N 3 2 N 93

4.1.2.3 E 2 -Mechanismus Sowohl E 1 -Mechanismus (zuerst wird, dann ein Proton entfernt) als auch E 1,cb -Mechanismus (zuerst wird ein Proton, dann entfernt) sind als zwei Grenzfälle anzusehen. Am häufigsten wird der Verlauf nach einem E 2 -Mechanismus beobachtet, der gewissermaßen zwischen beiden Grenzfällen angesiedelt ist. Dabei werden in einer mehr oder weniger synchronen eaktion zugleich mit ilfe einer externen Base ein Proton entfernt und die Abgangsgruppe abgespalten. E 1 2 3 E 4 + B 1 2 3 4 B - - B 1 3 2 4 2 G 2 konzertiert kt Anmerkung: In den meisten Fällen kann man davon ausgehen, dass gewisse Abweichungen von der idealisierten Synchronizität der Bindungsspaltung auftreten, verbunden mit einer tendentiellen Verschiebung hin zu den anderen Mechanismen, entsprechender Verzerrung der idealisierten Geometrie des Übergangszustands und dem Auftreten von Partialladungen. Konkurrenz durch nucleophile Substitution. Wie im Falle von E 1 - und S N 1-eaktionen liegt auch bei E 2 -eaktionen eine gewisse Verwandtschaft mit S N 2-eaktionen vor, allerdings nicht aus mechanistischer Sicht (es werden zwei völlig verschiedene Übergangszustände durchlaufen), sondern hinsichtlich der eaktionsbedingungen. In beiden Fällen weist das Substrat eine gute Abgangsgruppe auf, und es ist eine gute Base bzw. Nucleophil anwesend. Die S N 2-eaktion wird als Konkurrenzreaktion zurückgedrängt bei Verwendung von Substraten mit dem zu eliminierenden Wasserstoff an einem möglichst hoch substituierten Kohlenstoff. Man kann sagen, dass dadurch die E 2 -eaktion und E 1 -artiger und durch entsprechende bessere Stabilisierung der im Übergangszustands auftretenden positiven Partialladungen begünstigt wird. Ferner lassen sich sogenannte nicht-nucleophile Basen einsetzen. Bei diesen handelt es sich um ausreichend starke Basen, die aber einen großen sterischen Anspruch haben und daher nicht gut geeignet für einen nucleophilen Angriff sind. Beispiele sind die neutralen Basen DBN und DBU sowie die anionischen Basen LDA und LiMDS. Mit ihnen lassen sich auch primäre alogenide, Tosylate und Epoxide chemoselektiv in einer und E 2 -eaktion umsetzen. 94

Li N Li N Li Si N Si Lithiumdiisopropylamid LDA Lithiumtetramethylpiperidid LTMP Lithiumhexamethyldisilazid LiMDS N N N N Diazabicyclononen DBN Diazabicycloundecen DBU Detailliertere Betrachtung des Übergangszustands bei E 2 -eaktionen. Damit die Eliminierung und die Bildung des lefins in einer einstufigen eaktion ablaufen kann, muss die Bildung der π-c,c- Bindung gleichzeitig zur Entfernung von Wasserstoff und Abgangsgruppe stattfinden. Das setzt notwendigerweise voraus, dass sich die beteiligten Bindungen in einer Ebene befinden ( periplanar sind), damit sie im Übergangszustand bereits π-artig (lateral) zur Überlappung kommen. anti-periplanar s yn-periplanar B B 1 2 3 4 1 2 3 4 1 2 43 B B 3 4 1 2 2 3 1 gestaffelt ekliptisch 4 Im Prinzip kann die eaktion somit aus einer anti-periplanaren Konformation ( und stehen anti, C C liegen in einer Ebene) oder aus einer syn-periplanaren Konformation ( und stehen syn, C C liegen in einer Ebene) stattfinden. In aller egel ist ersteres der Fall, da die syn-periplanare Konformation als ekliptische Konformation stark benachteiligt ist. Ausnahmen treten bei Verwendung neutraler Base in unpolaren Solventien auf, die sich durch Ausbildung eines Kontaktionenpaars stailisieren müssen. 95

Et K 2 C 3 Aceton Et NEt 3 Pentan Et B 3 Et anti-periplanar sterisch günstig Ionen solvatisiert NEt 3 Et syn-periplanar sterisch ungünstig Kontaktionenpaar Eine weitere Ausnahme sind polyzyklische Verbindungen, bei denen die Konformation fixiert ist, und in denen nur syn-periplanare Wasserstoffe zur Verfügung stehen (die eaktion ist entsprechend langsam). und nicht D - D D 4.1.2.4 Vergleich der Mechanismen der,-eliminierung Die drei Mechanismen der,-eliminierung, die nicht über zyklische Zwischenstufen verlaufen, lassen sich wie folgt im gemeinsamen Vergleich zusammenfassen: Typische Substrate und eaktionsbedingungen bei E 1 -eaktionen sind gute Abgangsgruppen an möglichst hoch (oder mit π-donor-substituenten) substituierten Kohlenstoffen und kein Zusatz einer externen Base. Dagegen verwendet man bei E 1,cb -eaktionen relativ schlechte Abgangsgruppen, Substrate mit aciden Wasserstoffen an Kohlenstoffen π-akzeptor-substituenten und starke Basen. E 2 -eaktionen kombinieren typischerweise gute Abgangsgruppen mit dem Zusatz von Basen. Sowohl bei E 1 -eaktionen als auch bei E 2 -eaktionen wird eine Beschleunigung der eaktion durch bessere Abgangsgruppen und Stabilisierung der positiven (Partial-) Ladung beobachtet. Andererseits werden sowohl bei E 1,cb -eaktionen als auch bei E 2 -eaktionen Isotopeneffekte beobachtet. Da bei E 1 -eaktionen als auch bei E 2 -eaktionen gute Abgangsgruppen verwendet werden, können in beiden Fällen im Unterschied zu E 1,cb -eaktionen nucleophile Substitutionen (S N 1bzw. S N 2) als Konkurrenzreaktionen auftreten. Dass dies vor allem durch die Anwesenheit einer Base als möglichem Nucleophil bei E 2 -eaktionen der Fall sein kann, versucht man durch die Verwendung nichtnucleophiler Basen zu vermeiden. Da bei E 1,cb -eaktionen als auch bei E 2 -eaktionen im Unterschied zu E 1 -eaktionen zu keinem Zeitpunkt freie Carbenium-Ionen vorliegen, können sie stereoselektiv verlaufen (siehe unten), und es werden im Unterschied keine Wagner-Meerwein-Umlagerungen als Nebenreaktionen beobachtet. 96

E1 E1,cb E2 Abgangsgruppe gut gut schlecht acides nein nein ja Zusatz von Base nein ja ja Beschleunigung durch π-donoren an C- ja ja nein Beschleunigung durch π-akzeptoren an C- nein ja ja Isotopeneffekt für C-D nein ja ja Konkurrenzreaktion S N1 S N2 Nebenreaktion Umlagerung Diese Unterschiede in der eaktivität macht man sich in der Schutzgruppentechnik zu Nutze, zum Beispiel in der Peptidsynthese. So verwendet man zum einen tert.-butylester-, tert.-butylether- sowie tert.- Butyloxycarbonyl- (Boc-) Schutzgruppen, die sich unter Einwirkung von Säuren durch E 1 -eaktionen entfernen lassen, und zum anderen Fluorenyloxycarbonyl- (Fmoc-) Schutzgruppen, die in einer E 1,cb -eaktion unter Baseneinwirkung abgespalten werden. Beide Schutzgruppenarten sind jeweils stabil gegenüber den eaktionsbedingungen zur Abspaltung der anderen und lassen sich so unabhängig voneinander entfernen. N CF 3 C ("TFA") N - 2 - C 2 N 2 N Na N - - C 2 N 2 4.1.2.5 Pyrolytische,-β-Eliminierungen über zyklische Übergangszustände Pyrolytische Eliminierungsreaktionen sind solche, die spontan und in der egel unkatalysiert bei Erwärmen des Substrats ablaufen. Sie verlaufen im allgemeinen im Sinne von syn-eliminierungen und mehr oder weniger synchron. Dabei ist die syn-rientierung bei eaktionen mit fünfgliedrigen Übergangszuständen strikter als bei solchen mit sechsgliedrigen, da letztere über mehr konformative Freiheit verfügen. Esterpyrolyse. Ester mit β-wasserstoffatomen können unter relativ drastischen Bedingungen (etwa 500 600 C für Acetate) zu lefin und freier Carboxylsäure umgesetzt werden. 97

1 3 2 4 Ac NEt 3 500-600 C 1 1 3 2 4 2 3 4 + Tshugaev-eaktion. In einer Variante der Esterpyrolyse werden Alkohole nicht zu Estern, sondern mit CS 2 zu anthogenaten umgesetzt. Diese sind bessere Abgangsgruppen und erlauben unkatalysierte eaktionen bei moderateren Bedingungen (etwa 200 C). 1 3 2 4 1. Na 2. CS 2 3. MeI MeS S 150-250 C 1 1 3 2 4 2 3 4 + MeS S Cope-Eliminierung. Die Pyrolyse von Aminoxiden verläuft bei noch milderen Bedingungen (etwa 100 150 C). Die Darstellung der Aminoxide aus Aminen gelingt mit Wasserstoffperoxid. Ein Elektronenpaar wird zum Stickstoff verschoben, der also reduziert wird. Me Me N 100-150 C 1 3 2 4 1 2 3 4 + Me N Me Selenoxid-Eliminierung. Eine sehr milde Methode ist die Eliminierung von Selenoxiden, die schon bei aumtemperatur abläuft (Sulfoxide bei etwa 200 C). Se 1 3 2 4 2 2, NEt 3-78 C Se 20-50 C 1 3 2 4 1 2 3 4 + Se Die Selenoxide sind aus den entsprechenden Selenide durch xidation erhältlich und werden oft nur in situ hergestellt durch xidation bei tiefen Temperaturen. Die Eliminierung erfolgt dann spontan bei Erwärmen auf aumtemperatur. 4.1.3 egioselektivität von Eliminierungen Die egiochemie bei Eliminierungsreaktionen ist stark vom jeweiligen Mechanismus abhängig und wird bestimmt durch eine Anzahl von Faktoren, die unter Umständen auch miteinander konkurrieren können. Zaitsev-egel und ofmann-egel. Bei E 1 - und E 1 -artigen E 2 -eaktionen entsteht in aller egel das am höchsten substituierte lefin (Zaitsev-Produkt). Der Grund dafür ist, dass in diesem Fall entscheidend ist, welches Proton von mehreren möglichen im abschließenden Schritt abgespalten wird. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass sich im Produkt eine konjugierte Doppelbindung bilden kann. Wenn das bei der Eliminierung entstehende Proton nicht abgefangen wird, ist die ückreaktion möglich, und es liegt thermodynamische Kontrolle vor. Wenn es abgefangen wird, liegt kinetische Kontrolle vor. Es entsteht dennoch das thermodynamisch günstigste Produkt, da die Energie des Übergangszustands nach dem ammond-postulat der Energie der Produkte proportional sein sollte ( product development control ). 98

ofmann-p rodukt K Angriff an am wenigsten gehinderter Position E 1,cb -artig N Bildung des stabilsten Produkts E 1 -artig Zaits ev-produkt Umgekehrt kann bei E 1,cb - und E 1,cb -artigen E 2 -eaktionen das lefin entstehen, das durch die Entfernung des am wenigsten sterisch gehinderten Wasserstoffs gebildet wird (ofmann-produkt). Dies ist tatsächlich der Fall bei Verwendung sterisch gehinderter Basen. Die Ursache ist, dass in diesem Fall im geschwindigkeitsbestimmenden Schritt, der Deprotonierung, der Angriff bevorzugt am weniger gehinderten Wasserstoff erfolgt und so die rientierung bereits festgelegt ist. Es handelt sich also um kinetische Kontrolle. Man kann also durch Wahl der eaktionsparameter, die den Mechanismus festlegen, zugleich die egioselektivität kontrollieren. Gute Abgangsgruppen und sterisch anspruchslose, eher schwache Basen führen zum Zaitsev-Produkt, schlechte Abgangsgruppen und sterisch anspruchsvolle, eher starke Basen führen zum ofmann-produkt. = NMe 3 = ofmann-p rodukt E 1,cb -artig NaEt E 1 -artig NaEt Zaits ev-produkt Dennoch ist die einfachste Methode der egioselektivität die Vermeidung von mehr als einem β-wasserstoff in einer günstigen, periplanaren Konformation. Außerdem ergibt sich der synthetische Wert von,y- Eliminierungen 8siehe unten) aus der Tatsache, dass man die egioselektivität (und unter Umständen auch die Stereoselektivität) durch die Stellung der beiden Substituenten genau kontrollieren kann. Stereoelektronische Effekte. Bei E 2 -artigen eaktionen entsteht Produkt, das am leichtesten aus einer antiperiplanaren Konformation erzeugt werden kann. Insbesondere wenn in zyklischen Verbindungen nur ein axialer Wasserstoff für die Eliminierung aus der anti-periplanaren Konformation zur Verfügung steht, dann bestimt dies die egioselektivität ungeachtet der ofmann- oder Zaitsev-egeln. Dies ist auch die Methode der Wahl um vollkommen ofmann-selektive Eliminierungen durchzuführen. Me Me E 2 (E 1 -artig) NaEt langs am ofmann-p rodukt (trotz Zaitsev-Bedingungen) Im gezeigten Beispiel ist die Isopropylgruppe als konformativer Anker von Nachteil für die eaktion. Die einzige Konformation, in der ein periplanares β--atom vorliegt ist durch die axiale Stellung der Substituenten stark benachteiligt und die eaktion daher langsam. edt-egel. Im folgenden Beispiel ist die sogenannte edt-egel gültig, die besagt, dass unabhängig vom Mechanismus in aller egel keine ückenkopf-doppelbindungen gebildet werden. und nicht oder D - D sehr langsam D 99

4.1.4 Stereoselektivität von Eliminierungen Bei Eliminierungen können (E)- oder (Z)-konfigurierte C,C-Doppelbindungen entstehen. Es stellt sich also die Frage, unter welchen Bedingungen stereoselektiv die eine oder andere Konfiguration erhalten wird. Dies ist in der egel nur dann der Fall, wenn die eaktion streng im Sinne einer syn- oder anti-eliminierung abläuft. eaktionen nach dem E 1 -Mechanismus verlaufen in aller egel stereochemisch unspezifisch, da keine festgelegte räumliche rientierung zwischen den beiden zu eliminierenden Gruppen vorliegen muss und da es sich um eine zweistufige eaktion handelt, bei der zwischen den beiden eaktionsschritten eine otation um die C-C-Einfachbindung erfolgen kann. Anders verhält es sich mit Eliminierungen, die nach einem E 2 -Mechanismus ablaufen. Wie bereits erläutert müssen hier die beteiligten Bindungen periplanar liegen, und wenn möglich erfolgt die eaktion streng aus der anti-periplanaren Konformation. Als Konsequenz daraus verlaufen E 2 -Mechanismus genau dann stereoselektiv, wenn beide Fragmente und Y an Stereozentren sitzen. + (E) rac meso (Z) Ist dies nicht der Fall, so gibt es zwei mögliche anti-periplanare Konformationen, aus denen die Eliminierung stattfinden kann, und die Stereoselektivität geht verloren. Et 1 2-1 Et 2 keine Selektivität 1 Et 2-2 Et 2 Dennoch beobachtet man auch in solchen Fällen gelegentlich Stereoselektivität. Es entsteht bevorzugt das thermodynamisch günstigste lefin, und zwar selbst unter kinetischer Kontrolle, da auch der Übergangszustand in diesem Fall nach dem ammond-postulat günstiger sein sollte. Das lässt sich durch sterische Wechselwirkungen erklären (Minimierung von gauche-wechselwirkungen im Übergangszustand). 2 1 C C Ts 2 B 1 B + B C C - 1 B C 1 2 C Ts Ts C 2 C 100

Auch das zusätzliche Auftreten von Mesomeriestabilisierung, wie hier für die Synthese eines Styrolderivats gezeigt (in einem Fall ist der Phenylring aus sterischen Gründen aus der Doppelbindungsebene gedreht), sorgt für eine energetische Bevorzugung im Übergangszustand. 1 2-1 Nebenprodukt 2 1 2-2 2 auptprodukt 101

4.2,Y-β-Eliminierungen Der Wert dieser Eliminierungen liegt darin, dass man mit der Synthese der Substrate, also durch die Position der Fragmente und Y die egioselektivität (und gegebenenfalls auch die Stereoselektivität) der Eliminierung genau kontrollieren kann. Wittig-eaktion. Eine der wichtigsten C-C-Bindungsknüpfungen, die Wittig-eaktion und ihre vielfältigen Varianten, bei der letztendlich Ketone mit Phosphoryliden in lefine überführt werden, schließt mit einer Elimierung eines Phosphinoxids ab. + PPh 3 ' PPh 3 ' ' + PPh 3 Der Erzeugung des Phosphorylids ist bereits bei der aliphatischen Substitution erwähnt worden, und insgesamt werden die Wittig-eaktion und ihre Varianten im Detail im Abschnitt über Carbonylreaktionen behandelt werden. Peterson-lefinierung. In ähnlicher Weise erfolgt bei der Peterson-lefinierung aus β-ydroxysilanen (die man stereoselektiv herstellen kann) im abschließenden Schritt die Eliminierung eines Silanols. 1 2 + Li SiMe 3 3-78 C Li SiMe 3 1 2 3 acid 1 2 2 SiMe 3 3 r.t., s yn r.t., anti 1 2 + SiMe 3 3 2 1 3 Interessanterweise werden unterschiedlich konfigurierte lefine erhalten, je nachdem ob die eaktion im sauren oder im basischen Medium durchgeführt wird, da jeweils die anti- periplanare Konformation (E 2 -artige einstufige eaktion) bzw. die syn-periplanare Konformation (Kontakt der entgegengesetzten Partialladungen, zyklischer Übergangszustand) bevorzugt ist. Corey-Winter-eaktion. Bei der Corey-Winter-eaktion werden vicinale Diole mit Thiophosgen und DMAP (p-n,n-dimethylaminopyridin) als Base in die entsprechenden zyklischen Thiocarbonate überführt, die mit der weichen Lewis-Base P(Me) 3 unter Desulfurierung und Abspaltung von Kohlendioxid zu lefinen reagieren. 102

S S 1 2 1 2 DMAP P(Me) 3 + C 2 + S P(Me) 3 1 2 z.b. 1 = 2 = C 2 Ph Diese eaktion verdankt ihre Bedeutung vor allem der Tatsache, dass wegen der Fixierung der Konformation in der zyklischen Zwischenstufe auch thermodynamisch ungünstige (Z)-lefine mit sperrigen Substituenten zugänglich sind. 103