Vorbeugen ist besser als Heilen? Prävention ische Psychologie (Leitung PD Dr. Karin Lange) ische Soziologie (Leitung Prof. Dr. Siegfried Geyer)
Arten der Prävention: Zeitpunkt der Intervention (I) Primärprävention: Senkung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Krankheiten (z.b. Herzinfarkt) oder Unfällen Vermeidung, Abschwächung und zeitliche Verschiebung von Mortalität und Morbidität Vermeidung direkter Krankheitskosten Vermeidung und Verringerung indirekter Krankheitskosten (Sekundärerkrankungen, Frühberentung, Arbeitsunfähigkeit)
Arten der Prävention (II) Sekundärprävention: Entdeckung des symptomlosen Frühstadiums einer Krankheit sowie einer frühen Therapie. Ziel: Senkung der Zahl manifester sowie fortgeschrittener Erkrankung und Krankheitsstadien. Beispiel: Krebsfrüherkennungsuntersuchungen
Arten der Prävention (III) Tertiärprävention: Behandlung einer Krankheit mit dem Ziel einer Vermeidung der Verschlimmerung von Krankheiten, der Vermeidung oder Linderung von Funktionseinbußen durch die Erkrankung Beispiele: Rehabilitation nach Herzinfarkt Abnehmprogramme bei Diabetespatienten
Arten der Prävention (IV) Primordiale Prävention: Beeinflussung der gesunden Bevölkerung im Hinblick auf Lebensverhältnisse und Lebensweisen mit dem Ziel der Gesunderhaltung
Zielgruppen von Präventionsmaßnahmen Hochrisikostrategie ( tendenziell Individualstrategie) Populationsstrategie Rose G (1992). The Strategy of Preventive Medicine. Oxford: OUP.
Wie kann man Prävention betreiben? Interventionen, die freiwillige und aktive Zustimmung, Teilnahme, Lernen und Verhaltensänderung erfordern Interventionen, die Veränderungen von Lebensbedingungen beinhalten Interventionen zur Veränderung von Lebens- und Umgebungsbedingungen mit unspezifischer Zielsetzung Interventionen, die mit Einschränkungen von Entscheidungsspielräumen und/ oder mit Sanktionen verbunden sind
1. Interventionen, die eine aktive Teilnahme, Zustimmung und Verhaltensänderungen erfordern
Interventionen, die eine aktive Teilnahme der Zielgruppen erfordern: Nordkarelienstudie Präventionsmaßnahme in einer finnischen Region mit 180.000 Einwohnern Ausgangspunkt: hohe Raten kardiovaskulärer Erkrankungen, hohe Mortalität, hoher Alkoholkonsum Ziele der Präventionsmaßnahmen: Verringerung des Raucheranteils Veränderung des Ernährungsverhaltens Veränderung der Blutfettwerte Verringerung des Blutdrucks
Nordkarelienstudie: Abnahme des Anteil der Raucher (in %) an der Bevölkerung Nordkareliens über drei Jahresperioden nach Interventionsbeginn (Puska et al., 1985: 172) 60 50 52% 44% 38% % 40 30 20 10 0 1972 1977 1982
Diabetespräventionsstudie (Tuomilehto, et al., 2001) Zielgruppe: 522 Männer und Frauen mit hohem Diabetesrisiko und Übergewicht Zuweisung auf Untersuchungs- und Kontrollgruppe durch Zufallszuweisung der Teilnehmer(innen) Dauer der Intervention: 3,2 Jahre
Durchgeführte Maßnahmen in der Interventions- und der Kontrollgruppe in der finnischen Diabetespräventionsstudie (aus: Tuomilehto et al., 2001: 1346) Interventionsgruppe Kontrollgruppe Ausführliche personalisierte Unterweisung, wie die Interventionsziele zu erreichen sind Ernährungshinweise für die tägliche Ernährung mit Auflistung der einzelnen Elemente und der Zubereitungs-möglichkeiten Anweisungen, wie die tägliche Bewegung zu verbessern ist Regelmäßiges Bewegungs-training unter Anleitung, Anweisungen, wie die Interventionspersonen sich beim Auftauchen von Symptomen verhalten sollen. Ausgabe einer zweiseitigen Informationsbroschüre zur Ernährung Sportliche Übung zum Beginn des Interventionszeitraums Registrierung der Ernährungsgewohnheiten
Veränderungen in Interventions- und Kontrollgruppe über den Zeitraum der Intervention in der finnischen Diabetespräventionsstudie (aus: Tuomilehto et al., 2001: 1346) Variable Interventionsgruppe (N=253) Kontroll gruppe (N=247) Verminderter Fettkonsum Veränderung der Art konsumierter Fette Erhöhter Gemüsekonsum Verringerter Zuckerkonsum Verringerter Salzkonsum Verringerter Alkoholkonsum Mehr körperliche Bewegung 87% 70% 72% 55% 59% 26% 36% 70% 39% 62% 40% 50% 23% 16%
30 25 20 15 10 5 0 Finnische Diabetespräventionsstudie ( Tuomilehto et al., 2001) Effekte nach einer vierjährigen Interventionsphase: Anteil der Neuerkrankungen an Diabetes 20,4 Intervention 27,4 Kontrollen
Beispiel für eine Präventionskampagne in Deutschland: AIDS (BZGA), seit 1993
Modellstudiengang 10 Jahre AIDS- Prävention der BZGA (2)
Entwicklung der neu diagnostizierten AIDS- Fälle in Deutschland 1997 bis 2006, absolute Häufigkeiten 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Quelle: Robert-Koch-Institut, 2007
Modellstudiengang AIDS- Prävention in Afrika
AIDS- Prävalenz in Afrika, Stand 2005 Quelle: WHO; UNAIDS, 2005: S. 12
Motivation für Prävention: Angstfaktoren Die Gefahren sind nicht willentlich steuerbar: Unklare Genese versus verhaltensbezogene Erkrankungen Die Opfer sind persönlich identifizierbar, nicht anonym Persönliche Betroffenheit durch eine Erkrankung (eigene Betroffenheit versus Betroffenheit unbekannter Personen) Die Ursachen für eine Erkrankung sind nicht genau nachvollziehbar, sie erscheinen als nicht verständlich, wissenschaftlich nicht erforscht
Strukturelle und kulturelle Hindernisse Präventionsmaßnahmen sind kulturell nicht akzeptiert (Kondomgebrauch in einer Gesellschaft mit Fruchtbarkeit als hohem Wert) Risikoverhalten ist weit verbreitet Informationen über Verbreitungswege stehen nicht zur Verfügung Informationen über Schutzmaßnahmen stehen nicht ausreichend zur Verfügung, Mittel für die Prävention sind nicht vorhanden
Übernahme von Verhaltensweisen über den Zeitverlauf 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8 9 Zeitperioden nach Einführung einer Maßnahme
Übernahme von Verhaltensweisen den Zeitverlauf durch unterschiedliche Qualifikationsgruppen 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8 9 Zeitperioden nach Einführung einer Maßnahme Niedrige Qu. Mittlere Qual. Hohe Qualif.
Zentrale Determinante für die Übernahme von Neuerungen auf der Individualebene: Qualifikationsniveau Eine positive Einstellung zu Veränderungen Fähigkeiten, mit unsicheren und mehrdeutigen Situationen umzugehen Ein geringes Maß an Fatalismus, stattdessen: die Überzeugung, das eigene Leben bestimmen zu können Vernetzung mit Individuen aus anderen Bereichen Die Bereitschaft, aktiv nach Informationen zu suchen
2. Interventionen, die Veränderungen von Teilen der Lebensumwelt beinhalten
Beispiel: Fluoridierung des Trinkwassers (Riley et al., 1999) 25216 Kinder im Alter von 5 Jahren Vergleich von Distrikten mit und ohne Trinkwasserfluoridierung (>5 Jahre) Zielvariable: Anzahl beschädigter, verlorener und gefüllter Zähne
Die Maßnahme führte zu einer Angleichung des Zahnstatus unterschiedlicher sozialer Gruppen Modellstudiengang Index beschädigter, verlorener und gefüllter Zähne zweier britischer Regionen 2,5 2 1,5 1 0,5 0 ohne Fluoridierung mit
Interventionen, die auf die Veränderung von Lebensbedingungen abzielen: Unfälle von Kindern: bauliche Veränderungen an Strassen und Plätzen Unfälle am Arbeitsplatz: Arbeitplatzgestaltung Infektionskrankheiten: Impfungen in Schulen Fehlernährung bei Kindern: Zubereitung und Abgabe von Mahlzeiten in Schulen
Charakteristika von Maßnahmen, die auf Veränderungen der Lebensbedingungen zielen Gute Kosten- Nutzenrelationen Keine Änderung von Lebensroutinen erforderlich Keine Überzeugungsarbeit erforderlich Keine Lernprozesse erforderlich Keine Barrieren zur Inanspruchnahme
Modellstudiengang 3. Interventionen auf der Makroebene
Veränderungen: Verbesserung des Allgemeine durchschnittlichen Bildungsniveaus In den letzten Jahrzehnten stieg in den USA der durchschnittliche Bildungsstand der Bevölkerung In den USA verringerte sich in den letzten Jahrzehnten der Konsum von Nikotin deutlich In den letzten Jahrzehnten stieg in den USA der Anteil der Bevölkerung mit bewegungsarmen Lebensstilen; das Ernährungsverhalten verschlechterte sich In den letzten Jahrzehnten erhöhte sich in den USA die Lebenserwartung sowie die Differenz zwischen Erkrankungseintritt und dem Eintritt des Todes
Gesundheitsförderung: Die Ottawa- Charta Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik ( Intersektoralität) Schaffung gesundheitsförderlicher Lebenswelten ( Verhältnisprävention) Unterstützung gesundheitsbezogener Gemeinschaftsaktionen ( Partizipation) Entwicklung persönlicher Kompetenzen ( Gesundheitserziehung) Neuorientierung der Gesundheitsdienste ( Prävention vor Kuration ) (WHO, 1986)
Durchgeführte Interventionen: Das Western Australian School Project (McBride & Midford 1999): Identifikation von Gesundheitsproblemen Mind Matters (Wyn et al 2000): Gesundheitsförderung, Verbesserung subjektiver Gesundheit Gatehouseproject (Patton et al 2000): Stärkung des sozialen Zusammenhalts, des Vertrauens und der Kommunikationsfähigkeit Klasse 2000 (Hannover): Prävention von Gewalt, Drogen und gesundheitlicher Frühschäden bei Kindern
Gesundheitsförderung in Schulen: Schweiz (Buddeberg-Fischer et. al.,2000) T0 T1 T2 Kontrollschule Schulische Belastungen Psychische Gesundheit Physische Gesundheit T0 T1 T2 Interventionsschule N=370 Schüler, M=17 Jahre
Effekte der schulischen Intervention (Buddeberg-Fischer et. al.,2000) Keine Effekte auf die Befindlichkeit Keine Effekte auf Krankheitssymptome Verschlechterung der Einschätzung des Unterrichtsklimas Erhöhte Sensibilisierung für Probleme im Unterricht Keine Messung von Langzeiteffekten
4. Interventionen, die mit einer Einschränkung von Handlungsspielräumen oder Sanktionen verbunden sind Oder: von der Wissenschaft zur Politik
Beispiele Rauchverbote in Flügen oder öffentlichen Einrichtungen Restriktionen beim Verkauf von Alkohol Risikozuschläge bei der Krankenversicherung für Risikoverhalten, z.b. bestimmte Sportarten Bonusregelungen bei der Krankenversicherung
Grenzen der Realisierbarkeit Massnahmen können mit anderen gesellschaftlichen Normen in Konflikt kommen: Individuelle Freiheit zur Wahl des Lebensstils Gesundheit in Konkurrenz mit anderen Zielen Gegenargument: kollektive Finanzierung der gesundheitlichen Sicherung
Die Gesetzgebung wird darauf ausgerichtet, Individuen die Möglichkeit zu geben, so gesund zu leben, wie sie es wünschen, den Grad der Priorität für Gesundheit selbst zu bestimmen Das Ziel wäre nicht: gleiche Gesundheit für alle, sondern: gleiche Gesundheitschancen
Zusammenfassung Interventionen mit aktiver Teilnahme sind kostenintensiv, relativ wenig wirksam Interventionen, die Veränderungen der Lebensumwelten erfordern, sind hinsichtlich der Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheiten erfolgreich Interventionen auf der Ebene von Lebensund Arbeitsbedingungen sind unspezifisch und nur teilweise realisierbar, bislang noch zu wenig evaluiert Interventionen mit Einschränkungen individueller Entscheidungsspielräume erfordern die Setzung politischer Prioritäten: Vorrang für die Gesundheit vor allem anderen?
Modellstudiengang Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Modellstudiengang Arten der Prävention Quelle: Hurrelmann & Laaser, 2006
AIDS- Prävalenz in Afrika, Stand 2005 Quelle: WHO; UNAIDS, 2005: S. 12