Mangelernährung unter Zytostatikatherapie

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Weiterbildung für die Pflege in der Onkologie (DKG) Kurs 2013/2015 Hausarbeit Mangelernährung unter Zytostatikatherapie Thirza Oetter eingereicht am 08.09.2014 Universitätsklinikum Münster. Weiterbildungsstätte für Intensivpflege & Anästhesie und Pflege in der Onkologie

Inhaltsverzeichnis Kurzfassung... 2 1. Einleitung... 3 2. Mangelernährung im Krankenhaus... 4 2.1 Definition von Mangelernährung... 4 2.2 Screeningverfahren zur Erkennung von Mangelernährung... 5 3. Ursachen der Mangelernährung... 8 3.1 Tumorbedingte Ursachen... 8 3.2 Zytostatikabedingte Ursachen... 9 4. Folgen der Mangelernährung... 11 5. Therapie der Mangelernährung... 13 6. Schlussbetrachtung... 16 7. Literatur... 18 8. Abbildungen... 21 9. Anhang... 22 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Nutritional Risk Screening 2002 (NRS 2002)... 7 Abb. 2: Stufenschema zur Therapie der Mangelernährung [2], eigene Darstellung... 15 1

Kurzfassung Die vorliegende Facharbeit befasst sich mit den zentralen Ursachen und Folgen von Mangelernährung unter Zytostatikatherapie sowie den Möglichkeiten zur Diagnostik und Behandlung dieses Krankheitsbildes. Die klinische Relevanz des Themas erklärt sich unter anderem über signifikant erhöhte Komplikations- und Mortalitätsraten. Die besondere Bedeutung für den Bereich der Onkologie begründet sich in den häufig mit Mangelernährung einhergehenden malignen Grunderkrankungen. Ziel ist es, die Pflegekräfte der Onkologie für dieses Thema zu sensibilisieren und damit eine Verbesserung der Ernährungssituation der Patienten zu erreichen. Zu diesem Zweck werden eine Definition von Mangelernährung, die vorhandenen Screeningmethoden, die Ursachen und Folgen, sowie mögliche Therapieansätze vorgestellt. Die Schlussbetrachtung diskutiert vor dem Hintergrund der Ergebnisse Möglichkeiten zur Verbesserung pflegerischer Abläufe im Stationsalltag. Die Ernährungssituation der onkologischen Patienten kann unter Beachtung individueller Aspekte durch die Implementierung eines angepassten Screeningverfahrens und der Etablierung interdisziplinärer Ernährungsteams positiv beeinflusst werden. 2

1. Einleitung Ernährung ist nicht nur für die Aufrechterhaltung von körperlichen Funktionen unerlässlich, sondern ist auch Genuss und Ritual. Ernährungsvorlieben sind vielseitig und individuell und die Art und Weise, wie sich der gesunde Mensch ernährt, ist von vielen extrinsischen Faktoren abhängig. Zu diesen Faktoren zählt neben Armut zum Beispiel auch die soziale Isolation [1]. Hier zeigt sich, dass das Thema Mangelernährung nicht allein ein (weltweites) ökonomisches Problem hinsichtlich der ungleichen Verteilung von Lebensmitteln ist. Denn selbst in Deutschland, wo die flächendeckende Bereitstellung von Lebensmitteln weitgehend gewährleistet ist, ist die frühzeitige Diagnose und angemessene Behandlung der Mangelernährung nicht selbstverständlich. Mit einer Prävalenz von über 25% ist Unter- und Mangelernährung von Patienten in deutschen Krankenhäusern ein häufiges und wachsendes Problem [2]. Mit einem Anteil von 37,6% bilden die onkologischen Patienten neben den Geriatrischen die größte Gruppe. Dies verdeutlicht die klinische Relevanz der Mangelernährung in diesem Fachbereich [3]. Viele Tumorerkrankungen sind per se mit einer Gewichtsabnahme assoziiert. Je nach Tumorentität lässt sich bei 31-87% der Patienten schon vor Diagnosestellung ein Gewichtsverlust feststellen. Bei 15% aller Patienten ist zu diesem Zeitpunkt ein schwerer Gewichtsverlust von über 10% des Ausgangsgewichts zu verzeichnen [4]. Unabhängig von einer vorbestehenden Mangelernährung kann es auch während eines stationären Aufenthaltes und hier im Speziellen unter Zytostatikatherapie zu einer Mangelernährung kommen. Dies kann nachweislich den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen. Hinzu kommen häufig noch eine mangelhafte Diagnostik sowie eine unzureichende Behandlung. Es zeigt sich, dass Mangelernährung einen unabhängigen Risikofaktor dar[stellt], der die relevanten klinischen Parameter Letalität, Morbidität, Komplikationsrate, Krankenhausaufenthaltsdauer, Therapietoleranz, Lebensqualität und Prognose signifikant beeinflusst. [2]. Die Relevanz des Themas lässt sich darüber hinaus daran ablesen, dass etwa ein Viertel aller Tumorpatienten nicht an der malignen Grund-erkrankung, sondern an den Folgen der Mangelernährung stirbt. [5] 3

Vor diesem Hintergrund fragt die Arbeit nach den zentralen Ursachen und Folgen von Mangelernährung unter Zytostatikatherapie. Außerdem sollen die diagnostischen Verfahren und pflegerischen Behandlungsmöglichkeiten erörtert werden. Der übergeordnete Zweck der Arbeit besteht darin, die Pflegekräfte der Onkologie für das Thema der Mangelernährung zu sensibilisieren und dadurch zu einer Verbesserung der Ernährungssituation beizutragen. Zur Beantwortung der Frage gliedert sich der Hauptteil der Arbeit in vier Kapitel. In einem ersten Schritt wird zunächst nach einer Definition von Mangelernährung (Kap. 2.1), sowie nach Möglichkeiten angemessener Screeningverfahren (Kap. 2.2) gefragt. Das dritte Kapitel widmet sich den Ursachen der Mangelernährung. Hier wird zwischen tumorbedingten (Kap. 3.1) und zytostatikabedingten Ursachen (Kap. 3.2) unterschieden. Daran anschließend werden die Folgen der Mangelernährung hinsichtlich ihrer physischen, psychischen und wirtschaftlichen Auswirkungen beschrieben (Kap. 4). Das letzte Kapitel des Hauptteils befasst sich mit den unterschiedlichen Therapieansätzen und den einzelnen Therapiestufen (Kap. 5). Die Schlussbetrachtung fasst die zentralen Aspekte der Arbeit zusammen und diskutiert mögliche pflegerische Interventions- und Verbesserungsmöglichkeiten. Aufgrund häufig auftretender Schwierigkeiten in der Versorgung von mangelernährten Patienten entstand die Idee zu dieser literaturbasierten Untersuchung. Die Idee besteht darin, Wissen und Erfahrungen zum Thema Mangelernährung zusammenzutragen, um so Fragen zur Ernährungstherapie beantworten zu können. Dies soll im pflegerischen Alltag einer onkologischen Station zusätzlich Sicherheit im Umgang mit den verschiedenen Screeningmethoden sowie den einzelnen Stufen der Therapie vermitteln. 2. Mangelernährung im Krankenhaus 2.1 Definition von Mangelernährung Um zu klären, worin Bedeutung, Ursachen und Folgen von Mangelernährung bei Krankenhauspatienten unter Zytostatikatherapie bestehen, ist es notwendig, den Begriff näher zu bestimmen. Der Begriff der Mangelernährung bezieht sich im Allgemeinen auf Unter- sowie auf Überernährung. Gründe für Mangelernährung können beispielsweise unausgewogene oder unzureichende Nahrungszufuhr und schwere oder wiederholte 4

Infektionserkrankungen sein. Dies gilt insbesondere für sozialbenachteiligte Gesellschaftsschichten. Die unzureichende Ernährung steht in einem engen Zusammenhang mit dem Lebensstandard, den Umweltbedingungen sowie dem Zugang zu Grundnahrungsmitteln, Wohnraum und Gesundheitsversorgung. Mangelernährung hat somit nicht nur Einfluss auf den Gesundheitszustand, sondern stellt einen eigenständigen Risikofaktor für Erkrankungen dar. Zudem führt sie zu einer Erhöhung der Morbidität und Mortalität [6]. In der Medizin stellt Mangelernährung einen Überbegriff dar, der verschiedene Krankheitsbilder beinhaltet, welche bei einem Ungleichgewicht zwischen (verminderter) Nährstoffzufuhr und (erhöhtem) Nährstoffbedarf, bei gestörter Nährstoffverwertung oder bei unkontrolliertem Abbau von Körpersubstanz beobachtet werden. [7]. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass bislang keine einheitliche, international anerkannte Definition existiert. Daher werden bei Veröffentlichungen zu diesem Thema häufig funktionale Arbeitsdefinitionen verwendet [6]. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.v. (DGEM) hat im Jahr 2013 eine umfassende Überarbeitung der Leitlinie zur klinischen Ernährung begonnen. Hierbei wurde versucht eine einheitliche Nomenklatur zu schaffen. Die krankheitsspezifische Mangelernährung (DRM, Disease-related Malnutrition) wird dabei durch folgende Kriterien definiert: Body-Mass-Index (BMI) < 18,5kg/m 2 oder unbeabsichtigter Gewichtsverlust > 10% in den letzten 3 6 Monaten oder BMI < 20kg/m 2 und unbeabsichtigter Gewichtsverlust > 5% in den letzten 3 6 Monaten. Abhängig von der jeweiligen Ursache der Mangelernährung kann eine weitere Differenzierung erfolgen. Hierbei werden die krankheitsspezifische Unterernährung (S-DRM Starvation-related Malnutrition), die chronische krankheitsspezifische Mangelernährung (C-DRM Chronic disease-related Malnutrition) und die akutkrankheitsspezifische Mangelernährung (A- DRM Acute disease- or injury-related Malnutrition) unterschieden [8]. Vor diesem Hintergrund bezieht sich die in dieser Arbeit verwendete Definition ausschließlich auf Unterernährung als Folge der malignen Erkrankung bzw. deren Therapie. 2.2 Screeningverfahren zur Erkennung von Mangelernährung Zur Untersuchung der Bedeutung von Mangelernährung sowie ihrer Überwindung muss ein angemessenes diagnostisches Verfahren durchgeführt werden. Hier bietet sich ein 5

Screeningverfahren an, welches im Allgemeinen ein systematisches Testverfahren darstellt, um innerhalb eines definierten Prüfbereichs Elemente herauszufiltern, die bestimmte Eigenschaften aufweisen. Im Kontext medizinischer und pflegerischer Praxis versteht man unter Screening eine Reihenuntersuchung, die mittels schneller und einfacher Methodik bei allen Patienten zum Zeitpunkt [ ] der Krankenhausaufnahme durchgeführt werden kann. [9]. Zur Feststellung und Erfassung einer Mangelernährung in der klinischen Praxis werden vor allem drei primäre Zielgrößen berücksichtigt. Von dem krankheitsassoziierten Gewichtsverlust (unintended weight loss wasting), der einen signifikanten Gewichtsverlust mit Zeichen der Krankheitsaktivität beschreibt, werden der Eiweißmangel (protein deficiency), sowie der spezifische Nährstoffmangel (specific nutritional deficiency) unterschieden. Unter dem spezifischen Nährstoffmangel versteht man ein Defizit an essentiellen Nährstoffen wie Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und essentiellen Fettsäuren [10]. Wenngleich derzeit noch keine international etablierten Standardverfahren zur Erfassung des Ernährungszustandes bei onkologischen Patienten existieren [4], gibt es eine Vielzahl allgemein anwendbarer Methoden, den Ernährungszustand eines Patienten zu erheben. Der folgende Überblick zeigt eine Auswahl zentraler Punkte zur Bestimmung von Mangelernährung im Krankenhaus. Body-Mass-Index (BMI): Körpergewicht [kg]/körpergröße [m] 2 [11] Broca-Formel: Normalgewicht [kg] = Körpergröße [cm] - 100 [11] Subjective Global Assessment (SGA) [4] Messung der Hautfaltendicke [12] Bioelektrische Impedanzanalyse [12] Malnutrition Screening Tool (MST oder MUST) [13] Mini Nutritional Assessment (MNA) [14] Nutritional Risk Screening 2002 (NRS 2002) [14] Die Europäische Gesellschaft für klinische Ernährung und Stoffwechsel (European Society for Clinical Nutrition and Metabolism ESPEN) empfiehlt bei Krankenhausaufnahme die Anwendung eines Fragebogens zur Risikoerfassung der Mangelernährung. Beispielhaft für ein mögliches Verfahren wird im Folgenden das 6

Nutritional Risk Screening (NRS 2002) vorgestellt. Weitere Screeninginstrumente (MUST, MNA, SGA) befinden sich im Anhang. Abb. 1: Nutritional Risk Screening 2002 (NRS 2002) Die leichte Anwendbarkeit dieser Screeningmethode in der pflegerischen Praxis lässt sich vor allem dadurch erklären, dass als Messinstrument allein eine Personenwaage benötigt wird, um das aktuelle Gewicht des Patienten zu erfassen. Alle weiteren Informationen werden durch ein kurzes Gespräch mit dem Patienten erhoben, welches ohne größeren zusätzlichen Zeitverlust in das obligatorische Aufnahmegespräch des Patienten integriert werden kann. Wird das NRS 2002 standardisiert bei der stationären Aufnahme aller Patienten angewandt, hilft es, Risikopatienten frühzeitig zu erkennen. Durch die Empfehlung zur wöchentlichen Nachbefragung kann diese Methode auch als Prävention der Mangelernährung angesehen werden. Neben der Pflegeanamnese zur Einschätzung des Allgemeinzustandes sowie der Pflegeplanung sollte das Screening des Ernährungszustandes fester Bestandteil der pflegerischen Patientenaufnahme sein [15]. 7

3. Ursachen der Mangelernährung Wie bereits zuvor skizziert, existiert eine Vielzahl von Ursachen einer Mangelernährung. Mit Blick auf die der Arbeit zugrunde liegenden Frage soll im folgenden Kapitel der Schwerpunkt jedoch ausschließlich auf tumor- und therapiebedingte Ursachen gelegt werden. 3.1 Tumorbedingte Ursachen Eine der Hauptursachen für die Entstehung einer Mangelernährung ist die tumorassoziierte systemische Inflammationsreaktion [16]. Das Vorliegen einer manifesten Tumorerkrankung verursacht in unterschiedlichem Ausmaß systemische proinflammatorische Prozesse, die sekundäre Auswirkungen auf alle wesentlichen Stoffwechselparameter wie z.b. Kohlenhydrat-, Fett- und Eiweißstoffwechsel haben. Diese Prozesse stellen einen zentralen Faktor für die Ausbildung von Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust dar [4]. Neben den stoffwechselbedingten Ursachen kann auch der Tumor selbst durch seine Lokalisation bzw. seine eigene Stoffwechselaktivität eine Mangelernährung begünstigen oder verursachen. Dies tritt beispielsweise bei Patienten mit Magen- oder Pankreaskarzinom auf [5]. Die wesentliche Auswirkung auf den Kohlenhydratstoffwechsel äußert sich in einer häufig bei Tumorpatienten nachgewiesenen Insulinresistenz und einer gesteigerten Glukoseproduktion. Das Verhältnis von Insulin zu katabolen Hormonen im Blut ist gestört, typisch ist eine gesteigerte Kortisolsekretion sowie ein gesenktes Insulin/Kortisolverhältnis. Insgesamt resultieren ein gesteigerter Glukoseumsatz sowie eine gesteigerte Glukoneogenese. [4] Bei normaler bis gesteigerter Lipidoxidation (Fettverbrennung) geht der Gewichtsverlust von Tumorpatienten häufig mit einem Verlust von Fettspeichern einher. Auch wenn die ursächlichen Gründe für eine Veränderung des Fettstoffwechsels nicht eindeutig geklärt sind, wird eine gesteigerte Lipolyse (Spaltung von Fetten) regelmäßig beobachtet. Ein erhöhter Eiweißumsatz verursacht einen Verlust von Muskelmasse und einer gesteigerten Produktion von Akut-Phase-Proteinen [4]. Diese veränderten Prozesse können zu einem primären Tumor-Anorexie-Kachexie- Syndrom führen. Hierunter versteht man einen Symptomkomplex, der unter anderem mit Appetitmangel, frühem Sättigungsgefühl und Muskel- und Fettabbau einhergeht [5]. 8

Die hier beschriebenen Ursachen der Mangelernährung sind beispielhaft für zahlreiche maligne Erkrankungen. Diese Veränderungen des Stoffwechsels können ebenso bei schweren akuten und chronischen sowie entzündlichen Erkrankungen auftreten. 3.2 Zytostatikabedingte Ursachen Der Bereich der Onkologie mit den unterschiedlichsten malignen Erkrankungen beinhaltet eine Vielzahl verschiedener Therapieprotokolle. Neben den einzelnen Zytostatika, die in unterschiedlichen Dosierungen und Zyklen verabreicht werden, sind als weitere Säulen auch die operative Versorgung und Radiotherapie zu nennen. In dieser Arbeit wird anhand der Hochdosiszytostatikatherapie beispielhaft der Zusammenhang zur Mangelernährung hergestellt. Die Hochdosiszytostatikatherapie mit Stammzellersatz wird in erster Linie bei Patienten mit hämatoonkologischen Erkrankungen wie akuter Leukämie, malignem Lymphom und multiplem Myelom angewendet. Die meisten Zytostatika werden nach Gewicht und Körperoberfläche dosiert. Da ein enger Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung besteht, ist die Schädigung der gesunden Organsysteme der limitierende Faktor der Zytostatikatherapie (dosisbegrenzende Toxizität) [17]. Eine toxische Wirkung der Zytostatika ist die Zellschädigung sowohl der Tumorzellen als auch des gesunden Gewebes. Die durch die Zytostatika hervorgerufene Apoptose (Zelltod) zeigt ihre ersten klinischen Symptome am häufigsten an den sich schnell erneuernden Schleimhautzellen des Magen-Darm-Traktes. Zu den Schädigungen des Magen-Darm-Traktes zählen die Mukositis, Stomatitis, Ösophagitis und Enteritis. Der Begriff Mukositis beschreibt eine Entzündung der Schleimhaut, die je nach Lokalisation spezifische Beschwerden verursacht. Die Stomatitis (Entzündung der Mundschleimhaut), die Ösophagitis (Entzündung der Speiseröhre) und die Enteritis (Entzündung der Darmschleimhaut) sind in Bezug auf den Ernährungszustand des Patienten von großer Relevanz. Sowohl die Stomatitis, als auch die Ösophagitis bereiten den Betroffenen häufig Schmerzen beim Schlucken, die je nach Ausmaß auch zu einer erheblichen Einschränkung der Nahrungsaufnahme führen können. Die Enteritis kann sowohl kolikartige Schmerzen als auch Diarrhoen verursachen. Abhängig von der Schwere der Diarrhoen, können diese eine Malabsorption verursachen und zu signifikanten Störungen im Wasser- und Elektrolythaushalt führen, z.b. Dehydratation und Hypokaliämie [18]. 9

Die maximale Zellschädigung unter Zytostatikatherapie ist die Aplasie. Hierunter versteht man eine Zerstörung der blutbildenden Zellen des Knochenmarks mit Thrombopenie, Leukopenie und Anämie. Mit Leukopenie ist eine Verminderung aller Leukozyten gemeint. Sind die neutrophilen Granulozyten die auch für die Immunabwehr zuständig sind vermindert (Neutropenie), steigt das allgemeine Infektionsrisiko der betroffenen Patienten [19]. Die zytostatikabedingte Neutropenie führt zu einer Einschränkung des Speiseplans. Hierzu gibt es zwar bisher keine allgemein verbindlichen Empfehlungen, sondern unterschiedliche Regime in den einzelnen Krankenhäusern, allerdings gibt es einen Konsens, der unter anderem von dem Verzehr von rohem Fleisch und Fisch sowie rohen Eiern abrät [20, 21] (vgl. Anhang Patientenempfehlung zur Ernährung bei Abwehrschwäche und hoher Infektanfälligkeit am UKM, CCCM). Als weitere häufige Nebenwirkungen, die zu einer Mangelernährung führen können, sind Nausea (Übelkeit), Emesis (Erbrechen) und die allgemeine Inappetenz zu nennen. Diese treten nicht nur bei Hochdosiszytostatikatherapie, sondern auch bei anderen Therapieregimen auf. Dabei ist der auslösende Mechanismus bislang nicht gesichert. Sowohl die Übelkeit als auch das Erbrechen können akut oder verzögert auftreten. Treten sie akut auf, dann meist innerhalb von zwei bis vier Stunden nach Zytostatikagabe. Von verzögerter Emesis bzw. Nausea spricht man, wenn die Symptome erst mindestens 24 Stunden nach der Verabreichung des Zytostatikums beginnen und mindestens 24 Stunden andauern. Nausea und Emesis können auch antizipatorisch, als Resultat einer Konditionierung, schon Stunden bis Tage vor einer Zytostatikatherapie auftreten [22]. Die durch die Therapie hervorgerufene Inappetenz kann zusätzlich durch psychische Faktoren wie Angst verstärkt werden [23]. Zusätzlich zu der oben erwähnten primären Tumoranorexie (vgl. Kap. 3.1) kann es unter der Therapie zu einem sekundären Tumor-Anorexie-Kachexie-Syndrom kommen. Hierunter versteht man einen reversiblen Gewichtsverlust als Folge von verminderter Nahrungsaufnahme, z.b. durch Symptome wie Stomatitis oder Ösophagitis [16]. Auch durch Zytostatika hervorgerufene Geschmacksveränderungen können die Nahrungsaufnahme zusätzlich vermindern. Diese Geschmacksveränderungen äußern sich zum Beispiel darin, dass die Geschmacksrichtung bitter verstärkt und süß vermindert wahrgenommen wird [23]. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die zytostatikabedingten Ursachen einer Mangelernährung alle potentiell reversibel und behandelbar sind. Im Unterschied dazu 10

können die tumorbedingten Ursachen der Mangelernährung nur durch die Therapie der malignen Grunderkrankung behoben werden. 4. Folgen der Mangelernährung Mangelernährung in der Onkologie kann sowohl physische, psychische und wirtschaftliche Folgen haben. Diese werden von den Betroffenen in ihrer Tragweite sehr individuell wahrgenommen. Unabhängig von der Ursache einer Mangelernährung ist es Aufgabe des medizinischen Personals, diese Auswirkungen zu erkennen. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, stellt die Mangelernährung einen unabhängigen Risikofaktor dar, der die relevanten klinischen Parameter Letalität, Morbidität, Komplikationsrate, Krankenhausaufenthaltsdauer, Therapietoleranz, Lebensqualität und Prognose signifikant beeinflusst. [2] Im Folgenden sollen die zentralen Folgen der Mangelernährung dargestellt werden. Diese beziehen sich jedoch nicht ausschließlich auf die Zytostatikatherapie, sondern allgemein auf die Folgen der Mangelernährung im Krankenhaus. Physische Folgen der Mangelernährung Mangelernährung kann die Funktion von Atmung, Herz und Infektabwehr beeinträchtigen und die postoperative Wundheilung erschweren [24]. Für die Erythropoese (Bildung der Erythrozyten) spielen die Vitamine B12 und Folsäure sowie das Spurenelement Eisen eine erhebliche Rolle. Ein Mangel dieser Nährstoffe führt durch eine Störung der Erythropoese zu einer Anämie mit den klinischen Symptomen Tachykardie und Dyspnoe [25]. In der Proliferationsphase des Wundheilungsprozesses beispielsweise benötigt der Körper zur Kollagenbildung neben diversen Spurenelementen und Hormonen Vitamin C. Vitamin- und Eiweißmangel sind allgemeine Faktoren, welche die Wundheilung negativ beeinflussen [26]. Für die Herstellung bestimmter Gerinnungsfaktoren benötigt die Leber Vitamin K. Ein Mangel an Vitamin K führt durch Störung der Blutgerinnung zum einen zu einer erschwerten Wundheilung und zum anderen etwa im Falle eines Sturzes zu einem erhöhten Risiko für schwere Einblutungen [27]. Psychische Folgen der Mangelernährung Als weitere Folgen der Mangelernährung sind zudem psychische Symptome wie Müdigkeit, Depressionen und eine Abnahme der Leistungsfähigkeit der Patienten zu 11

nennen [5]. Jedes dieser Symptome hat eine Reduzierung der Mobilität zur Folge. Daraus ergibt sich ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Dekubitus, Pneumonien, Kontrakturen und Thrombosen. Dies erfordert eine entsprechende pflegerische Intervention. Die psychischen Folgen einer Mangelernährung sind allerdings schwer zu objektivieren. Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es kein standardisiertes Messinstrument zur Erfassung des Einflusses des Ernährungszustandes auf den Patienten. Bei Patienten mit malignen Tumorerkrankungen kann im klinischen Alltag der Karnofsky-Index zur Erfassung der Lebensqualität eingesetzt werden [28]. Wirtschaftliche Folgen der Mangelernährung Neben den physischen und psychischen Folgen der Mangelernährung soll im Folgenden kurz auf die wirtschaftlichen Folgen eingegangen werden, da diese den Krankenhausalltag zunehmend beeinflussen. CEPTON Strategies führte 2007 eine Studie anhand von Literaturrecherchen und Experteninterviews durch. Diese zeigte eine Erhöhung der Krankenhausverweildauer bei mäßiger (NRS 3) und schwerer (NRS > 4) Mangelernährung. Außerdem fielen die Rehospitalisierungsraten bei guter Ernährung um ca. 30% geringer aus [29]. Eine weitere große klinische Studie an über 5000 Patienten zeigte bei Unter- oder Mangelernährung neben einer erhöhten Letalität und einer längeren Krankenhausverweildauer auch eine signifikant erhöhte Komplikationsrate [30]. Zu der längeren Krankenhausverweildauer entstehen zusätzliche Kosten, wie beispielsweise durch die Therapie der verursachten Komplikationen wie Wundheilungsstörungen und nosokomiale Infektionen. 12

5. Therapie der Mangelernährung Die genaue Kenntnis der Ursachen und Folgen der Mangelernährung ist eine notwendige Voraussetzung angemessene Therapiemaßnahmen einzuleiten. Ziel der Therapie von Mangelernährung sollte dabei neben der Verbesserung des Ernährungszustandes auch eine Verbesserung der Lebensqualität sein. Die DGEM Leitlinien zur klinischen Ernährung sehen nach dem Ernährungsassessment, d.h. der umfassenden Diagnose von Ernährungsproblemen mithilfe von Krankengeschichte, Ernährungsanamnese, Screeningverfahren und körperlicher Untersuchung, auch die Implementierung eines Ernährungsteams vor. Dieses sollte interdisziplinär aus ärztlichen, pflegerischen und diätologischen Fachkräften bestehen [8]. Neben den ärztlichen Aufgaben wie der Verordnung der individuellen Zusammensetzung der unterschiedlichen Ernährungsbestandteile und der medikamentösen Prophylaxe bzw. Therapie der Zytostatikanebenwirkungen (Antiemese, Mukositisbehandlung) spielen aus primär pflegerischer Sicht folgende Therapieansätze eine maßgebliche Rolle. Die Beratung von Patienten und Angehörigen ist eine zentrale pflegerische Aufgabe. Über das Gespräch soll ermöglicht werden, den Patienten aktiv mit in die therapeutischen Maßnahmen einzubeziehen. Dabei sollte unbedingt auch der Patient die Möglichkeit haben, die aus seiner Sicht aktuellen Probleme zu benennen, da diese sich im Rahmen einer malignen Erkrankung abhängig vom Krankheitsprozess ändern können. Darüber hinaus sollten auch Diätassistenten in die Anamneseerfassung und Therapieplanung einbezogen werden. Allgemeine pflegerische Maßnahmen zur Therapie der Mangelernährung sind die gemeinsame Erarbeitung des Speiseplans, eine angemessene Gestaltung der Räumlichkeiten bei der Nahrungsaufnahme, sowie das Erfassen der Nahrungszufuhr mit Hilfe eines Ernährungsprotokolls. Dieses kann selbstständig durch den Patienten oder mit Unterstützung durch Pflegende geführt werden [31]. Das Führen eines Ernährungsprotokolls dient zur Erfassung der tatsächlich aufgenommenen Kalorien. Zuvor sollte der individuelle Kalorienbedarf durch das Ernährungsteam ermittelt werden. Dieser kann bei onkologischen Erkrankungen in Abhängigkeit von Krankheitsstadium und Therapie sowohl erhöht, erniedrigt als auch unverändert sein. Die DGEM schlägt zur Berechnung des Gesamtenergieumsatzes folgende Formel vor: Während für mobile Patienten ein Umsatz von 30 kcal/kg täglich veranschlagt wird, gilt für bettlägerige Patienten ein Wert von 25 kcal/kg pro Tag [4]. 13

Hinsichtlich der nichtmedikamentösen Behandlung der zytostatikabedingten Ursachen der Mangelernährung spielt die Pflege eine zentrale Rolle. Dies lässt sich an zahlreichen Beispielen verdeutlichen. Pflegerische Interventionen bei Appetitverlust können etwa das Anbieten kleiner Portionen sowie häufiger Zwischenmahlzeiten sein. Dabei sollte auf Nahrungsmittel mit geringem Energiegehalt, wie Gemüse oder Salat, weitestgehend verzichtet werden [23]. Das Problem der zytostatikabedingten Geschmacksveränderungen lässt sich kaum beeinflussen. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass Nahrungsmittel ohne intensiven Eigengeschmack so wie kalte Nahrungsmittel mit geringer Geruchsemission von einigen Patienten besser toleriert werden [23]. Ähnliches lässt sich auch für Patienten feststellen, die unter Nausea und Emesis leiden. Diese Patienten sollten zusätzlich eine adäquate medikamentöse Antiemese erhalten. Eine weitere häufige Ursache einer reduzierten Nahrungsaufnahme während einer Zytostatikatherapie sind mukositisbedingte Schmerzen beim Schlucken. Neben einer medikamentösen Schmerztherapie kann auch eine Veränderung des Speiseplans zur Symptomverbesserung beitragen. Eine solche Ernährung sieht vor allem säurearme und weiche Nahrungsmittel vor, die weder zu heiß noch zu kalt sein sollten [18]. Zusätzlich kann das Lutschen von leicht angetauten Eiswürfeln zur Abschwellung der Mundschleimhaut und Schmerzlinderung angeboten werden [32]. Kommt es im Rahmen einer Enteritis zu Diarrhoen, sind Dehydratation und Elektrolytentgleisung häufige Komplikationen. Zur Vermeidung dieser Komplikationen sollte auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr durch vorzugsweise isotonische Getränke und milde Suppen geachtet werden [18]. Wenn eine ausreichende Nahrungszufuhr trotz der oben genannten Maßnahmen nicht gewährleistet werden kann, ist eine orale Nahrungssupplementation (ONS) erforderlich. Hierfür stehen unterschiedlichste Produkte zur Verfügung. Bei der Gabe von nahrungsergänzender, hochkalorischer Trinknahrung, sollte auf einen Abstand von mindestens einer Stunde zu den Hauptmahlzeiten geachtet werden, um ein Hungergefühl weitgehend zu erhalten [31]. Als weitere Maßnahme bei anhaltender Mangelernährung kann eine vorübergehende künstliche Ernährung sowohl enteral als auch parenteral in Erwägung gezogen werden. Die künstliche Ernährung kann dabei sowohl als Ergänzung zur oral aufgenommen Nahrung, als auch als alleinige Ernährungsform eingesetzt werden. Die enterale Ernährung kann über verschiedene Sondensysteme (nasogastrale Sonde, PEG- und PEJ- 14

Sonde) erfolgen. Die Pflege der Sondensysteme sowie die Beurteilung der Wundverhältnisse ist hierbei insbesondere bei den abwehrgeschwächten onkologischen Patienten wichtiger Bestandteil der Stationsarbeit. Gleiches gilt selbstverständlich für die unterschiedlichen Systeme der parenteralen Ernährung (ZVK, Port, Broviac- und Hickmann-Systeme). Vor dem Hintergrund der skizzierten Maßnahmen zur Behandlung von Mangelernährung kann die Behandlungsstrategie in einem Stufenmodell dargestellt Abb. 2: Stufenschema zur Therapie der Mangelernährung [2], eigene Darstellung werden (vgl. Abb. 2). Die Leitlinien zur klinischen Ernährung für den Bereich nichtchirurgische Onkologie der DGEM befinden sich derzeit allerdings in Revision und sollen im Laufe des Jahres 2014 veröffentlicht werden. Es bleibt also abzuwarten, welche Veränderungen der bisherigen Empfehlungen erfolgen. 15

6. Schlussbetrachtung Die Mangelernährung in deutschen Krankenhäusern stellt ein signifikantes Problem dar. Das Ziel der vorliegenden Arbeit bestand darin, die zentralen Ursachen und Folgen von Mangelernährung unter Zytostatikatherapie sowie die pflegerischen Behandlungsansätze darzustellen. Zu diesem Zweck wurde der Begriff der Mangelernährung in Anlehnung an die Terminologie der DGEM-Leitlinien als Folge der malignen Erkrankung bzw. deren Therapie definiert (Kap. 2.1). Das in den genannten Leitlinien empfohlene Screening auf Mangelernährung wurde anhand des Nutritional Risk Screening 2002 beispielhaft erläutert (Kap. 2.2). In einem weiteren Schritt wurden die Ursachen der Mangelernährung bei malignen Erkrankungen beleuchtet. Hier wurde zwischen tumor- und zytostatikabedingten Ursachen differenziert. Während bei den tumorbedingten Ursachen die proinflammatorischen und stoffwechselbedingten Veränderungen maßgeblich sind (Kap. 3.1), fallen bei den zytostatikabedingten Ursachen die unerwünschten toxischen Wirkungen ins Gewicht (Kap. 3.2). Hinsichtlich der Folgen der Mangelernährung wurde zwischen physischen, psychischen und wirtschaftlichen Auswirkungen unterschieden (Kap. 4). Relevant sind hier vor allem die physischen und psychischen Folgen, da diese unmittelbar den pflegerischen Alltag beeinflussen. In einem letzten Schritt wurden Maßnahmen zur Therapie der Mangelernährung aufgezeigt. Dabei wurde deutlich, dass durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und verschiedene nichtmedikamentöse Interventionen durch die Pflegenden der Ernährungszustand des Patienten maßgeblich verbessert werden kann (Kap. 5). Ein wichtiges Anliegen der Arbeit besteht darin, auf die Bedeutung der Mangelernährung in onkologischen Abteilungen hinzuweisen, da dort ein Großteil der Patienten betroffen ist. Insbesondere in diesen Abteilungen ist ein implementiertes Screeningverfahren des Ernährungszustandes bei Aufnahme essentiell. Eine Mangelernährung etwa durch die Zytostatikatherapie kann jedoch auch erst im Verlauf eines Krankenhausaufenthaltes entstehen, sodass die regelmäßige Wiederholung des Screenings aller stationärer Patienten von ebenso großer Bedeutung ist. Dabei liegt es in der Verantwortung der Pflege eine praktikable Regelung zu etablieren, indem beispielsweise an bestimmten Wochentagen der Ernährungszustand der Patienten überprüft wird. Voraussetzung dafür ist zum einen ein 16

Screeningverfahren, welches schnell, unaufwendig und unkompliziert durchzuführen ist. Zum anderen muss auch das Pflegepersonal für das Thema Mangelernährung sensibilisiert und ausreichend geschult sein. Derzeit existiert kein speziell für die Onkologie entwickeltes Screeningverfahren. Es kann daher die Frage aufgeworfen werden, ob eine onkologiespezifische Modifizierung der vorhandenen Verfahren und Instrumente hilfreich und sinnvoll wäre. Wird bislang vor allem nach allgemeinen Ernährungsgewohnheiten und einschränkungen gefragt, sollte ein onkologiespezifischer Fragebogen auch die individuellen patientenbezogenen Besonderheiten berücksichtigen. Eine so individualisierte Behandlung muss neben Allergien und (religiösen) Vorlieben auch Faktoren wie Essenszeiten, räumliche Umgebung und Wunschkost berücksichtigen. Auf diese Weise kann Inappetenz und Gewichtsverlust entgegengewirkt werden. Am Beispiel der Aplasie unter Hochdosiszytostatikatherapie zeigen sich allerdings auch Grenzen einer individualisierten Ernährung. Diese bestehen darin, dass während der Aplasiephase bestimmte Nahrungsmittel vermieden werden müssen (vgl. Anhang). Trotz dieser Einschränkungen sollte jedoch versucht werden, über alternative Angebote eine ausgewogene Ernährung und eine ausreichende Kalorienzufuhr zu gewährleisten. Besteht ein Risiko der Mangelernährung muss der individuelle Kalorienbedarf des Patienten errechnet und anhand von Ernährungsprotokollen die tatsächliche Zufuhr erfasst werden. Um Ernährungsprobleme frühzeitig zu erkennen und eine adäquate Behandlungsstrategie zu entwickeln, bedarf es darüber hinaus eines interdisziplinären Ernährungsteams. Dieses sollte sich aus Diätassistenten, Ärzten und geschultem Pflegepersonal zusammensetzen [8]. Neben aller Professionalisierung muss jedoch auch der Patient mit einbezogen werden. Denn durch die aktive Mitarbeit und Integration des Patienten in die Therapieplanung kann der Krankheitsverlauf positiv beeinflusst werden. Die Therapie der Mangelernährung ist also immer eine interdisziplinäre Aufgabe. Diätassistenten, Ärzte und Pflegende können sie nur gemeinsam mit dem Patienten und seinen Angehörigen meistern. 17

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[29] MÜLLER MC, UEDELHOFEN KW, WIEDEMANN UCH. Cepton Studie: Mangelernährung in Deutschland. Erlangen: Bressler, 2007 [30] SÖRENSEN J, KONDRUP J, PROKOPOWICZ J ET AL. An international multicenter study to implement nutritional risk screening and evaluate clinical outcome. Clinical Nutrition 2008; 27: 340-9 [31] MARGULIES A, KRONER TH, GAISSER A ET AL. Onkologische Krankenpflege. Berlin Heidelberg New York: Springer, 2011: 371-372 [32] DÖRR W, HAAGEN J, HARTMANN J T ET AL: Behandlung der oralen Mukositis in der Onkologie. http://www.hsk-wiesbaden.de/fileadmin/redaktion/hsk/mkg/dateien/mkg_link7.pdf (04.September 2014) 20

8. Abbildungen Abb. 1: Nutritional Risk Screening 2002 (NRS 2002) (Quelle: http://www.uniklinikduesseldorf.de/fileadmin/datenpool/einrichtungen/klinik_fuer_gastroente rologie_hepatologie_und_infektiologie_id6/darmzentrum/formulare_de utsch/ernahrungnrs_schuetz_2002_sept_2006.pdf, 20.August 2014) Abb. 2: Stufenschema zur Therapie der Mangelernährung (modifiziert nach Löser Chr. Unter- und Mangelernährung im Krankenhaus. Deutsches Ärzteblatt 2010; 107: 912) 21

9. Anhang 1. Malnutrition Universal Screening Tool (MUST) 2. Mini Nutritional Assessment (MNA) 3. Subjective Global Assessment (SGA) 4. Ernährung bei Abwehrschwäche und hoher Infektanfälligkeit - Comprehensive Cancer Center Münster (CCCM), Universitätsklinikum Münster 22

1. Malnutrition Universal Screening Tool (MUST) 23

2. Mini Nutritional Assessment (MNA) 24

3. Subjective Global Assessment (SGA) 25

4. Ernährung bei Abwehrschwäche und hoher Infektanfälligkeit - Comprehensive Cancer Center Münster (CCCM), Universitätsklinikum Münster Seite 1 26

4. Ernährung bei Abwehrschwäche und hoher Infektanfälligkeit - Comprehensive Cancer Center Münster (CCCM), Universitätsklinikum Münster Seite 2 27