Hamburger Vergabetag 2015

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Transkript:

1 Strategien im Vergabeverfahren Erkenntnisse der Kammern bei typischen Fehlern Dieter Carmesin Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 1

2 Themenschwerpunkte 1. Einführung 2. Auswahl des richtigen Vergabeverfahrens 3. Vergaberechtliche Vermeidungsstrategien 4. Missbrauch der Nachforderungsmöglichkeiten 5. (Kein) Mehr-an-Eignung / Wertungsstufen 6. Dokumentationsmängel Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 2

3 Wie sind die Vergabebestimmungen einzuhalten? ausreichende Kenntnisse des Vergaberechts fachlich spezialisierte Mitarbeiter / Abteilung sorgfältige Zeitplanung ggfs. (vergaberechtliche) Beratung intern/extern systematische Zusammenstellung der Unterlagen ernsthafte Beantwortung von Bieterfragen / keine Diskriminierung Umgang mit Rügen / Rügemanagement -> Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 3

4 Wie sind die Vergabebestimmungen einzuhalten? kompetente Handhabung der eigenen Wertungskriterien fortlaufende Dokumentation (vgl. Art. 84 RL 2014/24/EU) aussagekräftige Bieterinformation - 101a GWB (Gründe) Grundsätzlich zu beachten: EU-Vergaberecht will tatsächlich Wettbewerb ermöglichen es gibt Ausnahmen, sie eignen sich nicht als Ausgangspunkt bei der Planung eines Beschaffungsvorhabens der Bieter ist nicht der Gegner des Auftraggebers nicht das billigste Angebot ist das wirtschaftlichste Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 4

5 Typische Fehlerquellen öff. Auftraggeber Planungsphase einer Beschaffung Festlegung des Beschaffungsgegenstandes ggfs. Markterkundung Vorbereitung und Durchführung der Ausschreibung Festlegung der Vergabeverfahrensart Festlegung verbindlicher Eignungs- und Wertungskriterien Erstellung der Ausschreibungsunterlagen Umgang mit Rügen Wertungsphase Dokumentation Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 5

6 Auswahl der richtigen Vergabeverfahrensart 101 Abs. 1 GWB: allgemeine Definitionen Konkrete Ausgestaltung in VOB / VOL / VOF (auf Grundlage der Art. 28, 30, 31 VKR) grds. 4 Verfahrenstypen (Numerus clausus) Offenes Verfahren Nichtoffenes Verfahren Verhandlungsverfahren Wettbewerblicher Dialog Wesentliche Bedeutung für den gesamten weiteren Ablauf des Ausschreibungsverfahren Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 6

7 Auswahl der richtigen Vergabeverfahrensart Vorrang des Offenen Verfahrens (= Grundmodell) beste Gewährleistung für transparenten Wettbewerb verbreitete Kritik: (unverhältnismäßig) hoher Gesamtaufwand schwerfällig und formalistisch keine Begrenzung der Anzahl der beteiligten Bieter Verfahren ist bisweilen unzweckmäßig für den Beschaffungsgegenstand Verbot von Nachverhandlungen/Vereinbarungen Fehler: Zeitdruck infolge unzureichender Zeitplanung unpräzise formulierte Ausschreibungsunterlagen (Folge: Bieterfragen) Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 7

8 Auswahl der richtigen Vergabeverfahrensart Ausnahme 1: Nichtoffenes Verfahren Regelfall: öffentlicher Teilnahmewettbewerb klare Trennung der Eignungsprüfung von der Angebotswertung mehr Gestaltungsfreiheit für den Auftraggeber geringerer Gesamtaufwand (begrenzte Anzahl von Bietern) Fehler: unzureichende Begründung für Verzicht auf Offenes Verfahren Zielsetzung: Aufwand reduzieren Zeitdruck infolge unzureichender Zeitplanung Routine (alle Beteiligten willigen ein) fehlende Dokumentation Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 8

9 Auswahl der richtigen Vergabeverfahrensart Ausnahme 2: Verhandlungsverfahren Regelfall: öffentlicher Teilnahmewettbewerb hohe Attraktivität bei einigen Auftraggebern Fehler: unzureichende Marktkenntnis unzureichende Begründung für Verzicht auf vorrangige Verfahren fehlende Dokumentation Ziel: Aufwand reduzieren Vermeidung produktneutraler Ausschreibung Ziel: Bevorzugung eines bestimmten Bieters / keine substantiellen Verhandlungen mit allen Bietern Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 9

10 Auswahl der richtigen Vergabeverfahrensart Ausnahme 3: wettbewerblicher Dialog Regelfall: öffentlicher Teilnahmewettbewerb komplexes Verfahren (Wortlaut 101 Abs. 4 Satz 1 GWB) Verhandlungen (Dialog) über Details des Auftrags kein Unterfall des Verhandlungsverfahrens Fehler: Komplexität schreckt Auftraggeber ab (fehlende Routine) unzureichende Begründung für Verzicht auf vorrangige Verfahren unzureichende Begründung für besonders komplexen Auftrag Subsidiarität ggü den anderen Verfahren wird nicht beachtet Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 10

11 Vergaberechtliche Vermeidungsstrategien Planung einer Ausschreibung Zentraler Grundsatz Art. 101 AEUV: Herstellung uneingeschränkten Wettbewerbs Priorität des Offenen Verfahrens - 101 Abs. 7 GWB grds. keine Auftragsvergabe ohne Ausschreibung Diskriminierungsverbot / Vorteilsverbot Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 11

12 Vergaberechtliche Vermeidungsstrategien förmliches Vergabeverfahren ist nicht erforderlich Inhouse-Vergabe Interkommunale Zusammenarbeit Dienstleistungskonzessionen (noch bis 2016) De-facto-Vergabe Vertragsverlängerungen Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 12

13 Vergaberechtliche Vermeidungsstrategien Planung setzt bei den (zulässigen) Ausnahmen an Konstruierte Beschaffungsvorhaben mit vergaberechtlich fragwürdiger Ausgestaltung (unzureichende Begründung) Ausnahmen sind eng auszulegen (strspr EuGH) Versuch, Ausnahmeregelungen zu verallgemeinern Erfolgreich, soweit nur geringe Publizität (Intransparenz) geringes Haftungsrisiko der Berater Gegenstand zahlreicher Schulungsveranstaltungen Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 13

14 Vergaberechtliche Vermeidungsstrategien Risiken Nichtigkeitsfeststellung durch Nachprüfungsinstanzen Rückabwicklung bereits erbrachter Leistungen erhebliche Verzögerung des Beschaffungsvorhabens deutlich erhöhter Aufwand = Mehrkosten allg. Preisrisiko (Zeitverzögerung) = Mehrkosten Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 14

15 Nachforderung fehlender Unterlagen keine Nachforderungsverpflichtung im VOL-Bereich Ermessensentscheidung des Auftraggebers materielle Angebotsnachbesserung ist unzulässig ABER: Nachforderungsverpflichtung, sofern Ausschreibungstext nicht eindeutig (OLG Düsseldorf: Angebotsausschluss unzulässig) Abfrage des konkreten Produkts konkretisiert lediglich den Leistungsgegenstand (OLG München) Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 15

16 Nachforderung fehlender Unterlagen OLG Düsseldorf 17.07.2013 Verg 10/13; VK Bund 15.04.2013 VK-1-12/13 Notwendige Nachweise waren dem Angebot beizufügen, eine konkrete Liste im Sinne der 8 Abs. 3 VOL/A, 9 EG Abs. 4 VOL/A fehlte jedoch in den Vergabeunterlagen im Angebot des beauftragten Bieters fehlten Fremdzertifikate die ordnungsgemäße Bieterinformation ( 101a GWB) unterblieb Entscheidung: Sanktion des Angebotsausschlusses korrespondiert mit Verpflichtung, Vergabeunterlagen so klar u. eindeutig zu formulieren, dass Bieter zweifelsfrei erkennen können, welche Nachweise vorzulegen sind Dies fehlt hier, daher hätte den Bietern ein Nachreichen fehlender Nachweise ermöglicht werden müssen, denn die Nachweise sind nicht wirksam angefordert worden ( 19 EG Abs. 2 VOL/A) Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 16

17 Nachforderung fehlender Unterlagen OLG München 15.03.2012 - Verg 2/12 - Nachfordern heißt nicht nachbessern Gefordert: Nachweis eines relevanten Mindestumsatzes von 10 Mio. Bieter weist zunächst weniger als 10 Mio. Umsatz nach, im Rahmen der Aufklärung ( 15 VOB/A) versucht er dann, unter Einbeziehung des Konzernumsatzes den geforderten Nachweis zu erbringen Rüge u. Nachprüfungsantrag eines beteiligten Bieters: - eine einmal abgegebene Erklärung dürfe nicht nachträglich korrigiert werden Auftraggeber erwidert: Umsatzvolumen war nicht schon mit Angebotsabgabe nachzuweisen, im Übrigen sei ein unzureichender Eignungsnachweis über 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A und auch im Rahmen der Aufklärung korrigierbar Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 17

18 Nachforderung fehlender Unterlagen OLG München 15.03.2013 Verg 2/12 Entscheidung Neuregelung von 2009 in 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A verpflichtet Vergabestelle zur Nachforderung von Eignungsnachweisen Neuregelung bezieht sich ausdrücklich nur auf (körperlich) fehlende Nachweise Nachforderungspflicht ermöglicht keine Nachbesserung eines mit dem Angebot vorgelegten unzureichenden Eignungsnachweises vorliegend fehlte die Angabe des Mindestumsatzes gerade nicht! bei Angebotsabgabe stand fest, dass Mindestumsatz nicht erfüllt wird, Bieter ist an seine abgegebene Erklärung gebunden Fazit Nachfordern heißt nicht nachbessern! Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 18

19 Nachforderung fehlender Unterlagen OLG München 10.04.2014 Verg 1/14 - Konkretisierung von Angeboten Offenes Verfahren: Lieferung u. Montage von Küchentechnik in einem Neubauprojekt Leistungsverzeichnis produktneutral formuliert, keine Leitfabrikate Angebotsaufklärung gemäß 15 EG Abs. 1 VOB/A: Aufforderung zur Nennung der konkret angebotenen Produkte erfolglose Rüge: Erstplatzierter Bieter hat nicht ausschreibungskonforme Produkte angeboten, -> Nachprüfungsantrag Entscheidung: Verlagerung der konkreten Produktabfrage in die Phase der Angebotsaufklärung ist bei produktneutraler Ausschreibung explizit zulässig Auftraggeber hat ureigenes Interesse an konkreter Produktinformation verbindliche Festlegung bislang nicht konkretisierter Angebotsinhalte Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 19

20 Wertungsprobleme Grundsatz: kein Mehr an Eignung bei der Angebotswertung ( langjährig entwickeltes und gefestigtes Dogma der nationalen Vergaberechtsprechung wie auch der Rechtsprechung des EuGH OLG München 21.11.2013 Verg 9/13) strikte Trennung von Zuschlags- und Eignungskriterien (Vermengungsverbot) abstrakte u. bieterbezogene Prognoseentscheidung zur Eignung: - Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit; - ggfs. Präqualifikationsnachweis für geeignet befundene Bieter sind alle gleich gut, basta (nur die) Angebotswertung ist auftragsbezogen vorzunehmen Widerspruch zur allgemeinen Lebenserfahrung? Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 20

21 Wertungsprobleme Festlegung der Eignungskriterien Beurteilungsspielraum des Auftraggebers, gerichtlich nur eingeschränkt prüfbar Nachweise, die durch den Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt sind (Verhältnismäßigkeitsprinzip) VOL/A, VOF: Vorrang der Eigenerklärungen (aus der Bietersphäre stammend), zukünftig: EEE Wettbewerbsprinzip, Diskriminierungsverbot Mittelständische Interessen beachten ( 97 Abs. 3 GWB) Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 21

22 Wertungsprobleme Prüfung der Eignung Zweistufiges Vorgehen - formal: Vollständigkeit der geforderten Nachweise - inhaltlich: materiell-rechtliche Prüfung der Nachweise Beurteilungsspielraum: Ausschluss bei Nichteignung Berücksichtigung persönlicher Fähigkeiten und Erfahrungen (Qualitätsmerkmal oder Eignungskriterium)? Punktebewertung im Offenen Verfahren unzulässig Änderungen der VgV ab 01.01.2014 im Hinblick auf die neue RL 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 22

23 Wertungsprobleme Änderung in 4 Abs. 2 Satz 2 VgV Vorwegnahme der Regelung in RL 2014/24/EU v. 26.02.2014 Prüfung von Erfahrung und Fähigkeiten des Bieters innerhalb der Zuschlagskriterien (Berücksichtigung bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots ) Prüfung anhand von Qualität und Erfolg bereits erbrachter Leistungen Gewichtung soll 25% nicht überschreiten Nachteil: Beschränkung nur auf B-Dienstleistungen (gem. Anhang I Teil B zur VOL) keine Abkehr vom Grundsatz kein Mehr an Eignung in Sicht Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 23

24 Wertungsprobleme Rechtslage ist unbefriedigend Ziel, besonders erfahrenen Auftragnehmer auszuwählen, ist ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers (OLG München 21.11.2013 Verg 9/13) Rechtslage (Trennung in Eignungs- und Zuschlagskriterien) verhindert in der Praxis diese Zielsetzung (auch bei Ausschreibung freiberuflicher Leistungen) allein maßgeblich ist, ob das jeweilige Kriterium seinem Inhalt und Kerngehalt nach der Beurteilung des Anbieters oder der angebotenen Leistung dient (vgl. OLG Karlsruhe 21.12.2012 15 Verg 10/12) Verbesserung durch Umsetzung der Richtlinie 2014/24/EU? Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 24

25 Richtlinie 2014/24/EU Erwägungsgrund 94 Wertungsprobleme (94) Wenn die Qualität des eingesetzten Personals für das Niveau der Auftragsausführung relevant ist, sollte es öffentlichen Auftraggebern ferner gestattet sein, die Organisation, Qualifikation und Erfahrung der Mitarbeiter, die für die Ausführung des betreffenden Auftrags eingesetzt werden, als Zuschlagskriterien zugrunde zu legen, da sich dies auf die Qualität der Vertragserfüllung und damit auf den wirtschaftlichen Wert des Angebots auswirken kann. Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 25

26 Richtlinie 2014/24/EU Art. 67 Zuschlagskriterien Abs. 2: Die Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots kann das beste Preis-Leistungs-Verhältnis beinhalten, das auf der Grundlage von Kriterien unter Einbeziehung qualitativer, umweltbezogener und/oder sozialer Aspekte bewertet wird,. b) Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann, oder c) Kundendienst und technische Hilfe, Lieferbedingungen wie Liefertermin,.. Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 26

27 Dokumentation des Ausschreibungsverfahrens Rechtsgrundlagen: 20 Abs. 1 VOB/A, 20 und 24 EG VOL A, 12 VOF das Vergabeverfahren ist zeitnah so zu dokumentieren, dass die einzelnen Stufen des Verfahrens, die einzelnen Maßnahmen, die maßgebenden Feststellungen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen in Textform festgehalten werden (VOB/A), das Vergabeverfahren ist von Anbeginn an fortlaufend zu dokumentieren, so dass die einzelnen Stufen des Verfahrens, die einzelnen Maßnahmen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen festgehalten werden (VOL/A) Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 27

28 Funktion der Dokumentation zeitnahe und laufende (aktuelle) Dokumentation überprüfbar sowohl für Bieter (Akteneinsicht) als auch für die Nachprüfungsinstanzen (VK und OLG) Bieter haben Anspruch aus 97 Abs. 7 GWB Transparenzgrundsatz 97 Abs. 1 GWB ein aus rückschauender Betrachtung gefertigter, den Verlauf des Vergabeverfahrens zusammenfassender Vergabevermerk genügt nicht den Anforderungen (OLG Naumburg 20.09.2012 2 Verg 4/12) Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 28

29 Ausgestaltung der Dokumentation geordnete und strukturierte Vergabeakte verbindliche Erkennbarkeit der Verfasser einzelner Dokumente (Schreiben, Vermerke, Protokolle) Originaldokumente, nicht ausschließlich Kopien Paginierung (Seitenzahlen) erleichtert Zitierung, Lücken werden erkennbar klar strukturierter, unterzeichneter Vergabevermerk (brauchbare Mustervorlagen gibt es im Internet) Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 29

30 Typische Dokumentationsmängel keine Begründung der Auswahl der Verfahrensart keine Dokumentation des geschätzten Auftragswerts fehlende Protokolle von Bieterpräsentationen fehlende Darstellung von Aufklärungsgesprächen und Korrespondenz mit Bietern/Teilnehmern fehlender / unvollständiger Vergabevermerk undatierte / nicht unterzeichnete Dokumente keinerlei Ausdrucke von EMail-Korrespondenz Keine/unzureichende Begründung von Wertungen Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 30

31 Typische Dokumentationsmängel nachträgliches Einfügen oder Rückdatieren von Dokumenten ist grds. möglich (kein Urkundendelikt vgl. OLG Thüringen 23.06.2009 1 Ws 222/09) bei Paginierung oder stringenter Chronologie sollte aber erkennbar sein, dass nachträglich ergänzt wurde Problem: ausgeprägte Redundanzen (Papierberge) Nachprüfungsverfahren: Dokumentationsmängel sind selten allein der Grund für ein Unterliegen der Vergabestelle Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 31

32 Grenzen der Dokumentation Wertungsergebnisse von Kommissionen/Gremien: ausreichend ist Darstellung des Ergebnisses der Entscheidungsfindung (OLG München 25.09.2014 Verg 9/14) Elektronische Vergabeakte: umstritten, ob Ausdruck ausreichend ist, es bedarf einer Autorisierung/Bestätigung Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 32

33 Richtlinie 2014/24/EU Art. 84 Vergabevermerke (1) Die öffentlichen Auftraggeber fertigen über jeden vergebenen Auftrag oder jede Rahmenvereinbarung gemäß dieser Richtlinie und jede Einrichtung eines dynamischen Beschaffungssystems einen schriftlichen Vermerk an, der mindestens Folgendes enthält: a) b) i) die Namen der berücksichtigten Bewerber oder Bieter und die Gründe für ihre Auswahl; ii) die Namen der abgelehnten Bewerber oder Bieter und die Gründe für ihre Ablehnung; c) die Gründe für die Ablehnung von Angeboten, die für ungewöhnlich niedrig befunden wurden;. Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 33

34 Richtlinie 2014/24/EU Art. 84 Vergabevermerke e) bei Verhandlungsverfahren und wettbewerblichen Dialogen die in Artikel 26 genannten Umstände, die die Anwendung dieser Verfahren rechtfertigen; f) bei Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung die in Artikel 32 genannten Umstände, die die Anwendung dieses Verfahrens rechtfertigen; g) gegebenenfalls die Gründe, aus denen der öffentliche Auftraggeber auf die Vergabe eines Auftrags, den Abschluss einer Rahmenvereinbarung oder die Einrichtung eines dynamischen Beschaffungssystems verzichtet hat;. (2) Öffentliche Auftraggeber dokumentieren den Fortgang aller Vergabeverfahren,.. z. B. Dokumentation der gesamten Kommunikation mit Wirtschaftsteilnehmern und sämtlicher interner Beratungen, der Vorbereitung der Auftragsunterlagen, des Dialogs oder etwaiger Verhandlungen,.. Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 34

35 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 35

36 Pause Finanzbehörde Vergabekammer - Präsidialabteilung bei der Finanzbehörde - PA 3 (Dieter Carmesin) 36