FG München, Urteil v. 14.06.2012 5 K 506/10 Titel: (Weiterzahlung des Kindergeldes begründet keinen Vertrauenstatbestand - 818 Abs. 3 BGB im Kindergeldrecht nicht anwendbar) Normenketten: 37 Abs 2 AO 70 Abs 2 EStG 818 Abs 3 BGB EStG VZ 2005 EStG VZ 2006 Orientierungsätze: 1. Durch die Weiterzahlung des Kindergeldes wird kein Vertrauenstatbestand begründet. Hinzu kommen müssen besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen. Dem Verhalten der Familienkasse muss also die konkludente Zusage zu entnehmen sein, dass der Kindergeldempfänger mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen braucht. 2. Die Weiterzahlung des Kindergeldes reicht selbst bei Kenntnis der Behörde von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldes führen, allein nicht zur Schaffung eines Vertrauenstatbestandes aus. 3. Der Kläger kann sich gegenüber dem Rückzahlungsanspruch der Familienkasse auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, da 818 Abs. 3 BGB im Kindergeldrecht nicht anwendbar ist. Schlagworte: Änderung der Verhältnisse, Bereicherung, Familienkasse, Haushalt, Kind, Kindergeld, Rückforderung, Rückzahlung, Rückzahlungsanspruch, Steuervergütung, Treu und Glauben, Vertrauenstatsbestand, Weiterzahlung Fundstelle: BeckRS 2013, 94067 Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Tatbestand 1 I. Streitig ist, ob die Festsetzung des Kindergelds für die Kinder S, geboren am ##. November 1990, und D., geboren am ##. April 1992, gegenüber dem Kläger für den Streitzeitraum November 2005 bis Januar 2006 zu Recht aufgehoben, und das für diesen Zeitraum an den Kläger gezahlte Kindergeld zu Recht zurückgefordert wurde. 2 Der Kläger und die Beigeladene sind Eltern der Kinder S und D. Sie verfügten im Streitzeitraum nicht über einen gemeinsamen Haushalt. Nach Wahrnehmung eines Umgangsaufenthalts bei der Beigeladenen kehrten die Kinder nicht wie vorgesehen Ende Oktober 2005 in den Haushalt des Klägers zurück, sondern verblieben bei der Beigeladenen in Frankfurt am Main und besuchten dort ausweislich der Schulbescheinigungen vom #. Juni 2006 ab November 2005 die Schule.
3 Mit Bescheid der ursprünglich zuständigen Agentur für Arbeit Weiden - Familienkasse - vom 19. November 2003 war gegenüber dem Kläger für die beiden Kinder u. a. ab Oktober 2002 Kindergeld festgesetzt worden. Aufgrund dessen wurde an den Kläger bis einschließlich Januar 2006 für jedes Kind Kindergeld in Höhe von 154 monatlich gezahlt. Nachdem der in der Zwischenzeit für den Kläger zuständigen Familienkasse Schwandorf im Januar 2006 mitgeteilt worden war, dass die Kinder seit 1. November 2005 in den Haushalt der Beigeladenen aufgenommen worden waren, hob die Familienkasse Schwandorf nach Durchführung weiterer Ermittlungen und Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 29. August 2006 die Festsetzung des Kindergelds für die Kinder gegenüber dem Kläger ab November 2005 auf und forderte das für den Zeitraum von November 2005 bis Januar 2006 gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 924 zurück. Der hiergegen erhobene Einspruch, den der Kläger damit begründete, dass eine Haushaltsaufnahme in den Haushalt der Beigeladenen nicht vorliege, weil nicht von vornherein die Absicht bestanden habe, dass die Kinder auf Dauer bei der Mutter bleiben würden, blieb nach Ruhen des Einspruchsverfahrens im Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof (BFH) zunächst unter dem Aktenzeichen III B 6/06 und sodann unter dem Aktenzeichen III R 2/07 anhängige Verfahren in der von der nunmehr zuständigen Beklagten (der Familienkasse) erlassenen Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2010 ohne Erfolg. Zuvor hatte der Kläger den Einspruch auf die Aufhebung der Festsetzung des Kindergelds für den Zeitraum November 2005 bis Januar 2006 und Rückforderung des Kindergelds für diesen Zeitraum beschränkt, da das BFH-Urteil vom 25. Juni 2009 III R 2/07, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2009, 968, die Rechtsauffassung der Familienkasse stütze, wonach die Beigeladene die Kinder seit November 2005 in ihren Haushalt aufgenommen habe; mangels groben Verschuldens des Klägers könne aber bereits geleistetes Kindergeld nicht zurückgefordert werden. Ihre Einspruchsentscheidung begründete die Familienkasse unter Hinweis auf das BFH-Urteil in BStBl II 2009, 968, u. a. damit, dass Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und nicht 130 der Abgabenordnung (AO) sei. Auf ein Verschulden des Kindergeldberechtigten komme es insoweit nicht an. 4 In seiner dagegen erhobenen Klage führt der Kläger aus, ihm sei nicht bekannt und auch nicht grob fahrlässig unbekannt gewesen, dass ihm ab November 2005 kein Kindergeld mehr zustehe. Aufgrund seines alleinigen Sorgerechts hätten die Kinder im Sommer 2005 bei ihm in Weiden gelebt. Für den Zeitraum 28. Juli 2005 (gemeint vermutlich 28. Oktober 2005, da die Kinder ausweislich der Schulbestätigung vom 7. Februar 2006 am 28. Oktober 2005 zuletzt am Unterricht in der Realschule in Weiden teilgenommen haben) bis 3. November 2005 sei ein Umgangsaufenthalt der Kinder bei der Beigeladenen vereinbart gewesen, von dem die Kinder nicht zurückkehrten. Ein Antrag auf Herausgabe der Kinder sei erst mit Beschluss des Amtsgerichts Weiden/Oberpfalz vom 30. Mai 2006 zurückgewiesen worden, weil die Kinder in der mündlichen Verhandlung den Wunsch geäußert hätten, bei der Beigeladenen zu bleiben. Er sei aber wegen seines Sorgerechts während des Sorgerechtsstreits von der Rechtswidrigkeit des Aufenthalts der Kinder bei der Beigeladenen und damit von seinem Kindergeldanspruch überzeugt gewesen, wobei diese Rechtsauffassung im Hinblick auf den Umstand, dass die Frage, in wessen Haushalt ein Kind in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden aufgenommen sei, erst kürzlich durch den BFH geklärt worden sei, auch nachvollziehbar sei. Die Abmeldung bei der Familienkasse sei erfolgt, sobald ein Verwandter ihn über die Rechtslage aufgeklärt habe. Nach 130 Abs. 2 Nr. 4 AO wäre eine Rückforderung des Kindergelds selbst dann ausgeschlossen, wenn der Bewilligungsbescheid von Anfang an rechtswidrig gewesen wäre. Im Übrigen habe er das Kindergeld an seine Kinder weitergeleitet, wie der Erklärung des Kindes D vom 8. Februar 2010 zu entnehmen sei. Zumindest sei ein Billigkeitserlass gemäß 227 AO gerechtfertigt. 5 Der Kläger beantragt, den Bescheid der Familienkasse Schwandorf vom 29. August 2006 über die Aufhebung der Festsetzung und die Rückforderung zuviel gezahlten Kindergelds in Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse vom 25. Januar 2010 insoweit aufzuheben, als die Festsetzung des Kindergelds für den Zeitraum November 2005 bis Januar 2006 aufgehoben und das gezahlte Kindergeld zurückgefordert wurde.
6 Die Familienkasse beantragt, die Klage abzuweisen. 7 Zur Begründung verweist sie auf die Einspruchsentscheidung. 8 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten, die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2012 Bezug genommen. Entscheidungsgründe 9 II. Die Klage ist unbegründet. Die Familienkasse Schwandorf hat die Kindergeldfestsetzung zu Recht nach 70 Abs. 2 EStG aufgehoben und das für die Monate November 2005 bis Januar 2006 gezahlte Kindergeld nach 37 Abs. 2 AO zurückgefordert. 10 1. Entgegen der Auffassung des Klägers sind die 130 und 131 AO nicht anwendbar. Denn das einkommensteuerliche Kindergeld ( 62 ff. EStG) wird als Steuervergütung gezahlt ( 31 Satz 3 EStG). Für einen Steuervergütungsanspruch gelten gemäß 155 Abs. 4 AO die Vorschriften für die Steuerfestsetzung sinngemäß. Daraus folgt, dass sich die Aufhebung und Änderung von Bescheiden über die Festsetzung von Kindergeld oder der entsprechenden Ablehnungsbescheide nach den 172 ff. AO richten, soweit nicht 70 Abs. 2 EStG einschlägig ist. Die 130 und 131 AO gelten für Steuerbescheide gemäß 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO ausdrücklich nicht (BFH-Beschluss vom 16. Oktober 2008 III B 126/08, juris). 11 Nach 70 Abs. 2 EStG ist die Festsetzung des Kindergelds mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben oder zu ändern, wenn in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten. Die Regelung betrifft den Fall, dass eine ursprünglich rechtmäßige Festsetzung durch Änderung der für den Bestand des Kindergeldanspruchs maßgeblichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten oder des Kindes nachträglich unrichtig wird (BFH-Urteil vom 20. November 2008 III R 53/05,BFH/NV 2009, 564). Eine Änderung der Verhältnisse i. S. des 70 Abs. 2 EStG ist die Änderung der tatsächlichen oder auch rechtlichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten oder des Kindes. 70 Abs. 2 EStG lässt dabei die rückwirkende Aufhebung oder Änderung der Festsetzung zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nicht nur zu, sondern erzwingt sie bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen, denn die Entscheidung über die Aufhebung oder Änderung ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut eine gebundene Entscheidung und räumt der Behörde keinen Ermessensspielraum ein (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 18/99, BStBl II 2002, 81). 12 Die Kindergeldfestsetzung nach dem EStG für die Kinder S und D zugunsten des Klägers wurde durch Änderung der für den Bestand des Kindergeldanspruchs maßgeblichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten nachträglich unrichtig, da die Kinder im Streitzeitraum November 2005 bis Januar 2006 nicht mehr in den Haushalt des Klägers aufgenommen waren, 64 Abs. 2 Satz 1 EStG. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Danach wurde die Kindergeldfestsetzung für den Streitzeitraum nach 70 Abs. 2 EStG zu Recht aufgehoben. 13 Auf ein Verschulden des Klägers kommt es insoweit nicht an (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BStBl II 2004, 123). 14
2. Da aufgrund der rechtmäßigen Aufhebung der Kindergeldfestsetzung der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes weggefallen war, konnte die Familienkasse Schwandorf gemäß 37 Abs. 2 AO das im Zeitraum November 2005 bis Januar 2006 überzahlte Kindergeld zurückfordern. 15 a) Der auch im Steuerrecht zu beachtende Grundsatz von Treu und Glauben steht dem nicht entgegen. Hier käme als Ausprägung dieses Grundsatzes allein die Verwirkung des Rückforderungsanspruchs in Betracht. Es ist jedoch keine Verwirkung eingetreten. Verwirkung setzt voraus, dass sich der zur Rückerstattung gemäß 37 Abs. 2 AO Verpflichtete nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass dieser das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde. Der Zeitablauf allein (das sog. Zeitmoment) reicht für die Annahme der Verwirkung eines Rückforderungsanspruchs grundsätzlich nicht aus. Hinzu kommen muss ein Verhalten des Berechtigten, aus dem der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden solle (Umstandsmoment oder Vertrauenstatbestand). Schließlich muss der Verpflichtete auch tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich entsprechend eingerichtet haben (Vertrauensfolge). Die Weiterzahlung des Kindergeldes allein reicht insoweit als Vertrauenstatbestand nicht aus. Hinzu kommen müssen besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen. Bei einem Massenverfahren wie im Kindergeldrecht ist dabei ein besonders eindeutiges Verhalten der Familienkasse zu fordern, dem zu entnehmen ist, dass sie auch nach Prüfung des Falles unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger nicht entstehen kann. Dem Verhalten der Familienkasse muss also die konkludente Zusage zu entnehmen sein, dass der Kindergeldempfänger mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen braucht (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2004, 123). 16 An einem solchen - über die Weiterzahlung hinausgehenden - Verhalten der Familienkasse Schwandorf fehlt es im Streitfall. Die Weiterzahlung des Kindergeldes reicht selbst bei Kenntnis der Behörde von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldes führen, allein nicht zur Schaffung eines Vertrauenstatbestandes aus (vgl. auch BFH-Urteil vom 22. September 2011 III R 82/08, BFH/NV 2012, 490). 17 b) Der Kläger kann sich gegenüber dem Rückzahlungsanspruch der Familienkasse Schwandorf auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, da 818 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Kindergeldrecht nicht anwendbar ist (BFH-Beschluss vom 9. Dezember 2005 III B 194/04, BFH/NV 2006, 722). Insofern ist der Sachvortrag des Klägers, er habe das Kindergeld an seine Kinder weitergeleitet, nicht von Bedeutung. Eine Weiterleitung an die Beigeladene hat der Kläger nicht vorgetragen, geschweige denn in geeigneter Form (vgl. insoweit BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 490) nachgewiesen. 18 3. Der Sachvortrag des Klägers, die geschilderten Umstände rechtfertigten einen Billigkeitserlass nach 227 AO, kann der Klage gleichfalls nicht zum Erfolg verhelfen. 19 Abweichende Steuerfestsetzung und Erlass sind Maßnahmen der finanzbehördlichen Billigkeit im Steuerschuldverhältnis, über die in einem vom Steuerfestsetzungsverfahren gesonderten Verfahren durch eigenständigen Verwaltungsakt zu entscheiden ist. Dieser Verwaltungsakt unterliegt, wenn die begehrte Billigkeitsmaßnahme abgelehnt wurde, nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung ( 102 FGO); diese beschränkt sich darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht beachtet wurden oder Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde (BFH-Beschluss vom 27. Juli 2011 I R 44/10, BFH/NV 2011, 2005). Unbeschadet der Befugnis der Familienkasse, verschiedene Verwaltungsakte äußerlich zusammenzufassen, ist auch im steuerlichen Kindergeldrecht zwischen den Regelungen im Festsetzungsverfahren, im Erhebungsverfahren und im Billigkeitsverfahren zu unterscheiden (BFH-
Beschluss vom 24. Oktober 2000 VI B 144/99, BFH/NV 2001, 423; vgl. auch BFH-Beschluss vom 6. Mai 2011 III B 130/10, BFH/NV 2011, 1353). 20 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und der Rückforderung gezahlten Kindergelds, nicht jedoch die Frage der Rechtmäßigkeit der Ablehnung einer Billigkeitsentscheidung. Eine derartige Entscheidung der Familienkasse hat der Kläger bislang weder bei der Familienkasse beantragt, noch hat die Familienkasse bislang insoweit eine Entscheidung getroffen. 21 4. Die Kostenentscheidung beruht auf 135 Abs. 1 und 139 Abs. 4 FGO. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen waren dem Kläger nicht aufzuerlegen. Die Beigeladene hat weder förmliche Sachanträge gestellt, die sie einem Kostenrisiko gemäß 135 Abs. 3 FGO ausgesetzt hätten, noch hat sie das Klageverfahren durch Schriftsätze in der Sache gefördert.