Erwerbsminderungsrente 1 I. Anspruch Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung haben Arbeitnehmer und versicherungspflichtige Selbstständige, wenn sie voll oder teilweise erwerbsgemindert sind und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit erbracht haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. II. Voraussetzungen 1. Volle Erwerbsminderung Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung wird gezahlt, wenn ein Arbeitnehmer oder versicherungspflichtiger Selbstständiger wegen Krankheit oder Behinderung täglich weniger als drei Stunden arbeiten kann oder täglich zwischen drei und sechs Stunden arbeiten kann und innerhalb eines Jahres auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelt werden kann oder als Behinderter in einer Behindertenwerkstatt arbeitet oder als Behinderter an einer nicht erfolgreichen Eingliederung teilnimmt. 2. Teilweise Erwerbsminderung Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird gezahlt, wenn ein Arbeitnehmer oder versicherungspflichtiger Selbständiger wegen Krankheit oder Behinderung nur noch täglich zwischen drei und sechs Stunden arbeiten kann. Ob eine teilweise oder volle Erwerbsminderung vorliegt, entscheiden die Ärzte der Rentenversicherungsträger. 3. Allgemeine Wartezeit Für die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. 50 SGB VI) werden alle Pflichtbeitragszeiten und Zeiten mit freiwilligen Beiträgen sowie Ersatzzeiten (wie z. B. Zeiten der Internierung oder Verschleppung nach dem Zweiten Weltkrieg) angerechnet. Tipp -> Die Wartezeit kann auch zusammen oder allein mit Zeiten aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich erfüllt werden. In Ausnahmefällen kann, auch wenn die allgemeine Wartezeit von fünf Jahre nicht erfüllt ist, eine Rente wegen Erwerbsminderung gezahlt werden. Dies betrifft beispielsweise die Fälle, in denen der Arbeitnehmer oder der versicherungspflichtige Selbständige wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit erwerbsgemindert ist oder innerhalb von sechs Jahren nach Beendigung seiner Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden ist und wie in den letzten Jahren vorher mindestens für ein Jahr Pflichtbeiträge in seinem Versicherungskonto vorhanden sind (vgl. 53 SGB VI). 1 Nach: Arbeitsrecht Öffentlicher Dienst 2013 Seite 1 / 5
4. Pflichtbeiträge Zu den über einen Zeitraum von drei Jahren geleisteten Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit zählen auch Pflichtbeiträge aus Kindererziehungszeiten, Zeiten mit Pflichtbeiträgen auf Grund der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines Pflegebedürftigen, Zeiten mit Pflichtbeiträgen auf Grund des Bezugs von Krankengeld, Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe. Zeiten aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich werden hierbei nicht berücksichtigt. Der Zeitraum der letzten fünf Jahre verlängert sich, wenn in dieser Zeit Anrechnungszeiten wie z. B. der Besuch einer Schule, Fach- oder Hochschule nach dem vollendeten 17. Lebensjahr, Berücksichtigungszeiten wie z. B. bei der Kindererziehung oder Ersatzzeiten vorliegen ( 55 SGB VI). III. Folgen für das Arbeitsverhältnis Für den Fall der Erwerbsminderung enthält 55 KDAVO Besonderheiten. Nach 55 KDAVO endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats, in dem der Bescheid eines Rentenversicherungsträgers (Rentenbescheid) zugestellt wird, wonach der Beschäftigte voll oder teilweise erwerbsgemindert ist. Im Falle der teilweisen Erwerbsminderung besteht für den Mitarbeiter allerdings die Möglichkeit, innerhalb von vier Wochen die Weiterbeschäftigung auf dem bisherigen oder auf einem anderen geeigneten Arbeitsplatz schriftlich zu verlangen. Soweit nicht dringende dienstliche oder betriebliche Gründe entgegenstehen, hat der Mitarbeiter einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung auf einem leistungsgerechten freien Arbeitsplatz, unter Umständen jedoch zu geänderten Arbeitsbedingungen. Wird bei einem Schwerbehinderten das Arbeitsverhältnis aufgrund einer teilweisen Erwerbsminderung beendet, bedarf dies gemäß 92 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Da Erwerbsminderungsrenten zunächst nur befristet gewährt werden, ergibt sich hieraus eine wirtschaftliche Belastung für den Arbeitgeber. Wird nach mehreren Jahren die befristete in eine unbefristete Erwerbsminderungsrente geändert, endet das Arbeitsverhältnis, so dass etwaiger Resturlaub abzugelten ist. Die wirtschaftliche Belastung wird jedoch dadurch eingegrenzt, dass der Urlaubsanspruch auch bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres verfällt (BAG vom 07.08.2012, 9 AZR 353/10, ZTR 2012, 642). 55 KDAVO sieht in Abs. 2 für den Fall der befristeten Verrentung das Ruhen des Arbeitsverhältnisses für 6 Jahren vor. IV. Rentenzahlung Die Rente wegen Erwerbsminderung wird zunächst befristet gezahlt ( 102 Abs. 2 SGB VI). Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre und kann bis zu einer Gesamtdauer von neun Jahren wiederholt werden. Besteht die Erwerbsminderung danach fort, wird die Rente unbefristet gezahlt. Es bleibt allerdings auch nach diesen neun Jahren bei einer befristeten Rente, wenn nur wegen der bestehenden Arbeitslosigkeit eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gezahlt wird (s. o. II.1). Die tatsächliche Rentenzahlung beginnt mit Ablauf von sieben Kalendermonaten nach dem Eintritt der Erwerbsminderung 102 Abs. 2 SGB VI. Dies ist nicht immer gleichbedeutend mit einer zuvor eingetretenen Arbeitsunfähigkeit. Seite 2 / 5
Wichtig! Wird eine Rente wegen Erwerbsminderung vor der Vollendung des 63. Lebensjahres gezahlt, kommt es zu Abschlägen bei der Rente. Für jeden Kalendermonat, für den die Rente wegen Erwerbsminderung vor der Vollendung des 63. Lebensjahres gezahlt wird, beträgt der Rentenabschlag 0,3%. Beginnt die Rente vor der Vollendung des 60. Lebensjahres, wird der Rentenabschlag auf insgesamt 10,8% begrenzt. Ab 2012 bis 2024 werden die vorgenannten Altersgrenzen auf das 65. und das 62. Lebensjahr schrittweise angehoben ( 264d SGB VI). V. Hinzuverdienst Neben einer Erwerbsminderungsrente darf nur in einem begrenzten Umfang hinzuverdient werden, ohne dass die Rente verloren geht. Ab dem 65. Lebensjahr darf unbegrenzt hinzuverdient werden, weil dann die Erwerbsminderungsrente in eine Altersrente umgewandelt wird. Abhängig von der Höhe des Hinzuverdienstes kann eine Erwerbsminderungsrente ganz oder nur anteilig gezahlt werden. Alle Hinzuverdienstgrenzen werden individuell bestimmt und richten sich nach dem Verdienst der letzten drei Jahre ( 96a SGB VI). Wird der Hinzuverdienst nicht in einem vollen Kalendermonat, sondern nur in einem Teilmonat erzielt, wird das tatsächlich gezahlte Arbeitsentgelt der maßgeblichen monatlichen Hinzuverdienstgrenze gegenübergestellt. 1. Rente wegen voller Erwerbsminderung Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung kann je nach Höhe des Hinzuverdienstes in voller Höhe oder in Höhe von drei Vierteln oder in Höhe der Hälfte oder in Höhe eines Viertels gezahlt werden. Als Hinzuverdienst gilt nicht nur der Bezug von Arbeitsentgelt und Vorruhestandsgeld, sondern auch der Bezug von folgenden Sozialleistungen: Verletztengeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung, Übergangsgeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Als Hinzuverdienst gilt in diesem Fall das monatliche Arbeitseinkommen, nach dem sich die Sozialleistung berechnet. 2. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird abhängig vom Hinzuverdienst in voller Höhe oder in Höhe der Hälfte gezahlt. Wird eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gezahlt, werden folgende Leistungen als Hinzuverdienst gewertet (vgl. 96a Abs. 3 SGB VI): Krankengeld oder Versorgungskrankengeld, das auf Grund einer Arbeitsunfähigkeit gezahlt wird, die nach dem Beginn der Rente eingetreten ist; Seite 3 / 5
Krankengeld, das auf Grund einer stationären Behandlung gezahlt wird, die nach dem Beginn der Rente begonnen hat; Versorgungskrankengeld, das während einer stationären Behandlung gezahlt wird, wenn diesem ein nach Beginn der Rente erzieltes Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde liegt; Übergangsgeld, dem ein nach dem Beginn der Rente erzieltes Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde liegt; Übergangsgeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung in jedem Fall; die weiteren in 18a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB IV genannten Sozialleistungen. Als Hinzuverdienst gilt das monatliche Arbeitseinkommen, nach dem sich die Sozialleistung berechnet. Auch der Bezug von Sozialleistungen von einer Stelle mit Sitz im Ausland gilt als Hinzuverdienst, wenn diese den oben genannten Leistungen gleicht. 3. Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze Die für den Rentner jeweils zulässige Hinzuverdienstgrenze darf im Lauf eines Kalenderjahres zweimal bis zum Doppelten der anteiligen Hinzuverdienstgrenze überschritten werden. VI. Wegfall der Rente Die Rente wird nicht mehr gezahlt, wenn sich der Gesundheitszustand des Rentners soweit bessert, dass er mehr als sechs Stunden täglich arbeiten kann. Bei der Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung oder einer selbstständigen Tätigkeit prüft der Rentenversicherungsträger, ob und ggf. in welcher Höhe eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auch zukünftig zu zahlen ist. Wichtig! Die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung oder einer selbstständigen Tätigkeit sollte dem Rentenversicherungsträger sofort mitgeteilt werden. Unterbleibt die Meldung, kann die Rentenzahlung auch nachträglich vom Rentner zurückverlangt werden. VII. Vorrang von Rehabilitationsmaßnahmen Die Rentenversicherungsträger prüfen bei jedem Rentenantrag wegen Erwerbsminderung, ob die Erwerbsminderung durch eine Rehabilitationsmaßnahme, z. B. im Rahmen eines stationären Heilverfahrens oder einer Maßnahme zur Teilnahme am Arbeitsleben (u. a. Umschulung), abgewendet oder behoben werden kann. VIII. Antragstellung Eine Erwerbsminderungsrente ist bei den Rentenversicherungsträgern zu beantragen. IX. Übergangsregelungen Für Rentner, die bereits vor dem 1.1.2001 eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bezogen haben, wird bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres weiterhin das bis zum 31.12.2000 gültige Recht angewandt. Dies gilt auch für befristete Renten wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit. Ist ein Arbeitnehmer vor dem 2.1.1961 geboren und berufsunfähig, erhält er eine teilweise Erwerbsminderungsrente wegen Berufsunfähigkeit, wenn er die oben unter II.3. und 4. genannten Voraussetzungen erfüllt. Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern mit ähnlicher Seite 4 / 5
Ausbildung und ähnlichen Fähigkeiten nicht mehr als sechs Stunden täglich arbeiten kann. Die Feststellung, ob Berufsunfähigkeit vorliegt, wird durch die Ärzte der Rentenversicherungsträger vorgenommen. Für diese Renten gelten die sonstigen Regelungen für die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (s. o. III. bis VII.). Die Altersgrenze für eine Rente wegen Schwerbehinderung wird seit dem 1.1.2001 stufenweise von 60 Jahren auf 63 Jahre angehoben. Diese Altersrente kann jedoch auch weiterhin ab dem 60. Lebensjahr gezahlt werden, allerdings nur mit Rentenabschlägen. Versicherte, die vor dem 16.11.1950 geboren sind und bei denen bis zum 16.11.2000 Schwerbehinderung, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach dem am 31.12.2000 geltenden Recht vorlag, sind von der Anhebung der Altersgrenze nicht betroffen, wenn die Leistungseinschränkung auch bei Rentenbeginn noch vorliegt. Dies gilt auch für Versicherte, die vor dem 1.1.1942 geboren sind und 45 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit erbracht haben. Seite 5 / 5