Warum wird ein Kind Opfer oder Täter? Suche nach auslösenden Bedingungen

Ähnliche Dokumente
Häusliche Gewalt und die Folgen für die Kinder

Oppawsky, Eike, Zelz, Wech, Böck, G rau, Resilienzforschung. Impulse für ein Lehrerhandeln zwischen Risiko und Resilienz

Gegen Bullying, Mobbing

Diagnose und Prognose in der Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen

Die Gleichaltrigen. LS Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie

Stress, psychische Gesundheit und Schule

Abstract Professor Dr. Holger Ziegler Fakultät für Erziehungswissenschaft, Universität Bielefeld

Risiko Gewalt - Erscheinungen jugendlichen Gewaltverhaltens. Mrz-09 H. Kastner 1

Mobbing Eine besondere Form der Schulgewalt. Folgen von Bullying. ... Schwere Schäden an Leib und Seele... Dipl. Soz. Stefanie von Bargen

Frühe Bindungen und Sozialisation

Sexueller Missbrauch in Institutionen. Zartbitter e.v. Definition und Fakten. Ursula Enders 2012 mit Illustrationen von Dorothee Wolters

Expertise Neue Medien und Gewalt

Therapiebedürftige Kinder und Jugendliche im Schulalter. Erfahrungen aus psychotherapeutischer Sicht und präventive Ansätze

Risiko- und Schutzfaktoren

Quälgeister und ihre Opfer

Adaptation in der Familie Geschwisterkonstellationen mit einem behinderten Kind

Das Risikofaktorenkonzept

Erziehung oder Peergroup: Wer ist stärker?

VÄTER IN BALANCE. Warum ist es wichtig, dass sich Väter in Kindertagesstätten einbringen? Vertiefungstext 2

Entwicklungspsychologie für die Jügendhilfe

Schulvermeidendes Verhalten Schulabsentismus

Kindeswohlgefährdung. Ceyda Geiter Dipl. Sozialarbeiterin (FH)

Vorlesung Sportpädagogik WS 2014/2015 Prof. Dr. W.-D. Miethling HERZLICH WILLKOMMEN ZUR VORLESUNG SPORTPÄDAGOGIK

- Auswirkungen und Handlungsoptionen - Vernetztes Handeln

Herausforderung für Betroffene, Eltern und Pädagogen

Stärkung der sozialemotionalen. von Kindern am Beispiel Papilio-3bis6. Katja Pfalzgraf am auf der Fachtagung Gesundheitsförderung

Prügelknabe oder Angstbeißer Zu- Mutungen!?

Störung des Sozialverhaltens. Dr. Henrik Uebel Universität Göttingen Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie

Nach PISA. Inge Seiffge-Krenke. Stress in der Schule und mit den Eltern. Bewältigungskompetenz deutscher Jugendlicher im internationalen Vergleich

Bowling for Columbine

Kinder- und jugendpsychiatrische Aspekte aggressiven Verhaltens

ETZ-Gruppe Kleve e.v. MUK

Lombro Lombr sos Verbrechertypen

Resilienz in der Jugendarbeit mit Jugendlichen im Alter von Jahren

Individuelle Risikofaktoren

Was können besorgte Eltern tun?

LV Entwicklungswissenschaft I: Biopsychosoziale Grundlagen der Entwicklung

Mobbing - Prävention und Intervention

Was macht Kinder stark? «Konflikte konstruktiv lösen»

Ursachen jugendlicher Gewaltbereitschaft

Kinderschutz und frühe Hilfen für Familien

2.2 Gängige Definitionen Einteilung der Bullying-Handlungen 16

Gewalterfahrungen in der Familie und deren Folgen

SozialarbeiterIn: Name, Vorname: Anschrift: Geburtsdatum:..

Medien und Materialien zu dem EU-Projekt PIE - Partners in Education

Erste Ergebnisse aus dem NFP52-Projekt: Mobbing im Kindergarten: Entstehung und Prävention. Françoise D. Alsaker Christof Nägele Stefan Valkanover

Triple P im Überblick

Kinder stärken, gemeinsam für mehr Gesundheit. Herzlich Willkommen. Gemeinsam für mehr Gesundheit

Einige Tipps von Dr. Brunner - Hantsch

Jungen in der Heimerziehung und sexuell grenzverletzende Jungen

Inhaltsverzeichnis. Einleitung I. Kinder aus alkoholbelasteten Familien im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter... 19

Jugenddienst der Kantonspolizei St. Gallen

Mobbing: Einmal durch die Hölle und zurüc

Hilfe bei häuslicher Gewalt

Workshop zum Thema Förderung sozialer Kompetenzen und Zivilcourage und Prävention von Mobbing und Schulgewalt

GEWALTPRÄVENTION UND SCHULENTWICKLUNG Analysen und Handlungskonzepte

Mobbing aufgrund von Fremdheit. Seminar zum Thema Heterogenität Dienstag, Uhr Bildungswissenschaften Modul 2.4 Fr. Dr.

Papilio Das Programm zur Primärprävention gegen Sucht und Gewalt: Aber warum denn schon im Kindergarten?

Dem Phänomen Mobbing auf der Spur

Wenn Eltern psychisch krank sind: Forschungsstand und Erfordernisse der Praxis

Psychisch auffällige Jugendliche: Risiken und frühe Hilfen. Prof. Dr. Rainer Richter Bundespsychotherapeutenkammer

Kinder aus alkoholbelasteten Familien

Kulturelle Aspekte der Bindung in der Migrationssituation als Chance oder Hindernis für die Gesundheit des Kindes. Frederic Lwano REFUGIO München

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Leben in Gemeinschaft - Konflikte im Alltag

Herzlich willkommen zum Elternabend Stärke statt Macht

SCHULE ALS HAUS DES LEBENS. Modul 8.2: Lebensproblemzentrierter Unterricht Dozentin: Frau Dr. Lütjen Von: Conny Kauth

Wirksamkeit von ambulanten Hilfen bei Gefährdung

4. Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung

*Dresden, April 2012

Präventionsprogramme - mehr als die Summe seiner Teile? Heidrun Mayer Prof. Dr. Herbert Scheithauer

Wer sind die Täter? Welche Täterstrategien gibt es?

Verunsichert, ängstlich, aggressiv

Bindungsbasierte Therapie für früh und schwerst traumatisierte Kinder und ihre Bindungspersonen

Gewalt und Gewaltprävention

Angebotskatalog für Referate, Workshops und Seminare

Familien stärken- Förderung von Resilienz

Kinder suchtkranker und psychisch kranker Eltern eine besondere Herausforderung für die Hilfesysteme Rede nicht! Traue nicht! Fühle nicht!

Weiterbildungsseminar. Dissoziales Verhalten bei Kindern und Jugendlichen in der Schule. Der Einfluss der Gleichaltrigen und Wege, damit umzugehen

Kinder- und Jugend- Gesundheitsbericht 2010 für die Steiermark

Bedeutung der Peergruppe Gliederung

GER_C2.0606S. Bilinguale Erziehung. Education and children Speaking & Discussion Level C2 GER_C2.0606S.

Psychologische Aspekte von Cybermobbing und die Rolle individueller Kompetenzen

Jenseits des Denkens in Täter- und Opferprofilen

Veränderte Kindheit? Wie beeinflusst der aktuelle Lebensstil die psychische Gesundheit von Kindern?

Depression in der Adoleszenz

Die im Dunkeln sieht man nicht

Lehrbuch Erziehungspsychologie

Was Kinder, Eltern und Erzieherinnen stark macht

Die im Dunkeln sieht man nicht

Manche Menschen üben einen fast unwiderstehlichen Reiz auf uns aus. Sie wirken

Gender Budgeting in den Hilfen zur Erziehung. Eine gemeinsame Präsentation von IMMA und dem Stadtjugendamt

Herzlich Willkommen an der DKSS Reinheim Thema: SOZIALES LERNEN

Überblick. Frühe Bildung als Thema in der Entwicklungspsychologie: Die Kindergruppe als bedeutsamer Entwicklungskontext

Anlage 3. Lotsenbogen Indikatoren für eine mögliche Kindeswohlgefährdung. Zuständige Lehrerin/zuständiger Lehrer: Datum:

Epidemiologie der spezifischen Phobien

Beeinflussen sich erziehungsschwierige Schüler negativ? Zum Risiko von negativem Peereinfluss in sonderpädagogischen Fördergruppen

Cybermobbing in der Schweiz: Ergebnisse der netteen Studie

Papilio. Papilio. Tagung Papilio und U-3-Betreuung, 16. Juni 2010, Köln. Papilio e.v. 1. Der Ablauf. Papilio. Papilio

Geschlechtsspezifische Wirkungen von PFADE und Geschlechtsunterschiede bei problematischem Sozialverhalten von Kindern und Jugendlichen

Transkript:

Warum wird ein Kind Opfer oder Täter? Suche nach auslösenden Bedingungen generell: jeder und jede eher Bedingungen als Ursachen Kumulation von Risiken, keine kausalen Zusammenhänge auf der Suche nach Ursachen, muss einerseits festgestellt werden, dass eigentlich jedes Kind unter bestimmten Bedingungen und Einflüssen zum Täter oder zum Opfer werden kann andererseits kann man generell nicht von Ursachen sprechen, sondern viel mehr von Bedingungen, die das Auftreten von Bullying mildern oder erhöhen es gibt keine kausalen Zusammenhänge, bei deren Zusammentreffen ein Kind grundsätzlich zum Täter bzw. Opfer wird lediglich eine Kumulation verschiedener Faktoren kann das Risiko erhöhen oder senken Zusammenspiel von... individuellen Risikofaktoren schulische Risikofaktoren familiäre Risikofaktoren Risikofaktoren innerhalb der Peergroup Seite 1 von 9

Relevanz der Sozialisationsfelder Prägend für den Umgang mit Gewalt und Aggression sind demnach die verschiedenen Sozialisationsfelder der Heranwachsenden Rolle der Erziehung (Sroufe) der Schweizer Entwicklungspsychologe Alan Sroufe hält Erziehung für den wichtigsten Faktor bei Verhaltensproblemen keine Schichtabhängigkeit aggressiven Verhaltens aggressives Verhalten ist ihm zufolge erziehungs-, nicht aber schichtabhängig obwohl sich hinter massiven Erziehungsfehlern überdurchschnittlich häufig schwierige familiäre Lebensverhältnisse verbergen Lösel/Bliesener gehen infolge ihrer Studie davon aus, dass die familiären Verhältnisse bei Täter und Opfer relativ ähnlich sind Hazler hingegen ist der Ansicht, dass Täter dreimal mehr familiäre Probleme haben als ihre Opfer Seite 2 von 9

Die Ursachenforschung unterscheidet zwischen risikoerhöhenden und risikomildernden Bedingungen. (A) Risikoerhöhende Bedingungen fehlende Längsschnittstudien: welche Faktoren Bedingung, welche Folge? Problem hinsichtlich der risikoerhöhenden Bedingungen ist es zu definieren, welche Faktoren vor dem Auftreten des Bullying bereits vorhanden waren, welche Faktoren mit dem Bullying einhergehen und welche Faktoren als Folge des Bullying eingetreten sind dies kann die Forschung aufgrund fehlender Längsschnittstudien bisher nicht leisten grundsätzlich können einzelne Faktoren eine wesentliche Rolle spielen, schwerwiegendes und längerfristiges aggressives Verhalten ergibt sich aber erst dann, wenn etliche Risikofaktoren kumulieren A.1 Familienbezogene Bedingungen Erziehungsdefizite und erhebliche familiäre Probleme gehören gegenwärtig zu den wissenschaftlich nachhaltig gesicherten Risikofaktoren für aggressives Verhalten Seite 3 von 9

Lernen am Modell (Lösel/Bliesener 2003) Besteht zwischen den Eltern anhaltende Disharmonie, erfolgt die Erziehung teilweise aggressiv, übermäßig streng oder inkonsistent, wachsen die Kinder in einem wenig warmherzigen Umfeld heran oder erfahren sie frühzeitig Misshandlung oder Missbrauch, erhöht sich das Risiko, dass diese Kinder in der Schule oder bereits im Kindergarten ebenfalls gewalttätig auftreten, denn dissoziales Verhalten wird in der Regel am Modell, d. h. am Vorbild der Eltern gelernt (Lösel/Bliesener 2003). intergenerationales Problem (Scheithauer et al. 2003) Scheithauer und Kollegen (2003) bezeichnen Bullying in diesem Zusammenhang als intergenerationales Problem, was bedeutet, dass Kinder, die in der Schule andere viktimisieren, in ihrem häuslichem Umfeld selbst Viktimisierung unterschiedlichster Art erfahren haben. Erschwerend hinzu kommt, die Ablehnung seitens Eltern, weshalb die betroffenen Kinder oft nicht in der Lage sind, adäquate Bindungen zu anderen Personen aufzubauen Geschlechterproblematik Jungen aus problematischen Familienverhältnissen tendieren eher dazu, selbst Täter zu werden, während Mädchen mit ähnlichem familiären Hintergrund sowohl als Täter als auch als Opfer in Erscheinung treten. Grundsätzlich suchen diese, seitens ihrer Familien so massiv vorbelasteten Kinder häufig den Anschluss und die Aufnahme in die Gruppe, dies ist besonders bei Mädchen ausgeprägt Seite 4 von 9

Bedingungen wie ein restriktives und/oder überbehütendes Elternhaus, in dem Kinder nur wenig Durchsetzungsvermögen entwickeln konnten und (möglicherweise) ebenfalls Viktimisierung erfahren haben, prädestinieren sie für Viktimisierung A.2 Schulbezogene Bedingungen Schul- und Klassenklima haben einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung von Problemverhalten: Innerhalb der Klasse scheint weniger der Konkurrenzkampf für aggressives Verhalten bedeutsam zu sein als ein geringer Zusammenhalt und vor allem ein konflikthaftes Klassenklima das Ausmaß der Viktimisierung ist stärker vom Interaktionsklima in der Klasse abhängig, die Aggressionen eines Täter eher von außerschulischen Faktoren Schüler-Lehrerbeziehungen Sozialisationsrolle der Schule: For some children the lack of family stability could mean that within the school community, among their teachers and friends, they experience their most stable and longest known relationships (Besag 1989:100) Seite 5 von 9

Schultyp hat einen Einfluss auf das Ausmaß von Bullying, die Stärke des Einflusses ist bisher jedoch unklar Schul- und Klassenklima einflussreich A.3 Personen bezogene Bedingungen siehe dazu: Notizen aus der VA über Täter und Opfer A.4 Peergroup-Einflüsse Peergroup-Einflüsse gelten in der Forschung zu Jugendkriminalität als besonders bedeutsam Gruppenzugehörigkeit spielt auch innerhalb der Schulklasse eine wesentliche Rolle insbesondere Kinder aus gewaltbelasteten Elternhäusern zeigen verstärkt sie Tendenz sich gewaltbereiten Cliquen anzuschließen was Gewaltbereitschaft häufig massiv verstärkt Seite 6 von 9

viktimisierte Kinder gehören in der Regel keiner Clique an (B) Risikomildernde Bedingungen die risikomildernden Bedingungen sind weniger gut erforscht als die risikoerhöhenden hier erweist sich eine Kumulation als günstig B.1 Familienbezogene Bedingungen Kinder, die in einem gewaltfreien und liebevollen Zuhause aufwachsen, konstruktive Konfliktlösungen erlernen, geraten weniger in die Gefahr Täter oder Opfer zu werden ein hohes Maß an kommunikativen Fähigkeiten und ein gesundes Selbstvertrauen, tragen dazu bei, dass diese Kinder ihre Interessen konstruktiv vertreten können und positive Beziehungen zu Gleichaltrigen aufbauen können Seite 7 von 9

B.2 Schulbezogene Bedingungen Schulerfolg positives Schul- und Klassenklima positives und konstruktives Verhältnis zwischen Lehrer und Schülern Bindung an schulische Werte und Normen B.3 Personenbezogene Bedingungen siehe Notizen der VA zu Tätern und Opfern... außerdem kann: überdurchschnittliche Intelligenz, gutes Planungsverhalten, sichere Bindungen an eine Bezugsperson, aktives Bewältigungsverhalten und positives Selbstwertgefühl B.4 Peergroup-Einflüsse Zugehörigkeit zu einer nicht-delinquenten Gruppe oder gewisse soziale Isolation Seite 8 von 9

Häufig sind es tatsächlich konträre Bedingungen zu den risikoerhöhenden, die sich als risikomildernd erweisen. (C) Faktoren, die keinen Einfluss haben C.1 Schulstandort Großstadt, Kleinstadt, Dorf direktes sozioökonomisches Umfeld der Schule Brennpunktviertel, Villenviertel C.2 Schul- und Klassengröße Seite 9 von 9