Entwicklung der umsatzsteuerlichen Behandlung von Reihen- und Kommissionsgeschäften

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Transkript:

Entwicklung der umsatzsteuerlichen Behandlung von Reihen- und Kommissionsgeschäften Sturl Entwicklung der umsatzsteuerlichen Behandlung Michael Sturl I. Vorbemerkung II. Reihengeschäfte A. Allgemeines B. Historische Entwicklung bis zum UStG 1994 C. Rechtslage bis 31.12.1996 die Reihengeschäftsregel des 3 Abs 2 UStG 1994 D. Rechtslage seit 1.1.1997 der Entfall des 3 Abs 2 UStG 1994 E. Rechtslage seit 1.1.2000 das StRefG 2000 und die Beurteilung von Reihengeschäften seither F. Rechtsprechung des UFS Vertrauensschutz und Reihengeschäfte III. Kommissionsgeschäfte A. Allgemeines B. Historische Entwicklung das Gutachten des Reichsfinanzhofes IV. Schlussbemerkung Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer 1

Entwicklung der umsatzsteuerlichen Behandlung I. Vorbemerkung Nachdem im vorliegenden Band die internationalen und hier insbesondere die unionsrechtlichen Aspekte von Reihen- und Kommissionsgeschäften aus den unterschiedlichsten Perspektiven eingehend beleuchtet werden, soll zunächst im folgenden Beitrag neben allgemeinen umsatzsteuerlichen Ausführungen zum Reihen- und Kommissionsgeschäft vor allem die historische Entwicklung dieser beiden Rechtsinstitute im Umsatzsteuerrecht dargestellt werden. Im Rahmen der Abhandlung über die Reihengeschäfte wird für diese Zwecke zunächst auf die Entwicklung der umsatzsteuerlichen Bestimmungen betreffend Reihengeschäfte im deutschen Steuerrecht und die auf dieser Entwicklung aufbauenden Bestimmung, welche schließlich in das österreichische Umsatzsteuerrecht übernommen worden ist, Bezug genommen. Auch die österreichische Regelung des Reihengeschäfts in der Warenumsatzsteuerverordnung, welche bis ins Jahr 1938 zum österreichischen Rechtsbestand zählte, soll hierbei in ihren Grundzügen gestreift werden. In der Folge wird auf die konkrete Umsetzung und Bedeutung der Reihengeschäftsregel des 3 Abs 2 UStG 1994 in der Stammfassung sowie deren Entfall durch das Bundesgesetz, BGBl 1996/756 eingegangen. Schließlich widmet sich der Beitrag den Änderungen in 3 Abs 8 UStG durch das StRefG 2000 sowie den Problemen, die sich in weiterer Folge bei der Zuordnung der bewegten Lieferung ergaben. In diesem Zusammenhang wird neben den Ansichten der Finanzverwaltung und der Literatur insbesondere auch die Rsp des VwGH in seiner Entscheidung vom 26.5.2004, 99/13/0244 bzw vom 25.6.2007, 2006/14/0107 sowie die Rsp des UFS in seiner Entscheidung vom 2.5.2012, RV/0282-L/12 behandelt. Die Rechtsprechungen des EuGH in der Rechtssache EMAG vom 6.4.2006, C-245/04 sowie in der Rechtssache Euro Tyre Holding BV vom 16.12.2010, C-430/09 werden nur marginal in die Betrachtungen miteinbezogen, da diese ohnehin im Beitrag von Univ.- Prof. Mag. Dr. Michael Tumpel einer tieferen Würdigung unterzogen werden. Im zweiten inhaltlichen Abschnitt wird eine ähnliche, wenngleich in ihrem Umfang wesentlich kürzere Aufarbeitung und zwar des Kommissionsgeschäfts vorgenommen: Ausgehend vom Gutachten des deutschen Reichsfinanzhofs vom 20.6.1919, Slg 1, B 40, in welchem der Grundstein für die umsatzsteuerliche Behandlung von Kommissionsgeschäften gelegt wurde, und der Umsetzung der im Gutachten gewonnenen Grundsätze im deutschen UStG bis hin zur Implementierung der Regelung im österreichischen UStG ( 3 Abs 3) wird die umsatzsteuerliche Historie sowie Handhabung des Kommissionsgeschäfts kompakt dargestellt. II. Reihengeschäfte A. Allgemeines Werden über ein und denselben Gegenstand mehrere Umsatzgeschäfte durch mehrere Unternehmer abgeschlossen und gelangt der Gegenstand im Rahmen der 2 Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer

Sturl Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer in der Reihe, so wird umsatzsteuerlich von einem Reihengeschäft gesprochen. 1 Das Gegenstück zum umsatzsteuerlichen Reihengeschäft stellt im Wesentlichen das zivilrechtliche Streckengeschäft dar, welches anders als das Reihengeschäft in Österreich keine ausdrückliche Regelung erfahren hat. 2 B. Historische Entwicklung bis zum UStG 1994 Eine erstmalige umsatzsteuerliche Regelung des Reihengeschäfts findet sich im dustg 1918, RGBl I 1918/95. 4 des dustg 1918 sah vor, dass nur jenes Umsatzgeschäft der Steuerpflicht unterlag, welches den unmittelbaren Besitz verschaffte. 3 Erlangte somit der letzte Abnehmer in der Reihe unmittelbar den Besitz über den Kaufgegenstand vom ersten Lieferanten, war nur das Umsatzgeschäft dieses ersten Lieferanten steuerpflichtig. Diese Reihengeschäftsregel wurde als eine Befreiungsbestimmung für den Zwischenhandel angesehen und um Missbrauch zu verhindern mit umfangreichen Aufzeichnungs- und Nachweispflichten beschwert. 4 Die Regelung des 4 dustg 1918 fand sich in der Folge in unveränderter Form im 7 des dustg 1919, RGBl I 1919/250 und wurde im Wesentlichen inhaltsgleich ebenso in den 7 des dustg 1926, RGBl 1926/26 und des dustg 1932, RGBl 1932/8 übernommen. Mit dem dustg 1934, RGBl I 1934/115 wurde der Rechtsbegriff der Lieferung in 3 Abs 1 neu definiert. Demnach war (bzw ist auch heute noch gem 3 Abs 1 dustg als auch öustg) eine Lieferung eine Leistung, durch die der Unternehmer den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Ebenso wurde in der Durchführungsbestimmung zum dustg 1934 in 4 Abs 2 auch die Reihengeschäftsregel neu gefasst. Diese Neufassung sah vor, dass alle über einen Gegenstand abgeschlossenen Umsatzgeschäfte, welche dadurch erfüllt werden, dass der erste Unternehmer in der Reihe dem letzten Abnehmer unmittelbar die Verfügungsmacht über den Kaufgegenstand verschafft, der Steuerpflicht unterlagen. Die Lieferung an den letzten Abnehmer galt dabei gleichzeitig auch als Lieferung eines jeden anderen Unternehmers in der Reihe. 5 Dass jedes Umsatzgeschäft in der Reihe als Lieferung und 1 Zum Begriff des Reihengeschäfts vgl etwa UStR, Rz 450; Ruppe/Achatz, Umsatzsteuergesetz 4 (2011) 3 Tz 53; Pernegger in Melhardt/Tumpel, UStG (2012) 3 Rz 226 ff; Scheiner/Kolacny/Caganek, UStG 1994 3 Abs 8 Rz 11. 2 Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts I 13 (2006) 329. 3 Bereits vor Inkrafttreten des UStG 1918 war nach Tarifnummer 10 des Reichsstempelgesetzes, RGBl I 1916/148, Zusatz 4 bei verschiedenen Kauf- und Anschaffungsgeschäften über ein und dieselbe Ware nur dasjenige als steuerpflichtige Warenlieferung erfasst, bei der der Lieferer die Ware in Natur übertrug (Schellmann, Das Reihengeschäft im UStG 1994, FJ 1994, 190, FN 8). 4 Vgl hierzu Schellmann, Das Reihengeschäft im Umsatzsteuergesetz 1994, FJ 1994, 190 mwn. 5 Da im Vergleich zur Rechtslage vor dem dustg 1934 der Zwischenhandel nun voll von der Steuerpflicht erfasst war und man die negativen Folgen der Kumulativwirkung der Allphasenbruttoumsatzsteuer vermeiden wollte, wurde der Zwischenhandel dergestalt begünstigt, dass im Bereich des Großhandels gem 7 Abs 3 dustg 1934 ein ermäßigter Steuersatz zur Anwendung kam (Schellmann, FJ 1994, 190, FN 19). Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer 3

Entwicklung der umsatzsteuerlichen Behandlung nicht als sonstige Leistung galt, stellte hier der bereits angesprochene neu gefasste Lieferbegriff sicher. 6 Dadurch, dass alle Geschäfte in der Reihe als Lieferungen anzusehen waren, kamen auch allfällige Befreiungen für bestimmte Lieferungen allen Unternehmern in der Reihe zugute. Die Bestimmung des dustg 1934 zum Reihengeschäft wurde unverändert in das österreichische Abgabenrecht übernommen und ging in der Folge zunächst in das UStG 1959, BGBl 1958/300, später in das UStG 1972, BGBl 1972/229 und schließlich in das UStG 1994, BGBl 1994/663 in 3 Abs2 ein. Neben der für das Österreich der Nachkriegszeit maßgebenden deutschen Regelung des Reihengeschäftes fand sich bis ins Jahr 1938 auch im österreichischen Steuerrecht, namentlich in der Warenumsatzsteuerverordnung, BGBl 1923/640, eine eigene Reihengeschäftsregel. 9 Abs 3 der Warenumsatzsteuerverordnung ermächtigte das BMF, bei der Abwicklung mehrerer Umsatzgeschäfte jene aus der Umsatzsteuerpflicht auszunehmen, bei denen der unmittelbare Besitz nicht übertragen wird. Von dieser Verordnungsermächtigung machte der Bundesminister jedoch nur in Bezug auf Umsatzgeschäfte, die im Rahmen von Börsengeschäften an einer Produkten- oder Warenbörse abgeschlossen wurden, Gebrauch. 7 Aufgrund der Besteuerung bloß bestimmter pauschalierter Phasen (Phasenpauschalierung) erübrigte sich eine über die Börsengeschäfte hinausgehende Befreiung. 8 C. Rechtslage bis 31.12.1996 die Reihengeschäftsregel des 3 Abs 2 UStG 1994 9 3 Abs 2 UStG 1994 in der Stammfassung enthielt die vom dustg 1934 übernommene Reihengeschäftsregel und wies im Konkreten folgende Textierung auf: Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und werden diese Geschäfte dadurch erfüllt, daß der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer in der Reihe unmittelbar die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft, so gilt die Lieferung an den letzten Abnehmer gleichzeitig als Lieferung eines jeden Unternehmers in der Reihe (Reihengeschäft). 6 Aufgrund der traditionellen Anknüpfung des Verkehrsteuerrechts an das Zivilrecht wurde ein eigenständiger umsatzsteuerlicher Lieferbegriff für das Reihengeschäft erforderlich, da beim Streckengeschäft zivilrechtlich die nicht unmittelbar den Besitz verschaffenden Unternehmer durch die Übertragung des Herausgabeanspruchs erfüllen und dies umsatzsteuerlich als sonstige Leistung zu qualifizieren wäre (Schellmann, FJ 1994, 190, FN 20). 7 Verordnung des BMF vom 28. Dezember 1923, BGBl 1923/641. 8 Weiterführend Schellmann, FJ 1994, 190, FN 25. 9 Sofern nichts anderes angegeben, beziehen sich Verweise auf das UStG in diesem Punkt auf das UStG 1994 in der Stammfassung. 4 Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer

Sturl Mit dieser Bestimmung wurde ein einheitlicher Lieferzeitpunkt sowie ein einheitlicher Lieferort festgelegt. 10 Als einheitlicher Lieferzeitpunkt galt dabei jener Zeitpunkt, in dem die Lieferung des ersten Unternehmers in der Reihe an seinen Abnehmer dadurch als ausgeführt gilt, dass er dem letzten Abnehmer umsatzsteuerlich die Verfügungsmacht an dem Gegenstand der Lieferung verschafft. Im Falle der Beförderung oder Versendung des Gegenstandes durch den ersten Unternehmer war dies der Beginn der Beförderung durch den ersten Unternehmer 11 bzw die Übergabe des Gegenstands an den Frachtführer bzw Spediteur durch den ersten Unternehmer ( 3 Abs 8 UStG). Im Falle der Abholung durch den letzten Abnehmer war dies der Zeitpunkt der tatsächlichen Übergabe an diesen letzten Abnehmer bzw an dessen Beauftragten. 12 Einheitlicher Lieferort war der Ort der Lieferung des ersten Unternehmers an seinen Abnehmer. Im Falle der Beförderung oder Versendung des Gegenstandes durch den ersten Unternehmer war dies der Ort des Beginns der Beförderung durch den ersten Unternehmer bzw der Ort, an dem die Übergabe des Gegenstandes an den Frachtführer bzw Spediteur durch den ersten Unternehmer stattfand ( 3 Abs 8 UStG). Im Falle der Abholung durch den letzten Abnehmer war dies der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht befand ( 3 Abs 7 UStG). 13 Übernahm der mittlere Unternehmer die Beförderung oder Versendung, so lag insoweit kein Anwendungsfall der Reihengeschäftsregel des 3 Abs 2 UStG vor, da die Voraussetzung der direkten Verschaffung der Verfügungsmacht vom ersten Unternehmer auf den letzten Abnehmer in der Reihe nicht erfüllt war. 14 Diesfalls waren die Umsätze jeweils gesondert für sich allein zu beurteilen. 15 10 Scheiner/Kolacny/Caganek, UStG 1994 3 Abs 8 Rz 16. 11 Vgl in diesem Zusammenhang Ruppe/Achatz, UStG 4 3 Tz 159 f, die anders als Scheiner/Kolacny/ Caganek, UStG 1994 3 Abs 8 Rz 16 im Falle der Beförderung des Liefergegenstandes durch den liefernden Unternehmer den Übergang der Verfügungsmacht erst in dem Zeitpunkt sehen, in dem der Gegenstand dem Abnehmer übergeben wird. 12 Scheiner/Kolacny/Caganek, UStG 1994 3 Abs 8 Rz 16. 13 Scheiner/Kolacny/Caganek, UStG 1994 3 Abs 8 Rz 16. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf den historischen Wortlaut des 3 Abs 8 UStG idf vor dem StReFG 2000 (vgl hierzu den zitierten Wortlaut der Bestimmung im folgenden Punkt). 3 Abs 8 UStG idf vor dem StReFG 2000 kam nur dann zur Anwendung, wenn der liefernde Unternehmer die Beförderung oder Versendung übernahm. Vgl weiterführend die Ausführungen im folgenden Punkt. 14 Unabhängig davon, dass seit dem Entfall des 3 Abs 2 UStG die direkte Verschaffung der Verfügungsmacht vom ersten Unternehmer auf den letzten Abnehmer keine Rolle mehr für das Vorliegen eines Reihengeschäftes spielt, wurde spätestens mit der EuGH Rechtsprechung in der Rechtssache EMAG, C-245/04 vom 6.4.2006 klargestellt, dass bei einem Reihengeschäft dem Zwischenerwerber stets die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen und somit die Verfügungsmacht übertragen wird. Zur EuGH Rechtsprechung in der Rechtssache EMAG vgl weiters unten Punkt E. 15 Scheiner/Kolacny/Caganek, UStG 1994 3 Abs 8 Rz 26. Welche Beurteilung sich im Konkreten für diesen Fall ergibt, kann den Ausführungen im folgenden Punkt entnommen werden. Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer 5

Entwicklung der umsatzsteuerlichen Behandlung Beispiel: Der Unternehmer C bestellt Waren beim Unternehmer B. Dieser hat sie nicht lagernd und bestellt sie seinerseits beim Unternehmer A. A versendet die Waren mittels Spediteurs direkt zu C. Sowohl für die Lieferung des A an den B als auch für die Lieferung des B an den C richtet sich der Lieferzeitpunkt nach dem Zeitpunkt, in dem die Lieferung des A an den B als ausgeführt gilt. Dies ist jener Zeitpunkt, in dem A dem C die Verfügungsmacht überträgt und somit (nach obigen Ausführungen) der Zeitpunkt der Übergabe des Gegenstands an den Spediteur durch A. Weiters gilt für beide Lieferungen derselbe Lieferort und dies ist jener Ort, an dem die Übergabe des Gegenstands an den Spediteur durch den ersten Unternehmer stattfindet, also bei A. Auch in anderen Bestimmungen des UStG wurde auf die Regelung in 3 Abs 2 UStG Bezug genommen. So knüpften etwa 3 Abs 9, 12 Abs 1 Z 2 und 7 Abs 5 Z 3 sowie Art 3 Abs 2 UStG an die Reihengeschäftsregel an. 16 D. Rechtslage seit 1.1.1997 der Entfall des 3 Abs 2 UStG 1994 Bemerkenswert ist, dass die 6. EG-Richtlinie 17 (sowie später auch die MWSt- Richtlinie 18 ) keine dem 3 Abs 2 UStG vergleichbare Bestimmung kannte. 19 Dennoch wurde die ursprünglich aus dem dustg übernommene Regelung vom UStG 1972 ins UStG 1994 transferiert. Das Festhalten an der Reihengeschäftsregel wurde damit begründet, dass auch der deutsche Gesetzgeber im dustg (vorerst) keinen Abstand von der gleichlautenden Bestimmung für Reihengeschäfte genommen hat. 20 Als sich jedoch später im Zuge des Jahressteuergesetzes 1997, BGBl I 1996/68 Deutschland an der 6. EG-Richtlinie orientierte, erschien auch dem österreichischem Gesetzgeber eine Beibehaltung der Fiktion des 3 Abs 2 UStG nicht mehr sinnvoll und so wurde die Bestimmung des 3 Abs 2 UStG 16 Zu den Wirkungen der Bestimmungen vgl umfangreich die Beispiele in Scheiner/Kolacny/Caganek, UStG 1994 3 Abs 8 Rz 17 ff. 17 RL 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977, ABl L 145/1, zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern. 18 RL 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006, ABl L 347/1, über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. 19 Die 6. EG-RL bzw die MWSt-RL regeln nur den Spezialfall des Dreiecksgeschäftes als einen konkret gelegten Fall eines Reihengeschäftes (innerstaatlich umgesetzt in Art 25 UStG). 20 Vgl hierzu die ErläutRV zum BG BGBl 1996/756, zu Artikel I (Umsatzsteuergesetz 1994), zu Z 3 ( 3 Abs 2). 6 Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer

Sturl durch das Bundesgesetz, BGBl 1996/756 unionsrechtskonform aufgehoben. 21 Aufgrund von Art 3 Abs 2 UStG, welcher festlegte, dass die Bestimmung des 3 Abs 2 UStG nicht gilt, wenn im Rahmen eines Reihengeschäftes ein innergemeinschaftlicher Erwerb vorliegt, war die Sonderregelung für den Binnenmarkt hingegen bereits seit Inkrafttreten des UStG 1994 nicht mehr anwendbar. Mit der Aufhebung des 3 Abs 2 UStG ist auch die Legaldefinition des Reihengeschäftes entfallen. 22 Ungeachtet dessen wird der Begriff des Reihengeschäftes nach wie vor entsprechend dieser historischen gesetzlichen Begriffsbestimmung verwendet. 23 In den zuvor zitierten Bestimmungen, welche an das Reihengeschäft isd 3 Abs 2 UStG anknüpften, wurden entsprechende Folgeänderungen durchgeführt. 24 Der Entfall des 3 Abs 2 UStG hatte zur Folge, dass Reihengeschäfte von diesem Zeitpunkt an so wie innergemeinschaftliche Reihengeschäfte schon seit Inkrafttreten des UStG 1994 (Art 3 Abs 2 UStG) nach den allgemeinen Vorschriften des UStG zu beurteilen waren. Dies wiederum bedeutet, dass Reihengeschäfte gedanklich als mehrere Lieferungen anzusehen sind, die zeitlich hintereinander stattfinden und für die der Ort sowie der Zeitpunkt der einzelnen Umsätze jeweils gesondert betrachtet werden muss. 25 Die hl ging bereits damals davon aus, dass sich der Ort der Lieferung nur in Bezug auf einen Umsatz in der Reihe nach 3 Abs 8 UStG richten kann. 26 Für diese sogenannte bewegte Lieferung bestimmt sich somit der Lieferort danach, wo die Beförderung oder Versendung beginnt. Für alle anderen Lieferungen in der Reihe, die sogenannten ruhenden Lieferungen, bestimmt sich der Lieferort nach 3 Abs 7 UStG, folglich danach, wo sich der Gegenstand im Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet. Je nachdem, ob die ruhende(n) Lieferung(en) der bewegten Lieferung vor oder nachgelagert ist (sind), liegt der Ort dieser ruhenden Lieferung(en) entweder (ebenso) am Ort des Beginns der Beförderung oder Versendung oder am Ort des Endes der Beförderung oder Versendung. In diesem Zusammenhang ist auf den Wortlaut des 3 Abs 8 UStG idf vor dem StRefG 2000 hinzuweisen: 21 Vgl die ErläutRV zum BG BGBl 1996/756, zu Artikel I (Umsatzsteuergesetz 1994), zu Z 3 ( 3 Abs 2). 22 Ruppe/Achatz, UStG 4 3 Tz 53. 23 Vgl Ruppe/Achatz, UStG 4 3 Tz 53; Scheiner/Kolacny/Caganek, UStG 1994 3 Abs 8 Rz 11; zum Begriff des Reihengeschäfts vgl weiters Pernegger in Melhardt/Tumpel, UStG 3 Rz 226 ff. 24 Vgl hierzu wiederum die Beispiele in Scheiner/Kolacny/Caganek, UStG 1994 3 Abs 8 Rz 22 ff. 25 Bereits damals Tumpel, Mehrwertsteuer 484 mwn; aktuell etwa Ruppe/Achatz, UStG 4 3 Tz 54. 26 Schellmann, FJ 1994, 195; Zorn, Umsatzsteuerliche Reihengeschäfte zwischen Österreich und Deutschland im Binnenmarkt, SWK 1994, A 558; Tumpel, Mehrwertsteuer 480; kritisch jedoch Achatz in Achatz, Praxisfragen 62 f; aktuell zb Ruppe/Achatz, UStG 4 3 Tz 54. Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer 7

Entwicklung der umsatzsteuerlichen Behandlung Wird der Gegenstand einer Lieferung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten befördert oder versendet, so gilt die Lieferung mit dem Beginn der Beförderung oder mit der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter als ausgeführt. Versenden liegt vor, wenn der Unternehmer einen Gegenstand durch einen Frachtführer oder Verfrachter zu einem Dritten befördern oder eine solche Beförderung durch einen Spediteur besorgen läßt. Aus dieser historischen Textierung ergibt sich, dass die Ortsbestimmung nach 3 Abs 8 UStG nur dann zur Anwendung kam, wenn der liefernde Unternehmer die Beförderung oder Versendung übernahm. Hingegen blieb es nach damaliger Rechtslage bei der Ortsbestimmung nach 3 Abs 7 UStG, wenn die Beförderung oder Versendung der Abnehmer durchführte. In diesen Fällen lag somit trotz Transportes der Ware kein Beförderungs- oder Versendungsfall vor, weswegen in diesem Zusammenhang auch der Begriff der Abholung verwendet wurde. 27 Für die umsatzsteuerliche Beurteilung von Reihengeschäften bedeutete dies, dass im Falle der Beförderung oder Versendung durch den mittleren Unternehmer die bewegte Lieferung jene war, die zwischen dem mittleren Unternehmer und dem letzten (dritten) Unternehmer in der Reihe stattfand. Die ruhende Lieferung war in diesen Fällen hingegen der Lieferung zwischen dem ersten und dem mittleren Unternehmer zuzurechnen. 28 Wurde die Beförderung oder Versendung durch den letzten Abnehmer in der Reihe durchgeführt, so konnte die Regelung des 3 Abs 8 UStG nicht zur Anwendung gelangen und der Ort sämtlicher Lieferungen war nach 3 Abs 7 UStG, also nach dem Ort der Verschaffung der Verfügungsmacht, zu beurteilen. 29 Nur wenn die Beförderung oder Versendung durch den ersten Unternehmer in der Reihe erfolgte, kam entsprechend der heutigen Rechtslage 30 3 Abs 8 UStG für die Lieferortbestimmung der ersten Lieferung und 3 Abs 7 UStG für die Lieferortbestimmung der zweiten bzw aller weiteren Lieferungen zur Anwendung. 31 27 Vgl etwa die ErläutRV zum StRefG 2000 BGBl I 1999/106, zu Artikel III Z 1 ( 3 Abs 8 UStG); vgl weiters Scheiner/Kolacny/Caganek, UStG 1994 3 Abs 8 Rz 21. 28 Vgl etwa die ErläutRV zum StRefG 2000 BGBl I 1999/106, zu Artikel III Z 1 ( 3 Abs 8 UStG) bezugnehmend auf die Rechtslage vor dem StRefG 2000; vgl weiters Achatz in Achatz, Praxisfragen 70; Scheiner, Reihengeschäft, ÖStZ 1997, 245; aa jedoch Tumpel, Mehrwertsteuer 485, der aufgrund unionsrechtlicher Überlegungen dafür eintritt, den Transport, also die bewegte Lieferung der frühestmöglichen Lieferung und somit der Lieferung zwischen dem ersten und dem mittleren Unternehmer zuzurechnen. 29 Tumpel, Mehrwertsteuer 484; Achatz in Achatz, Praxisfragen 64; Zorn, Umsatzsteuerliche Reihengeschäfte zwischen Österreich und Deutschland im Binnenmarkt, SWK 1994, A 558. 30 Vgl hierzu die Ausführungen im folgenden Punkt. 31 Tumpel, Mehrwertsteuer 484; Achatz in Achatz, Praxisfragen 63 f; Zorn, Umsatzsteuerliche Reihengeschäfte zwischen Österreich und Deutschland im Binnenmarkt, SWK 1994, A 558. Hinsichtlich der Zuordnung der innergemeinschaftlichen Lieferung bei Reihengeschäften vgl die Ausführungen im folgenden Punkt. 8 Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer

E. Rechtslage seit 1.1.2000 das StRefG 2000 und die Beurteilung von Reihengeschäften seither Sturl 3 Abs 8 UStG in der zuvor wiedergegebenen Fassung ging nicht mit den Vorgaben der 6. EG-Richtlinie konform. Diese sieht in Art 8 Abs 1 lit a (nunmehr Art 32 MWSt-Richtlinie) vielmehr vor, dass eine Beförderungs- bzw Versendungslieferung auch dann vorliegt, wenn der Abnehmer (oder in dessen Auftrag ein Dritter) den Gegenstand befördert oder versendet. 32 Aus diesem Grund wurde mit dem StRefG 2000 3 Abs 8 UStG auf folgende heute noch gültige Textierung abgeändert: Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer oder den Abnehmer befördert oder versendet, so gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Versenden liegt vor, wenn der Gegenstand durch einen Frachtführer oder Verfrachter befördert oder eine solche Beförderung durch einen Spediteur besorgt wird. Die Versendung beginnt mit der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter. Die Unterscheidung zwischen Beförderung oder Versendung (durch den liefernden Unternehmer) einerseits und der Abholung (dh Beförderung oder Versendung durch den Abnehmer) andererseits ist somit entfallen. 33 Praktische Auswirkungen beim Reihengeschäft hatte diese Änderung nach den Erläuterungen zum StRefG 2000 34 insbesondere im Falle der Beförderung oder Versendung durch den mittleren Unternehmer in der Reihe. 35 Bis zu dieser Änderung erfolgte die Zurechnung der Beförderung oder Versendung zum Umsatz des Abholenden, 36 seither erfolgt die Zurechnung der Beförderung oder Versendung (zwingend) 37 zum Umsatz an den Abholenden (= Umsatz des Vorlieferanten). 38 Auswirkungen ergaben sich dadurch auf den Ort des Umsatzes des Abholenden. Hinsichtlich des Ortes des Vorlieferanten traten dadurch keine Änderungen ein. 39 32 ErläutRV zum StRefG 2000 BGBl I 1999/106, zu Artikel III Z 1 ( 3 Abs 8 UStG). 33 Scheiner/Kolacny/Caganek, UStG 1994 3 Abs 8 Rz 32. 34 ErläutRV zum StRefG 2000 BGBl I 1999/106, zu Artikel III Z 1 ( 3 Abs 8 UStG). 35 Im Falle der Beförderung oder Versendung durch den letzten Abnehmer in der Reihe führte zwar die Novellierung dazu, dass 3 Abs 8 UStG für die Bestimmung des Lieferortes der Lieferung zwischen dem mittleren und dem letzten Unternehmer zur Anwendung kam und nicht wie vor dem StRefG 2000 3 Abs 7 UStG. Praktische Auswirkungen auf die umsatzsteuerliche Beurteilung ergaben sich in diesem Fall jedoch nicht, da im Endeffekt die Lieferorte in diesen Konstellationen durch die Gesetzesänderung unverändert blieben und sich auch an der Zuordnung der innergemeinschaftlichen Lieferung zum letzten Abnehmer nichts änderte. 36 Vgl hierzu die Ausführungen im vorangegangenen Punkt. 37 Ruppe/Achatz, UStG 4 3 Tz 54 mit Hinweis auf die ErläutRV zum StRefG 2000 BGBl I 1999/106, zu Artikel III Z 1 ( 3 Abs 8 UStG). 38 UStR 2000, Rz 450; Ruppe, UStG 3 3 Tz54; Kolacny/Caganek, UStG 3 3 Tz 15; Scheiner/Caganek, Steuerreformgesetz 2000 Umsatzsteuer, ÖStZ 1999, 410 f. Wie bereits angemerkt vertrat Tumpel diese Zuordnung der bewegten Lieferung aus unionsrechtlichen Erwägungen bereits vor dem StRefG 2000 (Tumpel, Mehrwertsteuer 485). 39 ErläutRV zum StRefG 2000 BGBl I 1999/106, zu Artikel III Z 1 ( 3 Abs 8 UStG). Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer 9

Entwicklung der umsatzsteuerlichen Behandlung Beispiel aus den Erläuterungen zum StRefG 2000 40 Der Hersteller W in Wien verkauft eine Ware an den Großhändler K in Köln und dieser wiederum an seinen Kunden M in München. K holt die Ware von W ab und befördert sie zu seinem Kunden M nach München. Bisherige Rechtslage W tätigt mit der Übergabe der Ware an K einen Umsatz, der gem 3 Abs 7 dort ausgeführt wird, wo sich die Ware im Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet (das ist Wien). K tätigt mit dem Beginn der Beförderung der Ware zu seinem Abnehmer M einen Umsatz, der gem 3 Abs 8 mit Beginn der Beförderung (das ist Wien) als ausgeführt gilt. Neue Rechtslage Auch bei Beförderung oder Versendung durch den Abnehmer K gilt die Lieferung des W an den Abnehmer K gem 3 Abs 8 mit dem Beginn der Beförderung als ausgeführt. Für die nachfolgende Lieferung kommt da die Beförderung bereits der ersten Lieferung zugerechnet wurde nur mehr die Ortsbestimmung gem 3 Abs 7 in Frage. Die Ware befindet sich in dem Zeitpunkt, in dem M die Verfügungsmacht verschafft wird, in München. Der Ort der zweiten Lieferung ist daher nicht in Österreich, sondern in Deutschland. Die innergemeinschaftliche Lieferung findet daher nicht wie bisher zwischen K und M, sondern zwischen W und K statt. 41 Wie diesem Beispiel aus den Erläuterungen zu entnehmen ist, sollte es durch das StRefG 2000 zu keinen Änderungen der allgemeinen Grundsätze der Beurteilung von Reihengeschäften gekommen sein, wonach Reihengeschäfte eine Aneinanderreihung mehrerer zeitlich nacheinander ablaufender einzelner Lieferungen 40 ErläutRV zum StRefG 2000 BGBl I 1999/106, zu Artikel III Z 1 ( 3 Abs 8 UStG). 41 Im Zusammenhang mit dieser Aussage in den Erläuterungen zum StRefG 2000 ist auf den Beitrag von Beiser, Innergemeinschaftliche Lieferungen Änderungen durch die Steuerreform 2000?, RdW 2000, 508 hinzuweisen, in dem er darlegt, dass die Neuregelung keinen Einfluss darauf hat, zwischen welchen Beteiligten eine innergemeinschaftliche Lieferung stattfindet, da 3 Abs 8 UStG idf StRefG 2000 dem zwingenden Unionsrecht entspricht und somit die darin angeordneten Rechtsfolgen ohnehin bereits seit dem EU-Beitritt 1995 Gültigkeit hatten; zustimmend Ruppe/Achatz, UStG 4 3 Tz 54; Tumpel, Mehrwertsteuer 485 plädierte schon vor dem StRefG 2000 dafür, dass die innergemeinschaftliche Lieferung richtlinienkonform und unabhängig von der innerstaatlichen Qualifikation als bewegte oder ruhende Lieferung stets der frühestmöglichen Lieferung, bei welcher entweder der Lieferer oder der Abnehmer den Transport übernimmt, zuzurechnen ist. 10 Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer

Sturl sind und die Beförderung oder Versendung eines Gegenstandes nur einer einzigen Lieferung in der Reihe zugeordnet werden kann. Gerade letzterer Punkt, wonach im Rahmen eines Reihengeschäfts nur eine bewegte Lieferung stattfinden kann, wurde aber bereits Anfang der 2000er Jahre kritisiert und diesbezüglich die Auffassung vertreten, dass die Beförderungs- und Versendungsregel des 3 Abs 8 UStG auf alle Lieferungen in der Reihe angewendet werden müsse. 42 Auch der VwGH hegte in der Folge Zweifel an der von Finanzverwaltung 43, herrschender Lehre und vom Gesetzgeber 44 vertretenen Beurteilung von Reihengeschäften: 45 Der VwGH hatte über ein dreipersonales Reihengeschäft, bei dem der mittlere Unternehmer die Versendung der Waren übernahm, zu entscheiden. Wie bereits dargestellt vertreten Finanzverwaltung, herrschende Lehre und Gesetzgeber in diesem Fall, dass sich der Lieferort der ersten Lieferung nach 3 Abs 8 UStG bestimmt und diese Lieferung folglich die bewegte Lieferung darstellt, hingegen der Lieferort der zweiten Lieferung nach 3 Abs 7 UStG bestimmt und diese die ruhende Lieferung darstellt. Der VwGH führte hierzu jedoch aus, dass diese Auffassung seiner Ansicht nach nicht zwingend sei und dass das Gemeinschaftsrecht nicht zwischen bewegten und ruhenden Lieferungen unterscheidet. Der Wortlaut des Art 8 Abs 1 lit a erster Satz der 6. EG-Richtlinie, so der VwGH weiter, ließe es auch zu, die (einzige) Warenbewegung beiden Liefergeschäften zuzuordnen, weil beide Lieferungen durch eine Beförderung bzw Versendung erfüllt werden. Diesfalls sei allerdings zweifelhaft, ob der Ort der zweiten Lieferung am tatsächlichen Abgangsort der Ware liegt oder dort, wo die erste Lieferung geendet hat. Aus diesem Grund entschied der VwGH mit Erkenntnis vom 26.5.2004, 99/14/ 0244, dem EuGH folgende Fragen vorzulegen: 46 Ist der Ort des Beginns der Versendung oder Beförderung auch dann maßgeblich, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand ein Liefergeschäft abschließen und die mehreren Liefergeschäfte mit einer einzigen Warenbewegung erfüllt werden? Können mehrere Lieferungen als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen angesehen werden, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand ein Liefergeschäft abschließen und die mehreren Liefergeschäfte mit einer einzigen Warenbewegung erfüllt werden? 42 Hörtnagl, Umsatzsteuerliche Behandlung von Reihengeschäften eine kritische Auseinandersetzung, SWK 2002, 643. Auf die Mehrdeutigkeit der 6. EG-RL zu diesem Punkt wies zuvor schon Achatz in Achatz, Praxisfragen 62 f hin. 43 UStR, Rz 450. Zur Ansicht der Finanzverwaltung vgl nunmehr auch Salzburger Steuerdialog 2011 und 2012 Zweifelsfragen zur Umsatzsteuer, BMF-010219/0225-VI/4/2011 und BMF-010219/0163- VI/4/2012, Stichwort Reihengeschäft. 44 Der VwGH verweist diesbezüglich auf die Aussagen in Zusammenhang mit der Beurteilung von Reihengeschäften in den ErläutRV zum StRefG 2000 BGBl I 1999/106, zu Artikel III Z 1 ( 3 Abs 8 UStG). 45 Entscheidung des VwGH 26.5.2004, 99/14/0244. 46 Zu dieser Entscheidung des VwGH vgl Zorn, Brisante Umsatzsteuerfragen dem EuGH vorgelegt, SWK 2004, S 640; Beiser/Hörtnagl, Das Reihengeschäft über die Grenze, RdW 2005, 193; Pichler, VwGH-Vorabentscheidungsersuchen zu Reihengeschäften, ecolex 2005, 314. Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer 11

Entwicklung der umsatzsteuerlichen Behandlung Falls die erste Frage zu bejahen ist, gilt als Ort des Beginns der zweiten Lieferung der tatsächliche Abgangsort des Gegenstandes oder der Ort, an dem die erste Lieferung endet? Ist es für die Beantwortung der Fragen von Bedeutung, in wessen Verfügungsmacht sich der Gegenstand während der Warenbewegung befindet? In der Rechtssache EMAG, C-245/04 hat der EuGH am 6.4.2006 entschieden, dass zwischen einer bewegten und den (anderen) ruhenden Lieferungen zu differenzieren ist. Der EuGH hielt auch fest, dass Lieferungen in einem Reihengeschäft als eine nach der anderen erfolgt anzusehen seien, da ein Zwischenerwerber die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, seinem Abnehmer nur dann übertragen könne, wenn er sie zuvor von seinem Lieferanten erhalten hat. Außerdem könne der Tatbestand der innergemeinschaftlichen Lieferung hierbei nur von einer einzigen Lieferung, und zwar von jener erfüllt werden, der die Versendung oder Beförderung zuzuordnen ist. Die anderen Lieferungen befänden sich entweder im Mitgliedstaat des Beginns oder im Mitgliedstaat der Ankunft der Versendung oder Beförderung, je nachdem, ob die jeweilige Lieferung der bewegten Lieferung vor- oder nachgelagert ist. Diese Auslegung des Art 8 Abs 1 lit a der 6. EG-Richtlinie (nunmehr Art 32 MWSt-Richtlinie) gilt hierbei unabhängig davon, in wessen Verfügungsmacht sich der Gegenstand während der Versendung oder Beförderung befindet. 47 Der EuGH hat mit dieser Rsp somit die von Finanzverwaltung und herrschender Lehre bereits seit dem Entfall der Regelung des 3 Abs 2 UStG in der Stammfassung vertretenen Grundsätze über die Beurteilung von Reihengeschäften bestätigt. 48 Die entscheidende Frage aber, nach welchen Kriterien die Zuordnung der bewegten Lieferung zu erfolgen hat, ließ der EuGH in diesem Urteil jedoch (noch) offen. Nach Ansicht des VwGH, der im fortgesetzten Verfahren den Fall schließlich zu entscheiden hatte, kann daraus gefolgert werden, dass weder das Gemeinschaftsrecht noch das UStG 1994 (anders als 3 Abs 6 des dustg 1997) 49 diesbezügliche Zuordnungsregeln vorsehen. 50 In seiner Entscheidung vom 25.6.2007, 2006/14/0107 führt der VwGH schließlich aus, dass nach Ruppe, 47 Weitere Ausführungen zur Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache EMAG können den Ausführungen von Univ.-Prof. Dr. Michael Tumpel im folgenden Beitrag entnommen werden. 48 Vgl hierzu Tumpel, Reihenlieferungen: EuGH bestätigt österreichische Verwaltungspraxis, SWK 2006, S 464. 49 3 Abs 6 dustg sieht dezidiert vor, dass zum einen im Rahmen eines Reihengeschäfts die Beförderung oder Versendung nur einer Lieferung zuzurechnen ist und dass zum anderen im Falle der Beförderung oder Versendung durch den mittleren Unternehmer die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen ist, außer dieser mittlere Unternehmer weist nach, dass er den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat. Vgl hierzu Hörtnagl, Umsatzsteuerliche Behandlung von Reihengeschäften eine kritische Auseinandersetzung, SWK 2002, S 645, die in diesem Zusammenhang von einer de facto Optionsmöglichkeit spricht. Vgl weiters den deutschen Umsatzsteuer-Anwendungserlass, Punkt 3.14 Reihengeschäfte, Abs 9 f, welcher festlegt, wie der Nachweis zu erbringen ist, dass der mittlere Unternehmer den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet. 50 Entscheidung des VwGH vom 25.6.2007, 2006/14/0107. 12 Achatz/Tumpel (Hrsg), Reihengeschäfte bei der Umsatzsteuer