Handlungsstrategien und Wendepunkte junger Erwachsener mit Migrationshintergrund.

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Transkript:

Handlungsstrategien und Wendepunkte junger Erwachsener mit Migrationshintergrund. Ein deutsch-französischer Vergleich in benachteiligten Sozialräumen Carsten Keller (Duisburg-Essen)

Berufliche Strategien und Statuspassagen von Migrantennachkommen im deutsch-französischen Vergleich (ANR/DFG-Projekt, 2008-2012) mit Olaf Groh-Samberg (SOEP), Ariane Jossin (CMB) und Ingrid Tucci (SOEP) Fragestellung Welche Handlungsstrategien entwickeln junge Erwachsene mit Migrationshintergrund im Übergang zu Beruf und eigenem Haushalt? Rolle von Institutionen, Netzwerken und Quartieren im Ländervergleich Bedingungen erfolgreicher vs. Prekärer Verläufe

Gliederung 1. Methode: Mixed Methods 2. Schlaglichter quantitativer Analysen 3. Die qualitative Studie Design der Studie (Typik der Quartiere) Qualitative Typologie: Strategien und Wendepunkte Quartierseffekte? 4. Fazit

1. Methode: Mixed-Methods Quantitative Analysen Lebensverläufe türkischer Migrantennachkommen in Deutschland und maghrebinischer (und subsaharischer) Migrantennachkommen in Frankreich (SOEP, Enquête Panel des élèves und Enquête Génération 98) Fokus: langfristige Verläufe; ethnische Benachteiligung im Bildungsverlauf und beim Arbeitsmarkteintritt Qualitative Analysen Experteninterviews und Interviews mit jungen Erwachsenen (D: türkische und arabische Herkunft, F: maghrebinische und subsaharische Herkunft) in zwei Quartieren von Berlin und Paris Fokus: Handlungsorientierungen und Biografien in benachteiligten Milieus

2. Schlaglichter quantitativer Analysen Größte Cluster der untersuchten Migrantennachkommen bilden Verläufe in prekäre Arbeitsmarktsegmente (befristet, gering bezahlt) Länderunterschied In Deutschland frühe ethnische Benachteiligung im Übergang zu Sekundarstufe I In Frankreich ethnische Diskriminierung beim Eintritt in Arbeitsmarkt Verlaufsmusteranalysen: D: häufige institutionelle Wechsel (Schulformen, Übergangssystem); türk. Frauen oft nicht erwerbstätig F: kleine Gruppe mit frühen, irreversiblen Bildungsabbrüchen; insgesamt ethnisch weniger selektive Bildungsverläufe

3. Die qualitative Studie Explorative Vorstudie Quartiersindikatoren: jeweils inner- und randstädtisches Quartier mit erhöhtem Migranten- und Armutsanteil Experteninterviews: Diskursunterschiede in Deutschland und Frankreich (n=62) Leitfaden-Interviews Semi-strukturierte Interviews mit jungen Erwachsenen (18 bis 37 Jahre), n=140 Frauen und Männer, jeweils zwei Migrantengruppen Erfolgreiche und prekäre Verläufe

Zwei inner- und zwei randstädtische Quartiere von Paris und Berlin Nord

Zwei inner- und zwei randstädtische Quartiere von Paris und Berlin

Zwei inner- und zwei randstädtische Quartiere von Paris und Berlin Einwohner Altersstruktur Arbeitslosigkeit Ausländeranteil Bis 18 Jahren 19-64 Jahre Ab 65 Jahren Gesamt 15-24 J. Berlin 3'353'854 14,6 % 66,9 % 18,5 % 10,2 % 6,1 % 14,0 % Neukölln Nord 149'466 17,7 % 71,1 % 11,2 % 16,3 % 9,9 % 35,0 % Gropiusstadt 35'927 15,8 % 56,9 % 27,3 % 12,5 % 8,0 % 15,0 % Bis 20 Jahren 21-59 Jahre Ab 60 Jahren Gesamt 15-24 J. Großraum Paris 9'643 880 24,8 % 58,5 % 16,7 % 11,8 % 19,8 % 12,7 % Goutte d'or 22'017 24,6 % 61,6 % 13,8 % 23,1 % 30,5 % 32,7 % Grand-Ensemble 29'955 41,0 % 51,9 % 7,1 % 27,9 % 37,1 % 39,0 % Quelle: Senatverwaltung für Stadtentwicklung, Berlin; INSEE Paris

Hypothese Gerade in benachteiligten Milieus entwickeln die jungen Erwachsenen dauerhaft informelle Strategien des sich Durchwurschtelns Handlungsstrategien (Heuristik) Formelle Strategien: Bildungserwerb für sozialen Aufstieg, Institutionenorientierung Informelle Strategien: Investition in Peers und Netzwerke, informelle Ökonomie, Institutionendistanz

Typologie: Strategien und biografische Verläufe Frankreich Deutschland Typ Strategie Bildungs- und Berufsverläufe Frauen Männer Frauen Männer 1. Prekarität formell -> informell -> formell Prekärer Verlauf mit «zweiter Chance» 6 15 8 15 2. Galère formell -> informell Prekärer Verlauf 0 6 0 3 3. Priorität Familie 4. Rein formelle Strategie 5. Formelle Strategie mit Rettungsanker 6. Ethnische Ökonomie formell -> familienorientiert -> teilweise wieder formell Bildungsabbruch aufgrund von Heirat / Heirat als Ausbruch aus Herkunftsfamilie 3 0 13 0 formell: Bildung und Beruf Erfolgreicher Verlauf mit Hürden 11 2 12 3 Kombination formeller und informeller Strategien Erfolgreicher Verlauf mit Kurven 9 10 4 11 formell -> familienorientiert Ethnischer Ökonomie als Alternative 0 2 2 5 Gesamt (N=140) 29 35 39 37

Typ Prekarität Erster Wendepunkt: Abrutschen in eine Phase informeller Strategien Zweiter Wendepunkt: Versuch der Rückkehr zu formellen Strategien nach krisenhafter Eskalation Biografischer Verlauf mit doppeltem Wendepunkt (WP) Grundschule glücklich Sekundarstufe I/ College Probleme zweiter Wendepunkt WP 1 WP 2 Formelle Strategien Informelle Strategien: keine langfristigen Pläne, Abwendung von Zukunft Formelle Strategien: Bildung/ Arbeit, Partnerschaft/ Familie als Ziele Grundschule, Anfang Sekundarstufe Kritische Lebensereignisse: falsche Freunde (Peers) Delinquente Tätigkeiten ( Schnelles Geld ) Probleme und/oder Diskriminierung in der Schule Stabilitätsfaktoren: institutionelle Möglichkeiten Partnerschaft/ Bezugspersonen Milieuwechsel

Erster Wendepunkt Im Quartier, gut, alle hören früh mit der Schule auf. Hm, ich weiß nicht, das ist eine Spirale. Man ist angezogen von dieser Spirale. Dann, man folgt ihr unbewusst. Das ist nicht absichtlich, das ist ohne zu wollen. (21 Jahre, Eltern aus Algerien, Paris) Man gewöhnt sich auf der Straße halt. Man sieht, wie die Älteren Scheiße bauen, Geld haben. Da willst du auch Geld haben. (18 Jahre, Eltern aus Libanon, Berlin) Geld macht süchtig, würde ich meinen. Und jeder will einen Namen, da wo er wohnt. (24 Jahre, Eltern aus Libanon, Berlin)

Faktoren des zweiten Wendepunktes Institutionelle Strukturierung D: Institutionenvielfalt (Schulformen, Übergangssystem, Arbeitsmarktmaßnahmen) bietet zweite Chance(n), aber auch Form der internen Ausgrenzung (Bourdieu) F: Irreversiblere institutionelle Ausgrenzungen bedingen größere Verbitterung Soziales Kapital (Normen, Erwartungen, Netze) Eltern/ Familie: Motivation, Kontrolle, Unterstützung Bildungsaufstieg als fortgesetztes Migrationsprojekt Quartier-/ Milieuwechsel Schule außerhalb des Kiezes oder Umzug: sozial andere Milieus, Horizonterweiterung (auch: Auslandsaufenthalt)

Fazit Biografien oft durch markante Wendepunkte geprägt Informelle Strategien nicht dauerhaft Strukturierung der Wendepunkte und Strategien 1. Institutionen 2. Soziales Kapital 3. Quartier