Sonderthema Oktober 2016 Fiskalpolitik: Besser höhere staatliche Investitionen als Steuersenkungen Zinsersparnisse in voller Höhe zur Ausgabenerhöhung verwendet Trotzdem keine signifikanten Konjunkturwirkungen der Staatsausgaben Lockerung der fiskalischen Zügel ist gerechtfertigt Erheblicher Nachholbedarf bei den öffentlichen Investitionen Postbank Research Seite 1
Team Postbank Research Dr. Marco Bargel Chefvolkswirt marco.bargel@postbank.de Heinrich Bayer heinrich.bayer@postbank.de Dr. Lucas Kramer lucas.kramer@postbank.de Heinz-Gerd Sonnenschein heinz-gerd.sonnenschein@postbank.de www.postbank.de Redaktionsschluss: 28. September 2016 Deutsche Postbank AG Zentrale Friedrich-Ebert-Allee 114-126 53113 Bonn Telefon: (0228)920-0 Disclaimer: Alle hier veröffentlichten Angaben erfolgen unverbindlich und stellen Informationsmaterial dar, also weder eine Anlageberatung noch eine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf irgendeines Wertpapiers. Die Informationen in diesem Dokument wurden aus Daten erarbeitet, von deren Richtigkeit ausgegangen wurde; die Deutsche Postbank AG garantiert diese jedoch nicht. Die Angaben dienen ausschließlich zur Information, die dem Investor eine selbständige Anlageentscheidung erleichtern soll. Postbank Research Seite 2
Fiskalpolitik: Besser höhere staatliche Investitionen als Steuersenkungen Angesichts sprudelnder Steuereinnahmen und anhaltender Budgetüberschüsse hat in Deutschland eine Diskussion um die Verwendung der staatlichen Mehreinnahmen eingesetzt. Während einige Vertreter der politischen Parteien eine Steuerentlastung befürworten, möchten andere die Ausgaben für öffentliche Infrastrukturinvestitionen ausweiten oder mehr Geld für die Unterstützung sozial schwacher Bevölkerungsgruppen bereitstellen. Doch wie sind derartige Vorschläge vor dem Hintergrund der zu erwartenden Konjunkturentwicklung und den anstehenden Herausforderungen für Deutschland zu beurteilen? Bevor diese Frage beantwortet werden kann, soll zunächst ein Blick auf die Entwicklung und Struktur der Staatsausgaben in den vergangenen Jahren geworfen werden. Zinsersparnisse in voller Höhe zur Ausgabenerhöhung verwendet In Deutschland sind die Staatsausgaben in den letzten Jahren stärker gestiegen als in anderen Ländern des Euroraums. 2014 und 2015 gaben Bund, Länder und Kommunen hierzulande 2,2% bzw. 3% mehr aus als im jeweils vorangegangenen Jahr. Seit 2011 sind die öffentlichen Ausgaben um insgesamt knapp 7% gewachsen. Deutschland belegt unter den großen Euro-Staaten damit den ersten Platz. Lediglich in Österreich sowie ein paar kleineren EWU-Staaten sind die öffentlichen Ausgaben im genannten Zeitraum etwas schneller gewachsen. Im Unterschied zu Deutschland haben viele Euro-Staaten ihre Staatsausgaben angesichts hoher öffentlicher Budgetdefizite, einer hohen Staatsverschuldung und steigender Belastungen infolge einer langanhaltenden Rezession in den vergangenen Jahren reduziert oder zumindest konstant gehalten. Dies gilt vor allem für die Peripheriestaaten der Eurozone, wo es im Zuge der Finanzkrise zu einer rapiden Verschlechterung der fiskalischen Situation kam. Relativ starke Ausweitung der Staatsausgaben in Deutschland Noch beeindruckender fällt die Bilanz aus, wenn man sich die Entwicklung der Staatsausgaben ohne die Zinszahlungen der öffentlichen Hand, also die sogenannten Primärausgaben, anschaut. Hier beträgt der Anstieg in Deutschland seit 2011 knapp 10%. Auch bei den Primärausgaben hat Deutschland damit unter den großen die Nase vorn. Die Tatsache, dass die Primärausgaben in den vergangenen Jahren schneller gestiegen sind als die Gesamtausgaben bedeutet, dass die mit dem niedrigeren Zinsniveau verbundenen, nicht unerheblichen Einsparungen in vollem Umfang zur Erhöhung anderer Ausgabenbereiche genutzt wurden. Der Rückgang der jährlichen Zinszahlungen von Bund, Länder und Kommunen um insgesamt gut 28% seit 2011 zeigt den immensen Spielraum, der sich den öffentlichen Haushalten bei der Gestaltung ihrer Ausgaben durch das niedrige Zinsniveau eröffnet hat. Trotzdem keine signifikanten Konjunkturwirkungen der Staatsausgaben Der relativ dynamischen Ausgabenentwicklung entsprechend hat sich die öffentliche Hand auf den ersten Blick zu einem wichtigen Träger des BIP- Wachstums in Deutschland entwickelt. Postbank Research Seite 3
2015 trugen Konsumausgaben und Investitionen von Bund, Länder und Gemeinden 0,6 Prozentpunkte zum Wachstum bei, das entspricht gut einem Drittel des gesamten BIP-Wachstums im Vorjahr. In diesem Jahr dürfte der Wachstumsbeitrag der öffentlichen Hand mit einem ¾ Prozentpunkt sogar noch größer ausfallen. Für die Beurteilung der vom öffentlichen Haushalt ausgehenden Konjunkturimpulse ist allerdings nicht allein die Ausgabenseite relevant. Denn wenn steigende Ausgaben teilweise oder ganz über höhere Steuereinnahmen finanziert werden, stehen den wachstumssteigernden Effekten auf der Ausgabenseite wachstumsdämpfende Effekte auf der Einnahmenseite gegenüber. Letztere entstehen dadurch, dass die Einkommen der Haushalte und/oder Erträge der Unternehmen stärker belastet werden und dementsprechend weniger Mittel für Konsum oder Investitionen bereitstehen. Als ein Maß für die konjunkturellen Wirkungen der Fiskalpolitik kann die Entwicklung des sogenannten strukturellen Budgetdefizites herangezogen werden, das ist der konjunkturbereinigte Saldo der öffentlichen Haushalte in einer Periode. Nimmt das strukturelle Defizit zu, so kann von einem positiven Konjunkturimpuls der Geldpolitik ausgegangen werden und umgekehrt. Zwischen 2011 und 2015 war in Deutschland ein deutlicher Rückgang des strukturellen Defizits bzw. der Übergang zu einem strukturellen Überschuss zu beobachten, so dass die Fiskalpolitik trotz des beschriebenen Wachstums der öffentlichen Ausgaben tatsächlich konjunkturdämpfend gewirkt hat. 2016 und 2017 ist bei einem weiterhin hohen Ausgabenwachstum mit einem sinkenden strukturellen Überschuss im öffentlichen Haushalt zu rechnen. Somit dürfte die Fiskalpolitik das erste Mal seit der Finanzkrise wieder einen positiven Konjunkturbeitrag liefern. Lockerung der fiskalischen Zügel ist gerechtfertigt Angesichts der schnellen, nachhaltigen Konjunkturerholung und der gestiegenen Staatsverschuldung in Deutschland war es durchaus gerechtfertigt, nach Überwindung der durch die Finanzkrise ausgelösten Rezession zunächst einen Kurs der Haushaltskonsolidierung zu verfolgen. Auch ging es in den letzten Jahren darum, den im Stabilitätspakt verankerten Defizit- und Verschuldungsgrenzen durch eine konsequente Konsolidierungspolitik wieder mehr Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Dies war vor dem Hintergrund der umfangreichen Finanzhilfen für einzelne Krisenstaaten und der massiven Interventionen der EZB an den Staatsanleihemärkten eine notwendige Strategie. Denn Finanzhilfen und Anleihekäufe der Notenbank setzen den Sanktionsmechanismus fiskalpolitischen Fehlverhaltens durch einen Anstieg der Marktzinsen quasi außer Kraft. Um überhaupt noch einen Anreiz zur Haushaltskonsolidierung zu schaffen, müssen marktwirtschaftliche Sanktionsmechanismen daher durch eine glaubwürdige institutionelle Regelung zur Begrenzung öffentlicher Defizite ersetzt werden. Genauso richtig ist es aber auch, die fiskalischen Zügel vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden konjunkturellen Verlangsamung in Deutschland jetzt weiter zu lockern. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich die günstigen konjunkturellen Rahmenbedingungen in den kommenden Jahren in unveränderter Form fortsetzen Staat hat vor allem die konsumtiven Ausgaben erhöht Postbank Research Seite 4
Spielraum zum Abbau des strukturellen Budgetüberschusses Dagegen fließen z.b. Ausgaben für die öffentliche Infrastruktur in vollem Umfang in den Wirtschaftskreislauf und erzeugen somit Wachstum. Empirische Studien haben gezeigt, dass der Wachstumseffekt insbesondere bei Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur und in die Bildung sehr hoch und nachhaltig ist. Erheblicher Nachholbedarf bei den öffentlichen Investitionen werden. Der Private Konsum hat in den letzten Jahren stark vom Anstieg der realen Einkommen infolge sinkender Energiepreise profitiert. Dieser Trend wird sich in dieser Form nicht fortsetzen, zumal der Ölpreis inzwischen eine nachhaltige Trendwende vollzogen hat und die Realeinkommensentwicklung zunehmend belasten wird. Von der Geldpolitik sind keine nennenswerten Konjunkturimpulse für die deutsche Volkswirtschaft mehr zu erwarten, da der Spielraum für weitere Maßnahmen weitgehend ausgeschöpft ist und eine nochmalige Lockerung der Geldpolitik angesichts der bereits historisch niedrigen Zinsen wirkungslos verpuffen würde. Hinzu kommt, dass der Außenhandel das BIP- Wachstum wegen des anhaltend schwachen globalen Konjunkturumfelds in den kommenden Jahren belasten bzw. keinen positiven Wachstumsbeitrag mehr leisten wird. Vor diesem Hintergrund sollte der Spielraum zu einer weiteren Rückführung des strukturellen Budgetüberschusses in den kommenden Jahren genutzt werden, um das BIP-Wachstum zu stützen. Prinzipiell kann der Abbau eines strukturellen Budgetüberschusses durch Steuersenkungen und/oder eine Ausweitung der öffentlichen Ausgaben erfolgen. Mit Blick auf die konjunkturellen Wirkungen ist eine Erhöhung der Staatsausgaben effizienter als eine Senkung von Abgaben. Denn i.d.r. wird ein Teil des zusätzlichen verfügbaren Einkommens, das durch geringere Steuern entsteht, gespart und trägt somit nicht zu einem Anstieg der Wirtschaftsleistung bei. Unabhängig von den Wirkungen der Fiskalpolitik auf Konjunktur und Wachstum stellt sich aber auch die Frage, ob das aktuelle Niveau und die Struktur der Staatsausgaben den künftigen Herausforderungen Deutschlands gerecht werden. Hier sind Zweifel angebracht. Nach der Finanzkrise wurden nämlich vor allem die sogenannten konsumtiven Ausgaben des Staates ausgeweitet. Diese wuchsen von 2011 bis 2015 um insgesamt 15%. Am aktuellen Rand ist hier vor allem wegen der Ausgaben im Zusammenhang mit dem Flüchtlingszustrom eine beschleunigte Entwicklung zu beobachten. Die öffentlichen Investitionsausgaben stiegen im gleichen Zeitraum dagegen nur um knapp 7%. Dementsprechend hat auch der Anteil der staatlichen Investitionen am Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen Jahren nicht zugenommen. Er lag 2015 bei 2,1% und damit nicht nur marginal niedriger als 2011 (2,3%), sondern auch unter dem EWU-Durchschnitt von 2,6%. Es ist unbestritten, dass sich bei den öffentlichen Investitionen in Deutschland inzwischen ein erheblicher Nachholbedarf aufgebaut hat. Die Kommunen selbst schätzen den Investitionsrückstand auf gut 130 Mrd. Euro. Investiert der Staat in den kommenden Jahren nicht erheblich mehr in die Infrastruktur, droht Deutschland in wichtigen Bereichen, vor allem bei der Digitalisierung und Bildung, zurückzufallen. Hinzu kommt, dass die geringen staatlichen Investitionen auch für die vergleichsweise schwache Investitionstätigkeit der Unternehmen in Deutschland verantwortlich sind. Insofern könnte zumindest ein Teil der Investitionsmisere im privaten Sektor durch höhere öffentliche Investitionen überwunden werden. Postbank Research Seite 5
Angesichts der konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen Deutschlands in den kommenden Jahren sollten bestehende Spielräume zu einer Ausweitung der öffentlichen Investitionen genutzt werden. Es besteht für die öffentliche Hand keine Notwendigkeit anhaltende Budgetüberschüsse zu realisieren. Selbst bei einem ausgeglichenen Haushalt würden die in der Schuldenbremse sowie im Stabilitäts- und Wachstumspakt verankerten Defizitgrenzen von Deutschland bei weitem eingehalten. Aus heutiger Sicht würden den öffentlichen Haushalten 2016 und 2017 rund 24 Mrd. Euro zusätzlich zur Verfügung stehen, wenn der zu erwartende strukturelle Budgetüberschuss in Höhe von jeweils 0,4% des BIP vollständig abgebaut würde. Allerdings werden davon rund 6 Mrd. Euro für die verfassungsrechtlich gebotene Erhöhung des Grundfreibetrags und des Kinderfreibetrags sowie den vom Bundesfinanzministerium geplanten Ausgleich für die kalte Progression benötigt. Somit stünden in 2016 und 2017 zusätzlich noch rund 18 Mrd. Euro für höhere Investitionsausgaben der öffentlichen Hand zur Verfügung. Das entspricht immerhin fast 30% der staatlichen Investitionen eines Jahres. Laut Schuldenbremse wäre es dem Bund sogar erlaubt, ein strukturelles Defizit von 0,35% des BIP zu realisieren, was einem zusätzlichen Betrag von gut 10 Mrd. Euro entsprechen würde. Allerdings sollte dieser Spielraum nicht ausgeschöpft werden, sondern als Puffer bereitgehalten werden, um das Risiko eines unerwarteten Verstoßes gegen die Schuldenbremse möglichst gering zu halten. Dr. Marco Bargel Prognosen Postbank Deutschland 2015 2016e 2017e Reales BIP in % ggü. Vj. 1,7 1,8 1,2 Privater Verbrauch 2,0 1,6 1,5 Bruttoanlageinvestitionen 1,7 2,6 1,9 Staatsverbrauch 2,7 3,6 1,2 Exporte 5,2 2,8 2,8 Importe 5,5 3,4 4,0 Außenbeitrag* 0,2 0,0-0,3 Lagerinvestitionen* -0,5-0,2 0,2 Arbeitslosenquote in % 6,4 6,1 6,4 Inflationsrate in % 0,3 0,5 1,5 Staatl. Finanzierungssaldo** 0,7 0,5 0,3 * Wachstumsbeiträge in % des BIP ** in % des BIP Postbank Research Seite 6