Maschinenrichtlinie 2006/42/EG CE-Kennzeichnung von Maschinen

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Transkript:

Technik und Umwelt VDMA-Kurzleitfaden Maschinenrichtlinie 2006/42/EG CE-Kennzeichnung von Maschinen

Technik und Umwelt VDMA-Kurzleitfaden Maschinenrichtlinie 2006/42/EG CE-Kennzeichnung von Maschinen

2 VDMA-KURZLEITFADEN Hinweis Der vorliegende Kurzleitfaden dient nur als Anhaltspunkt und bietet nur einen Überblick zu den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen der Maschinenrichtlinie. Er erhebt weder einen Anspruch auf Vollständigkeit, noch auf eine abschließende Auslegung der bestehenden Rechtsvorschriften. Er darf nicht das Studium der relevanten Richtlinien, Gesetze und Verordnungen ersetzen. Weiterhin sind die Besonderheiten der jeweiligen Fälle zu berücksichtigen. Daher ist eine Vielzahl weiterer Auslegungsmöglichkeiten denkbar.

VDMA-KURZLEITFADEN 3 Ziel dieses VDMA-Kurzleitfadens Im Juni 2010 hatte die EU-Kommission die zweite Auflage des offiziellen Leitfadens zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG veröffentlicht. An der Erstellung dieses offiziellen Leitfadens war der VDMA aktiv beteiligt, ebenso an der Überprüfung der deutschen Sprachfassung des offiziellen Leitfadens. Dieser Kurzleitfaden soll eine sinnvolle Ergänzung des offiziellen Leitfadens zur Maschinenrichtlinie sein und keinen Ersatz bilden. Der Kurzleitfaden ist zum Einstieg in das Thema CE-Kennzeichnung von Maschinen gedacht. Mit diesen Erläuterungen soll der Leser ein grundlegendes Verständnis über die CE-Kennzeichnung von Maschinen erhalten und sie als gesetzliche Pflicht verstehen, die auch nicht durch privatvertragliche Regelungen außer Kraft gesetzt werden kann. Damit der Einstieg gelingt, ist es sinnvoll, diesen Kurzleitfaden in der verfassten Reihenfolge zu lesen. Da die Informationen in den einzelnen Abschnitten oft aufeinander aufbauen, kann das Überspringen eines Bereiches Lücken hinterlassen, die das Lesen weiterer Abschnitte erschweren können. Im Vergleich zum offiziellen Leitfaden zur Maschinenrichtlinie, der über 400 Seiten stark ist, ist der vorliegende Leitfaden mit seinen vierundvierzig Seiten sicherlich ein Kurzleitfaden. Da der offizielle Leitfaden zur Maschinenrichtlinie eine artikelweise Erläuterung der gesetzlichen Bestimmungen enthält, fällt der Einstieg in das Thema nicht immer leicht. Dieser Kurzleitfaden soll den Einstieg ermöglichen und auch zum genüsslichen von-anfang-bis-ende-lesen animieren, um in überschaubarer Zeit zu einem grundlegenden Verständnis der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur CE-Kennzeichnung und Sicherheit von Maschinen zu gelangen. Mit dem offiziellen Leitfaden zur Maschinenrichtlinie wird ein anderer Ansatz verfolgt. Dieser Leitfaden enthält zu jeder Bestimmung der Maschinenrichtlinie eine Erläuterung, mit der die Bestimmung als solche erklärt werden soll. In einigen Fällen werden auch Querverweise zu Kommentierungen anderer Bestimmungen hergestellt, um dem Leser den Zusammenhang zu zeigen. Der offizielle Leitfaden eignet sich jedoch nur sehr bedingt zum Einstieg in das Thema CE-Kennzeichnung von Maschinen, da er keine thematische Struktur hat. In seiner Struktur orientiert sich der offizielle Leitfaden an der Struktur der Rechtsvorschrift Maschinenrichtlinie.

4 VDMA-KURZLEITFADEN

VDMA-KURZLEITFADEN 5 Inhalt Inhalt Rechtliche Zusammenhänge und Grundlagen 6 Der Binnenmarkt 6 Harmonisierungsrechtsvorschriften der Europäischen Union 7 Öffentliches Recht oder wie der Hersteller staatlichen Sanktionen entgeht? 8 Öffentliches Recht die Rahmen bedingungen des Kunden 8 Maschinensicherheitsvorschriften in Drittstaaten 9 Anwendung von Normen und der New Approach 11 Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie 13 Maschinen im engeren Sinn 13 Maschinen im weiteren Sinn 14 Unvollständige Maschine 15 Konformitätsbewertungsverfahren für Maschinen 16 Hauptelemente des Konformitätsbewertungsverfahrens 16 1. Ermittlung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen 17 2. Dokumentation der Schutzmaßnahmen der Maschine 19 3. Durchführung der Risikobeurteilung 20 4. Festlegung der Maßnahmen zur internen Fertigungskontrolle 21 5. Erstellung der technischen Unterlagen 22 6. Erstellen der Betriebsanleitung 24 Sprachfassung der Betriebsanleitung 26 Original oder Übersetzung? 27 Betriebsanleitung muss in Papierform geliefert werden 29 Integration von Teilen der Betriebsanleitung in Steuerungen 29 7. Hinzuziehen einer benannten Stelle, Maschinen nach Anhang IV 30 8. Ausstellen der EG-Konformitäts erklärung 31 9. Anbringen der CE-Kennzeichnung und Typenschild 33 Verfahren für unvollständige Maschinen 34 Einbauerklärung mit Inbetriebnahmeverbot 35 Ermittlung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen 35 Erstellung der speziellen technischen Unterlagen 36 Die Montageanleitung 36 Sprachfassung der Montageanleitung 36 Öffentliches Recht und wirtschaftliche Aspekte 37 Gesamtheit von Maschinen 37 Wesentliche Veränderung von Maschinen 38 Quasi-Hersteller 39 Beistellungen des Kunden 40 Impressum 44

6 VDMA-KURZLEITFADEN Rechtliche Zusammenhänge und Grundlagen In diesem Abschnitt des Kurzleitfadens folgen Erläuterungen zu grundsätzlichen Begriffen und rechtlichen Zusammenhängen, die für das Verständnis und den Einstieg wichtig sind. Die folgenden Begriffe werden im Kurzleitfaden häufig verwendet, deshalb ist die Erläuterung an dieser Stelle nützlich. Auch die rechtlichen Zusammenhänge sollten dem Anwender der Maschinenrichtlinie klar sein, denn die Maschinenrichtlinie ist eine komplexe Rechtsvorschrift, die eindeutige Rahmenbedingungen hat. Die Bestimmungen der Richtlinie sind ganz bewusst mit einem bestimmten Abstraktionsgrad verfasst, der Interpretationen der Wirtschaftsakteure erlaubt und Spielräume offen lässt. Erfolgen Interpretation und Auslegungen im Geist der Maschinenrichtlinie, lassen sich Lösungen erreichen, die rechtskonform sind und zu keinen Beanstandungen durch Marktüberwachungsbehörden führen. Leider zeigen Beispiele aus der Praxis eben auch Fälle, in denen Interpretationen nicht gelingen und Spielräume in eine Richtung genutzt werden, die nicht rechtskonform ist. Mit dem Kurzleifaden sollen Interpretationsspielräume aufgezeigt werden, die unter Berücksichtigung der rechtlichen Zusammenhänge hergeleitet worden sind. Auf diese Weise können Spielräume rechtskonform genutzt werden, weil alle Bestimmungen, die auf den Sachverhalt anzuwenden und bei der Auslegung zu beachten sind, auch berücksichtigt werden. Damit wird dem Geist der Maschinenrichtlinie Rechnung getragen also der Intension des Gesetzgebers. Das Heranziehen der Erwägungsgründe der Maschinenrichtlinie spielt daher eine entscheidende Rolle. Die Erwägungsgründe sind auf den ersten Seiten der Maschinenrichtlinie zu finden. Der Binnenmarkt Die Vorschriften zur CE-Kennzeichnung wurden konzipiert, um den freien Warenverkehr in der Europäischen Union (EU) zu realisieren. Das galt auch für die Vorgänger, die Europäische Gemeinschaft (EG) und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Waren können jedoch nur dann frei zirkulieren, also gehandelt werden, wenn sie Rechtsgüter wie die Sicherheit für den Verwender nicht gefährden. Diese Rechtsgüter werden staatlicherseits festgelegt, weil Staaten ein vitales Interesse haben, Sozialkosten zu senken. Das können Kosten für medizinische Behandlungen oder Rentenzahlungen sein, die durch Unfallereignisse mit unsicheren Produkten entstehen können. Aktuell besteht der Binnenmarkt aus den 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den drei zusätzlichen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Das sind Norwegen, Island und Liechtenstein. Die Schweiz und die Türkei haben sich durch Assoziierungsabkommen dem Binnenmarkt quasi angeschlossen, da sie sich zur Umsetzung der Binnenmarktvorschriften verpflichtet haben. Die Binnenmarktvorschriften, also Vorschriften zur CE-Kennzeichnung von Produkten, entfalten aktuell nur auf dem Territorium der oben genannten 33 Staaten eine rechtliche Wirkung. Außerhalb dieses Territoriums mögen sie eine bestimmte wirtschaftliche Bedeutung haben, eine öffentlich-rechtliche Wirkung können sie in Drittstaaten jedoch nicht entfalten. Der Binnenmarkt ist einmalig. Es gibt weltweit sonst keine andere Wirtschaftsregion, die einen freien Warenverkehr auf der Grundlage einheitlicher Vorschriften ermöglicht. Selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es keine einheitlichen gesetzlichen Regelungen, die in allen Bundesstaaten zur Anwendung kommen. Hier hat der föderale Gedanke gesiegt, der eine vollständige Harmonisierung, wie im Binnenmarkt, nachhaltig verhindert.

VDMA-KURZLEITFADEN 7 Vor der Implementierung des Binnenmarkt hatte jeder europäische Staat nationale Gesetze, um die genannten Rechtsgüter zu schützen. Zur Realisierung des Binnenmarktes waren jedoch einheitliche gesetzliche Regelungen erforderlich, damit Produkte grenzüberschreitend, also auf dem gesamten Binnenmarkt, frei gehandelt werden konnten. Als äußeres Zeichen der Übereinstimmung des Produktes mit den Binnenmarktvorschriften wurde die CE-Kennzeichnung eingeführt. Die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ist eine solche Binnenmarktvorschrift. Diese Binnenmarktvorschriften führen zwangsweise zu einer Harmonisierung der Vorschriften für die Vermarktung von Produkten, daher werden sie auch Harmonisierungsrechtsvorschriften genannt. Harmonisierungsrechtsvorschriften der Europäischen Union Europäische Richtlinien sind gesetzliche Vorschriften, die an die Mitgliedstaaten adressiert sind. Für die Mitgliedstaaten besteht dann die Pflicht, den Inhalt dieser Richtlinie in das nationale Recht zu übernehmen. Das wird als nationale Umsetzung bezeichnet. Die Richtlinien zur CE-Kennzeichnung müssen gemäß EU-Verfassung und insbesondere dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) 1:1 in das jeweilige nationale Recht eines jeden Mitgliedstaats umgesetzt werden. Das gilt auch für die drei zusätzlichen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums und Staaten, die durch Assoziierungsabkommen an den Binnenmarkt angeschlossen sind. Daher spielt es für den Anwender der Maschinenrichtlinie aus praktischer Sicht keine Rolle, ob er die Maschinenrichtlinie oder die nationale Umsetzung als Lektüre wählt. Wenn eine Vorschrift im Binnenmarkt angewendet wird und einheitliche Anforderungen an Produkte enthält, sei die Frage erlaubt, weshalb noch eine Harmonisierung notwendig sein soll? Die ersten europäischen Vorschriften zur CE-Kennzeichnung wurden als Richtlinien konzipiert.

8 VDMA-KURZLEITFADEN In Deutschland ist die Maschinenrichtlinie durch das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) und die 9. Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (9. ProdSV) umgesetzt worden. Für den Anwender ist der Anhang I der Maschinenrichtlinie mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen von entscheidender Bedeutung. Die nationale Umsetzung in Deutschland verweist hier auf den Anhang I der Maschinenrichtlinie. Dieser für die Praxis wichtige Anhang ist nicht in die nationale Umsetzung aufgenommen worden. Öffentliches Recht oder wie der Hersteller staatlichen Sanktionen entgeht? Öffentliches Recht richtet sich an den Bürger und geht von der staatlichen Verwaltung aus, die dieses Recht auch vollzieht. Beim Vollzug geht es um eine staatliche Kontrolle, ob die jeweilige öffentlich-rechtliche Vorschrift eingehalten wird. Deshalb enthalten die nationalen Umsetzungen der Vorschriften zur CE-Kennzeichnung immer Sanktionen, die die Vollzugsbehörde verhängen kann, wenn die Anforderungen an das Produkt nicht eingehalten werden. Der Hersteller ist daher gut beraten, die Vorschriften zur CE-Kennzeichnung intensiv zu kennen und alle vom ihm geforderten Pflichten zu erfüllen. Hält er diese gesetzlichen Pflichten nicht ein, drohen Sanktionen der Vollzugsbehörden, die Kontrollen anlassbezogen oder im Rahmen von Überwachungskampagnen durchführen. Gerät die Maschine z.b. aufgrund eines Unfalls ins Visier polizeilicher oder staatsanwaltlicher Ermittlungen, wirken sich Mängel in der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Vorschriften, wie der Maschinenrichtlinie, verheerend aus. Damit wird der Bereich des Haftungsrechts betreten, der nicht Gegenstand dieses Leitfadens ist. Beim Verhängen von Sanktionen und beim Ergreifen von Maßnahmen ist die Behörde in Deutschland immer zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit verpflichtet. Hier kann von einem Standortvorteil in Deutschland ausgegangen werden. In anderen europäischen Staaten ist u.a. eine andere Praxis erkennbar, bei der teilweise sehr formal vorgegangen wird und bei der die Bedürfnisse und Grenzen des Wirtschaftsakteurs wenig bis keine Berücksichtigung finden. Grundsätzlich werden Korrekturmaßnahmen des Herstellers von der Behörde begrüßt und wohlwollend berücksichtigt. Werden die Maßnahmen des Herstellers von der Vollzugsbehörde als ausreichend erachtet, kann die Behörde von eigenen Maßnahmen absehen. Eine gute und offene Zusammenarbeit des Herstellers mit der Behörde kann die Situation für den Hersteller verbessern und behördliche Maßnahmen in einigen Fällen erübrigen. Die Maschinenrichtlinie ist also keine Empfehlung an den Hersteller, wie es der Begriff vermuten lassen könnte. Sie ist eine Rechtsvorschrift, die zwar an den Mitgliedstaat adressiert ist. Der Mitgliedstaat richtet jedoch seine nationale Umsetzung dieser europäischen Vorschrift an den Hersteller. Da die jeweilige nationale Umsetzung 1:1 erfolgen muss, ist der direkte Blick in die Maschinenrichtlinie für den Hersteller immer erste Wahl. Öffentliches Recht die Rahmenbedingungen des Kunden Die Vorschriften des betrieblichen Arbeitsschutzes sind auch Bestandteil des öffentlichen Rechts. Die europäische Arbeitsschutzrahmenrichtlinie 89/391/EWG und die Arbeitsmittelbenutzungsrichtlinie 2009/104/EG regeln beispielsweise die Pflichten des Arbeitgebers und die Anforderungen beim Benutzen von Arbeitsmitteln. In Deutschland sind diese beiden europäischen Vorschriften, die auch an die Mitgliedstaaten gerichtet sind, durch das Arbeitsschutzgesetz und die Betriebssicherheitsverordnung umgesetzt. Auch der Kunde des Maschinenherstellers hat also öffentliches Recht zu beachten.

VDMA-KURZLEITFADEN 9 Eine zentrale Anforderung in der Arbeitsmittelbenutzungsrichtlinie betrifft die Beschaffung von Arbeitsmitteln, die der Arbeitgeber seinen Beschäftigten zur Verfügung stellen möchte. Solche Arbeitsmittel müssen den Vorschriften entsprechen. Der Arbeitgeber ist nach den Bestimmungen dieser Vorschrift verpflichtet, nur Arbeitsmittel zu beschaffen, die den Bestimmungen aller geltenden einschlägigen Gemeinschaftsrichtlinien entsprechen. Da die Arbeitsmittelbenutzungsrichtlinie auf der Grundlage des EG-Vertrags erstellt wurde, findet sich hier noch die Bezugnahme auf Gemeinschaftsrichtlinien. Diese Bezugnahme gilt auch für Richtlinien nach der EU-Verfassung, da alle diese Vorschriften zu Acquis Communautaire gehören, der amtlich als Gesamtheit des gültigen EU-Rechts in der Europäischen Union bezeichnet wird. Das bedeutet, dass Arbeitsmittel, die der Arbeitgeber beschafft, auch den europäischen Vorschriften zur CE-Kennzeichnung entsprechen müssen, sofern diese Arbeitsmittel vom Anwendungsbereich dieser Vorschriften erfasst werden. Arbeitsmittel sind gemäß Definition der Arbeitsmittelbenutzungsrichtlinie alle Maschinen, Apparate, Werkzeuge oder Anlagen, die bei der Arbeit benutzt werden. Beschafft der Kunde in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber eine Maschine, muss diese Maschine den Anforderungen der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG entsprechen. Das ist nicht nur eine formale Forderung, dass die Maschine eine CE-Kennzeichnung tragen und mit EG-Konformitätserklärung vermarktet werden muss. Die Maschine muss auch den Sicherheitsanforderungen des Anhangs I der Maschinenrichtlinie entsprechen. Dazu ist vom Hersteller der Stand der Technik anzuwenden. Kurz gesagt, es muss nicht nur CE drauf, sondern auch drinnen sein. In der Praxis gibt es immer wieder Fälle, in denen der Hersteller von Kunden den Eindruck vermittelt bekommt, dass für ihn den Arbeitgeber die oben genannten Vorschriften nicht gelten. Im Übrigen, so wird weiter argumentiert, können ja die beteiligten Parteien gerade essentielle Aspekte, wie die Sicherheit, privatvertraglich regeln. Genau das ist nicht der Fall. Sowohl Hersteller als auch Kunde (Arbeitgeber) sind an die Bestimmungen der jeweils an sie adressierten Vorschriften gebunden. Mit privatvertraglichen Vereinbarungen können öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht umgangen oder wirkungslos gemacht werden. Nach den Bestimmungen der Arbeitsmittelbenutzungsrichtlinie muss der Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung für den Arbeitsplatz bzw. das Arbeitsmittel in der geplanten Umgebung und für die vorgesehene Tätigkeit erstellen. Dazu benötigt er auch Informationen des Herstellers. Idealerweise beginnt der Arbeitgeber mit der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung beim Start des Beschaffungsprozesses. Es geht um die richtige Entscheidung bei der Auswahl des benötigten Arbeitsmittels. Das Arbeitsmittel soll für die beabsichtigte Tätigkeit, den zur Verfügung stehenden Arbeitsplatz, das Arbeitsverfahren und die Qualifikation der Beschäftigten geeignet sein. Maschinensicherheitsvorschriften in Drittstaaten Die CE-Kennzeichnung kann in Staaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums, also in Drittstaaten, keine Wirkung in öffentlich-rechtlicher Hinsicht entfalten, da die CE-Kennzeichnung auf Grundlage der europäischen Harmonisierungsrechtsvorschriften am Produkt angebracht wird. Diese Vorschriften gelten jedoch nur im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und über Assoziierungsabkommen in der Schweiz und in der Türkei. Der Europäische Wirtschaftsraum wird durch die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und durch die drei zusätzlichen EWR-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein gebildet. Zwischen

10 VDMA-KURZLEITFADEN der europäischen Kommission und der Schweiz bzw. der Türkei bestehen Assoziierungsabkommen, mit denen sich diese beiden Staaten verpflichten, die europäischen Harmonisierungsrechtsvorschriften zur CE-Kennzeichnung in das einzelstaatliche Recht umzusetzen. Daher können Maschinen mit der CE-Kennzeichnung auch in die Schweiz und in die Türkei geliefert werden. Kunden aus Drittstaaten äußern häufig den Wunsch, Maschinen mit CE-Kennzeichnung zu erwerben, obwohl diese Maschinen zur Benutzung in einem Drittstaat vorgesehen sind und dafür keine CE-Kennzeichnung der Maschine erforderlich ist. In einigen Fällen wird dieser Wunsch von den Kunden damit begründet, dass die CE-Kennzeichnung auch ein Qualitätssiegel sei. Richtig ist, dass die CE-Kennzeichnung kein Qualitätssiegel ist, sondern die Einhaltung aller auf die Maschine anwendbaren Harmonisie- rungsrechtsvorschriften anzeigt. Maschinen mit CE-Kennzeichnung erfüllen jedoch einen hohen Sicherheitsstandard, da die europäischen Vorschriften entsprechend hohe Anforderungen enthalten, die der Maschinenhersteller verbindlich anzuwenden hat. Die europäischen Vorschriften zur CE-Kennzeichnung fordern in diesem Zusammenhang die Anwendung des Standes der Technik. Mit dieser rechtlichen Bestimmung werden dynamische, sich der Entwicklung anpassende, technische Anforderungen an Maschinen erzeugt. Dieses einzigartige rechtliche Konstrukt, das zu einem sehr hohen technischen Niveau der Schutzeinrichtungen und systeme führt, mag eben diese Anziehungskraft auch außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes entfalten. Kunden in Drittstaaten möchten dieses hohe sicherheitstechnische Niveau für sich in Anspruch nehmen.

VDMA-KURZLEITFADEN 11 In der Praxis stellt sich die Frage, ob der Maschinenhersteller dem Kunden den Wunsch nach einer CE-Kennzeichnung der Maschine pauschal erfüllen kann, in dem er die europäischen Harmonisierungsrechtsvorschriften, wie die Maschinenrichtlinie, auf die Maschine anwendet, die EG-Konformitätserklärung ausstellt und die CE-Kennzeichnung anbringt? Entscheidend ist, welche Anforderungen die einzelstaatlichen Vorschriften des Drittstaats enthalten, in den die Maschine geliefert werden soll, um benutzt zu werden. Weichen diese technischen Anforderungen von den Anforderungen der Maschinenrichtlinie ab, kann der Hersteller keine CE-Kennzeichnung an der Maschine anbringen. Wenn er die CE-Kennzeichnung anbringen würde, gäbe er damit zu erkennen, dass er die anzuwendenden Vorschriften des Drittstaats nicht vollständig eingehalten hat. Daher führt das Versprechen an den Kunden, die Maschine mit CE-Kennzeichnung zu liefern, in eine Sackgasse. Der Hersteller hätte dann die Wahl, gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften des Drittstaates zu verstoßen, in den die Maschine geliefert werden soll oder etwaige vertragliche Vereinbarungen mit dem Kunden nicht zu erfüllen. Beide Konstellationen führen im Ergebnis nicht zum Erfolg. Wie kann der Hersteller sinnvoll auf diesen Kundenwunsch reagieren ohne in die Bredouille zu kommen? Der Kunde möchte eigentlich eine Maschine erwerben, die z.b. den europäischen Sicherheitsanforderungen entspricht. Das wird mit der CE-Kennzeichnung assoziiert, was im Übrigen für den Europäischen Wirtschaftsraum gesehen völlig zutreffend ist. In den Fällen, in denen die nationalen Anforderungen des Drittstaats abweichende Anforderungen an Maschinen enthalten, muss der Hersteller die Anwendung der europäischen Harmonisierungsrechtsvorschriften zur CE-Kennzeichnung einschränken. Die Anforderungen der europäischen Harmonisierungsvorschriften kann er nur dann anwenden, wenn sie nicht den Anforderungen der nationalen Vorschriften des Drittstaates widersprechen oder es anderslautende Anforderungen in den nationalen Vorschriften des Drittstaates gibt. Bei etwaigen vertraglichen Vereinbarungen sollte dieser Zusammenhang beachtet werden. Anwendung von Normen und der New Approach Im Gegensatz zu Vorschriften, wie es auch die Harmonisierungsrechtsvorschriften zur CE-Kennzeichnung von Produkten sind, ist die Anwendung von Normen immer freiwillig. In der Kommunikation mit Juristen empfiehlt sich immer der Begriff technische Normen zu verwenden, da unter dem Begriff Norm auch eine Rechtsnorm gemeint sein kann, die wiederum als eine Vorschrift angewendet werden muss. Bei der Maschinenrichtlinie spielen Normen, auch wenn freiwillig in der Anwendung, eine wichtige Rolle. Mitte der Achtziger Jahre wurde ein neuer Rechtssetzungsansatz entwickelt, der New Approach. Dabei beschränken sich die Vorschriften auf wenige grundlegende Anforderungen, z.b. Sicherheitsanforderungen, die auch als Schutzziele formuliert sein können. Der Gesetzgeber erteilt Normenorganisationen einen Auftrag zur Erstellung von Normen, die die Anforderungen in der Rechtsvorschrift konkretisieren oder gar technische Lösungsansätze für diese Anforderungen zeigen. Im Fall der Maschinenrichtlinie gibt es zum Abschluss des eigentlichen Normungsverfahrens noch eine Überprüfung. Damit wird die Tauglichkeit der Norm hinsichtlich der Konkretisierung der Anforderungen aus der Rechtsvorschrift bzw. der Tauglichkeit der in der Norm präsentierten technischen Lösungen festgestellt. Wenn die technischen Lösungen in der Norm dem Stand der Technik entsprechen, wird eine Freigabe zur Listung dieser Norm im EU-Amtsblatt erteilt.

12 VDMA-KURZLEITFADEN Die Norm wird dann als harmonisierte Norm zur Maschinenrichtlinie behandelt. Die Fundstelle dieser Norm wird dann im Amtsblatt zur Maschinenrichtlinie veröffentlicht. Der Inhalt der Norm ist nicht Gegenstand dieser Veröffentlichung. Normen müssen bei der jeweiligen nationalen Normenorganisation käuflich erworben werden. Die Anwendung dieser Normen löst die sog. Vermutungswirkung aus. Dabei geht die Behörde davon aus, dass der Hersteller durch die Anwendung der Norm die Rechtsvorschrift erfüllt hat. Diese Vermutungswirkung erstreckt sich jedoch nur auf die Aspekte, die vom Inhalt der Norm erfasst werden. In einem Anhang der Norm ist dargestellt, welcher Inhalt der Rechtsvorschrift von welchem Inhalt der Norm abgedeckt wird. Der Hersteller einer Maschine hat die Pflicht, ein Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen. Mit der Risikobeurteilung ermittelt er systematisch alle Gefährdungen, die von der Maschine ausgehen können und dokumentiert die erforderlichen Schutzmaßnahmen. Die Anwendung einer Norm entbindet den Hersteller nicht gänzlich von der Durchführung der Risikobeurteilung, sie erleichtert jedoch die Risikobeurteilung. Harmonisierte Normen enthalten bei ihrer Erstellung den Stand der Technik, den der Hersteller anzuwenden hat, um die Sicherheitsanforderungen der Maschinenrichtlinie, aber auch anderer Vorschriften zur CE-Kennzeichnung zu erfüllen. Entschließt sich der Hersteller keine Normen anzuwenden, um die Maschine zu konzipieren oder anzufertigen, muss er den Stand der Technik anwenden. In diesem Fall kann er alternative Lösungen wählen, die nicht Gegenstand der Norm sind. Gleichwohl muss er das Schutzniveau erreichen, das die in der Norm präsentierte Lösung realisiert. Werden Normen angewendet, die keine harmonisierten Normen sind, kann der Hersteller bei der Anwendung dieser Normen nicht die Vermutungswirkung geltend machen. Trotzdem können diese Normen den Stand der Technik enthalten oder zumindest wichtige Hinweise für den Stand der Technik geben. Daher kann es sinnvoll sein, diese Normen anzuwenden, wenn der Hersteller Hinweise und Lösungsvorschläge für Schutzmaßnahmen für seine Maschine entnehmen kann.

VDMA-KURZLEITFADEN 13 Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie Die Bestimmungen europäischer Harmonisierungsrechtsvorschriften sind dann auf ein Produkt anzuwenden, wenn das Produkt vom Anwendungsbereich dieser Vorschriften auch erfasst wird. Demgemäß ist auf ein Produkt dann die Maschinenrichtlinie anzuwenden, wenn dieses Produkt vom Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie erfasst wird. Der Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie ist in Artikel 1 zu finden, der die folgende abschließende Aufzählung von Produkten enthält: Maschinen auswechselbare Ausrüstungen Sicherheitsbauteile Lastaufnahmemittel Ketten, Seile und Gurte abnehmbare Gelenkwellen und unvollständige Maschinen Diese Aufzählung von Produkten bedarf jedoch der Erläuterung. Dem Leser erschließt sich aus den Begriffen, die in der Aufzählung verwendet werden, noch nicht die Bedeutung eines jeden Begriffes. Deshalb enthält der Artikel 2 der Maschinenrichtlinie die Begriffsbestimmungen. Sie erläutern, was z.b. unter dem Begriff Maschine oder auswechselbare Ausrüstung zu verstehen ist und welche Merkmale ein solches Produkt erfüllen muss, damit es als Maschine oder auswechselbare Ausrüstung eingeordnet werden kann. Der offizielle Leitfaden zur Maschinenrichtlinie enthält in den 35 bis 46 Erläuterungen zu den oben genannten Begriffen und den Begriffsbestimmungen gemäß Artikel 2(a) bis 2(g) der Maschinenrichtlinie. Deshalb wird in diesem Kurzleitfaden lediglich auf den Begriff Maschine eingegangen, wie er in der Begriffsbestimmung gemäß Artikel 2(a), erster Anstrich zu finden ist. Maschinen im engeren Sinn In der Maschinenrichtlinie wird der Begriff Maschine in einem engeren und in einem weiteren Sinn verwendet. Artikel 2(a) enthält die Begriffsbestimmungen für Maschinen im engeren Sinne. Das sind Produkte nach Artikel 1(1), Buchstabe a), also Maschinen. Im ersten Anstrich des Artikels 2(a) ist der eigentliche Maschinenbegriff zu finden, der die Merkmale enthält, die ein Produkt erfüllen muss, damit es als Maschine eingeordnet werden kann. Das sind die folgenden Merkmale, die alle erfüllt sein müssen: Eine Maschine ist eine Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines bzw. eine beweglich ist eine Gesamtheit, die für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt ist eine mit einem anderen Antriebssystem als der unmittelbar eingesetzten menschlichen oder tierischen Kraft ausgestattete oder dafür vorgesehene Gesamtheit Wenn ein Produkt alle drei Merkmale des Maschinenbegriffes erfüllt, ist es eine Maschine im engeren Sinn. In diesem Fall muss das Produkt für eine bestimmte Anwendung hergestellt sein. Das Produkt ist eine Gesamtheit verbundener Teile, von denen mindestens eines beweglich ist und es verfügt über ein Antriebssystem, das fremdenergiebetrieben ist oder es ist zumindest für ein solches Antriebssystem vorgesehen. Ist die Maschine nicht mit einem Antriebssystem ausgestattet, sondern lediglich dafür vorgesehen, hat der Hersteller das dafür vorgesehene Antriebssystem beim Konformitätsbewertungsverfahren der Maschine zu berücksichtigen.

14 VDMA-KURZLEITFADEN Maschinen im weiteren Sinn Als Maschine werden aber auch Produkte erfasst, die in Artikel 1(1) unter den Buchstaben b) bis f) aufgelistet sind. Das sind die folgenden Produkte: auswechselbare Ausrüstungen Sicherheitsbauteile Lastaufnahmemittel Ketten, Seile und Gurte abnehmbare Gelenkwellen Daher werden auswechselbare Ausrüstungen, Sicherheitsbauteile, Lastaufnahmemittel, Ketten, Seile und Gurte sowie abnehmbare Gelenkwellen als Maschinen im Sinne der Maschinenrichtlinie bezeichnet, obwohl sie physikalisch betrachtet, keine Maschinen sein mögen. Der Hersteller solcher Produkte hat jedoch alle Pflichten zu erfüllen, die ein Hersteller von Maschinen im engeren Sinne zu erfüllen hat. Er muss das Konformitätsbewertungsverfahren nach Maschinenrichtlinie durchführen und dokumentieren, um die gesetzlichen Voraussetzungen zum Anbringen der CE- Kennzeichnung und zur Ausstellung der EG-Konformitätserklärung zu erfüllen. Ggf. muss er das Konformitätsbewertungsverfahren auch noch auf der Grundlage weiterer Harmonisierungsrechtsvorschriften durchführen und dokumentieren, wenn diese Vorschriften auf die Maschine anzuwenden sind. Der Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie ist in zwei Hauptbereiche gegliedert. Der erste Bereich erfasst Maschinen im Sinne der Maschinenrichtlinie, wie bereits beschrieben. Der zweite Bereich erfasst unvollständige Maschinen. In dieser Hinsicht nimmt die Maschinenrichtlinie eine Sonderstellung ein, da sie für eine bestimmte Gruppe nicht verwendungsfertiger Produkte besondere Regelungen enthält. Diese besonderen Regelungen sind für unvollständige Maschinen im Sinne des Artikels 2(g) anzuwenden.

VDMA-KURZLEITFADEN 15 Unvollständige Maschine Unvollständige Maschinen sind an der Einbauerklärung zu erkennen, mit der sie zu liefern sind. Sie tragen auf der Grundlage der Maschinenrichtlinie keine CE-Kennzeichnung. Wenn unvollständige Maschinen, als Produkt gesehen, eine CE- Kennzeichnung tragen, dann wurde diese CE-Kennzeichnung auf der Grundlage anderer Harmonisierungsrechtsvorschriften angebracht. Daher sind solche Produkte mit Einbauerklärung nach Maschinenrichtlinie und EG-Konformitätserklärung nach weiteren anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften zu liefern. Die EG-Konformitätserklärung wird auf der Grundlage der angewendeten Harmonisierungsrechtsvorschriften vom Hersteller ausgestellt, nach dem er das erforderliche Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt und dokumentiert hat. Unvollständige Maschinen werden vom Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie erfasst, da sie unter Buchstabe g) im Artikel 1(1) aufgelistet sind. Der Begriff unvollständige Maschine wird in Artikel 2(g) definiert. Im offiziellen Leitfaden zur Maschinenrichtlinie werden alle Merkmale des Begriffes der unvollständigen Maschine in 46 erläutert. Die Erklärung im Kurzleitfaden beschränkt sich auf Aspekte, die gemäß den Erläuterungen im offiziellen Leitfaden noch offen sind. Eine unvollständige Maschine ist gemäß Artikel 2, Buchstabe g) eine Gesamtheit, die fast eine Maschine bildet, für sich genommen aber keine bestimmte Funktion erfüllen kann. Daher erfüllt eine unvollständige Maschine nicht das Merkmal, dass sie für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt ist. Demgemäß würde eine Gesamtheit verbundener Teile, von denen mindestens eines beweglich ist implizieren, dass das Produkt als unvollständige Maschine eingeordnet werden könnte. Im Begriff der unvollständigen Maschine wird jedoch nicht nur auf eine Gesamtheit verbundener Teile abgestellt, sondern auf eine Gesamtheit verbundener Teile, die fast eine Maschine bildet. Deshalb sind Produkte, wie Wälzlager, Magnetventile und andere kleinteilige Produkte keine unvollständige Maschine. Sie sind häufig in einer Vielzahl in eine Maschine eingebaut und sie sind aufgrund ihrer Kleinteiligkeit eben keine Gesamtheit, die fast eine Maschine bildet. Der offizielle Leitfaden zur Maschinenrichtlinie enthält in 35 Beispiele für Produkte, die vom Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie nicht erfasst werden und immer wieder für Diskussion sorgen. Produkte, die hier genannt werden, mögen u.a. Baugruppen sein. Bei den beispielhaften Nennungen von bestimmten Produkt-Typen wurde auch von den üblichen Baugrößen ausgegangen. Dabei wurde ebenfalls der Begriff der unvollständigen Maschine mit der Erläuterung in 46 des Leitfadens herangezogen. Produkte, die nicht vom Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie erfasst werden, sind einerseits keine Maschine, andererseits auch keine unvollständige Maschine. In jedem Fall sind es Produkte, die vom Anwendungsbereich der einzelstaatlichen Vorschriften erfasst werden.

16 VDMA-KURZLEITFADEN Konformitätsbewertungsverfahren für Maschinen Bevor der Hersteller die CE-Kennzeichnung an der Maschine anbringen und die erforderliche EG- Konformitätserklärung ausstellen darf, muss das Konformitätsbewertungsverfahren nach Artikel 5(1) der Maschinenrichtlinie durchgeführt und dokumentiert werden. Werden diese gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt, hat der Hersteller zum Anbringen der CE-Kennzeichnung keinerlei Rechtsgrundlage. Das gilt auch für das Ausstellen der EG-Konformitätserklärung. Wird die Maschine noch von weiteren Harmonisierungsrechtsvorschriften erfasst, sind auch die in diesen Vorschriften genannten Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen und zu dokumentieren. Aufgrund des modularen Aufbaus der Konformitätsbewertungsverfahren der Harmonisierungsrechtsvorschriften sind die meisten Elemente der Verfahren identisch. Enthält ein Verfahren bestimmte zusätzliche Elemente, wie die EG-Baumusterprüfung oder die externe Fertigungsüberwachung, hat der Hersteller diese zusätzlichen Elemente in seinem Produktentstehungsprozess zu berücksichtigen. Der Begriff Maschine gilt nicht nur für Maschinen im engeren Sinne, also Produkte, die den Merkmalen der Begriffsbestimmungen gemäß Artikel 2(a) entsprechen. Der Begriff Maschine gilt hier auch für Produkte, die Maschinen gleichgestellt sind. Das sind: Auswechselbare Ausrüstungen Sicherheitsbauteile Lastaufnahmemittel Ketten, Seile und Gurte Abnehmbare Gelenkwellen Diese Produkte werden als Maschinen im Sinne der Maschinenrichtlinie betrachtet. Daher hat der Hersteller dieser Produkte die Pflichten des Maschinenherstellers zu erfüllen und das in Artikel 5(1) genannte Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen und zu dokumentieren. Hauptelemente des Konformitätsbewertungsverfahrens Das Konformitätsbewertungsverfahren nach der Maschinenrichtlinie hat die folgenden Hauptelemente, die sich zum größten Teil aus den Bestimmungen des Artikels 5(1) ableiten lassen: 1. Ermittlung der grundlegenden Sicherheitsund Gesundheitsschutzanforderungen nach Anhang I der Maschinenrichtlinie, die für die Maschine gelten (Anhang I) 2. Dokumentation der Schutzmaßnahmen der Maschine, mit der die ermittelten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen nach dem Stand der Technik erfüllt werden (Anhang VII A) 3. Durchführung der Risikobeurteilung (Anhang I, allgemeine Grundsätze, Nr. 1) 4. Festlegung der Maßnahmen zur internen Fertigungskontrolle (Anhang VII A, Nr. 1, b und Anhang VIII) 5. Erstellung der technischen Unterlagen, mit denen die Maßnahmen der internen Fertigungskontrolle, die Risikobeurteilung und Einhaltung der für die Maschine geltenden grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen dokumentiert werden (Anhang VII A) 6. Erstellung der Betriebsanleitung, die auch die Warnhinweise zu Restrisiken der Maschine enthält, die nicht durch technische Maßnahmen weiter reduziert werden können und alle Informationen, die der Benutzer für die für ihn vorgesehenen Tätigkeiten benötigt (Anhang I, Nr. 1.7.4) 7. Bei Maschinen nach Anhang IV muss in einigen Fällen eine externe Prüfstelle für die EG- Baumusterprüfung oder das Verfahren der umfassenden Qualitätssicherung hinzugezogen werden (Artikel 12, Anhang IV, Anhang IX und Anhang X) 8. Ausstellen der EG-Konformitätserklärungen mit dem Datum, zu dem das Konformitätsbewertungsverfahren oder die erneute Überprüfung des Verfahrens abgeschlossen wurde (Anhang II, Nr. 1, A)

VDMA-KURZLEITFADEN 17 9. Anbringen der CE-Kennzeichnung an der Maschine und das Typenschild (Anhang III, Anhang I, Nr. 1.7.3) Nach den Bestimmungen der Maschinenrichtlinie ergeben sich neun Hauptelemente für die Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens. An diesen Hauptelementen kann sich der Hersteller bei der Festlegung interner Prozesse orientieren, um seinen gesetzlichen Pflichten nachzukommen. Es folgt eine Beschreibung dieser Hauptelemente im Einzelnen: 1. Ermittlung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen Anhang I der Maschinenrichtlinie enthält die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen, die der Hersteller verbindlich einzuhalten hat. Sicherheitsanforderungen decken die Fälle ab, in denen eine Schädigung unmittelbar eintritt, wie der Verlust von Gliedmaßen an einer Scherstelle der Maschine. Die Gesundheitsschutzanforderungen erfassen Maßnahmen, die vor Langzeitfolgen schützen sollen, wie die Schwerhörigkeit bei großen Schalldruckpegeln oder die Weißfingerkrankheit, bei der durch hohe Beschleunigungen der Maschine Vibrationen in die Hände des Bedieners eingeleitet werden.

18 VDMA-KURZLEITFADEN Der Anhang I ist in sechs Abschnitte gegliedert. Die Anforderungen des Abschnitts 1 gelten grundsätzlich für alle Maschinen. Dabei hat der Hersteller zu prüfen, welche dieser Anforderungen auf die Maschine zutreffen, für die das Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt wird. Die Abschnitte 2 bis 6 enthalten weitere grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen, die nur für bestimmte Maschinentypen gelten und zusätzlich zu den Anforderungen aus Abschnitt 1 anzuwenden sind. Die zusätzlichen Anforderungen der Abschnitte 2 bis 6 gelten für die folgenden Maschinentypen: 2. Bestimmte Maschinen, wie folgt 2.1. Nahrungsmittelmaschinen und Maschinen für kosmetische oder pharmazeutische Erzeugnisse 2.2. Handgehaltene und/ oder handgeführte tragbare Maschinen 2.3. Maschinen zur Bearbeitung von Holz und von Werkstoffen mit ähnlichen physikalischen Eigenschaften 3. Mobile Maschinen (Gefährdungen aufgrund der Beweglichkeit) 4. Maschinen zum Heben von Lasten (Durch Hebevorgänge bedingte Gefährdungen) 5. Untertage-Maschinen 6. Maschinen zum Heben von Personen (Durch das Heben von Personen bedingte Gefährdungen) In manchen Fällen können die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen aufgrund des Standes der Technik nicht buchstabengetreu erfüllt werden. In diesen Fällen hat der Hersteller diese Anforderungen soweit zu erfüllen, wie es der Stand der Technik zulässt. Zur Anwendung dieser grundlegenden Anforderungen enthält der Anhang I unter Nr. 3 der allgemeinen Grundsätze die folgende Bestimmung: 3. Die in diesem Anhang aufgeführten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen sind bindend. Es kann jedoch sein, dass die damit gesetzten Ziele aufgrund des Stands der Technik nicht erreicht werden können. In diesem Fall muss die Maschine so weit wie möglich auf diese Ziele hin konstruiert und gebaut werden. Wird von einer Behörde angezweifelt, dass eine Maschine der Maschinenrichtlinie entspricht, erfolgt die Argumentation in der Regel auf der Grundlage der Anforderungen des Anhangs I. Hat der Hersteller eine relevante Anforderung des Anhangs I nicht in Betracht gezogen, ist die Mängelrüge wahrscheinlich gerechtfertigt. In vielen Fällen hat der Hersteller jedoch die relevante Anforderung des Anhangs I erfüllt. Dann geht es häufig um die Frage, ob der Hersteller bei der Erfüllung dieser grundlegenden Sicherheitsund Gesundheitsschutzanforderungen auch den Stand der Technik angewendet hat. Also entbrennt der Streit nicht selten um die Frage: Was ist in diesem Fall Stand der Technik? Daher ist der Hersteller gut beraten, sich über den Stand der Technik hinreichend zu informieren und dieses Wissen aktuell zu halten. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen Behörden auf der buchstabengetreuen Erfüllung der Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderung beharren und den Hersteller auffordern, dieser Anwendung entsprechend umfangreiche Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eben nicht als Stand der Technik betrachtet werden können. Verfügt der Hersteller über profundes Wissen zum Stand der Technik und über Kenntnisse der öffentlich-rechtlichen Bestimmungen, kann die Diskussion mit der Behörde sinnvoll geführt und ggf. auch erfolgreich zum Abschluss gebracht werden. Dazu sei jedoch angemerkt, dass die Widerspruchskultur in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ist.

VDMA-KURZLEITFADEN 19 Es gibt drei grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen, die vom Hersteller in jedem Fall auf die Maschine anzuwenden sind. Das sind die Anforderungen gemäß den Nummern 1.1.2, 1.7.3 und 1.7.4. Sie betreffen die Rangfolge der vom Hersteller zu treffenden Schutzmaßnahmen Kennzeichnung der Maschine in Form des Typenschildes Betriebsanleitung und die erforderliche Sprachfassung der Betriebsanleitung Die ermittelten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen korrespondieren sehr stark mit den Gefährdungen, die von der Maschine ausgehen oder die aufgrund der Tätigkeit an oder mit der Maschine wirken. Aufgrund seiner konstruktiven Auslegung ist ein Blitzschutz für einen Turmdrehkran erforderlich, daher wird der Hersteller eines Turmdrehkrans die Anforderung gemäß Anhang I, Nr. 1.5.15 als für die Maschine zutreffend ermitteln. Als erforderliche Maßnahmen wird er ein Erdungssystem zur Ableitung der betreffenden elektrischen Ladung an der Maschine vorsehen, das dem Stand der Technik entspricht. Technische Ausführungen solcher Erdungssysteme wird der Hersteller sehr wahrscheinlich einer harmonisierten Norm entnehmen. Der Hersteller einer Werkzeugmaschine wird diese grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen nicht als relevant für seine Maschine ermitteln und folglich auch keine Schutzmaßnahme treffen. Um die Ermittlung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für die betriebliche Praxis zu vereinfachen, ist es sinnvoll, mit einer generellen Auswahl dieser Anforderungen zu beginnen, die auf Maschinen des eigenen Produktportfolios anwendbar sind. Im zweiten Schritt kann diese generelle Auswahl für eine bestimmte Maschine oder einen Maschinentyp eingeschränkt werden, für den ein Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt werden soll. 2. Dokumentation der Schutzmaßnahmen der Maschine Die Schutzmaßnahmen, die der Hersteller trifft, um die ermittelten Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zu erfüllen, sind in den meisten Fällen mit den Schutzmaßnahmen identisch, die der Hersteller auf der Grundlage der Risikobeurteilung trifft. Diese Schutzmaßnahmen dokumentiert der Hersteller in den technischen Unterlagen nach Anhang VII A der Maschinenrichtlinie. Diese Schutzmaßnahmen spiegeln sich auch in den Fertigungsunterlagen des Herstellers wider. Das können Bauteil- oder Baugruppenzeichnungen von Schutzeinrichtungen sein oder von Teilen der Maschine, an denen Schutzmaßnahmen angebracht sind. Das können auch Berechnungsunterlagen zur Auslegung von Bauteilen sein, damit die Bauteile sicher funktionieren oder eine für die Sicherheit der Maschine ausreichende Festigkeit aufweisen. Auch Schalt- und Steuerpläne können Schutzmaßnahmen der Maschine enthalten oder eine sichere, dem Stand der Technik entsprechende, Auslegung zeigen.

20 VDMA-KURZLEITFADEN 3. Durchführung der Risikobeurteilung Die Risikobeurteilung ist ein zentrales, aber eben nicht das einzige Element des Konformitätsbewertungsverfahrens. In der harmonisierten Norm EN ISO 12100:2010 sind die Grundsätze der Risikobeurteilung dargelegt. Diese Anforderungen führen zu einem aufwändigen Verfahren, dass für komplexe Maschine sicherlich hilfreich ist. Auch Maschinen mit vielschichtigen Risikoszenarien und Schutzbereichen erfordern ein leistungsfähiges Werkzeug, wie es die EN ISO 12100:2010 bietet. Gemäß den Bestimmungen der Maschinenrichtlinie im Anhang I in den allgemeinen Grundsätzen unter Nr. 1 sind die folgende Schritte zu finden, die der Hersteller bei der Durchführung der Risikobeurteilung zu beachten hat: Bestimmung der Grenzen der Maschine, auch hinsichtlich der bestimmungsgemäßen Verwendung und jeder vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung Ermittlung der Gefährdungen, die von der Maschine ausgehen können, und die damit verbundenen Gefährdungssituationen Abschätzung der Risiken unter Berücksichtigung der Schwere möglicher Verletzungen oder Gesundheitsschäden und der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens Bewerten der Risiken, um zu ermitteln, ob eine Risikominderung gemäß dem Ziel dieser Richtlinie erforderlich ist Ergreifen von Schutzmaßnahmen, die dem Stand der Technik entsprechen und die Risiken ausschalten oder hinreichend minimieren und in der Rangfolge gemäß Anhang I, Nr. 1.1.2 Buchstabe b) ergriffen werden

VDMA-KURZLEITFADEN 21 In der Praxis wird oft dem Aspekt der Risikoeinschätzung eine hohe Aufmerksamkeit gezollt, also der Abschätzung der ermittelten Risiken hinsichtlich Schadensschwere und Eintrittswahrscheinlichkeit. Dieser Schritt ist kein Schwerpunkt der Risikobeurteilung, auch wenn er oft so betrachtet wird. Die Abschätzung eines Risikos ist immer subjektiv, auch wenn es Möglichkeiten der Objektivierung gibt. Im Klartext heißt das, dass es elf Einschätzungen gibt, wenn zehn Personen eine Bewertung vornehmen. Mit der Risikoeinschätzung soll der Hersteller einen Anhaltspunkt erhalten, ob eine Maßnahme zur Reduzierung des ermittelten Risikos erforderlich ist. Wird eine Risikoeinschätzung vor und nach dem Ergreifen der Schutzmaßnahme durchgeführt, kann eine Aussage über die Wirksamkeit der ergriffenen Schutzmaßnahme getroffen werden. Das kann auch den Vergleich von unterschiedlichen Schutzmaßnahmen zur Minimierung eines bestimmten Risikos ermöglichen und die Bewertung der Wirksamkeit dieser Schutzmaßnahmen unterstützen. Für die Minimierung oder Eliminierung von Risiken ist die Anwendung des Standes der Technik gesetzlich erforderlich. Daher stellt sich nicht die Frage, auf welches Niveau die Risikominimierung erfolgt, sondern ob der Stand der Technik dabei angewendet wird. Aufgrund des angewendeten Standes der Technik ergibt sich dann ein bestimmtes Maß der Risikominimierung, die auch zur Eliminierung des Risikos führen kann. 4. Festlegung der Maßnahmen zur internen Fertigungskontrolle Mit diesen gesetzlich geforderten Maßnahmen soll der Hersteller sicherstellen, dass jede individuelle Maschine eines konformitätsbewerteten Maschinentyps den von ihm festgelegten Spezifikationen, die er in den technischen Unterlagen niedergelegt hat, entspricht. Damit erfüllt jede individuelle Maschine auch die Bestimmungen der Maschinenrichtlinie. Mit den Maßnahmen der internen Fertigungskontrolle soll demnach verhindert werden, dass die Anfertigung einer individuellen Maschine dieses Maschinentyps nicht nach den Fertigungsunterlagen erfolgt. Im Ergebnis würde diese Maschine nicht den Bestimmungen der Maschinenrichtlinie entsprechen. Im Regelfall unterhält der Hersteller bereits ein Qualitätssicherungssystem, das er auf seine Bedürfnisse ausgerichtet hat. Dabei können die Aspekte der Maschinenfunktion, der Prozess- Sicherheit auf den Fertigungseinrichtungen oder anderer Einflüsse für die Fertigung erfasst werden. Bei den Maßnahmen zur internen Fertigungskontrolle nach Anhang VII A, Nr. 1, b und Anhang VIII der Maschinenrichtlinie geht es um Aspekte der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes, also um die Ausführung und Funktion von Schutzeinrichtungen oder Schutzmaßnahmen an der Maschine. Erfasst werden können auch Aspekte, die die sichere Auslegung der Maschinen betreffen. Die Standsicherheit eines Kranes wird nicht nur von den Schutz- oder Sicherheitsmaßnahmen realisiert, sondern durch die Auslegung der Maschine, insbesondere durch die Standfestigkeit.

22 VDMA-KURZLEITFADEN Bei sicherheitsrelevanten Schweißverbindungen können viele Prozessparameter für die ordnungsgemäße Anfertigung von Bedeutung sein, damit das Element die vorgesehenen Kräfte oder Momente übertragen bzw. aufnehmen kann. Abweichungen von den Prozessparametern können erhebliche Folgen für die Sicherheit der Maschine haben, wenn die benötigten Festigkeitswerte nicht erreicht werden oder ausführungsbedingte Materialfehler zum Bauteilversagen führen. Bei Schraubverbindungen können die Montagereihenfolge oder Abweichungen bei den Anzugsmomenten sicherheitsrelevante Auswirkungen haben. Auch die Verifikation von Sicherheitsfunktionen ist Gegenstand der internen Fertigungskontrolle. Der Hersteller hat Maßnahmen immer dann zu treffen, wenn die Anfertigung einen Einfluss auf die Sicherheit des Endproduktes die Maschine hat. 5. Erstellung der technischen Unterlagen Mit den technischen Unterlagen kann der Hersteller nachweisen, dass er das gesetzlich erforderliche Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt und Schutzmaßnahmen an der Maschine ergriffen hat, die dem Stand der Technik entsprechen. Diese technischen Unterlagen sind interne Unterlagen des Herstellers, die auch bei ihm verbleiben. Der Kunde kann den Hersteller auf der Grundlage der öffentlich-rechtlichen Bestimmungen nicht zwingen, diese Unterlagen zu übermitteln oder Einsicht zu gewähren. Diese gesetzliche Regelung dient dem Know-how- Schutz des Herstellers. Es gibt immer wieder Fälle, in denen Kunden die Herausgabe der technischen Unterlagen erzwingen möchten. Der Hersteller muss dann eine Entscheidung treffen, die den berechtigten Interessen des Kunden, aber auch seinen eigenen Interessen Rechnung trägt. Kunden möchten u.a. Einblick in die technischen Unterlagen haben, um sich ein Bild über die Schutzmaßnahmen und deren Wirksamkeit zu verschaffen. In anderen Fällen plant der Kunde den Umbau der Maschine, die er erwerben möchte. Zur Beurteilung des Umbaus könnte der Kunde Informationen aus der Risikobeurteilung benötigen. Diese Informationen können dann der Klärung dienen, ob der Umbau zu einer wesentlichen Veränderung der Maschine mit entsprechenden Rechtsfolgen führt. Im Kapitel wesentliche Veränderung werden die Rechtsfolgen erläutert. Wenn der Hersteller die technischen Unterlagen der für die Marktüberwachung zuständigen Behörde nicht vorlegen oder nur teilweise vorlegen kann, geht die Behörde davon aus, dass die Maschine nicht den Bestimmungen der Maschinenrichtlinie entspricht. Die Behörde ist dann berechtigt, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, um die Vermarktung der Maschine zu untersagen oder einzuschränken oder an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. Wenn der Hersteller vertragliche Verpflichtungen dem Kunden gegenüber zu erfüllen hat, können solche behördlichen Maßnahmen erhebliche Probleme verursachen. Mit einer sorgfältigen Erstellung der technischen Unterlagen können die genannten Schwierigkeiten vermieden werden. Bei Unfallereignissen kann es fatale Folgen haben, wenn der Hersteller keine oder mangelhafte technische Unterlagen vorlegt. Der Hersteller hat die technischen Unterlagen zu aktualisieren, wenn er Änderungen an der Maschine vornimmt. Diese Änderungen können notwendig werden, wenn sich der Stand der Technik weiterentwickelt hat die angewendete Norm ändert die angewendete Vorschrift ändert