Einleitung 1. Einleitung Die Beschaffungsfunktion hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Werttreiber im betrieblichen Management entwickelt. In modernen Fertigungsund Handelsunternehmen stellt die Integration von Fremdleistungen in die eigene Wertschöpfung heute einen kritischen Erfolgsfaktor für die Unternehmensführung dar. Das statistische Jahrbuch 2010 des statistischen Bundesamtes weist etwa für das produzierende Gewerbe einen Anteil von ca. 70% der typischerweise im Fremdbezug allokierten, zusammengefassten Vorleistungen am Bruttoproduktionswert auf. In einzelnen Branchen, wie der Automobilindustrie, werden sogar Werte von über 80 % erreicht. Damit wird sichtbar, dass in deutschen Unternehmen auf der Beschaffungsseite von einem betrieblichen Wertschöpfungs- und Kostenschwerpunkt gesprochen werden kann. Daher muss auch die Führung der betrieblichen Beschaffungsfunktion den Anforderungen an ein modernes Management gerecht werden. Im strategischen Beschaffungsmanagement ist dafür zu sorgen, dass die Erfolgspotenziale der Beschaffungsfunktion auf den Märkten und im Unternehmen eröffnet und gesichert werden (vgl. Large, 2009, S. 27ff). Im operativen Beschaffungsmanagement sind diese Potenziale in der betrieblichen Praxis zu realisieren. Gesteuert wird dies durch ein effektives Beschaffungscontrolling. Für die erfolgreiche Beschaffungsfunktion ist folglich ein professionelles Management im klassischen Steuerungszyklus aus Planning, Operations und Controlling erforderlich. Betrachten wir das strategische Beschaffungsmanagement im Detail, sind umfassende Planungsaufgaben umzusetzen, um die Beschaffungsfunktion strategisch erfolgreich aufstellen zu können. Dabei greifen insbesondere die folgenden Planungsaufgaben (vgl. Bräkling/Oidtmann, 2012, S. 31-201): Einordnung der Funktion im Unternehmen Strukturierung der Bedarfe in Materialgruppen Durchführung von Bedarfs- und Marktanalysen Portfolioanalyse von Materialgruppen Festlegung von Beschaffungszielen Erarbeitung und Umsetzung von Beschaffungsstrategien Implementierung eines strategischen Lieferantenmanagements Implementierung eines strategischen Organisationsmanagements 1
Einleitung Zur Umsetzung dieser Aufgaben braucht es strukturierte Managementprozesse und -instrumente. Ein wichtiges Managementinstrument stellt dabei die Portfoliotechnik dar. Sie wurde aus dem finanzwirtschaftlichen Bereich heraus entwickelt und in weite Bereiche der strategischen Unternehmensführung transferiert. Ein wichtiger Transferbereich ist auch das Management der Beschaffungsfunktion. In diesem Buch werden die wesentlichen Portfolioansätze, die im strategischen Beschaffungsmanagement zum Einsatz kommen, vorgestellt. Zunächst wird in Kapitel 2 der Ursprungsgedanke der Portfolioanalyse in seinen Grundzügen nach Markowitz zusammengefasst. Kapitel 3 zeigt anschließend kompakt auf, aus welchen Systemelementen sich die Portfoliotechnik grundsätzlich zusammensetzt. Anwendungsfelder der Portfoliotechnik in der strategischen Unternehmensführung, dem Management der Unternehmensfunktionen und speziell im strategischen Beschaffungsmanagement sind Gegenstand von Kapitel 4. Schließlich werden in Kapitel 5 wichtige in der Literatur beschriebene Portfolioansätze vorgestellt, die für das strategische Beschaffungsmanagement von wesentlicher Bedeutung sind. Ein abschließender Vergleich der betrachteten Portfolioansätze und eine Bewertung der Portfoliotechnik insgesamt werden in Kapitel 6 vorgenommen. Studierenden und Unternehmen wird so ein strukturierter Zugriff auf das Thema Portfoliotechnik im strategischen Beschaffungsmanagement gegeben. Beide Adressaten sollen das Thema mit seinen Chancen und Risiken einordnen, Initiativen zur Entwicklung eines unternehmensindividuellen Portfolios einleiten und bei Bedarf gezielt weiterführende Literatur zu spezifischen Portfolioansätzen aufgreifen und einsetzen können. 2
Portfoliotheorie nach Markowitz 2. Die Portfoliotheorie nach Markowitz Als Vorreiter und Begründer der Portfoliotheorie gilt der US-amerikanische Ökonom Harry M. Markowitz. Mit seinem Aufsatz Portfolio Selection im Journal of Finance aus dem Jahr 1952 (vgl. Markowitz, 1952, S. 77-91) legte er den Grundstein für die moderne Portfoliotheorie. Mit Portfolio Selection präsentierte Markowitz Techniken zur Analyse von Wertpapierportfolios, um Investoren auf optimale Anlageentscheidungen hin unterstützen zu können (vgl. Markowitz, 2008, S. 2). Markowitz betrachtet dabei ein Wertpapierportfolio unter Rendite- und Risikogesichtspunkten. Als Rendite ist in diesem Kontext der Return aus einem Portfolio an den Investor zu verstehen. In der Portfolioanalyse wird dafür der Erwartungswert der diskreten Rendite für die betrachtete Anlageperiode zugrunde gelegt, also einfach ausgedrückt, die erwartete bzw. angenommene Verzinsung einer Anlage im Betrachtungszeitraum, die im Ergebnis zu einem Kapitalrückfluss mit konkretem Vermögenszuwachs führt. Das mit einem Portfolio verbundene Risiko ergibt sich aus der Standardabweichung in Bezug auf diese Renditeerwartung (vgl. Spremann, 2006, S. 94). In der Portfolioanalyse werden dann die Faktoren der Rendite und des Risikos integriert. Auf Basis dieser Faktorenintegration ist ein systematischer Vergleich unterschiedlicher Wertpapierportfolios möglich. Dieser systematische Vergleich dient dem Ziel, unter Berücksichtigung der wesentlichen Prämissen eines Investors, wie bspw. steuerlichen oder anderen rechtlichen Beschränkungen, das für ihn bestmögliche Portfolio aus einer Vielzahl von Anlagealternativen zu selektieren. Unter der Prämisse vorgegebene Renditeerwartungen kann z. B. das Wertpapierportfolio mit den geringsten korrespondierenden Risiken ausgewählt werden (Markowitz, 2008, S. 6). Die Portfolioanalyse ermöglicht also die systematische Identifikation des sogenannten effizienten Portfolios mit den besten Rendite-Risiko-Korrelationen innerhalb aller verglichenen Portfolios. Mit diesem Informationspotenzial wird die Portfolioanalyse zu einem wichtigen strategischen Instrument in der Anlage- und Investitionsplanung. Der hier aufgezeigte Ursprungsgedanke zur systematischen Beurteilung komplexer Wirkungszusammenhänge kann heute als Grundlage für die Übertragung der Portfoliotheorie in andere wirtschaftswissenschaftliche Bereiche verstanden werden (vgl. Lindner, 1983, S. 147). Auch dort werden spezifische Portfolio- 3
Portfoliotheorie nach Markowitz techniken eingesetzt, um strategische Entscheidungsprozesse im Unternehmen unterstützen zu können. 4
Grundlagen der Portfoliotechnik 3. Grundlagen der Portfoliotechnik In diesem Kapitel erfolgt eine Aufarbeitung der wesentlichen Grundlagen der Portfoliotechnik. Aufbauend auf einem komprimierten Gesamtüberblick wird aus der Anwendungsperspektive aufzeigt, wie ein Portfolio in der Praxis erstellt und eingesetzt werden kann. Dabei werden die Grundlagen nach Markowitz aufgenommen und in eine praktische Anwendung in der Beschaffungsfunktion transferiert. 3.1 Die Portfoliotechnik im Überblick Gegenstand der Portfolioanalyse sind die Erfolgsobjekte, die ein Portfolioanwender managen möchte. Im ursprünglichen Ansatz der Portfoliotheorie nach Markowitz waren Investoren die Anwender der Portfoliotechnik und die Wertpapiere ihre Erfolgsobjekte. Übertragen auf die Beschaffungsfunktion sind dort die zu beschaffenden Güter, die im Fachterminus als Beschaffungsobjekte bezeichnet werden, die Erfolgsobjekte der Beschaffungsfunktion (Bräkling/Oidtmann, 2012, S. 5). Analog zum Vorgehen nach Markowitz, der Wertpapiere als Erfolgsobjekte mit der Portfoliotechnik unter den Einflussgrößen Rendite und Risiko betrachtete, sind in der Beschaffungsfunktion die Beschaffungsobjekte als Erfolgsobjekte nach definierten Einflussgrößen zu bewerten, um ihre spezifischen Charakteristika herauszuarbeiten. Auf Basis dieser Charakteristika können dann geeignete Normstrategien zum Management der Beschaffungsobjekte abgeleitet werden. In deren Folge hat die Beschaffungsfunktion ihren Bezug in der betrieblichen Praxis so zu managen, dass unter Berücksichtigung aller relevanten Einflussgrößen optimale Ergebnisse für das Unternehmen erzielt werden. Für die konkrete Anwendung der Portfoliotechnik in der Beschaffungsfunktion sind zunächst die konkreten Erfolgsobjekte der Funktion im o.a. Sinne genau zu definieren und die für den Erfolg der Funktion relevanten Einflussgrößen zu identifizieren. Typische Einflussgrößen sind dabei die Auftragsvolumina, die Auftragsfrequenzen, die Anforderungen an die Beschaffenheit der Beschaffungsobjekte, die Lieferantenkapazitäten oder auch die Wettbewerbsintensität auf den Beschaffungsmärkten. Die als wesentlich ausgewählten Einflussgrößen gehen als Analyseparameter in die Portfoliotechnik ein. Dazu werden sie inhaltlich nach unternehmens- bzw. umweltbezogenen Einflussfaktoren untergliedert 5
Grundlagen der Portfoliotechnik und auf zwei Dimensionen verdichtet, den sogenannten Schlüsselfaktoren eines Portfolios. Die unternehmensbezogenen Einflussgrößen haben gegenwärtige und zukünftige Stärken bzw. Schwächen eines Unternehmens in der analysierten Aufgabenstellung zum Gegenstand, die auch vom Unternehmen selbst beeinflusst werden können. In der Beschaffung sind dies beispielsweise die Auftragsvolumina und die Auftragsfrequenzen. Für die Analyse im Portfolio werden diese Einflussgrößen weiter auf einen unternehmensbezogenen Schlüsselfaktor verdichtet, z.b. über einen Index zur Bestimmung der Nachfragemacht eines Unternehmens. Bei den umweltbezogenen Einflussgrößen geht es um die Bewertung zukünftiger und gegenwärtiger Chancen bzw. Risiken für die Beschaffung, die aus der Unternehmensumwelt resultieren (vgl. Lange, 1981, S. 46). Sie werden als gegeben betrachtet und können nicht vom Unternehmen selbst beeinflusst werden (vgl. Lange, 1981, S. 48). In der Beschaffung können dies Einflussgrößen wie das Know-how der Lieferanten oder die Wettbewerbsintensität in spezifischen Beschaffungsmärkten sein. Auch die umweltbezogenen Einflussgrößen werden auf einen Schlüsselfaktor verdichtet, wie etwa die Angebotsmacht der Lieferanten. Diese Ordnung und Verdichtung der Einflussgrößen zu Schlüsselfaktoren dient in der Portfoliotechnik primär der Komplexitätsreduktion multivariater Analyseund Informationsstrukturen. Im Ergebnis spannen die verdichteten Schlüsselfaktoren dann eine Portfolio-Matrix auf. Schlüsselfaktor B: Beispiel: Lieferantenmacht Erfolgsobjekte Beispiel: Beschaffungsobjekte Schlüsselfaktor A: Erfolgspotenzialrelevante Umweltdimension Erfolgspotenzialrelevante Unternehmensdimension Beispiel: Nachfragemacht Abb. 1: Grundschema einer Portfolio-Matrix Quelle: In Anlehnung an Lange, 1981, S.47 6