TARMED Tarifeingriff Bundesrat Information und Beurteilung der FMH 1 In Kürze Der Bundesrat hat am 16. Dezember 2013 einen Verordnungsentwurf zur Anpassung der Tarifstruktur TARMED zur Anhörung vorgelegt. Dieser Verordnungsentwurf sieht vor, die Grundversorger um CHF 200 Mio. besserzustellen. Finanziert werden soll dieser Betrag durch eine lineare Kürzung von 9% der Technischen Leistung (TL) aller Tarifpositionen aus 14 TARMED Kapiteln. Die FMH setzt sich für eine sachgerechte Bewertung medizinischer Leistungen ein und begrüsst grundsätzlich die Besserstellung der Hausarztmedizin. Der dazu vom Bundesrat gewählte Eingriff in den TAR- MED, mit einer Zuschlagsposition auf die ersten 5 Minuten einer Konsultation, kann jedoch nur eine Übergangslösung bis zur medizinisch und betriebswirtschaftlich korrekten Abbildung der hausärztlichen Leistungen im Rahmen der Gesamtrevision TARMED sein. Die Gegenfinanzierung über eine lineare Absenkung der TL in 14 ausgewählten TARMED-Kapiteln beurteilt die FMH sehr kritisch. Die Auswahl der Kapitel sowie die Höhe der Absenkung von 9% sind weder sachgerecht noch betriebswirtschaftlich plausibel. Die Kürzung der TL bedeutet zudem vor allem eine Mindervergütung für das nichtärztliche Personal, einer der vielen Parameter in den TARMED- Kostenmodellen, der seit den 90er Jahren nie mehr aktualisiert wurde. Aus Sicht der FMH sind deshalb verschiedene gesetzliche Vorgaben (Sachgerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit, Billigkeit) mit der Verordnung des Bundesrates nicht eingehalten. 2 Ausgangslage / Verordnungsentwurf Die Frist für die Anhörung des Verordnungsentwurfes ist der 03. Februar 2014. Eingaben sollen bis zu diesem Datum schriftlich direkt an das Bundesamt für Gesundheit (Bundesamt für Gesundheit, Abteilung Leistungen, Schwarzenburgstrasse 165, 3003 Bern, Abteilung-leistungen@bag.admin.ch) gerichtet werden. Neben angefragten Institutionen steht es auch allen Organisationen und Einzelpersonen offen eine Eingabe zu dieser Anhörung zu machen. Die Verordnung soll am 01. Oktober 2014 in Kraft treten. Nachfolgend wird der Verordnungsentwurf des Bundesrates erläutert: Froburgstrasse 15, CH-4600 Olten Telefon +41 31 359 12 30, Fax +41 31 359 12 38 tarife.ambulant@fmh.ch, www.fmh.ch
2.1 Inhalt des Verordnungsentwurfs Besserstellung Grundversorger Neue Zuschlagsposition 00.0015 Die gewünschte Besserstellung der Grundversorger um CHF 200 Mio. gemäss Masterplan Hausarztmedizin und medizinische Grundversorgung wird über eine neue Zuschlagsposition im TARMED umgesetzt. Die neue Position 00.0015 + Zuschlag für hausärztliche Leistungen in der Arztpraxis darf jeweils zur Tarifposition 00.0010 - Konsultation, erste 5 Min. (Grundkonsultation) als Zuschlag abgerechnet werden. Die Zuschlagsposition wird mit 11 Taxpunkten Ärztliche Leistung (AL) bewertet. Abrechnungsberechtigt für die neue Tarifposition 00.0015 sind Ärztinnen und Ärzte mit einem der folgenden eidgenössischen Weiterbildungstitel (jeweils inklusive Doppeltitelträger/innen): Allgemeine Innere Medizin Kinder- und Jugendmedizin praktischer Arzt / praktische Ärztin Die Zuschlagsposition darf von den oben genannten Titelträgern bei jeder Sitzung mit einem Patienten ( max. 1 mal pro Sitzung ) abgerechnet werden, jedoch nicht von Spitälern (Pos. 00.0015: gilt nicht für ambulante Dienste von Spitälern ). Abbildung 1: Darstellung der geplanten Zuschlagsposition 00.0015 2/5
Gegenfinanzierung Senkung der Technischen Leistung (TL) um 9% in 14 Kapiteln Zur Finanzierung der oben erwähnten Zuschlagsposition 00.0015 soll die TL bei allen Tarifpositionen aus den folgenden Kapiteln um 9 Prozent gesenkt werden: Kapitel 4 Kapitel 5 Kapitel 8 Kapitel 15 Kapitel 17 Kapitel 19 Kapitel 21 Kapitel 24 Kapitel 29 Kapitel 31 Kapitel 32 Kapitel 35 Kapitel 37 Kapitel 39 Haut, Weichteile Zentrales und peripheres Nervensystem Auge Diagnostik und nichtchirurgische Therapie der unteren Atemwege inkl. Schlafdiagnostik Diagnostik und nichtchirurgische Therapie von Herz und Gefässen Diagnostik und nichtchirurgische Therapie des Gastrointestinaltraktes Diagnostik und Therapie von Nieren und Harnwegen sowie der männlichen Genitalorgane Diagnostik und Therapie des Bewegungsapparates Schmerztherapie Nuklearmedizin Radioonkologie, Strahlentherapie Operationssaal (OP), Aufwachraum, Tagesklinik Klinische Pathologie (Autopsie, Histologie, Zytologie) und Rechtsmedizin Bildgebende Verfahren 2.2 Monitoring und Mitwirkungspflicht der Tarifpartner Mittels eines Monitorings will der Bundesrat ermitteln, ob die Zielsetzung der Verordnung, die Besserstellung der Grundversorger um CHF 200 Mio. und die kostenneutrale Gegenfinanzierung, erreicht wird. Die Tarifpartner sind vom Bundesrat aufgefordert, ihren Mitwirkungspflichten nachzukommen und notwendige Informationen und Daten zur Evaluation der Auswirkungen kostenlos ans Eidgenössische Departement des Innern zu übermitteln. 2.3 Begründung des Bundesrates Als Begründung für die geplanten Eingriffe in den Tarif TARMED wird im Kommentar des Bundesrates festgehalten: Zuschlagsposition 00.0015 + Zuschlag für hausärztliche Leistungen in der Arztpraxis: Die intellektuelle ärztliche Leistung (der Grundversorger) soll durch die Zuschlagsposition gegenüber den technisch dominierten Leistungen aufgewertet werden. Senkung der Technischen Leistungen (TL) um 9% in 14 Kapiteln: Die Technischen Leistungen seien im Vergleich zu den intellektuell ärztlichen in den letzten Jahren überproportional gestiegen, was zudem auf Produktivitätsgewinne schliessen lasse. Aufgrund der Datenlage sieht sich der Bundesrat nicht in der Lage, auf der Ebene einzelner Leistungspositionen Eingriffe vorzunehmen und hat sich daher für eine lineare Kürzung ganzer Kapitel entschieden. Zudem wird damit aus seiner Sicht möglichst wenig in die Tarifstruktur eingegriffen. In der Verordnung ist keine Befristung der Massnahmen bzw. der Eingriffe in den TARMED erwähnt. Im Kommentar zur Verordnung jedoch spricht sich der Bundesrat für eine Befristung der Verordnung aus: [Die finanzielle Besserstellung ist] als Übergangsmassnahme bis zu einer weitergehenden Revision der Tarifstruktur von den Tarifpartnern geplant auf Ende 2015 zu verstehen. 1 1 Kommentar zur Verordnung über die Anpassung von Tarifstrukturen in der Krankenversicherung S.3, vgl. http://www.bag.admin.ch/themen/krankenversicherung/06492/06494/14585/index.html?lang=de&download=nhzlpzeg7t,lnp6i0 NTU042l2Z6ln1acy4Zn4Z2qZpnO2Yuq2Z6gpJCLeoF8fWym162epYbg2c_JjKbNoKSn6A-- 3/5
3 Beurteilung aus Sicht der Tarifexperten der FMH Aus Sicht der Tarifexperten der FMH führen die Massnahmen des Bundesrates zu folgenden Auswirkungen: 3.1 Zuschlagsposition 00.0015 Kurze Arztbesuche beim Grundversorger werden massiv teurer: Eine Kurzkonsultation (bis 5 Minuten) beim Hausarzt wird heute mit 17,76 Taxpunkten verrechnet; neu wird die gleiche Konsultation 28,76 Taxpunkte kosten. Eine analoge Kurzkonsultation, zum Beispiel beim Gynäkologen, wird hingegen weiterhin mit 17,76 Taxpunkten in Rechnung gestellt werden. Der vorgesehene Zuschlag kann deshalb nur eine Übergangslösung sein, bis die Leistungen der Hausärzte über die Gesamtrevision TARMED medizinisch und betriebswirtschaftlich korrekt abgebildet sind. Finanziert wird die Zuschlagsposition 00.0015 nicht ausschliesslich durch die geplanten Kürzungen von Leistungen der Spezialisten sondern auch durch die Patienten direkt: Bei (jungen) gesunden Patienten liegen die Arztkosten pro Jahr oft unter der gewählten Franchisegrenze. Kurze Konsultationen werden in diesem Falle oft selber bezahlt und somit auch die zusätzlichen 11 Taxpunkte bei jedem Arztbesuch. Die Rechnungen der für die Gegenfinanzierung gekürzten günstigeren Spezialleistungen hingegen werden weiterhin fast vollständig den Kassen zur Vergütung zugestellt. Für die Kostenträger ergeben sich dadurch möglicherweise sogar Einsparungen: Die gekürzten Tarifpositionen, welche die Zuschlagsposition finanzieren sollen, werden um 9% günstiger, während ein Teil der Kosten der Besserstellung direkt durch die Patienten getragen wird. 3.2 Gegenfinanzierung Die Kürzung der Technischen Leistung (TL) um 9% ist weder sachgerecht noch betriebswirtschaftlich begründet: Der Bundesrat liefert keine schlüssigen Begründungen für die Höhe der linearen Kürzung und die Auswahl der betroffenen Kapitel (es werden primär Kapitel mit generell hohem Abrechnungsvolumen bestraft ). Selbst die vom Bundesrat als Entscheidungsgrundlage herangezogene TARMED-Evaluation der eidgenössischen Finanzkontrolle kommt zum Schluss, dass sich zu tiefe Vergütungen in der TARMED-Tarifstruktur unter anderem dadurch erklären lassen, dass die Eckwerte für die TL aus den 1990er Jahren stammen. 2 Dieselbe Studie kommt zum Schluss: Insbesondere die Löhne, aber auch die Kosten für Materialien und Medikamente, der Verwaltungsaufwand und die Gerätekosten sind seither gestiegen. 3 Die Kürzung der TL bedeutet vor allem eine Kürzung der Angestellten-Löhne: Durchschnittlich 39% der Kosten, die mit der TL 4 abgedeckt werden, sind Personalkosten. Die Kürzung der Technischen Leistung führt daher faktisch zu einer Mindervergütung für die Löhne des nichtärztlichen Personals 5. Eine Tarifstruktur hat die gesetzliche Aufgabe, die Kosten für die Erbringung medizinischer Leistungen realistisch und betriebswirtschaftlich korrekt abzubilden. Durch die Eingriffe des Bundesrates in die Tarifstruktur TARMED wird bis auf weiteres der gesetzliche Auftrag an eine sachgerechte und betriebswirtschaftliche Tarifstruktur nicht erfüllt. 2 Vgl. EFK, Evaluation TARMED (2010), Das Wesentliche in Kürze, S. III. 3 EFK Evaluation TARMED (2010), Hauptbericht, S.31. 4 Die Technische Leistung (TL) enthält die Kosten für die gesamte Infrastruktur, unter anderem Personal-, Miet- und Baukosten als auch Kosten für Geräte und Apparaturen. 5 Die für die Berechnung aller Kosten hinterlegten Daten stammen für 35 von 37 Kapiteln aus den 1990er Jahren. Das bedeutet, die heute abgegoltenen Personalkosten entsprechend dem Lohnniveau vor circa 20 Jahren. Tatsächlich sind die Löhne in der genannten Zeitspanne aber um ca. 20% gestiegen und wurden in den Kostenmodellen des TARMED seit Einführung nicht angepasst. 4/5
Für Fragen oder Rückmeldungen sind wir gern für Sie da. Sie erreichen uns per E-Mail unter tarife.ambulant@fmh.ch oder telefonisch unter 031 359 12 30. Mit freundlichen Grüssen Dr. med. Ernst Gähler Vizepräsident FMH, Verantwortlicher Ressort Ambulante Tarife und Verträge Schweiz Roger Scherrer Leiter Ressort Ambulante Tarife und Verträge Schweiz 5/5