Studienseminar Koblenz Wahlmodul 181 Integration von Schülern mit Migrationshintergrund PISA 2003 Jugendliche aus Familien mit Migrationshintergrund - insbesondere solchen Familien, die als tägliche Umgangssprache eine andere Sprache als Deutsch verwenden - bleiben im Durchschnitt deutlich unter den Kompetenzniveaus, die 15-Jährige erreichen, deren Eltern beide in Deutschland geboren wurden. Das gilt nicht nur für die Lesekompetenz, sondern - teilweise verstärkt - auch für die anderen Lernbereiche. Die Förderung von Schülerinnen und Schülern aus Familien vergleichbarer Zuwanderungsgruppen gelingt in anderen Ländern teilweise besser als in Deutschland. Die niedrigeren Leistungsergebnisse von Jugendlichen aus Migrationsfamilien drücken sich auch in einer unterproportionalen Beteiligung an Bildungsgängen aus, die zu höheren Schulabschlüssen führen. Die entscheidende Hürde beim Übergang in diese Bildungsgänge ist dabei das Fehlen einer ausreichenden Lesekompetenz. www.mpib-berlin.mpg.de/pisa 1
"Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." Ludwig Wittgenstein Die Beherrschung der Sprache ist nicht nur für die Integration der ausländischen Kinder wichtig, sondern ebenso für die Persönlichkeitsentwicklung, die Lernfähigkeit und die Bildungskarriere Zukunftsfähigkeit hängt sehr stark von der Kommunikationsfähigkeit ab. Verein zur Förderung des Gedankenguts Atatürks in Bad Kreuznach, 2005 Der Erwerb der Schulsprache ist für Einwandererkinder auch dann eine besondere Hürde, wenn sie mit der Alltagssprache relativ gut klarkommen 2
Projekt zur Sprachförderung von Einwandererkindern Sommer-Camp, organisiert vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und der Jacobs-Stiftung in 2005: 150 Kinder spielten Theater und erhielten begleitend Sprachunterricht Ergebnis: Explizite Förderung in Form von Sprachunterricht ist unverzichtbar. Es sollten Sprachstrukturen erlernt und in vielfältigen Zusammenhängen angewandt werden. (Stanat in DIE ZEIT, 30.06.2005) Schulerfolg und Bildungsnähe Laut PISA hat ein Schüler aus bildungsfernem Milieu eine etwa 4-fach geringere Chance zum Abitur zu gelangen als Kinder aus einem Akademikerhaushalt "Nicht die soziale Herkunft entscheidet über den Schulerfolg, sondern die Bildungswilligkeit (Dt. Philologenverband zu den Ergebnissen der PISA-Studie) 3
Die Bedeutung der Muttersprache Die Beherrschung der Muttersprache ist eine wesentliche Voraussetzung für das erfolgreiche Erlernen einer zweiten Sprache, hier Deutsch Korrekte Grammatik ist wichtig zum Erschließen von Inhalten Sprachenlernen beinhaltet, dass es ausreichend Gelegenheit zum Sprechen gibt Sprachentwicklung und Identitätsbildung Zur Sprachentwicklung und zur Identitätsbildung ist es unentbehrlich, beide Sprachen zu entwickeln Der Abbruch der Förderung in der Herkunftssprache behindert auch die Entwicklung in der deutschen Sprache 4
mathematische und naturwissenschaftliche Aufgaben bewältigen Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: die richtigen sprachlichen Grundlagen helfen, komplexe mathematische und naturwissenschaftliche Aufgaben besser zu verstehen und zu lösen. Elsbeth Stern, 2005 Der aktive und der passive Wortschatz GfdS Gesellschaft für deutsche Sprache, Wiesbaden, 2005 Aktiver Wortschatz 8.000 10.000 Wörter Passiver Wortschatz 75.000 100.000 Wörter - 6-jährige 14.000 Wörter - 16-jährige 45.000 60.000 Wörter (Entwicklungspsychologin Sabine Stahl in der Sendung v. 29.10.2005, 8.30 Uhr in swr2/wissen) Gesamtwortschatz v. Goethe 90.000 Wörter ) 5
Sprachlernen ist ein konstruktiver Selbstorganisationsprozess Ich habe geesst zeugt von linguistischer Kompetenz Kinder übernehmen keine fertigen Sprachmuster, sondern konstruieren unbewusst vorläufige Regeln, wenden sie an und entwickeln sie weiter Begriffe werden situativ und im Kontext gelernt neue Begriffe werden mit bereits bekannten abgeglichen und so ausgeschärft Sprache ist ein Mittel, um sich die Welt anzueignen Sprache ist unverzichtbar für das Wissensgedächtnis und das biographische Gedächtnis sprachliche Lernhilfen regen das Gehirn an, seine Denkund Lernprozesse in Begriffen/in Sprache zu organisieren Sprachliche Defizite ausgleichen nicht, indem man das Kind dauernd verbessert und korrigiert, auf es einredet statt dessen ganzheitliche Sprachförderung : - die Sinne schulen - sich ausprobieren, rennen und hüpfen - sich in einer Gemeinschaft positionieren - Gefühle wie Freude, Trauer oder Wut erleben - emotionale Kontrolle erlernen begleitet von einem sprachlichen Austausch über das eigene Erleben Ingeborg Becker-Textor, ausgebildete Erzieherin und Sozialpädagogin 6
Was kann ich als Lehrer tun? Die Sitznachbarn und Partner bei Gruppenarbeit bestimmen; es sollten stets Schüler ohne Migrationshintergrund sein Die besonderen Probleme in der Klasse thematisieren Die besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse für den Unterricht nutzbar und diese so für alle sichtbar machen Sprechanlässe schaffen Sprachförderprogrammen in Deutsch bzw. den Herkunftssprachen ergänzend Unterricht in der Muttersprache muttersprachlicher Fremdsprachenunterricht Schüleraustausch mit den Herkunftsländern dieser Schüler Fremdsprachenassistenten aus diesen Ländern Angebote zur bilingualen Alphabetisierung 7
Projekte des Landes Rheinland-Pfalz im Rahmen des BLK-Programms Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund 1. Entwicklung eines Sprachfördernetzwerkes in einem mittelstädtischen Raum 2. Ausbildungsvorbereitung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf eine qualifizierte Berufsausbildung in der Pflege (AMquiP) Projekte Heinrich Böll Stiftung, Projekt FUMI, Martinsstr. 2, 55116 Mainz, Tel. 06131/ 905260; mainz@boell-rlp.de Stiftung Mercator GmbH aus Essen, 6,6 Millionen Euro für 35 Projekte, um Begabungsreserven zu entfalten 8
Hilfsangebote performative Spiele zur Sprachförderung Erzählwerkstatt family literacy Verbesserung der Zugangschancen zur Berufsbildung für Jugendliche Was kann der einzelne Fachlehrer tun? Integrative Sprachförderung Wortschatzübungen viel Wert auf das Beherrschen von Begrifflichkeiten legen,wortlisten führen Wortfelder vorgeben und die Schüler zum Verbalisieren von Inhalten anleiten häufiger Wechsel der Darstellungsformen beim Umgang mit Texten Wortgeländer, Kärtchentisch, Lernkartei, Zuordnungs- und Einsetzübungen 9
Hemmungen zu sprechen abbauen Sprechbausteine anbieten Begriffe definieren und vorgeben anbieten sich einen Helfer zu suchen, z.b. als Übersetzer Freiraum zu eigenständigem Lernen und Üben geben den sprachlichen Austausch untereinander fördern Mit Fehlern behutsam umgehen und diese nur im passenden Umfang korrigieren Wie mit Sprachfehlern umgehen? beim Vorstellen komplexer Gedankengänge diese nicht stören Vorträge und Präsentationen nicht unterbrechen Fehler nicht kommentieren, sondern nebenbei korrigieren, z.b. durch Lehrer- Echo, Zusammenfassungen durch den Lehrer, durch Anschreiben von Begriffen als Formulierungshilfen Lernplakat mit Wortlisten aufhängen 10
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Zahlen etwa jeder zehnte Einwohner ist Ausländer (2005) davon lebt die Hälfte schon länger als 20 Jahre in Deutschland Der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss unter Ausländern sinkt kontinuierlich: 1973 71,6 % 1993 35,7 % Anteil ausländischer Schüler an deutschen Schulen: 9,4 %, an Sonderschulen sind 15 % ausländischer Herkunft (1999) 42,6 % der ausländischen und nur 5,7 % der deutschen Schulabgänger haben keine Ausbildung begonnen (Jahrgänge 1965 1974) 1995 war jeder 6. Jugendliche (15 19 J.) in einem Ausbildungsverhältnis, aber nur jeder 13. türkische Jugendliche hatte einen festen Ausbildungsplatz Quelle: MPI für Bildungsforschung, Berlin Migrationsprozesse sind immer auch sozial selektiv Gastarbeiter und die Folgegeneration Asylanten Flüchtlinge Spätaussiedler jüdische Kontingentflüchtlinge 12
Literatur Stern, Elsbeth: Der dumme Streit um die Intelligenz. Die Leistungen von Einwandererkindern. In: DIE ZEIT 31/2005 Stern, Elsbeth (Prof. am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin) : Sprache als das wichtigste Denkwerkzeug, unter www.mykinsey-bildet.de/html/04 bildungswerkstatt/bwl vortraege 02 php Leisen, Josef (Hrsg.): Methoden-Handbuch Deutschsprachiger Fachunterricht (DFU). Anregungen, Tpps und Hilfen für den Unterricht mit Nicht-Muttersprachlern im Fach, Varus Verlag, Bonn 2003 Becker-Textor, Ingeborg: 10 Grundsätze des Erziehens. Verlag Herder; Freiburg i.br. 2002 Becker-Textor, Ingeborg: Lernen ohne Druck. Verlag Herder, Freiburg i. Br. 2002 Schuch, Joachim: Psychosoziale Bedingungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. SGB VIII-Online-Handbuch, Hrsg. Ingeborg Becker-Textor u. Martin R. Textor 13