Allgemeines Verwaltungsrecht für die Polizei

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Transkript:

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4. Grundsätze des Verwaltungshandelns Das Handeln der öffentlichen Verwaltung und damit auch dasjenige der Polizei unterliegt bestimmten Prinzipien. Daraus ergibt sich, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form die Verwaltung rechtmäßigerweise tätig werden kann. Dazu gehören insbesondere die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verfassungsgrundsätze, aber auch sonstige Handlungsvorgaben und Verfahrensbestimmungen des VwVfG. 4.1 Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist Kernstück des Rechtsstaatsprinzips; er hebt den Rechtsstaat vom Willkürstaat ab. Nach diesem Grundsatz sind alle Verwaltungsmaßnahmen an Gesetz und Recht gebunden. Die Verwaltung führt die Gesetze aus und ist dabei an Recht und Gesetz gebunden. Keine Behörde, selbstverständlich auch kein einzelner Beamter, darf danach von einer durch Rechtsnorm getroffenen zwingenden Regelung abweichen. Ein Verstoß gegen eine Rechtsnorm führt zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns. Die Verwaltung ist dann verpflichtet, die Maßnahme aufzuheben. Beim Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wird unterschieden zwischen dem Vorrang des Gesetzes und dem Vorbehalt des Gesetzes. 20 Grundsätze des Verwaltungshandelns

a) Vorrang des Gesetzes Der Vorrang des Gesetzes bestimmt, dass kein Verwaltungshandeln zu Recht und Gesetz im Widerspruch stehen darf. Das Gesetz ist dem Verwaltungshandeln vorrangig, es bestimmt seinen Inhalt und seine Grenzen. Da es innerhalb der Rechtsordnung eine Hierarchie unter den Rechtsnormen gibt, besagt der Gesetzesvorrang weiterhin, dass staatliches Handeln nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen darf. Die Rangfolge im deutschen Recht ergibt sich wie folgt: Verfassungsrecht (GG) Allgemeine Regeln des Völkerrechts (vgl. Art. 25 GG) Formelle Bundesgesetze Rechtsverordnungen des Bundes Satzungen bundesunmittelbarer Körperschaften Landesverfassungen Formelle Landesgesetze Rechtsverordnungen der Bundesländer Kommunale Satzungen der Gemeinden, Landkreise usw. Verwaltungsakte, öffentlich-rechtliche Verträge Die förmlichen Gesetze, d. h. die Verfassung und die einfachen vom Parlament beschlossenen Gesetze, gehen also allen anderen für die Verwaltung geltenden Regelungen, wie z. B. Rechtsverordnungen, Satzungen, aber auch den verwaltungsinternen Richtlinien (Verwaltungsvorschriften, Vollzugsbekanntmachungen, Polizeidienstvorschriften etc.), vor. Bei allen Handlungen muss sich die Verwaltung mithin strikt im Rahmen der (förmlichen) Gesetze halten, d. h., sie darf nicht gegen Gesetze verstoßen. Ein förmliches Gesetz hat also die Eigenschaft, rangniedrigere Rechtsnormen (Verordnungen und Satzungen), Verwaltungsakte, Verwaltungsvorschriften usw. rechtlich zu verhindern oder zu zerstören. Verordnungen, Satzungen, Verwaltungsakte oder Verwaltungsvorschriften, die einem förmlichen Gesetz widersprechen, sind rechtsfehlerhaft (rechtswidrig). Der Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes gilt für jedes Verwaltungshandeln, für hoheitliches, schlicht-hoheitliches oder fiskalisches Handeln, für belastende und begünstigende Maßnahmen. Der Grundsatz gilt auch dann, wenn der Verwaltung ein Ermessungsspielraum eingeräumt ist. Auch hier ist sie nur frei in den durch Gesetz festgelegten Grenzen ( 40 VwVfG). Ein Ermessensfehler führt zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme. Aus dem Vorrangsgrundsatz ergibt sich auch, dass die Verwaltung verpflichtet ist, bei konkreten Entscheidungen die Gültigkeit des anzuwendenden Rechts Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) 21

zu überprüfen (Prüfungskompetenz). Bei Bedenken hat sie und auch der einzelne Beamte eine Remonstrationspflicht. " Fall: Der Rentner Adolf Alt beschwert sich bei der örtlichen Polizeidienststelle über seinen Nachbarn Norbert Neu, weil dieser während der Sommermonate jeden Samstag um 15.00 Uhr eine Stunde lang mit seinem Motorrasenmäher im Garten arbeitet und ihn, Alt, dabei in seinem Mittagsschlaf störe. Er bittet die Polizei, einzuschreiten und das Rasenmähen ein für allemal zu unterbinden. PK Müller hält das Anliegen des Alt für berechtigt und weist Neu an, künftig das Rasenmähen am Samstagnachmittag zu unterlassen, ansonsten werde er ihn anzeigen. Lösung: Das Verhalten des PK Müller verstößt gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes. Nach 7 Abs. 1 der 32. BlmSchV ist das Rasenmähen samstagnachmittags zwischen 15.00 und 16.00 Uhr erlaubt. Der von Müller getroffene Verwaltungsakt verstößt damit gegen die höherrangigere Verordnung und ist rechtswidrig. b) Vorbehalt des Gesetzes Der Vorbehalt des Gesetzes besagt, dass die wesentlichen Entscheidungen der staatlichen Gewalten einer vom Parlament getroffenen gesetzlichen Regelung vorbehalten sind. Wesentliche Entscheidungen sind insbesondere staatliche Eingriffe in die Rechtssphäre der Bürger. Eingriffsmaßnahmen dürfen also nur durch Gesetz oder auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung getroffen werden. Die öffentliche Verwaltung benötigt eine gesetzliche Befugnis. Der Vorbehaltsgrundsatz gilt nur bei belastenden Eingriffen in die individuellen Rechtspositionen, nicht bei reiner Leistungsverwaltung (hier genügt eine Aufgabenzuweisung). Auch schlicht-hoheitliches und fiskalisches Handeln bedarf keiner gesetzlichen Ermächtigung. Da die Polizei v. a. Rechtseingriffe vornimmt, ist der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes für sie von entscheidender Bedeutung. Für Rechtseingriffe bedarf es damit neben einer Aufgabe (vgl. 1 PolG NRW/ Art. 2 PAG BY) stets einer Befugnis (vgl. 8 ff. PolG NRW/Art. 11 ff. PAG BY). Diese muss sich aus einem förmlichen Gesetz ergeben. Das BVerfG und das BVerwG haben den Grundsatz entwickelt, dass wesentliche Entscheidungen für die grundlegende Ordnung eines Bereiches dem Vorbehalt des förmlichen Gesetzes unterliegen und nicht der Normsetzung der Verwaltung überlassen werden können (Wesentlichkeitstheorie). Solche Maßnahmen stehen unter Parlamentsvorbehalt. Allein das Volk darf durch seine in freien und geheimen Wahlen bestellten (Volks-)Vertreter ent- 22 Grundsätze des Verwaltungshandelns

scheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen in die Rechtssphäre der Bürger eingegriffen werden darf. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Vorrang des Gesetzes Vorbehalt des Gesetzes Kein Verwaltungshandeln darf gegen einen gültigen Rechtssatz verstoßen Rechtseingriffe sind nur aufgrund eines dazu ermächtigenden Gesetzes (Befugnis) zulässig Gilt für sämtliche Bereiche des Verwaltungshandelns Gilt nur für die Eingriffsverwaltung " Fall: Der offensichtlich angetrunkene Paul Prall (P) möchte mit seinem Pkw von einer Gaststätte nach Hause fahren. Eine Polizeistreife bemerkt dies. Da gutes Zureden, den Wagen stehen zu lassen und zu Fuß nach Hause zu gehen, nichts nützt, stellen die Polizeibeamten den Fahrzeugschlüssel sicher, um die Trunkenheitsfahrt zu verhindern. Lösung: Die Wegnahme des Fahrzeugschlüssels greift in Grundrechte des P ein (Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG). Die Maßnahme bedarf also einer förmlichen gesetzlichen Grundlage, Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) 23

einer Befugnisnorm. Da die Sicherstellung dazu dient, die Begehung einer Straftat nach 316 StGB zu verhindern, kann sie zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr auf 43 Nr. 1 PolG NRW/Art. 25 Nr. 1 PAG BY gestützt werden. 4.2 Gleichbehandlungsgrundsatz Aus der Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht sowie aus Art. 1 Abs. 3 GG ergibt sich auch die Bindung an die Grundrechte. Somit muss die Verwaltung bei ihrem Handeln auch den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) beachten. Dieser gebietet, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend ungleich zu behandeln. Der Gleichbehandlungsgrundsatz enthält also ein Diskriminierungsverbot und ein Differenzierungsgebot. Verletzt ist dieser Grundsatz, wenn unterschiedliche Behandlungen nicht aus einem vernünftigen, sachlichen Grund erfolgen. Die Verwaltung darf also nicht gleichgelagerte Sachverhalte ohne einleuchtenden Grund rechtlich unterschiedlich behandeln. Ein Polizeibeamter darf bei einer Reihe falsch geparkter Kfz nicht nur für bestimmte Fahrzeugtypen Verwarnungen mit Verwarnungsgeld ausbringen und die übrigen Falschparker verschonen. Er darf allenfalls die Verwarnungstätigkeit wegen anderer dringender Aufgaben abbrechen. Eine ungleiche Behandlung durch die Verwaltung muss also stets durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein. Insbesondere darf eine unterschiedliche Behandlung nicht willkürlich erfolgen, d. h. ohne einleuchtenden Grund. Hat die Verwaltung allerdings in einer gleichartigen Angelegenheit rechtswidrig gehandelt, begründet dies jedoch nicht den Anspruch des Bürgers darauf, in seinem Fall in gleicher Weise rechtswidrig zu verfahren. Es gibt also keine Gleichheit im Unrecht. Ansonsten würde der Verwaltung auferlegt werden, ein rechtswidriges Verhalten wissentlich zu wiederholen und damit bewusst gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) zu verstoßen. Zwei Fahrzeuge sind verbotswidrig trotz absoluten Halteverbots abgestellt. Es kommt zu erheblichen Verkehrsbehinderungen. PK Adam lässt daraufhin eines der Fahrzeuge abschleppen, das andere lässt er stehen, weil es sich um das Fahrzeug eines Sportkameraden handelt. 24 Grundsätze des Verwaltungshandelns

PK Adam verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da er aus sachfremden Erwägungen heraus, also willkürlich einen gleichgelagerten Sachverhalt anders behandelt. Gleichwohl kann sich der Halter des abgeschleppten Fahrzeugs, der sich weigert, die geltend gemachten Abschleppkosten zu zahlen, nicht auf Gleichbehandlung berufen, da durch die erheblichen Verkehrsbehinderungen ein Tätigwerden der Polizei geboten war und das Fahrzeug des Sportfreundes des Beamten ebenfalls hätte abgeschleppt werden müssen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist in allen Handlungsbereichen zu beachten. Besondere Bedeutung kommt ihm zu, wenn der Verwaltung durch eine Rechtsvorschrift ein Ermessen eingeräumt ist. Der Gleichheitsgrundsatz gebietet ihr nämlich, in gleichgelagerten Fällen ihr Ermessen stets in gleicher Weise auszuüben. Folglich erzeugt eine bestimmte Ermessungsausübung eine Selbstbindung der Verwaltung. Sie darf also von ihrer bisherigen Verwaltungsübung nur ab- Gleichbehandlungsgrundsatz Diskriminierungsverbot Differenzierungsgebot Gleiches muss gleich behandelt werden Ungleiches muss ungleich behandelt werden Gleichbehandlungsgrundsatz 25

weichen, wenn ein sachlicher Grund dies rechtfertigt. In der Praxis wird eine einheitliche Ermessensausübung häufig durch den Erlass von Verwaltungsvorschriften gewährleistet (z. B. Bußgeldkatalog). 4.3 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Der Verwaltung stehen häufig mehrere, den Betroffenen mehr oder weniger belastende Maßnahmen zur Verfügung, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz soll gewährleisten, dass die Behörde eine vernünftige Relation zwischen dem angestrebten Zweck und dem gewählten Mittel herstellt und dadurch angemessen tätig wird. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet. Es handelt sich um einen Grundsatz mit Verfassungsrang in Form von Verfassungsgewohnheitsrecht. Die einfachgesetzlichen Bestimmungen (z. B. 2 PolG NRW/Art. 4 PAG BY) haben deshalb nur deklaratorische Bedeutung. Auch ohne ausdrückliche Normierung ist dieser Grundsatz stets zu beachten, selbstverständlich auch bei der Strafverfolgung. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit umfasst drei Teilelemente, die sowohl für die Eingriffs- wie die Leistungsverwaltung gelten: a) Grundsatz der Geeignetheit und der Erforderlichkeit (vgl. 2 Abs. 1 PolG NRW/ Art. 4 Abs. 1 PAG BY) Zumindest muss ein Mittel eingesetzt werden, das zum Erreichen des angestrebten Zweckes geeignet ist. Damit verbietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz objektiv untaugliche, aber auch rechtlich oder tatsächlich unmögliche Maßnahmen. Bei einem Kfz, das die Feuerwehreinfahrt blockiert, ist das Abschleppen eine geeignete Maßnahme. Wenn mehrere Maßnahmen geeignet sind, ist diejenige zu ergreifen, die den Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt. Bei Eingriffsmaßnahmen der Polizei muss geprüft werden, ob andere, weniger gravierende Maßnahmen den angestrebten Erfolg ebenso gut herbeiführen können. 26 Grundsätze des Verwaltungshandelns

Von mehreren möglichen und geeigneten Mitteln ist das mildeste zu wählen. Zur Unterbindung einer Trunkenheitsfahrt sind die Aufforderung, nicht zu fahren, die Wegnahme des Fahrzeugschlüssels, die Sicherstellung des Fahrzeugs und die Gewahrsamnahme des Fahrers geeignete Mittel. Gemäß 2 Abs. 1 PolG NRW/Art. 4 Abs. 1 PAG BY ist das in der konkreten Situation am wenigsten bedrohende Mittel zu wählen, regelmäßig die Wegnahme der Schlüssel. Welche Maßnahme in einer konkreten Situation tatsächlich erforderlich ist, hängt nicht nur von objektiven Kriterien, sondern auch von den subjektiven Verhältnissen ab, z. B. Verhalten der Anwesenden, Alkoholisierungsgrad, Aggressionsbereitschaft usw. Der Polizeibeamte hat also im Zeitpunkt seines Einschreitens sämtliche ihm bekannten und relevanten Umstände zu berücksichtigen, um die in der konkreten Situation erforderliche Maßnahme zu treffen. Von einer Sommerparty im Freien geht mitten in der Nacht erheblicher Lärm aus. Die von der Nachbarschaft herbeigerufenen Polizeibeamten müssen nach den gegebenen konkreten Umständen entscheiden, welche Maßnahme erforderlich ist, um die Ruhestörung zu unterbinden. Reicht es aus, die Partygäste zu bitten, sich leise zu verhalten, insbesondere die Musik leiser zu stellen, oder ist ein eindringlicher Hinweis erforderlich? Muss sogar die Musikanlage sichergestellt werden oder ein Platzverweis gegenüber den Partygästen ausgesprochen werden? Oder ist es sogar erforderlich, den Gastgeber in Gewahrsam zu nehmen? Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Polizei der Reihe nach sämtliche milderen Maßnahmen durchprobiert. Vielmehr kann sofort diejenige getroffen werden, die im konkreten Fall als wirksam erscheint. Im Einzelfall kann sich die schwerste Maßnahme als die einzig wirksame und damit erforderliche ergeben. b) Grundsatz der Angemessenheit Verhältnismäßigkeit in engeren Sinn ( 2 Abs. 2 PolG NRW/Art. 4 Abs. 2 PAG BY) Dieser Grundsatz verbietet Maßnahmen, die zu dem beabsichtigten Erfolg erkennbar außer Verhältnis stehen. Er verlangt eine Abwägung, ob die Bedeutung des zu schützenden Rechtsguts nicht außer Verhältnis zu dem Rechtsgut steht, das dabei verletzt wird. Nach 2 Abs. 2 PolG NRW/Art. 4 Abs. 2 PAG BY muss zwischen dem Rechtseingriff und dem angestrebten Erfolg ein angemessenes Verhältnis bestehen. Angemessen ist eine Maßnahme nur dann, wenn die Nachteile, die mit ihr Maßnahme verbunden sind, nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen, die sie bewirkt. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 27

Die nachteilige Folge einer polizeilichen Maßnahme steht außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg der Gefahrenabwehr, wenn sie in höherwertigere als durch die Gefahr bedrohten Rechtsgüter eingreift, wenn sie wertvollere Gegenstände beschädigen oder gar zerstören würde als die durch die polizeiliche Maßnahme bedrohten, wenn die Polizei Nichtverantwortliche in Anspruch nimmt, weil dies für die Polizei einfacher ist, als gegen den Störer einzuschreiten. Beispiele: Die Polizei darf nicht von der Schusswaffe Gebrauch machen, um eine kleine Ordnungswidrigkeit zu verhindern, auch wenn das die einzige geeignete Maßnahme wäre. Ein Gaffer an der Unfallstelle darf nicht in Gewahrsam genommen werden, wenn ein Platzverweis zur Gefahrenabwehr ausreicht. Eine Versammlung darf nicht aufgelöst werden, solange gegen Störer der Demonstration erfolgreich eingeschritten werden kann. Ein vorüberkommender Kraftfahrer darf nicht verpflichtet werden, einen Verletzten ins Krankenhaus zu befördern, wenn die Polizei dies selbst oder durch vertraglich Beauftragte durchführen kann. Es ist eine Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile der Maßnahme erforderlich. Dabei sind alle relevanten Umstände einzubeziehen; die Abwägung hat sich an den Werteentscheidungen der Rechtsordnung zu orientieren. Dabei sind v. a. verfassungsrechtliche Vorgaben, insbesondere die Grundrechte zu berücksichtigen. Der finanzielle oder logistische Aufwand der Polizei ist dabei allerdings außer Acht zu lassen! " Fall: Im November 2003 wurde ein Castor-Transport nach Gorleben durchgeführt. In der Nacht auf den 12.11.2003 befanden sich ca. 1000 Menschen in der Ortschaft Grippel, um dort zu demonstrieren. Gegen Mitternacht wurden Polizeiketten um die Menschen gezogen und den Personen in der Absperrung erklärt, sie seien in Gewahrsam genommen. Im Nachbarort Laase waren zu gleicher Zeit ungefähr 500 auswärtige Personen unterwegs, von denen nach polizeilicher Einschätzung ca. 50 bis 100 gewaltbereit gewesen sein sollen. Die Polizei befürchtete, dass sich diese Personen nach Grippel begeben, um dort an der Demonstration teilzunehmen oder die Transportstrecke im Bereich Laase blockieren. Deshalb ordnete die Polizei am 11.11.2003 um 23.53. Uhr an, dass am Ortsrand von Laase Absperrungen errichtet werden, um das Verlassen des Ortes zu verhindern. An den Absperrpunkten wurden in dieser Nacht mehrere Personen aufgehalten und nicht durchgelassen. Erst nachdem der Castor-Transport den Ort passiert hatte, wurde die Sperre am 12.11.2003 um 05.09 Uhr wieder aufgehoben. Lösung: Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat festgestellt, dass die Polizeisperren in und um die Ortschaft Laase rechtswidrig waren, weil sie gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen haben. Um eine Blockade des Castor-Transports zu verhindern, wäre es ausrei- 28 Grundsätze des Verwaltungshandelns

chend gewesen, unmittelbar an der Transportstrecke Straßensperren einzurichten. Es war nicht gerechtfertigt, sämtliche Ausfahrtstraßen der Ortschaft vollständig abzuriegeln. Ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip lag auch deshalb vor, weil nur ein geringer Teil der in Laase anwesenden auswärtigen Personen gewaltbereit gewesen sein soll. Eine vollständige Abriegelung des Ortes über ca. 5 Stunden bedeutete einen schwerwiegenden, nicht mehr hinnehmbaren Eingriff in die Rechte der dort anwesenden friedlichen Personen. (Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 19.Mai 2005). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn wird am besten mit der Volksweisheit umschrieben: Nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen! Dies gilt insbesondere auch im Bereich der Strafverfolgung. Das sog. Übermaßverbot wirkt sich dadurch aus, dass Eingriffsmaßnahmen, die im Strafverfahren zulässig sind, im Bußgeldverfahren nicht oder nur unter besonderen Voraussetzungen erlaubt sind (vgl. 46 Abs. 3 5 OWiG). Häufig trägt der Gesetzgeber dem Grundsatz der Angemessenheit bereits dadurch Rechnung, dass er bei schwerwiegenden Rechtseingriffen die Eingreifschwelle sehr hoch ansetzt. Der Schusswaffengebrauch ist nur in ganz bestimmten schwerwiegenden Gefahrensituationen zulässig (vgl. 63 ff. PolG NRW/Art. 66 ff. PAG BY). c) Grundsatz der Maßnahmedauer ( 2 Abs. 3 PolG NRW/Art. 4 Abs. 3 PAG BY) Eine Maßnahme darf nur so lange andauern, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. Der Zweck ist erreicht, wenn die Gefahr abgewehrt oder die Störung unterbunden oder beseitigt worden ist. Der Gewahrsam einer betrunkenen Person darf nicht über die Ausnüchterung hinaus fortgesetzt werden. Wenn sich herausstellt, dass der Zweck der Maßnahme nicht erreicht werden kann, ist die Fortsetzung der Maßnahme ebenfalls unzulässig. Eine Durchsuchung darf nicht fortgesetzt werden, wenn der Polizei mitgeteilt wird, dass sich der gesuchte Gegenstand anderswo befindet. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 29

4.4 Grundsatz der pflichtgemäßen Ermessensausübung Nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) sind die Behörden an Recht und Gesetz gebunden. Die Bindung der Verwaltung kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein: Beim Vollzug von zwingenden Rechtsvorschriften (sog. Muss - oder Ist- Vorschriften ) ist die Bindung sehr streng. Die Verwaltung muss die vom Gesetzgeber gewollte Rechtsfolge herbeiführen (= Legalitätsprinzip), wenn die gesetzlichen Voraussetzungen (Tatbestandsvoraussetzungen) erfüllt sind. Bei Soll-Vorschriften ist in der Regel die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge herbeizuführen. In Ausnahmefällen, d. h. in atypischen Situationen, kann jedoch davon abgesehen werden. Bei Kann-Bestimmungen schließlich ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt (= Opportunitätsprinzip). Ermessen bedeutet Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Verwaltung. a) Begriff und Bedeutung des Ermessens Ermessen bedeutet also, dass die Polizei, auch wenn sämtliche Voraussetzungen einer präventiv-polizeilichen Befugnisnorm erfüllt sind, dennoch nicht verpflichtet ist, eine Maßnahme zu treffen. Sie darf vielmehr entscheiden, ob und wie sie die Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung beseitigt. Die Polizei hat also die Möglichkeit, zwischen mehreren Rechtsfolgen, die allesamt rechtmäßig sind, zu wählen. Damit gewährt die Einräumung des Ermessens der Polizei die Chance, anpassungsfähig, lebensnah und zielgenau zu agieren. Die Polizei entscheidet, ob ihr ein Tätigwerden nützlich und zweckmäßig, mithin opportun erscheint (Opportunitätsprinzip). Ermessen ist aber nicht gleichbedeutend mit völliger Handlungsfreiheit; es darf niemals willkürlich gehandhabt werden, sondern kann in einem Rechtsstaat immer nur ein pflichtgemäßes, gesetzmäßiges Ermessen sein (vgl. 3 Abs. 1 PolG NRW/Art. 5 Abs. 1 PAG BY). Nach 40 VwVfG bedeutet pflichtgemäßes Ermessen, dass die Behörde ihre Ermessensentscheidung entsprechend dem Zweck der das Ermessen einräumenden Ermächtigung auszuüben und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat. 30 Grundsätze des Verwaltungshandelns