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Transkript:

175 2.2.3 Systemische medikamentöse Schmerztherapie Friedemann Nauck und Lukas Radbruch Inhaltsübersicht Grundlagen Opioide Koanalgetika Praxis der medikamentösen Schmerztherapie Durchbruchschmerzen Schmerztherapie bei Kindern und älteren Patienten Schmerztherapie in der Finalphase Ursachen der unzureichenden Schmerztherapie Einleitung Im fortgeschrittenen Stadium einer Krebserkrankung können zahlreiche, zum Teil extrem belastende Symptome auftreten, dennoch sind Schmerzen das mit einer Krebserkrankung am häufigsten assoziierte Symptom. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung insbesondere bei soliden Tumoren klagen 70 90 % der Patienten über chronische Schmerzen, die behandelt werden müssen. Obwohl Therapieempfehlungen zur Schmerztherapie seit vielen Jahren vorliegen und die meisten Tumorschmerzpatienten ambulant oder stationär zufrieden stellend behandelbar wären, werden die Therapieempfehlungen bis zum heutigen Tag nicht ausreichend beachtet, sodass zahlreiche Patienten unnötig unter Schmerzen leiden. Nicht nur die physischen Symptome, sondern auch die psychischen, sozialen und spirituellen Probleme müssen in das Behandlungskonzept integriert werden. Grundlagen Die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Tumorschmerztherapie empfehlen nach sorgfältiger Anamnese, Untersuchung und Festlegung der Schmerzdiagnose eine medikamentöse, möglichst orale Schmerztherapie [20 22]. Diese Empfehlungen wurden von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft bestätigt [1]. Die sorgfältige Anamnese und Untersuchung sowie die Sichtung aller verfügbaren Vorbefunde ist ein wesentlicher und unverzichtbarer erster Schritt für eine erfolgreiche Schmerztherapie. Die Messung der Schmerzintensität ist erforderlich zur Beurteilung der Effektivität der Vorbehandlung und als Ausgangswert zur Bewertung des Therapieerfolges der neu eingeleiteten Therapie. Der pathophysiologische Schmerztyp bestimmt die Auswahl der zu verwendenden Analgetika, Koanalgetika und anderen Therapieverfahren [2]. Angaben über zusätzliche belastende Symptome sowie über die soziale und psychische Situation des Patienten ergänzen die Anamnese. Tumorschmerzen sind meist Dauerschmerzen, deshalb ist die Verordnung und Applikation der Analgetika nach einem festen Zeitschema erforderlich, um eine anhaltende Schmerzlinderung zu erzielen. Die antizipatorische Gabe der Analgetika soll dazu führen, dass die Medikamente vom Patienten eingenommen werden, bevor erneut Schmerzen auftreten, da so Zeiten mit anflutenden Schmerzen vermieden und die analgetische Medikation niedriger dosiert werden kann. Die meisten Patienten benötigen zusätzlich zur Dauertherapie allerdings eine Bedarfsmedikation zur Behandlung von Durchbruchschmerzen. Die wichtigsten Grundlagen der medikamentösen Schmerztherapie (in Anlehnung an das WHO-Stufenschema) sind:

176 2 Symptombehandlung in der Palliativmedizin so einfach wie möglich vorzugsweise orale Gabe der Analgetika regelmäßige Einnahme nach festem Zeitschema, bevor erneut Schmerzen auftreten individuelle Dosierung kontrollierte Dosisanpassung ProphylaxevonNebenwirkungendurchBegleitmedikation Durch die konsequente Anwendung des 1986 erstmals empfohlenen 3-Stufen-Schemas der WHO (Abb. 2-11) von anwendungserfahrenen Ärzten lässt sich bei 75 90 % der Patienten mit Tumorschmerzen eine Reduktion der Schmerzen auf ein erträgliches Maß und somit eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität erzielen [24]. Die Hauptkriterien für die Auswahl eines Analgetikums sind die Art und Intensität des Schmerzes, wobei, mittelstarke und starke Opioide zum Einsatz kommen. Sinnvoll ist in der Regel die Kombination von Opioiden der WHO-Stufen 2 bzw. 3 mit. Analgetika werden schrittweise gegen den Schmerz titriert, wobei die Dosis soweit gesteigert wird, bis der Patient ausreichend schmerzreduziert ist oder intolerable Nebenwirkungen auftreten, die eine weitere Dosissteigerung verbieten. Eine Änderung des Schmerzniveaus im Verlauf der Erkrankung erfordert bei vielen Patienten eine Dosisanpassung (meist Dosissteigerung der Analgetika aufgrund zunehmender Schmerzen infolge Tumorprogression). Schmerzspitzen werden durch ein Sechstel der Opioid-GesamttagesdosisinkurzwirksamerForm(Lösung/Tropfen/ Tabletten), Durchbruchschmerzen mit rasch wirkenden und rasch wieder abflutenden Zubereitungen therapiert. In Studien wurde der Zusammenhang zwischen Opioidtagesdosis und effektiver Dosierung der Zusatzmedikation für orales Morphin ebenso wenig wie für transmukosal appliziertes Fentanyl bestätigt. Eine Reduktion der Opioide ist erforderlich, wenn mit anderen Methoden wie z. B. Katheterverfahren, Neurolyse oder Bestrahlung erfolgreich eine Schmerzlinderung erreicht wurde. Voraussetzung für den optimalen Einsatz von Opioiden ist die Auswahl der richtigen Substanz, des richtigen Applikationsweges, einer individuellen Dosistitration sowie der Prophylaxe und Behandlung von Nebenwirkungen. In der Tumorschmerztherapie hat sich gezeigt, dass eine medikamentöse Behandlung von Schmerzen auch über Jahre ohne schwere Nebenwirkungen oder Folgeschäden erfolgreich durchgeführt werden kann, wenn die Indikationen und Kontraindikationen von Medikamenten sowie die spezifischen patientenbezogenen Risiken beachtet werden. Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Opioide für mittlere bis starke Schmerzen ± Opioide für mäßige bis mittlere Schmerzen + Abb.2-11 WHO-Stufenschema zur medikamentösen Schmerztherapie. Die analgetische Behandlung sollte für Patienten mit mäßigen Schmerzen auf Stufe 1 beginnen. Bei nicht ausreichender Schmerzlinderung oder bei stärker werdenden Schmerzen wird auf Stufe 2 oder später auf Stufe 3 umgestellt. Bei Patienten mit starken Schmerzen kann die Behandlung bereits mit Stufe 3 begonnen werden.

und Opioide Im Folgenden werden wichtige und Opioide, die in der Behandlung von Patienten mit Tumorschmerzen Verwendung finden, mit ihren Wirkungen, Indikationen, Nebenwirkungen und Dosierungen aufgeführt. sind Schmerzmittel, die nicht an Opioidrezeptoren angreifen und nicht narkotisch wirken. Sie wirken überwiegend an peripheren Rezeptoren, es lassen sich jedoch auch zentrale Effekte und Wirkungsansätze nachweisen. verursachen keine Abhängigkeit und beeinträchtigen die Wahrnehmungsfähigkeit der Patienten in der Regel nicht. 177 werden wie folgt eingeteilt (Tab. 2-11): nichtsaure, fiebersenkende (antipyretische) Analgetika: Paracetamol, Metamizol ohne antiphlogistische Wirkung saure, entzündungshemmende (antiphlogistische), antipyretische Analgetika (NSAID): z. B. Diclofenac, Ibuprofen selektive COX-2-Hemmer: Celecoxib, Etoricoxib ohne antipyretische und antiphlogistische Wirkung: Flupirtin Wirkungsmechanismen Zu den nichtsauren antipyretischen Analgetika gehören das Anilinderivat Paracetamol und das Pyrazolderivat Metamizol. Ihre Wirkung beruht auf einer Hemmung der Cyclooxygenase (COX), welche die Synthese von Prostaglandinen Tab. 2-11 (WHO-Stufe 1) Wirkstoff Handelsname (Beispiele) Einzeldosis 1 (mg) Intervall (h) Anmerkungen/Nebenwirkungen 500 1000 4 wichtigstes Nichtopioid-Analgetikum Metamizol Novalgin Novaminsulfon in der Tumorschmerztherapie Agranulozytose (sehr selten), allergische Reaktionen, Blutbildkontrollen Paracetamol ben-u-ron 500 1000 4 keine gastrointestinalen Nebenwirkungen, Tagesdosen nicht 6gwählen Ausweichsubstanz, wenn Kontraindikationen für Metamizol bestehen Ibuprofen Diclofenac Naproxen Imbun Voltaren Proxen 400 800 50 100 250 500 4 8 8 12 gastrointestinale Nebenwirkungen (Ulzera, Blutungen, Schmerzen) selten Schwindel, Somnolenz, Störung der Hämatopoese, Hautreaktionen Celecoxib Celebrex 200 400 12 Ödeme, Hypertonie, Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen Etoricoxib ARCOXIA 60 120 24 weniger ausgeprägte gastrointestinale Toxizität Flupirtin Katadolon 100 200 6 8 muskelrelaxierende Wirkung Einsatz bei neuropathischem Schmerz sedierende Nebenwirkung 1 Die angegebenen Maximaldosierungen beruhen auf Erfahrungswerten. Dosissteigerungen ergeben keine Verbesserung der Schmerzreduktion, sondern eine Zunahme der Nebenwirkungen.

178 2 Symptombehandlung in der Palliativmedizin aus Arachidonsäure fördert. Im traumatisierten Gewebe sind Prostaglandine wichtige Mediatoren der Entzündungsreaktion. Sie sind am Hinterhorn des Rückenmarks an der synaptischen Übertragung nozizeptiver Reize beteiligt und im Temperaturzentrum des Stammhirns für die Fiebergenese von Bedeutung. Eine Hemmung der Prostaglandinbildung kann deshalb sowohl im Bereich peripherer Nozizeptoren als auch im zentralen Nervensystem zu analgetischen Effekten führen. Nichtsaure Analgetika sind nur schwache COX-Hemmer und reichern sich nicht im entzündeten Gewebe an. In analgetischer Dosierung kommt es deshalb zu keiner nachweisbaren Hemmung der peripheren Prostaglandinproduktion. Dies erklärt, warum Metamizol und Paracetamol weder eine antiphlogistische Wirkungskomponente noch die typischen, durch Hemmung der peripheren Prostaglandinsynthese produzierten Nebenwirkungen aufweisen. Die Wirkung nichtsaurer Analgetika wird auf einen zentralen Wirkungsort zurückgeführt, da sie leicht ins zentrale Nervensystem eindringen und dort die Prostaglandinsynthese hemmen. Nichtsteroidale Antiphlogistika (nonsteroidal antiinflammatory drugs [NSAID]) werden neben Opioiden zur Therapie von Nozizeptorschmerzen gewählt. Sie wirken, indem sie das Enzym Cyclooxygenase im Arachidonsäurestoffwechselhemmen.DieCyclooxygenaseüberführt die Arachidonsäure in zyklische Endoperoxide, die Vorstufen der Prostaglandine. Prostaglandine haben zahlreiche unterschiedliche Wirkungen und sind unter anderem an der Entstehung von Schmerzen, Fieber und Entzündungen wesentlich beteiligt; sie reichern sich insbesondere im entzündeten oder geschädigten Gewebe an. Nichtsteroidale Antiphlogistika hemmen peripher und zentral die Prostaglandinsynthese, wodurch sie gleichzeitig schmerzlindernd, fiebersenkend und entzündungshemmend wirken. Von der Cyclooxygenase werden folgende zwei Isoformen unterschieden (Abb.2-12): COX1kommtpraktischinallenGewebenvor. Sie hält physiologische Schutzfunktionen in Magen, Darm, Niere und Lunge aufrecht. COX 2 wird dagegen erst unter pathophysiologischen Bedingungen (Gewebeschädigung etc.) NSAID COX 1 (konstitutiv) COX 2 (induziert) COX 2 selektiv Niere (Prostaglandin E 2 ) Magen (Prostazyklin) Gefäßendothel (Prostazyklin) Thrombozyten (Thromboxan A 2 ) physiologische Funktion in Funktionsgewebe Makrozyten (Proteasen, Prostaglandine, andere Entzündungsmediatoren) bei Entzündung in Makrophagen/Synoviozyten Abb.2-12 Schematische Darstellung der Isoenzyme Cyclooxygenase 1 (COX 1) und 2 (COX 2)

179 vermehrt gebildet. Sie ist für die Produktion von Entzündungsmediatoren zuständig. Flupirtin ist der Prototyp einer neuen Substanzklasse mit neuartigem Wirkungsprinzip. Strukturell hat die Substanz keine Ähnlichkeit mit den anderen und Opioiden. Sie besitzt eine zentrale analgetische Wirkung, ohne mit den Opioidrezeptoren zu interagieren. Flupirtin wirkt analgetisch als selektiver neuronaler Kaliumkanalöffner mit funktionell antagonistischer Wirkung am N-Methyl-D-aspartat-(NMDA-)Rezeptor. Indikationen haben eine gute Wirksamkeit bei nozizeptiven Schmerzen und werden bei leichten oder mäßig starken Beschwerden allein sowie bei mittleren oder starken Beschwerden in Kombination mit Opioiden eingesetzt: Metamizol vor allem bei viszeralen Schmerzen, besonders auch wegen seiner spasmolytischen Wirkung, und bei Kontraindikationen für NSAIDs Antiphlogistika (NSAID) insbesondere bei Knochen- und Entzündungsschmerzen und bei Weichteilinfiltration, COX-2-Hemmer bei speziellen Indikationen wie z.b. erhöhtem Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen Flupirtin unter anderem bei neuropathischen undmuskuloskelettärenschmerzen Nebenwirkungen Nichtsaure antipyretische Analgetika weisen bei normaler therapeutischer Dosierung selten Nebenwirkungen auf. Paracetamol führt bei hohen Dosierungen (ab ca. 7 g Einzeldosis) zu Leberschäden. Daher muss bei vorbestehender Leberschädigung vorsichtig dosiert werden. Bei Metamizol können Vasodilatation und Hypotonie auftreten. Bei schneller intravenöser Gabe kann es zu allergischen Reaktionen bis hin zu einem anaphylaktischen Schock kommen. Deshalb soll Metamizol nicht als Bolus intravenös verabreichtwerden.gefürchtetistdiesehrselten auftretende Agranulozytose, für die Häufigkeiten zwischen 1:1 400 Patienten und 1:1,1 Millionen Anwendungswochen angegeben werden [7]. Die Nebenwirkungen der nichtsteroidalen Antiphlogistika lassen sich durch den Mechanismus der nichtselektiven COX-Hemmung erklären. Diese Substanzen hemmen beide Isoformen der Cyclooxygenase. Dadurch kommt es zu Mukosaschäden, Blutungen und Ulkusbildung im Magen-Darm-Trakt, Nierenfunktionsstörungen mit Ödemen und Hypertonie durch Wasser- und Natriumretention, selten Nierenversagen oder chronischer Niereninsuffizienz sowie zu Störungen der Blutgerinnung durch Hemmung der Thrombozytenaggregation. Die selektiven COX-2-Hemmer blockieren die konstitutive COX 1 nicht und vermeiden so die gastrointestinalen Nebenwirkungen. Die Wirksubstanzen Celecoxib und Etoricoxib sind selektive COX-2-Hemmer. Kardiovaskuläre Nebenwirkungen sind ein Klasseneffekt aller Coxibe, weshalb sie bei kardiovaskulären Risikopatienten (koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, schwere Hypertonie, periphere arterielle Durchblutungsstörungen) aufgrund des pharmakologischen Risikopotenzials und der zahlreichen klinischen Risikodaten kontraindiziert sind. Der initiale Enthusiasmus über diese neue Substanzklasse ist inzwischen gedämpft worden. In Studien wurde unter der Langzeittherapie eine Häufung von kardiovaskulären Nebenwirkungen und thromboembolischen Komplikationen beobachtet,z.b.mitschlaganfall oder Myokardinfarkt. In der Folge wurden die selektiven COX-2-Hemmer Rofecoxib und Valdecoxib vom Markt genommen. Bei Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung besteht ein erhöhtes Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen, aber auch für thromboembolische Ereignisse. Der Vorteil der besseren gastrointestinalen Verträglichkeit der selektiven COX-2-HemmerwirddurchdiehöhereRatevon kardiovaskulären Nebenwirkungen wieder aufgehoben. Die Kombination eines nichtselektiven NSAID wie Ibuprofen oder Diclofenac mit entsprechendem Magenschutz könnte für die Tumorpatienten günstiger sein.