Schön Klinik Roseneck Prien Wiss. Koop. Univ. Freiburg Wiss. Koop. LMU München Update: Pathologisches Horten Prof. Dr. Ulrich Voderholzer 1 und Dr. Anne Kathrin Kuelz 2 DGZ-Tagung München, 7. Oktober 2016 1 Ärztlicher Direktor, Schön Klinik Roseneck, Prien am Chiemsee u. Prof. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinik Freiburg 2 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinik Freiburg
Generell gilt: pathologisches Horten ist ein hartnäckiges Störungsbild, dessen Behandlung von den Betroffenen (und Therapeuten) viel Geduld und Mut erfordert. Das Erarbeiten von Verhaltensfertigkeiten, Emotionsregulationskompetenzen und hilfreichen Kognitionen sollte in den Anfangsphasen Priorität vor Wegwerfaktionen haben, um eine gutes Fundament zu schaffen. Ulrich Voderholzer, Prien am Chiemsee / Anne K. Külz, Freiburg
Inhalte Krankheitsbild und Diagnostik Ätiologie Therapie Ulrich Voderholzer, Prien am Chiemsee / Anne K. Külz, Freiburg
Begrifflichkeiten Lange Zeit: Compulsive Hoarding (deutsch: Zwanghaftes Horten Häufigere Bezeichnung: Zwanghaftes Sammeln und Horten Neue Bezeichnung aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage: Sammeln und Horten als eigenständige Erkrankung: Hoarding Disorder, bzw. Pathologisches Horten Ulrich Voderholzer, Prien am Chiemsee / Anne K. Külz, Freiburg
Pathologisches Horten: Diagnostische Kriterien nach DSM-5 A. Anhaltende Schwierigkeit, Gegenstände wegzuwerfen oder sich von ihnen zu trennen, unabhängig von deren tatsächlichem Wert. B. Diese Schwierigkeit ist zurückzuführen auf das empfundene Bedürfnis, die Gegenstände aufheben zu müssen, und auf ein mit dem Wegwerfen verbundenes Unbehagen. C. Die Schwierigkeit, Gegenstände auszusondern, führt zu einer Anhäufung von Dingen, die aktive Wohnbereiche überfüllen und vermüllen und deren eigentliche, zweckmäßige Nutzung erheblich beeinträchtigen. Falls einzelne Wohnbereiche in ordentlichem Zustand sind, ist dies meist auf das Einwirken Dritter (z.b. Familienmitglieder, Reinigungskräfte, Autoritäten) zurückzuführen. D. Das Horten verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen (inklusive der Aufrechterhaltung eines für sich und andere sicheren Umfelds). E. Das Horten ist nicht auf eine andere medizinische Erkrankung zurückzuführen (z.b. Gehirnverletzungen, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Prader-Willi-Syndrom). F. Das Horten kann nicht besser durch die Symptome einer anderen psychischen Erkrankung erklärt werden (z.b. Zwangsgedanken im Rahmen einer Zwangsstörung, verminderter Antrieb einer Major Depression, Wahnvorstellungen einer Schizophrenie oder einer anderen psychotischen Störung, kognitive Defizite einer neurokognitiven Störung, eingeschränkte Interessen einer Autismus-Spektrum- Störung). (DSM-5; American Psychiatric Association 2013)
Pathologisches Horten: nach DSM-5 (Verkürzte Definition) a. Schwierigkeit, Gegenstände wegzuwerfen oder sich von ihnen zu trennen, unabhängig vom tatsächlichem Wert b. Zurückzuführen auf das Bedürfnis, die Gegenstände aufzuheben, Unbehagen beim Wegwerfen c. Anhäufung von Dingen, Überfüllung des Wohnbereichs, Vermüllung, diese kann nicht mehr genutzt werden d. Auf klinisch bedeutsames Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in beruflichen oder psychsozialen Funktionsbereichen e. nicht auf eine andere medizinische Erkrankung zurückzuführen f. nicht besser durch die Symptome einer anderen psychischen Erkrankung erklärt werden
Pathologisches Horten: Diagnostische Kriterien nach DSM-5 Bestimme, ob: Mit Exzessiver Beschaffung: Falls die Schwierigkeit, Gegenstände wegzuwerfen, mit exzessivem Beschaffen von Dingen einhergeht, die nicht gebraucht werden oder für die kein Platz vorhanden ist. Bestimme, ob: Mit Guter oder Angemessener Einsicht: die Person erkennt, dass die mit dem Horten verbundenen Überzeugungen und Verhaltensweisen (in Bezug auf die Schwierigkeit etwas auszusondern, dem Vermüllen oder dem exzessiven Beschaffen) problematisch wird. Mit Wenig Einsicht: Die Person ist größtenteils davon überzeugt, dass die mit dem Horten verbundenen Überzeugungen und Verhaltensweisen (in Bezug auf die Schwierigkeit etwas wegzuwerfen, dem Vermüllen oder dem exzessiven Beschaffen) trotz Gegenbeweisen nicht problematisch sind. Mit Fehlender Einsicht/Wahnhaften Überzeugungen: Die Person ist vollkommen davon überzeugt, dass die mit dem Horten verbundenen Überzeugungen und Verhaltensweisen (in Bezug auf die Schwierigkeit etwas wegzuwerfen, dem Vermüllen oder dem exzessiven Beschaffen) trotz Gegenbeweisen nicht problematisch sind. (DSM-5; American Psychiatric Association 2013)
Epidemiologie: Horten Repräsentative Stichprobe 2307 Personen in Deutschland (Müller et al. 2009) Prävalenz 4,6% für pathologisches Horten Deutlich mehr ältere (6,2%) als jüngere (2,3%) Menschen Männer > Frauen (5,6% vs. 2,6%) Ulrich Voderholzer, Prien am Chiemsee / Anne K. Külz, Freiburg
Verlauf und Prognose Erste Symptome oft wie bei Zwangsstörungen im Alter von 12 bis 13 Jahren, Tendenz zur Aggravation im Erwachsenenalter, mit wachsendem Alter eher noch weitere Zunahme (Tolin et al. 2010) Genetischer Faktor: Verwandte ersten Grades leiden deutlich häufiger an pathologischem Sammeln und Horten, als nicht Verwandte; Heritabilität wird auf ca. 50% eingeschätzt (Lervolino et al. 2009) Ulrich Voderholzer, Prien am Chiemsee / Anne K. Külz, Freiburg
Differentialdiagnose eines Vermüllungssyndrom (Messi-Syndrom) Verminderter Antrieb bei Major Depression Wahnvorstellungen, Antriebsstörung bei Psychosen Schwere Vernachlässigung bei Sucht Kognitive Defizite bei neurokognitiver Störung Eingeschränktes Interesse bei Autismus
Störung Punktprävalenzen komorbider Störungen bei Probanden mit pathologischem Horten Zwangsstörung* Major Depression Generalisierte Angststörung Soziale Phobie Spezifische Phobie 18 14 24 23 51 N=217 ADHS - unaufmerksamer Typ - hyperaktiver Typ Pathologisches Kaufen Pathologisches Stehlen Abhängigkeitssyndrom Persönlichkeitsstörungen: - zwanghafte - ängstlich-vermeidende - borderline 2 7 14 10 9 5 29 29 61 Häufigkeit % 0 20 40 60 80 Frost et al.(2011). Comorbidity in hoarding disorder. Depression and Anxiety, 28, 876-884.
Häufig Katzen Animal Hoarding Häufiges Motiv: Tierliebe, Gedanke die Katze aufnehmen und pflegen zu müssen Im Verlust jeglichen Maßes völlige Verwahrlosung
Fallbericht: Hortzwänge bei typischer Zwangsstörung 65-jähriger Patient Schwere Zwangsstörung, schwere sekundäre Depression, Angststörung und selbstunsichere Persönlichkeitsstörung Erste Zwänge im 8. Lebensjahr Ängste, etwas Falsches zu schreiben und dafür vom Vater getadelt zu werden Während des gesamten Erwachsenenlebens multiple Zwänge, im Vordergrund aber Protokollieren des Tages mit Hilfe eines Zahlencodes Nach der Arbeit Schreiben eines schriftlichen Tagesprotokolls (Dauer ca. 1-3 Stunden) Aufbewahren der Tagesprotokolle über Jahrzehnte, Sammeln und Horten im Rahmen der Zwangsstörung) Anmietung externen Lagerraums (sehr schambesetzt) da unfähig, die Protokolle zu vernichten Ulrich Voderholzer, Prien am Chiemsee / Anne K. Külz, Freiburg
Diagnostik: Pathologisches Horten Klinisches Interview Hausbesuch (oder Fotos der Wohnung) Fragebögen Clutter Bilder Rating Skala Messie House Index Hoarding Rating Scale (HRS) Fragebogen zum zwanghaften Horten (FZH) Ulrich Voderholzer, Prien am Chiemsee / Anne K. Külz, Freiburg
Clutter Image Rating Bitte wählen Sie das Bild aus, welches dem Durcheinander in Ihrem Raum entspricht. Bitte schreiben Sie die entsprechende Nummer auf. Steketee, G., & Frost, R. O. (2015). Clutter Image Rating (CIR). Treatment for Hoarding Disorder: Therapist Guide 2.
Schlafzimmer Steketee, G., & Frost, R. O. (2015). Clutter Image Rating (CIR). Treatment for Hoarding Disorder: Therapist Guide 2.
Küche Steketee, G., & Frost, R. O. (2015). Clutter Image Rating (CIR). Treatment for Hoarding Disorder: Therapist Guide 2.
Wohnzimmer Steketee, G., & Frost, R. O. (2015). Clutter Image Rating (CIR). Treatment for Hoarding Disorder: Therapist Guide 2.
Inhalte Krankheitsbild und Diagnostik Ätiologie Therapie Ulrich Voderholzer, Prien am Chiemsee / Anne K. Külz, Freiburg
Zwangshandlungen - archaische Verhaltensmuster Funktionen, Ähnlichkeiten bei Tieren und beim Menschen Tiere: Waschen der Nahrung, Reinigen des Nestes, Kontrollieren/Scannen der Umgebung bez. Gefahren, Reinigen des Nestes, Sammeln Vorräte Überlebensvorteil Angst, Bedrohung, Stress: Auslösung/ Verstärkung (Übersprungshandlungen) Beruhigung, Gefühl der Kontrolle Basalganglien Speicher automatischer Verhaltensprogramme
Fehlerbezogene Hirnaktivität unterschiedlich bei Horten und Zwang
Fehlerbezogene Hirnaktivität Gesunde Horter Horter Zwangspatienten Kontrollen mit Zwang
Das kognitiv-behaviorale Modell des pathologischen Hortens Prägende Ereignisse und Bezugspersonen: Probleme der Informationsverarbeitung Bedeutung von Besitztümern Positive Verstärkung durch Horten: + Emotionale Reaktionen: Verhaltensweisen: Exzessives Sammeln und Horten Kaufzwänge etc. Negative Verstärkung durch Horten: -
Inhalte Krankheitsbild und Diagnostik Ätiologie Therapie Ulrich Voderholzer, Prien am Chiemsee / Anne K. Külz, Freiburg
Im Amerikanischen Therapiemanual neueste Auflage 2014; Steketee und Frost
Steketee und Frost (2014) Inhalte des Therapiemanuals 26 Sitzungen innerhalb von sechs Monaten In leichten Fällen 15 Sitzungen Schwer Erkrankte 30 Sitzungen und mehr Therapiemanual neueste Auflage 2014 von Steketee und Frost
Behandlungskonzept mit vier Hauptproblembereichen Probleme der Informationsverarbeitung Exzessive emotionale Bindung an Besitztümer Ungünstige Überzeugungen bzgl. des Aufbewahrens Vermeidungsstrategien bzgl. des Wegwerfens Entwicklung eines effizienten und hilfreichen Systems zur Ordnung und Organisation der Besitztümer Training der Widerstandsfähigkeit gegenüber Verlockungen zur Anschaffung neuer Gegenstände Kognitive Umstrukturierung in Bezug auf ungünstige überzeugungen bzgl. der Besitztümer Graduierte Exposition gegenüber den aversiven Gefühlen bei der Entscheidung zum Wegwerfen von Besitztümern Ulrich Voderholzer, Prien am Chiemsee / Anne K. Külz, Freiburg
Muroff et al. (2014): kognitive Verhaltenstherapie für Hoarding Disorder: Therapieergebnis und Follow up SI-R: saving inventory revised.hrs: hoarding rating scale
Muroff et al. (2014): Kognitive Verhaltenstherapie für Hoarding Disorder: Einschätzung der Therapeuten und Patienten des Therapieerfolges
Tolin et al. (2015):kognitive Verhaltenstherapie für Hoarding Disorder: Metaanalyse
Indikation für Pharmakotherapie (beser Kombinationstherapie) bei Zwangsstörung (sinnvoll auch bei Hoarding) Schwere, komorbide depressive Symptomatik 1 Fehlende oder nicht ausreichende Besserung auf KVT 2,3 (Cave: wurde sie lege artis durchgeführt) Pat. lehnt Psychotherapie ab 2 Sehr schwere Zwänge, die die Durchführung einer KVT erschweren oder unmöglich machen 2 1) Hohagen et al. 1998 2) Koran et al. 2007, 3) Böhm, Voderholzer 2008); S-3-Leitlinie der DGPPN U. Voderholzer, Prien/Freiburg
Pharmakologische Behandlungseffekte bei Patienten mit Zwangsstörungen mit Hoarding Symptomen (in: Külz, Voderholzer, Pathologisches Sammeln und Horten, im Druck) Autor N Medikament Behandlungserfolg Winsberg et al. (1999) 18 Sertralin (50mg/Tag) Clomipramin (150mg/Tag) Fluoxetin (20mg/Tag) Fluvoxamin (150mg/ Tag) Pavoxetin (40mg/Tag) 50% der Behandelten hatten eine 25% Verbesserung in ihren Y- BOCS-Scores Saxena et al. (2007) 25 Paroxetin (Mittelwert 40mg/Tag) 31% Mittelwertabnahme in der Y-BOCS Rodriguez et al. (2013) Saxena & Summer (2014) 4 Methylphenidat (retardiert) (Mittelwert: 50mg/Tag) 23 Venlafaxin ret. (Mittelwert: 204mg/Tag) 32% und 50% Reduktion in der SI-R bei zwei Betroffenen 32% Mittelwertabnahme in SI-R und 39% Mittelwertabnahme in der Y- BOCS SI-R=Savings Inventory-Revised, SRI=Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Y -BOCS=Yale-Brown Obsessive-Compulsive Scale.
Pathologisches Sammeln und Horten Anne Kathrin Külz Ulrich Voderholzer