Landtag von Baden-Württemberg 13. Wahlperiode Drucksache 13 / 3817 30. 11. 2004 Antrag der Abg. Birgit Kipfer u. a. SPD und Stellungnahme des Justizministeriums Präventionsarbeit der AIDS-Hilfen in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten, 1. welchen Stellenwert die Landesregierung der Präventionsarbeit der AIDS-Hilfen in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten in den vergangenen zehn Jahren eingeräumt hat, welche Mittel dafür aufgebracht wurden und welche Zuständigkeiten innerhalb der Landesregierung dafür existieren; 2. in welchen Justizvollzugsanstalten, mit welchen Formen und jeweils in welchem Umfang Präventionsangebote der AIDS-Hilfen gemacht werden a) zur Substitution, b) zu HIV, HBV, HCV, STD und c) zu Hepatitis; 3. weshalb die ca. 150 Plätze für die Substitution, die es für drogenabhängige Häftlinge in Baden-Württemberg in Justizvollzugsanstalten gibt, nicht ausgeschöpft werden; 4. ob es zutrifft, dass die präventiven Hilfsmittel der AIDS-Hilfe in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten nur unzureichend an die Häftlinge weitergegeben werden und was dafür ursächlich ist; 5. welche Präventionsangebote etwa Taschenapotheken als Ergänzung bzw. Alternative zur Präventionsarbeit der AIDS-Hilfen in welchen baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten gemacht werden; Eingegangen: 30. 11. 2004 / Ausgegeben: 14. 01. 2005 1
6. welche Kosten für die einzelnen Beratungsangebote der AIDS-Hilfen anfallen; 7. wie hoch der Anteil des Landes an der Präventionsarbeit der AIDS-Hilfen an baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten ist und in welcher Höhe die AIDS-Hilfen die Arbeit aus Eigenmitteln bzw. Drittmitteln finanzieren. 30. 11. 2004 Kipfer, Sakellariou, Ursula Haußmann, Stickelberger, Birzele, Braun, Maurer, Weckenmann, Wichmann SPD Begründung Die Zuständigkeit für die Präventionsarbeit der AIDS-Hilfen an baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten ist bisher offensichtlich nicht klar innerhalb der Landesregierung zuzuordnen. Angesichts der Bedeutung, die selbst die Landesregierung der Präventionsarbeit der 13 AIDS-Hilfen in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten einräumt, und vor dem Hintergrund der mittelfristig nicht gesicherten Finanzierung der Arbeit sowie der Problemlagen bei der Umsetzung der Präventionsarbeit vor Ort in den Justizvollzugsanstalten, stellt sich die Frage nach dem Stand und den Perspektiven der Präventionsarbeit der AIDS-Hilfen in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten. Stellungnahme Mit Schreiben vom 22. Dezember 2004 Nr. JUM 4551/0162 nimmt das Justizministerium namens der Landesregierung zu dem Antrag wie folgt Stellung: 1. Welchen Stellenwert hat die Landesregierung der Präventionsarbeit der AIDS- Hilfen in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten in den vergangenen zehn Jahren eingeräumt, welche Mittel wurden dafür aufgebracht und welche Zuständigkeiten existieren dafür innerhalb der Landesregierung? Die Landesregierung hat im Jahre 1987 in Abstimmung und in Ergänzung zu den Maßnahmen des Bundes und der übrigen Länder ein Aktionsprogramm AIDS mit dem Ziel beschlossen, die Bevölkerung vor Infektionen zu schützen, ein Netz von Beratungs- und Betreuungseinrichtungen für AIDS-Kranke und -Infizierte aufzubauen und ein Klima der Solidarität mit den Betroffenen zu schaffen. In diesem Kontext wurde mit der Förderung der AIDS-Hilfe-Vereine begonnen. Das Aktionsprogramm AIDS hat mit dazu beigetragen, dass die zunächst befürchtete epidemische Ausbreitung der HIV-Infektion in der Bevölkerung ausgeblieben ist. Die AIDS-Prävention gehört auch weiterhin zu den gesundheitspolitischen Schwerpunktaufgaben, um eine Ausbreitung der immer noch tödlich verlaufenden Krankheit zu verhindern. Dabei gilt es, die Präventionsarbeit derart weiterzuentwickeln, dass sie adäquate Antworten auf Tendenzen zu riskantem Verhalten findet und neue Risikogruppen erreicht, wie beispielsweise Migranten und die jetzt heranwachsende Generation, in der häufig kein hinreichendes Bewusstsein für die Gefahren einer HIV-Infektion mehr vorhanden ist. Hierzu zählt auch die Frage der geeigneten Betreuung von gefährdeten Häftlingen. Die Arbeit der AIDS-Hilfen bildet dabei eine notwendige Ergänzung der Beratung und Gesundheitsvorsorge durch die Aidsfachkräfte im öffentlichen Gesundheitsdienst, denn der besondere Zugang der AIDS-Hilfen zu den Risikogruppen ermöglicht eine niedrigschwellige Präventionsarbeit. Deshalb ist die Förderung der AIDS-Hilfen in Baden-Württemberg nach wie vor von hoher Bedeutung. 2
Die HIV- und Hepatitis-Prävention im Justizvollzug ist eine wichtige Aufgabe des öffentlichen Gesundheitswesens. Durch Zusammenarbeit der Justizvollzugsanstalten mit externen Stellen soll Kontinuität von Prävention und Behandlung vom Antritt bis über das Ende der Haftstrafe hinaus gewährleistet sein. Dabei setzt der baden-württembergische Justizvollzug auf: Gesundheitliche Aufklärung und Information der Gefangenen; freiwillige HIV-Tests und Prävention; Verfügbarkeit von Kondomen; Hepatitis-Screening und -prävention bei Risikogruppen; Fortbildung des Vollzugspersonals zum Thema Gesundheit; Prävention vor Entlassung und Hafturlaub. Die Landesregierung schätzt die Fachkompetenz und das Engagement der AIDS- Hilfe Baden-Württemberg e. V. (Landesverband der 13 baden-württembergischen AIDS-Hilfen) bei der Risikominimierung von HIV, Hepatitis und anderen Krankheiten im Justizvollzug. In der unmittelbaren Beratung von Gefangenen weisen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AIDS-Hilfen Erfahrung, Sachverstand und Engagement auf. Dies alles soll im Rahmen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit (vgl. 154 Abs. 2 StVollzG) zum Nutzen der betroffenen Gefangenen in den Vollzug eingebracht werden. Als ehrenamtliche Mitarbeiter mit bestimmten Rechten und Pflichten haben die in der AIDS-Hilfe Tätigen dazu alle Möglichkeiten. Die Zusammenarbeit wird jedoch dadurch erschwert, dass sich die AIDS-Hilfen für einen risikobewussten Drogenkonsum in Haft und für eine Spritzenvergabe in Justizvollzugsanstalten aussprechen, um die Gefahren eines möglichen Drogenkonsums in Haft zu minimieren. In politischen Initiativen, insbesondere aber auch in der Beratungstätigkeit vor Ort treten die Verantwortlichen dafür ein. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu der in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern vertretenen abstinenzorientierten Auffassung (zur Spritzenvergabe im Justizvollzug vgl. Landtagsdrucksache 12/928). Es ist schwer, bei den AIDS-Hilfen Verständnis für die Ablehnung der Spritzenvergabe im Vollzug zu erlangen. Gleichwohl fand am 9. Dezember 2004 auf Initiative des Justizministeriums ein bereits längerfristig geplantes Gespräch mit Vertretern der AIDS-Hilfe e. V. statt, bei dem Probleme und künftige Formen der Zusammenarbeit erörtert wurden (dazu s. u. 5.). Grundsätzlich ist für Maßnahmen zur Bekämpfung von AIDS das Sozialministerium zuständig. Ein entsprechender Haushaltsansatz ist im Einzelplan 09 in Kapitel 0922 Titelgruppe 76 ausgewiesen. Die Förderung der AIDS-Hilfen seit dem Haushaltsjahr 1999 wurde im Zuge der Beantwortung des Antrags der Abgeordneten Andreas Hoffmann u. a. der CDU-Fraktion betreffend die Situation der AIDS-Hilfe-Gruppen in Baden-Württemberg (Landtagsdrucksache 13/3656) ausführlich dargestellt. Danach betrug der Landeszuschuss für die AIDS-Hilfe Vereine insgesamt jährlich zwischen 445.000 und 472.000, im laufenden Haushaltsjahr wurden Landesmittel in Höhe von 450.200 zugewiesen. Im Justizhaushalt stehen keine weiteren Mittel zur Förderung der AIDS-Hilfe Baden-Württemberg e. V. zur Verfügung. Die Landeszuschüsse werden pauschal zur Finanzierung der Personal- und Verwaltungskosten gewährt. Einzelne Beratungsleistungen werden nicht gesondert vergütet und sind daher von den AIDS-Hilfen im Rahmen des Förderverfahrens auch nicht speziell auszuweisen. Jede AIDS-Hilfe bildet ihre individuellen Tätigkeitsschwerpunkte nach dem konkreten Bedarf vor Ort und legt damit eigenverantwortlich fest, in welchem Umfang und für welche Zielgruppe Angebote bestehen. Dies gilt auch für die von den AIDS-Hilfen geleistete Präventionsarbeit in den baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten. Von daher kann keine Aussage darüber getroffen werden, welche Kosten in den jeweiligen AIDS-Hilfen hierfür anfallen. Innerhalb der Landesverwaltung ist das Sozialministerium für die AIDS-Hilfe zuständig. Soweit vollzugliche Fragen betroffen sind, liegt die Zuständigkeit beim Justizministerium. Die dabei gebotene arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischen den Ressorts verläuft problemlos. 3
2. In welchen Justizvollzugsanstalten, mit welchen Formen und jeweils in welchem Umfang werden Präventionsangebote der AIDS-Hilfen gemacht a) zur Substitution, b) zu HIV, HBC, HCV, STD und c) zu Hepatitis? Für junge Gefangene bieten zwei AIDS-Hilfen regelmäßige Präventionsveranstaltungen im Vollzug an. Neuzugänge in der JVA Stuttgart werden alle sechs Wochen ca. zwei Stunden durch die AIDS-Hilfe Stuttgart e. V. informiert. In der JVA Adelsheim ist die Jugendhilfe Unterland e. V. alle zwei Monate für ca. drei Stunden präsent. Hier geht es in erster Linie um Infektionsvorbeugung bei HIV und Hepatitiden (Risiko und Schutz bei Sex, Drogengebrauch, Tätowierung, Piercing). Es wird auch auf die Möglichkeit von Substitution hingewiesen. Hierfür entrichten die Justizvollzugsanstalten 125 pro Veranstaltung. Betreuung und Beratung von HIV-infizierten Gefangenen werden von den örtlichen AIDS-Hilfen in den Justizvollzugsanstalten Bruchsal mit Außenstelle Kislau, Freiburg, Heilbronn, Pforzheim, Karlsruhe mit Außenstellen, Rottenburg, Schwäbisch Gmünd und Stuttgart angeboten. In der Regel finden Einzelgespräche und Gruppenangebote statt. Zurzeit gibt es nach Auskunft der AIDS-Hilfen relativ wenige HIV-Positive in Haft, die betreut werden (2004: rund 20 Inhaftierte). In den Jahren 2000/2001 betreuten die AIDS-Hilfen fast 60 Betroffene. 3. Weshalb werden die ca. 150 Plätze für die Substitution, die es für drogenabhängige Häftlinge in Baden-Württemberg in Justizvollzugsanstalten gibt, nicht ausgeschöpft? Der Antrag geht davon aus, dass es für drogenabhängige Gefangene in Baden- Württemberg ca. 150 Plätze für die Substitution gibt. Das trifft bereits im Ansatz nicht zu. Anders als zum Teil in der Sozial- und Drogentherapie ist die Substitution nicht an bestimmte Haftplätze gebunden. Das Justizministerium hat mit der Verwaltungsvorschrift vom 1. Juli 2002 (Die Justiz S. 404) jedoch die verwaltungsmäßigen Voraussetzungen geschaffen, dass Gefangene fachgerecht substituiert werden. Dazu haben nahezu alle Anstaltsärzte die Fachkunde Suchtmedizin erworben. In der Folge wurde die Substitution erheblich ausgeweitet. In der Vergangenheit konnten nahezu alle Anträge berücksichtigt werden. In einigen Fällen musste die Substitution jedoch abgelehnt werden, weil die medizinischen Voraussetzungen nicht vorlagen. Nur in wenigen Fällen konnte eine Substitution aus vollzuglichen Gründen nicht erfolgen, etwa weil die gebotene psychosoziale Begleitung nicht verfügbar war. Derzeit werden rund 200 Gefangene in Baden-Württemberg substituiert. Man kann davon ausgehen, dass von den etwa 8.600 Gefangenen in Baden-Württemberg ein Drittel drogenabhängig sind. Die meisten sind politoxikoman, sodass eine Substitution aus medizinischen Gründen ausscheidet. Nur zehn Prozent aller drogenabhängigen Gefangenen dürften eine reine Heroinabhängigkeit aufweisen und daher für eine Substitution in Betracht kommen (rund 300 Gefangene). Dabei ist zu berücksichtigen, dass heroinabhängige Gefangene oftmals eine Offenlegung ihrer Abhängigkeit scheuen, weil sie dadurch Nachteile bei Vollzugslockerungen und Strafrestaussetzungen befürchten. 4. Trifft es zu, dass die präventiven Hilfsmittel der AIDS-Hilfe in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten nur unzureichend an die Häftlinge weitergegeben werden und was ist dafür ursächlich? Etwaige Mängel sind dem Justizministerium nicht bekannt. 4
5. Welche Präventionsangebote etwa Taschenapotheken werden als Ergänzung bzw. Alternative zur Präventionsarbeit der AIDS-Hilfen in welchen baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten gemacht? Studierende der Fachhochschule für Sozialwesen Esslingen unter Leitung von Prof. Dr. Lochmann haben in der Jugendstrafanstalt Adelsheim mit Jugendstrafgefangenen das Präventionsbüchlein Drogen, Aids und Hepatitis erarbeitet. Es soll die Gruppenarbeit mit jugendlichen Straftätern und Drogenkonsumenten im Jugendstrafvollzug verbessern. Auf dieser Grundlage soll künftig in der Jugendstrafanstalt Adelsheim Präventionsarbeit geleistet werden. Außerdem veranstaltete eine Projektgruppe der Esslinger Hochschule für Sozialwesen im April 2004 einen Projekttag in der Justizvollzugsschule Stuttgart für 28 Justizvollzugsbedienstete in Ausbildung zur Gesundheitsförderung im Justizvollzug. Bei dem oben (Ziff. 1) erwähnten Gespräch im Justizministerium wurde erörtert, in den Justizvollzugsanstalten bzw. an der Justizvollzugsschule Praktiker und Praktikerinnen durch Vertreter der AIDS-Hilfen in der HIV-Prävention zu schulen. Grundlage sollen die Arbeitsmaterialien Risikominimierung im Strafvollzug der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. sein. Die sog. Taschenapotheke enthält Zellstofftupfer, Desinfektionsmittel, Wattepäckchen, Wundpflaster und Kondome. Vordergründig dient die Taschenapotheke zur Ersten Hilfe und zur Infektionsprophylaxe. Eine Ausgabe im Vollzug ist überflüssig, weil sich die Gefangenen insoweit an den Anstaltsarzt und die Mitarbeiter in der Krankenabteilung wenden können und von dort versorgt werden. In den Krankenabteilungen sind auch Kondome erhältlich. Das Desinfektionsmittel kann aber auch zur Desinfektion von Drogen-Spritzen gebraucht werden. Insoweit fördert es den intravenösen Drogenkonsum im Vollzug und ist gegenüber einer abstinenzorientierten Drogenhilfe kontraproduktiv. Im Übrigen stellt es eine gewisse Vorstufe zur Spritzenvergabe dar. 6. Welche Kosten fallen für die einzelnen Beratungsgebote der AIDS-Hilfen an? und 7. Wie hoch ist der Anteil des Landes an der Präventionsarbeit der AIDS-Hilfen an baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten und in welcher Höhe finanzieren die AIDS-Hilfen die Arbeit aus Eigenmitteln und Drittmitteln? Wegen der seit 1997 erfolgten Mittelreduzierungen werden sämtliche im Staatshaushaltsplan für den Bereich AIDS verfügbaren Haushaltsmittel zur Förderung der 13 AIDS-Hilfe-Vereine und einer weiteren Einrichtung in Freiburg verwendet, um das geschaffene Netz von Beratungs- und Betreuungseinrichtungen nicht in seinem Bestand zu gefährden. Der individuelle Schwerpunkt der Tätigkeit der jeweiligen AIDS-Hilfe richtet sich wie ausgeführt (Ziff. 1) nach dem konkreten Bedarf vor Ort. Hiernach richtet sich auch, in welchem Umfang für welche Zielgruppe Beratungsangebote bestehen. Einzelne Beratungsleistungen werden wie dargestellt nicht gesondert vergütet und sind daher von den AIDS-Hilfen im Rahmen des Förderverfahrens nicht speziell auszuweisen. Die Mitarbeiter in den AIDS-Hilfen sind in der Regel Sozialarbeiter und werden nach BAT IV (a oder b) vergütet. Eine Beratungsstunde kostet daher rd. 30 Euro zuzüglich Fahrtkosten. Aus den dargelegten Gründen ist es nicht möglich, einen Landesanteil für die Tätigkeit im Justizvollzug zu berechnen. Dr. Goll Justizminister 5