Wie gut sind die Immuntherapiestudien bei Multipler Sklerose?

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Transkript:

Wie gut sind die Immuntherapiestudien bei Multipler Sklerose? C. Heesen MS-Tagesklinik, INIMS Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf Vortrag DGN 21.9.2016

Die finnische FINGER-Studie: Zukunft der MS-Welt? N=1260, Alter 60-77, Risikoscore für kardiovask. und Demenz, 2 Jahre Studie Basierend auf den Ergebnissen hat das finnische Gesundheitsministerium beschlossen, zukünftig in Sport und Ernährungsberatung zu investieren und keine Alzheimermedikamente mehr zu übernehmen. Ngandu 2015 Lancet, Kivipelto Alzheim Dement 2013

MS-Therapie 2016 Anspruch: No Evidence of Disease activity 4 - Keine Schübe - keine Progression - Keine neuen Läsionen im MRT - Keine Hirnatrophie Real sind in MS-Zentren nach 5 Jahren ca. 5-10% NEDA-4 Wirklichkeit: Neuste Evidence-based Medicine Analyse (Cochrane): Mäßig bis gute kurzfristiger Effekt auf Schubrate für Natalizumab, Alemtuzumab, Fingolimod Kurzfristiger Effekt auf Progression für Natalizumab Tramacere 2015 Cochrane Database

Gliederung Probleme von MS-Therapiestudien generell Therapieeffekte relative und absolute Risikoreduktionen Übersetzung Studiendaten in klinische Praxis Langzeitnutzen die Schlüsselfrage

MS - grundsätzliche Studienprobleme MS ist ein Syndrom, keine Krankheit! Heterogenes Patientenkollektiv, individuelle Prognose schwierig Lange Beobachtungszeiten vonnöten wegen schleichender Veränderung Klinische Unterteilung der Verlaufsformen oft schwierig und pathoanatomisch vermutlich nicht gerechtfertigt Endpunkt Schubrate nimmt mit der Zeit ab Abgrenzung von Fluktuationen schwierig blande Schübe können übersehen werden prognostische Bedeutung unsicher Endpunkt Behinderung heterogene Symptome der Erkrankung - Goldstandard fehlt EDSS Intra- und Interraterrelibiltät gering (69%) Nicht metrische Skala Zweigipflige Verteilun Ab 5.0 stark abhängig von Gehfähigkeit MSFC selektive Dimensionen, Alltagsrelevanz? Progression durch Schübe kontaminiert Endpunkt MRT Korrelation zu Behinderung mäßig Kein anerkannter Endpunkt für Phase-3

Spielen Schübe ein Rolle für langfristige Beeinträchtigung? Zeit bis 100m Gehstrecke (EDSS 6) > 3 Schübe in den ersten 2 Jahren bedeutsam..insgesamt ist die Schubzahl für den Verlauf irrelevant Scalfari (2010) Brain

EDSS- Expanded disability status scale Entwicklung der Beeinträchtigung: Je kleiner der Kasten, desto größer der Funktionsverlust

Reale und scheinbare Progression Metaanalyse (Cop und PRISMS) mit n=313 Plazebopatienten EDSS Veränderung/ Bestätigung in Monaten Bestätigte Progression Progression am Studienende 1.0 3 101 (32%) 48 (15%) 0.48 1.0 6 67 (21%) 44 (14%) 0.67 2.0 6 29 (9%) 16 (5%) 0.55 Bis 6.0-3 24 (8%) 17 (5%) 0.71 Pos. Präd. Wert der bestätigten Progression 50% der Progressionsdiagnosen sind falsch! Liu & Blumhradt 2000 Neurology

Ärzteinformation 2001 Real sind 11 von 100 therapiebedingt ohne Progression basierend auf EDSS bestätigt nach 6 Monaten in 2 Jahren Studie

und 2015 Nutzen Risiken Real sind 3 von 100 therapiebedingt ohne Progression basierend auf EDSS bestätigt nach 6 Monaten in 2 Jahren Studie

Darstellung von Studiendaten Verhinderung der Progression 9 von 100 (9%) ist die absolute Risikoreduktion Die relative betrachtet nur die Progredienten im Vergleich und liegt bei 9 von 29 = 30%

Auf die Spitze gebracht Ein Beispiel: Das neue Herzmedikament Eternity-ultra hat in einer großen Studie gezeigt, dass verglichen mit herkömmlicher Therapie nach einem Herzinfarkt innerhalb von 2 Jahre nur 1 statt 3 von 10.000 Patienten durch einen erneuten Herzinfarkt verstirbt? Wie kann man das Ergebnis berichten? 1 statt 3 also 2 Patienten weniger von 10.000 versterben: 0,02% absolute Risikoreduktion = bezogen auf Gesamtgruppe Nur 1 von 3 verstirbt 33% relative Risikoreduktion = bezogen auf die Gruppe der Verstorbenen Gerade bei geringen Ereignisraten übertreibt die relative Risikoreduktion den Nutzen. Bei MS: Schubraten werden immer niedriger, damit wird der absolute Risikoreduktionseffekt immer größer

1998 Azathioprin 1992 Hochdosis Steroide 1995 Betaferon/Extavia 1996 Avonex 1996 Copaxone 1998 Rebif 2011 Aubagio 2002 Mitoxantron 2011 Gilenya 2013 Tecfidera 2014 Plegridy 2006 Tysabri 2012 Lemtrada 2016 Dacalizumab 2017 Cladribin?? 2017 Ocrelizumab? 14 zugelassene Therapien nach Entwicklung und Wirkung Wirksamkeit Schwelle zur Eskalation Zeit

MS-Therapien 2017 Erstmanifestation Schubförm. MS Sekund. chron. MS Primär chron. MS Avonex Avonex Plegridy Betaferon Betaferon Betaferon Rebif Rebif Rebif Extavia Extavia Extavia Copaxone Copaxone Mitoxantron Aubagio? Gilenya Tysabri Aubagio Tecfidera Azathioprin Azathioprin Lemtrada Daclizumab Ocrelizumab Ocrelizumab

DGN/KKNMS Leitlinie 2014 Ocrelizumab Daclizumab Was ist milde/moderate MS? Was ist hochaktive MS? Nur Alemtuzumab ist als Eskalationstherapie geprüft Wie therapieren? Eskalation Induktion Deeskalation? www.dgn.org

Back to the roots?

Progessions- und Schubfreiheit im Vergleich zu Plazebo 7-12 von 100 progressionsfrei 10-26 von 100 schubfrei Bescheiden??

Sind MS-Therapien grottiger als sonst in der Medizin? Keinesfalls!!!

Konfidenz spielt eine Rolle Konfindenzintervalle Schubfreie Patienten unter Copaxone und unter Tysabri Cop ist gar nicht so schlecht? Konfidenzintervall 0-21 vs 19-32 Der Effekt auf Progressionsfreiheit ist nicht sicher

ARR und Konfidenzintervalle Therapie der schubförmigen MS 2016/17 Nr. 21 Ocrelizumab/ Daclizumab 5/4

Heesen 2012 Neurologie & Rehabilitation Startpunkt so?

Oder so? Oder so??

Long-term Follow-up aus Studien Kappos (2006) n=382 von 560 aus Zulassungsstudie PRISMS (68%), 72% mit Medikation 8 Jahre nach Baseline. Mittlerer EDSS Zuwachs 1.1 Trojano (2009) n=2570, IFNß Kohorte in15 Italienischen MS-Zentren, bis zu 7 Jahren, frühe Therapie (< 1 st year) schient später Therapie überlegen, ähnlihce Daten bei Tintore (2015) n=1000 CIS. Ford (2010) n=232 Cop Zulassungssstudie Extensionskohorte, FU bis 15 Jahre, im Mittel 8.6, laufend: 43%. 54% stabil oder gebessert im EDSS, 75% nicht SPMS Ebers (2010) n=372 IFNß Zulassungsstudie Extensionskohorte, FU 16 Jahre, 88% identifiziert, 20% verweigert oder gestorben, kein Unterschied in Beeinträchtigung aber mehr Tote in Plazebogruppe (18% vs 8%) Selektionsbias und Fehlen von Kontrollen Kapos 2006 MSJ; Trojano 2009 Ann Neurol; Ford 2010 MSJ, Ebers 2010 MSJ

Langzeiteffekte der Interferone RCT 104/124 (85%) 104/124 (85%) gegenüber 85/123 gegenüber 85/123 (69%) verstorben = 16% absolut = 16% absolut Effekt auf Beeinträchtigung? Effekt auf In 16 Jahresdaten Nein. Beeinträchtigung? In 16 Jahresdaten Nein.

Zusammenfassung und Perspektive Nutzen auf Schubaktivität gut belegt, vor allem für Natalizumab, Alemtuzumab, Fingolimod ARR Schubfreiheit 11-26/100 ARR Progressionsfreiheit 7-11/100 Kurze Studiendauer nicht ausreichend für Langzeitnutzen und Langzeitrisiken Fast alle Studien pharmagetrieben es braucht mehr unabhängige Daten Es braucht Head-to-Head Studien Analyse von nicht randomisierten Studien (z.b. MSBase) Verpflichtende Langzeitverläufe Es braucht neue und evtl. ganz andere Ideen, z.b. systematische Lebensstilstudien (Bewegung, Ernährung etc.)

Danke fürs Zuhören!