Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien



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Transkript:

Überblick über die Teilrevision 2000 des OECD Musterabkommens Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien von Michael Buchser und Thomas Jaussi *) Eine Aktiengesellschaft kann sich aus mannigfaltigen Gründen veranlasst sehen, eigene Aktien zurück zu kaufen. So kann der Aktienrückkauf gestützt auf eine statutarische Escape-Klausel, im Hinblick auf eine Kapitalherabsetzung erfolgen oder für eine kleinere Gesellschaft die einzige Möglichkeit sein, sich von einem missliebigen Aktionär zu trennen. Zivilrechtlich ist der Rückkauf eigener Aktien heikel, weil er grundlegende aktienrechtliche Prinzipien verletzen kann. Steuerrechtlich stellt der Aktienrückkauf, werde er direkt oder aber indirekt über eine Tochtergesellschaft abgewickelt, in bestimmten Fällen eine direkte Teilliquidation dar. Entsprechend hat der Verkäufer der Beteiligungsrechte einen Kapitalertrag zu versteuern. Aus dogmatischer Sicht schiesst die geltende gesetzliche Regelung mit ihrer Teilliquidationsfiktion über das Ziel hinaus, denn den eigenen Aktien kommt in vielen Fällen ein tatsächlicher wirtschaftlicher Wert zu. Das Steuerrecht fingiert mithin eine Teilliquidation der rückkaufenden Gesellschaft, ohne dass bei dieser eine Entreicherung eingetreten ist. Zahlreiche heikle wie auch ungelöste Fragen, auf die der vorliegende Beitrag eine Antwort geben will, stellen sich beim indirekten Rückkauf eigener Aktien. Une société anonyme peut être amenée pour des raisons les plus diverses à racheter ses propres actions. Ainsi, le rachat d actions peut survenir en vertu d une clause statutaire de sauvegarde, en vue d une diminution de capital ou encore constituer, pour une petite société, l unique possibilité de se séparer d un actionnaire indésirable. Sous l angle du droit civil, le rachat de propres actions est une chose délicate, parce qu il peut violer des principes fondamentaux du droit des sociétés anonymes. Fiscalement, le rachat de propres actions, qu il soit effectué de manière directe ou indirecte, par le biais d une filiale, équivaut dans certains cas à une liquidation partielle directe. Le vendeur des droits de participation doit par conséquent subir l imposition d un rendement de capital. D un point de vue dogmatique toutefois, du fait de la liquidation partielle fictive, la réglementation légale en vigueur manque sa cible, car les actions propres ont fréquemment une valeur économique réelle. Le droit fiscal *) Michael Buchser, lic. iur., Assistent am Institut für Steuerrecht der Universität Bern; Thomas Jaussi, lic. iur. und dipl. Steuerexperte, KPMG Basel. Die Autoren danken den Herren Prof. Dr. iur. Urs R. Behnisch und Prof. Dr. iur. Peter Locher für wertvolle Anregungen und Diskussionen und die kritische Durchsicht des Manuskripts. ASA/Archives 70 Nr. 10 2002 619

Michael Buchser und Thomas Jaussi conçoit ainsi une liquidation partielle de la société acquéreuse, sans que celle-ci ne s en trouve appauvrie. Le rachat indirect de propres actions soulève de nombreuses questions délicates, voire non résolues, auxquelles le présent exposé veut répondre. 1. Rückkauf eigener Aktien im Zivilrecht 1.1. Schranken und Problematik des Rückkaufs 1.1.1. Schranken Nach Art. 659 Abs. 1 OR darf eine Aktiengesellschaft eigene Aktien im Nennwert von höchstens 10% ihres Aktienkapitals 1) erwerben. Werden die eigenen Aktien im Zusammenhang mit einer Übertragbarkeitsbeschränkung zurück gekauft, so beträgt die Limite 20% des Aktienkapitals 2). Diese höhere Grenze ist lediglich auf jene Fälle zugeschnitten, in denen eine Gesellschaft, deren Aktien nicht börsenkotiert sind, den Verkauf von Namenaktien an einen ihr nicht genehmen Interessenten verhindert, indem sie dem Veräusserer der Aktien anbietet, diese zum wirklichen Wert zu übernehmen 3). Zwischen dem Gesuch um Übertragung der Mitgliedschaft und dem Aktienrückkauf besteht dabei zwangsläufig Kausalität. Die über die 10%-Limite hinaus erworbenen eigenen Aktien hat die Gesellschaft innerhalb von zwei Jahren zu veräussern oder durch Kapitalherabsetzung zu vernichten 4). Die Gesellschaft darf eigene Aktien nur erwerben, sofern in der Höhe des Erwerbspreises frei verwendbares Eigenkapital vorhanden ist 5). Zum Erwerb von Aktien, die nicht voll liberiert sind, muss die Gesellschaft über frei verwendbares Eigenkapital in der Höhe des Kaufpreises zuzüglich der ausstehenden Restforderung (non-versé) verfügen 6). Nicht zum frei verwendbaren Eigenkapital gehören das Aktien- und das Partizipationskapital, die Reserve für eigene Aktien, die Aufwertungsreserve 7) sowie die statutarisch zweckgebundenen Reserven und weitere Reserven, deren Bildung die Generalversammlung zu ei- 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) «Aktienkapital» ist in diesem Zusammenhang zu verstehen als «Nominalkapital», denn zur Berechnung des höchstzulässigen Nominalwerts der zurück gekauften Aktien ist das Partizipationskapital ebenfalls einzubeziehen. Art. 659 Abs. 2 OR. Art. 685b Abs. 1 und 4 OR; näheres bei Peter Forstmoser/ Arthur Meier-Hayoz/ Peter Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, 44 N 161 ff. Art. 659 Abs. 2 OR. Art. 659 Abs. 1 OR. Reinhard Oertli, Zum Erwerb eigener Aktien, Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 6 (1994), S. 263 sowie hinten Ziff. 1.2.11. und dort insb. Fn. 58. Art. 671b OR. 620 ASA/Archives 70 Nr. 10 2002

Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien nem bestimmten, nicht mit der Anschaffung eigener Aktien vereinbaren Zweck beschlossen hat 8). Die allgemeine gesetzliche Reserve ist insoweit gesperrt, als sie aus Agio gebildet wurde und die Quote von 50% des Nennkapitals nicht übersteigt 9). Dies ergibt sich einerseits aus der Bestimmung von Art. 671 Abs. 3 OR, welche die Verwendung der durch den Jahresgewinn und das Agio zu speisenden gesetzlichen Reserve in engen Grenzen hält, und andererseits aus dem Einlagerückgewährverbot von Art. 680 Abs. 2 OR, welches u.e. die Rückzahlung des Agios an die Aktionäre untersagt 10). 1.1.2. Problematik und Gefahren des Rückkaufs eigener Aktien In den Aktien sind die Mitgliedschafts- und die Vermögensrechte der Aktionäre verbrieft. Eine Gesellschaft, welche eigene Aktien aktiviert hat, hält daher eine Quote an ihrem eigenen Vermögen. Da die Gesellschaft zu ihrer eigenen Aktionärin wird 11), übernimmt sie ein erhöhtes Risiko: Erleidet sie Verluste, so büssen auch die eigenen Aktien an Wert ein, wodurch bei der Gesellschaft ein zusätzlicher Verlust eintritt. Böckli spricht in diesem Zusammenhang von einem Hebeleffekt 12). Ist die Gesellschaft zur Dividendenausschüttung nicht in der Lage, so bleiben ihre Investitionen in die eigenen Aktien ohne Erträge 13). Der Rückkauf eigener Aktien kann weiter dazu führen, dass aus dem geschützten Gesellschaftsvermögen Leistungen an Aktionäre erbracht werden, mithin eine verbotene Einlagerückgewähr vorgenommen wird 14). Art. 680 Abs. 2 OR verbietet einer Gesellschaft, den Aktionären ihre Einlagen zurück zu erstatten. Dieses Rückgewährverbot umfasst nicht nur das Nominalkapital, sondern auch jegliche Agioeinlagen 15). 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) Zweckgebundene Reserven können indessen von der Generalversammlung durch eine Statutenänderung oder einen zweckändernden Generalversammlungsbeschluss in frei verwendbares Eigenkapital transformiert werden. Ebenso Peter Böckli, Schweizer Aktienrecht, 2. Aufl., Zürich 1996, Rz. 924; a.m. Peter Binder, Das Verbot der Einlagerückgewähr im Aktienrecht, Diss. Bern 1981 sowie Ernst Giger, Der Erwerb eigener Aktien aus aktienrechtlicher und steuerrechtlicher Sicht, Diss. Bern 1995. Begründung dieses Standpunkts und Hinweise auf abweichende Meinungen nachfolgend Ziff. 1.1.32. Dazu die Botschaft des Bundesrates über die Revision des Aktienrechts vom 23. Februar 1983, Bundesblatt 1983 II 745 ff., S. 804: «Der Erwerb eigener Aktien durch eine Gesellschaft ist ein innerer Widerspruch; die Gesellschaft kann nicht ihr eigener Aktionär sein, und sie erwirbt damit nichts, das nicht schon ihr gehörte (...).» Böckli, Aktienrecht (Fn. 9), Rz. 368. Botschaft des Bundesrates über die Revision des Aktienrechts (Fn. 11), S. 805. Vgl. nachfolgend Ziff. 1.1.32. Ebenso Louis Bochud, Darlehen an Aktionäre aus wirtschaftlicher, zivil- und steuerrechtlicher Sicht, Diss. Bern 1991, S. 152; Dieter C. Probst, Die verdeckte Gewinnausschüttung nach schweizerischem Handelsrecht, Diss. Bern 1979, S. 71 und 76; a.m. Binder (Fn. 9), S. 26 ff. ASA/Archives 70 Nr. 10 2002 621

Michael Buchser und Thomas Jaussi Der Erwerb eigener Aktien birgt ausserdem die Gefahr, dass die Machtverhältnisse in der Generalversammlung ins Wanken geraten. Da das Stimmrecht an den eigenen Aktien ruht 16), verschieben sich auch die Verhältnisse der Stimmkraft zwischen Mehrheits- und Minderheitsaktionären oder zwischen allenfalls bestehenden Aktionärsgruppen 17). Schliesslich kann ein Rückkauf eigener Aktien das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot verletzen. Denn mit dem Rückkauf befreit die Gesellschaft den Veräusserer vom Aktionärsrisiko; sie gewährt ihm sinngemäss ein Austrittsrecht 18). Die Ungleichbehandlung der Aktionäre ist nur zulässig, wenn sie durch sachliche Gründe 19) gerechtfertigt erscheint, d.h. wenn sie im allgemeinen Interesse der Gesellschaft liegt; mithin eine durch die Verfolgung des Gesellschaftszwecks geforderte, notwendige Massnahme darstellt 20). 1.1.3. Rechtsfolgen bei Verletzung der Schranken von Art. 659 OR 1.1.31. Überschreitung der Prozentlimiten Die prozentualen Erwerbsobergrenzen von Art. 659 OR stellen, wie bereits unter Art. 659 altor, nach herrschender Lehre eine blosse Ordnungsvorschrift dar 21). Deren Verletzung bewirkt keine Nichtigkeit des Erwerbsgeschäfts. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, nach dem die Nichtigkeit infolge einer Überschreitung der Prozentlimiten nicht als angemessene und sachgemässe Rechtsfolge bezeichnet werden könnte. So hält Giger zu Recht fest, dass ein Verstoss gegen Art. 659 OR unter Umständen durchaus im Interesse der Aktionäre, der Gläubiger oder der Gesellschaft liegen kann 22). Die Rechtsfolge des Verstosses gegen die Erwerbsobergrenzen liegt gemäss Böckli in einer «aktualisierten Handlungspflicht und Verantwortlichkeit von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung» 23). 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) Art. 659a Abs. 1 OR. Giger (Fn. 9), S. 11. Diese Gefahr ist insbesondere nicht zu unterschätzen, wenn eine Gesellschaft über ein erhebliches Partizipationskapital verfügt. Im Extremfall der Ausstattung mit dem höchstzulässigen Partizipationskapital kann eine Gesellschaft eigene Aktien im Umfange von 30% (im Fall von Art. 659 Abs. 1 OR) oder von 60% (im Fall von Art. 659 Abs. 2 OR) des Aktienkapitals zurück kaufen (Peter Nobel, Vom Umgang mit eigenen Aktien, Schriften zum neuen Aktienrecht, Bd. 6, Zürich 1994, S. 25; Böckli, Aktienrecht [Fn. 9], Rz. 383). Vgl. statt vieler Giger (Fn. 9), S. 12 und 63 ff. Böckli, Aktienrecht (Fn. 9), Rz. 391 ff., Forstmoser/ Meier-Hayoz/ Nobel (Fn. 3), 50 N 171; Giger (Fn. 9), S. 63 f., insb. 65; Nobel (Fn. 17), S. 39. Differenzierend Giger (Fn. 9), S. 65 f. Forstmoser/ Meier-Hayoz/ Nobel (Fn. 3), 50 N 173; Giger (Fn. 9), S. 138; Nobel (Fn. 17), S. 26; Andreas von Planta, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht II, Basel 1994, N 11 zu Art. 659 OR. Giger (Fn. 9), S. 135. Böckli, Aktienrecht (Fn. 9), Rz. 401. 622 ASA/Archives 70 Nr. 10 2002

Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien 1.1.32. Erwerb zu Lasten des gebundenen Gesellschaftsvermögens Davon zu unterscheiden sind nun die Rechtsfolgen eines Erwerbs, wenn die Gesellschaft nicht über genügend freies Eigenkapital verfügt. Nach der hier vertretenen Ansicht ist zu differenzieren, ob die eigenen Aktien zu Lasten des Nominalkapitals und des Agios (Fallgruppe 1) oder zu Lasten des gebundenen Gesellschaftsvermögens (Fallgruppe 2) zurückgekauft werden. Bevor auf die spezifischen Schwierigkeiten der beiden Fallgruppen eingegangen wird, sind einige allgemeine Ausführungen angebracht: Das Vermögen einer Aktiengesellschaft ist vom Vermögen der Aktionäre rechtlich weitgehend abgekapselt. Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen zu Gunsten der Aktionäre können nur auf zwei Arten erfolgen: Entweder als Rückleistung von Kapitaleinlagen, mithin unter Beachtung der handelsrechtlichen Vorschriften über die Kapitalherabsetzung 24), oder als Ausschüttungen 25). Jede Nettovermögensverschiebung von der Gesellschaft an ihre Aktionäre ist entweder Einlagerückgewähr oder Ausschüttung 26). Nun bestimmt Art. 680 Abs. 2 OR, der Aktionär habe kein Recht, den eingezahlten Betrag zurück zu fordern. Durch die Statuierung dieses Rückforderungsausschlusses will das Aktienrecht verhindern, dass die Aktionäre die Gesamtheit der Einlagen auf das Gesellschaftsvermögen, welches den Gläubigern zur Befriedigung ihrer gegen die Gesellschaft gerichteten Forderungen verhaftet ist, durch Entnahmen wieder vermindern. Entgegen dem Wortlaut von Art. 680 Abs. 2 OR erfasst das Verbot der Rückforderung nicht nur den eingezahlten Betrag, sondern die gesamte Einlageverpflichtung. Der Aktionär soll nicht nur kein Recht haben, seinen tatsächlich geleisteten Betrag zurück zu fordern, sondern es soll ihm auch verwehrt sein, sich von seiner restlichen Einlagepflicht zu befreien 27). Aus dem Liberierungsbegriff lässt sich ableiten, was unter dem Begriff der Einlage» im Sinne von Art. 680 OR zu verstehen ist. Der Aktienzeichner hat seine bedingungslose Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft erfüllt, wenn er der Gesellschaft Vermögenswerte übertragen hat, welche dem Ausgabebetrag der gezeichneten Beteiligungsrechte, d.h. dem Nennwert und einem allfälligen Agio, entsprechen. Art. 680 Abs. 2 OR richtet sich nicht nur an die Aktionäre, sondern verbietet es der Gesellschaft ebenfalls, den Aktionären ihre Einlagen wieder zurück 24) 25) 26) 27) Art. 732 ff. OR. Peter Böckli, Darlehen an Aktionäre als aktienrechtlich kritischer Vorgang, Der Schweizer Treuhänder 2 (1980), S. 4 ff. Böckli, Darlehen (Fn. 25), S. 4 f. Binder (Fn. 9), S. 25. ASA/Archives 70 Nr. 10 2002 623

Michael Buchser und Thomas Jaussi zu erstatten (eigentliches Rückgewährverbot). Vor einer Rückgewähr geschützt ist dieselbe Vermögenssubstanz wie beim Rückforderungsausschluss, denn wollte man eine Rückerstattung von Einlagen durch die Gesellschaft zulassen, wäre der Kapitalschutz schlichtweg eine Illusion 28). Es ist demnach einer Gesellschaft verboten, den Aktionären ihre Einlagen auf Nominalkapital und Agio wieder zurück zu erstatten 29). Dies gilt entgegen der Ansicht von Kurer selbst dann, wenn das Agio bereits in die gesetzlichen Reserven eingebucht worden ist 30). Auf der Grundlage dieser einleitenden Überlegungen lässt sich nun prüfen, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn eine Gesellschaft eigene Aktien zurückkauft, ohne über (genügend) «frei verwendbares Eigenkapital» zu verfügen. Fallgruppe 1: Erwirbt eine Gesellschaft eigene Aktien, so erhält der Aktionär mit dem Kaufpreis seine ursprünglich geleistete Einlage zurück und überdies den auf die verkauften Beteiligungsrechte entfallenden Anteil an den Reserven der Gesellschaft. Der Kaufpreis, den ihm die Gesellschaft entrichtet, setzt sich, wie bei einer Liquidation der Anteil des Aktionärs am Liquidationsergebnis, aus den beiden Komponenten «Aktionärseinlage» und «Gewinnanteil» zusammen. Daher führt der Rückkauf eigener Aktien immer zu einer Einlagerückgewähr doch ist diese, soweit die Aktionärseinlage aus frei verwendbarem Eigenkapital der Gesellschaft zurück erstattet wird, kraft gesetzlicher Vorschrift zulässig. Denn Art. 659 OR statuiert nichts anderes als eine auf den Sonderfall des Aktienrückkaufs zugeschnittene Rückgewährerlaubnis. 28) 29) 30) Vgl. Peter Kurer, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht II, Basel 1994, N 19 zu Art. 680 OR. Gl. M. Bochud (Fn. 15), S. 214, Probst (Fn. 15), S. 71 und 76. Kurer vertritt die Ansicht, mit der Einbuchung des Agios in die gesetzlichen Reserven gemäss Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1 OR verlasse dieses den Schutzbereich von Art. 680 Abs. 2 OR und sei «nur noch nach den Regeln von Art. 671 Abs. 3 gebunden; daher kann die Gesellschaft indirekt Agio an die Aktionäre zurückführen, sobald die gesetzlichen Reserven die Hälfte des Nennkapitals übersteigen» (N 19 zu Art. 680 OR). Kurer gelangt damit zum selben Ergebnis wie Binder (Fn. 9), welcher in der Hauptsache argumentiert, der Gläubigerschutz erstrecke sich nur auf das Grundkapital (S. 30 f.). Aus folgenden Gründen vertreten wir eine andere Ansicht: Die Einlage über den Nennwert stellt wirtschaftlich betrachtet eine Abgeltung für die anteilsmässige Beteiligung des Aktionärs an bereits bestehenden offenen und stillen Reserven dar; würde sie nicht geleistet, träte eine erhebliche Verwässerung des Gewinnanteils der Altaktionäre ein. Im Gegensatz zu den in den Reserven der Gesellschaft thesaurierten Gewinnen vergangener Geschäftsjahre ist aber die Einlage Investition. Eine Investition dient der Finanzierung der Unternehmungstätigkeit. Wer sie tätigt, erhält u.a. einen quotenmässigen Anteil am Ertrag des früher durch die Altaktionäre investierten Kapitals. Investiertes Kapital bleibt den Ausschüttungen entzogen, gleichgültig, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Höhe es der Gesellschaft zufliesst. Ausschüttbar ist als Ertrag aus einer Investition lediglich Bilanzgewinn (Art. 675 Abs. 2 OR). 624 ASA/Archives 70 Nr. 10 2002

Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien Ein Verstoss gegen das Einlagerückgewährverbot hat gemäss herrschender Lehre die Nichtigkeit des betreffenden Vertrags oder Generalversammlungsbeschlusses zur Folge 31). Selbst Statutenbestimmungen, die einem Aktionär ein Rückforderungsrecht einräumen, sind nichtig 32). Der Erwerb eigener Aktien zu Lasten des Nominalkapitals und des Agios bewirkt daher die Nichtigkeit des Kaufgeschäfts 33). Sowohl das Verpflichtungs- als auch das Verfügungsgeschäft sind von der Nichtigkeit betroffen 34). Andere Standpunkte nehmen diesbezüglich Böckli 35) und Giger ein. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der Argumentation Gigers erscheint uns notwendig zu sein, da er davon ausgeht, die Rechtsfolge der Nichtigkeit greife nur Platz, wenn die Eigenkapitalbasis der Gesellschaft unmittelbar geschwächt werde 36). Diese Argumentation läuft darauf hinaus, dass von einer verbotenen Einlagerückgewähr, welche die Nichtigkeit des Kaufgeschäfts bewirkt, in aller Regel nur dann auszugehen wäre, wenn ein Aktienerwerb zu Lasten des gebundenen Eigenkapitals zugleich eine verdeckte Gewinnausschüttung an den Aktionär darstellt 37). Diese enge Auslegung des Einlagerückgewährverbots ist u.e. nicht zulässig. Das Einlagerück- 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) Binder (Fn. 9), S. 37 f., Sebastian Burckhardt, Der Erwerb eigener Aktien und Stammanteile, Diss. Basel 1983, S. 32 ff., Forstmoser/ Meier-Hayoz/ Nobel (Fn. 3), 50 N 107 ff., Nobel (Fn. 17), S. 26. Kurer (Fn. 28), N 16 zu Art. 680 OR. Burckhardt (Fn. 31), S. 24; Forstmoser/ Meier-Hayoz/ Nobel (Fn. 3), 50 N 174; Nobel (Fn. 17), S. 26, gehen bereits von Nichtigkeit aus, wenn der Erwerb eigener Aktien nicht durch frei verwendbares Eigenkapital finanziert wird. Vgl. Burckhardt (Fn. 31), S. 32. Nach Böckli tritt die Rechtsfolge der Nichtigkeit nur dann ein, «wenn das Kaufgeschäft Gegenstand einer von Wissen und Willen beider Vertragsparteien getragenen Verletzung des Gesetzes ist» (Böckli, Aktienrecht [Fn. 9], Rz. 403). Dieser Meinung können wir uns nicht anschliessen. Denn beim Schutz der Aktionärseinlagen sind subjektive Momente wie die Bösgläubigkeit des Veräusserers oder das Verschulden der Beteiligten unbeachtlich. Giger (Fn. 9), S. 136 ff. Kauft nämlich eine Gesellschaft eigene Aktien zu einem offensichtlich übersetzten Preis zurück, so dass sie zu Gunsten des Aktionärs entreichert wird, und war die Missbräuchlichkeit der Leistung aufgrund des Leistungsmissverhältnisses erkennbar, so erhält der Aktionär eine auf dem Beteiligungsverhältnis gründende Leistung (Leistung causa societatis). Nach Art. 678 Abs. 2 OR steht der Gesellschaft in solchen Fällen ein Rückerstattungsanspruch zu. Entgegen dem Wortlaut von Art. 678 Abs. 2 OR kommt es dabei nicht darauf an, ob die Leistung zudem in einem offensichtlichen Missverhältnis zur wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft steht (Böckli, Aktienrecht [Fn. 9], Rz. 1428 f.; Beat Spörri, Die aktienrechtliche Rückerstattungspflicht, Diss. Zürich 1996, S. 198 ff.; Peter Locher, Die verdeckte Gewinnausschüttung im Aktien- und Steuerrecht, Festschrift Rolf Bär, Bern 1998, S. 255); dafür herrscht in der Lehre mehrheitlich die Auffassung, der Rückerstattungsanspruch bestehe wie bei den «ungerechtfertigten Leistungen» im Sinne von Art. 678 Abs. 1 OR nur gegenüber einem bösgläubigen Leistungsempfänger (Kurer [Fn. 28], N 18 zu Art. 678 OR; Rolf Watter, Verdeckte Gewinnausschüttungen bei Aktiengesellschaften: Die zivil- und handelsrechtliche Sicht, Schriftenreihe der Treuhand-Kammer, Bd. 150, Zürich 1997, S. 153). ASA/Archives 70 Nr. 10 2002 625

Michael Buchser und Thomas Jaussi gewährverbot schützt die Aktionärseinlagen umfassend. Das zentrale Kriterium im Zusammenhang mit dem Rückgewährverbot ist daher, ob das rückgewährgeschützte Kapital den Gläubigern ausreichende Sicherheit bietet. Da jeder Rückkauf eigener Aktien eine potentielle Verschlechterung der Gläubigersicherheiten darstellt, ist im Falle des Rückkaufs zu Lasten des Aktienkapitals und des Agios die Nichtigkeit des Kaufgeschäfts eine angemessene Sanktion. Fallgruppe 2: Auch ein Rückkauf eigener Aktien, den die Gesellschaft zwar aus gebundenem Gesellschaftsvermögen, nicht aber aus Aktionärseinlagen finanziert, stellt eine verbotene Einlagerückgewähr dar, da der Aktionär seine Einlage zurück erstattet erhält und der Vorgang von der begrenzten Rückgewährerlaubnis des Art. 659 OR nicht erfasst wird. Die gesetzlichen Reserven werden durch die Vorschrift von Art. 671 Abs. 3 OR geschützt 38). Der Rückkauf eigener Aktien zu Lasten des gebundenen Gesellschaftsvermögens verstösst demnach gegen Art. 659, Art. 671 Abs. 3 und Art. 680 Abs. 2 OR. Bei Verletzung dieser Vorschriften ist Nichtigkeit als Rechtsfolge anzunehmen, wenn sie sich aus Sinn und Zweck der übertretenen Verbotsnormen ergibt. Mit der Vorschrift von Art. 659 OR hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass der Rückkauf eigener Aktien, welcher zentrale aktienrechtliche Prinzipien wie das Gleichbehandlungsgebot 39) oder das Kapitalrückzahlungsverbot betrifft, grundsätzlich problematisch ist und deshalb nicht uneingeschränkt zugelassen werden darf. Art. 659 OR ist deshalb weder eine Schutznorm, die spezifisch die übrigen Aktionäre vor einer Veränderung der Stimmrechtsverhältnisse oder vor einer Ungleichbehandlung bewahren will, noch eine Bestimmung mit dem vordergründigen Zweck, das Gesellschaftsvermögen vor unberechtigten Zugriffen durch Aktionäre zu schützen. Daher erscheint die Nichtigkeit nicht als sachgemässe und angemessene Rechtsfolge, wenn eine Gesellschaft eigene Aktien zu Lasten des gebundenen Gesellschaftsvermögens zurückkauft. Auch die Verletzung von Art. 680 Abs. 2 OR lässt in einem solchen Falle das Erwerbsgeschäft nicht als nichtig erscheinen, denn trotz der Einlagerückgewähr wird bei einem Rückkauf, der dieser Fallgruppe zuzuordnen ist, nicht das von Art. 680 Abs. 2 OR spezifisch geschützte Kapital angetastet. Zu prüfen bleibt schliesslich, ob die Verletzung von Art. 671 Abs. 3 OR zur Nichtigkeit des Erwerbsgeschäfts führt. Die Reservebildungs- und Reserveverwendungsvorschriften von Art. 671 Abs. 1-3 OR wollen sicherstellen, dass die Gesellschaft in ertragreichen Geschäftsjahren Eigenkapital zurücklegt, welches dem 38) 39) Kurer (Fn. 28), N 20 zu Art. 680 OR. Vgl. dazu die ausführlichen Erläuterungen bei Giger (Fn. 9), S.63 ff. 626 ASA/Archives 70 Nr. 10 2002

Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien Unternehmen in Zeiten schlechten Geschäftsganges zur Verfügung stehen soll. Sie verhindern die Verfolgung einer allzu kurzfristig orientierten Ausschüttungspolitik und dienen damit in erster Linie der Gesellschaft selbst. Werden Bestimmungen verletzt, die der Fortdauer der Gesellschaft dienen, ist die Rechtsfolge mit Blick auf die Auswirkungen des einschlägigen Rechtsgeschäfts (in unserem Fall der Aktienrückkauf) für die Gesellschaft zu beurteilen. Die Nichtigkeit als Rechtsfolge ist angemessen, wenn die Gefahren gegenüber den aus der Sicht der Gesellschaft bestehenden Interessen am Aktienrückkauf überwiegen. Rücken dagegen die Gesellschaftsinteressen die Verletzung von Art. 671 Abs. 3 OR in den Hintergrund oder ist der Aktienrückkauf sogar als Notwendigkeit zu betrachten, kann die Nichtigkeit keine sachgerechte Rechtsfolge sein. Beim Erwerb der eigenen Aktien zu Lasten des gebundenen Vermögens ist daher vorerst abzuklären, welchen Gefahren das Gesellschaftskapital ausgesetzt wird 40). Sodann ist zu prüfen, welche Interessen den Aktienrückkauf als geboten erscheinen liessen: Beispielsweise diente der Rückkauf dazu, eine unfreundliche Übernahme abzuwehren oder sich von einem missliebigen Aktionär zu trennen 41). Welche Rechtsfolge aus der Verletzung von Art. 671 Abs. 3 OR resultiert, geht erst aus dieser Abwägung hervor. Daher muss eine minimale Rechtsunsicherheit leider in Kauf genommen werden 42). 1.2. Der Erwerb teilliberierter eigener Aktien 1.2.1. Im Grundsatz: Zulässigkeit Dem derivativen Erwerb teilliberierter eigener Aktien steht grundsätzlich nichts entgegen 43). Die Gesellschaft kann beim Rückkauf die Restforderung an den Aktionär, das non-versé, mit dem Kaufpreis verrechnen, oder aber die teilliberierten Aktien zum tatsächlichen Wert (Verkehrswert) vollständig liberierter Aktien zurück kaufen womit die Liberierungsverpflichtung auf sie übergeht. 40) 41) 42) 43) Diese sind relativ gering, wenn es sich um rege an der Börse gehandelte Aktien handelt, oder wenn der Gesellschaft bereits zum Rückkaufszeitpunkt ein oder mehrere spätere Käufer bekannt sind. Grösser sind sie in der Regel, wenn die Gesellschaft nicht börsenkotiert ist, einen sehr engen Aktionärskreis aufweist, oder wenn sie seit längerer Zeit Verluste schreibt. Beispiele bei Giger (Fn. 9), S. 135. Die Lösung Böcklis (vgl. Fn. 35) hat dem gegenüber den Vorteil, dass sie der Rechtssicherheit eher dient: Aufgrund des Kriteriums des «Komplotts» der Vertragsparteien gegen die Schutznorm lässt sich die Rechtsfolge genauer abschätzen. Burckhardt (Fn. 31), S. 30; Giger (Fn. 9), S. 122; Oertli (Fn. 6), S. 263. ASA/Archives 70 Nr. 10 2002 627

Michael Buchser und Thomas Jaussi 1.2.11. Rückkauf unter Verrechnungserklärung Die Voraussetzungen zur Verrechnung gemäss Art. 120 OR sind in der Regel erfüllt. Die Fälligkeit der Verrechnungsforderung wird durch eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Aktionär aufgrund eines Verwaltungsratsbeschlusses herbeigeführt 44). Dieser Vorgang kommt einer nachträglichen Liberierung durch Verrechnung gleich 45), weshalb der Verwaltungsrat einen Rechenschaftsbericht über den Bestand und die Verrechenbarkeit der Schuld zu verfassen hat, der von einem Revisor geprüft werden muss 46). Beim Rückkauf eigener Aktien mit Verrechnungserklärung erlischt die Einlageverpflichtung des Aktionärs, und dieser wird aus dem Aktienbuch gestrichen. Die Gesellschaft muss über frei verwendbares Eigenkapital in der Höhe des noch zu bezahlenden Kaufpreises zuzüglich des non-versés verfügen 47). 1.2.12. Rückkauf zum tatsächlichen Wert Beim Rückkauf eigener Aktien erlischt die mit der Aktie verbundene Mitgliedschaft nicht. Auch die Liberierungspflicht besteht fort; sie geht auf die Gesellschaft über. Der Verkäufer der Aktien, der seine Aktionärsstellung im Umfang der verkauften Beteiligungsrechte einbüsst, wird folgerichtig von seiner Einlagepflicht befreit 48). Mit dem Erwerb eigener Aktien konzentrieren sich die 44) 45) 46) 47) 48) Art. 634a OR. Vgl. Art. 634a Abs. 2 OR. Art. 635 und 635a OR. Dazu folgendes Beispiel: Eine Gesellschaft kauft Aktien mit einem Verkehrswert von Fr. 50 000. und einem Nominalwert von Fr. 10 000. zurück; dies bei einem non-versé von Fr. 6 000.. Buchungen: Eigene Aktien/flüssige Mittel 50 000., flüssige Mittel/non-versé 6 000., allg. Reserve/Spezialreserve 50 000.. Mittels frei verwendbaren Eigenkapitals von Fr. 50 000 wird der Kauf der eigenen Aktien finanziert. Der gesamte Kaufpreis beträgt Fr. 50 000. ; ein Teil davon wird mit der Liberierungsforderung an den Aktionär verrechnet. Gl. M. in Bezug auf die Höhe des frei verwendbaren Eigenkapitals ist Oertli (Fn. 6), S. 263. Allerdings scheint er den Vorgang buchhalterisch anders abwickeln zu wollen: «Als Folge des Kaufs wird das freie Eigenkapital durch Abschreibung im Betrag der weggefallenen aktivierten Rest-Einzahlungsforderung vermindert. Vom verbleibenden freien Eigenkapital wird ein dem bezahlten Kaufpreis entsprechender Teil in die Spezialreserve umgewandelt» (S. 263, Hervorhebungen nur hier). Dies bedeutet: Eigene Aktien/flüssige Mittel 44 000., allg. Reserve/non-versé 6 000., allg. Reserve/Spezialreserve 44 000.. Auch bei dieser Verbuchungsvariante ist frei verwendbares Eigenkapital von Fr. 50 000. vorhanden. Da Fr. 6 000. der «Abschreibung» des non-versés dienen, beträgt die Spezialreserve jedoch nur Fr. 44 000.. Das ist problematisch. Die Spezialreserve soll nach dem gesetzgeberischen Konzept verhindern, dass in der Höhe der erfolgten Mittelverwendung später Ausschüttungen getätigt werden (vgl. auch Böckli, Aktienrecht [Fn. 9], Rz. 932). Die Gesellschaft verwendet Mittel von Fr. 50 000, da sie Barmittel von Fr. 44 000. und den Anspruch auf die Rest-Einzahlung von Fr. 6 000. verliert. Burckhardt (Fn. 31), S. 32, Giger (Fn. 9), S. 123. 628 ASA/Archives 70 Nr. 10 2002

Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien Schuldner- und Gläubigereigenschaften in der Person der Gesellschaft 49). Diese Vereinigung (Konfusion) bewirkt, dass die mit den Aktien verbundene Liberierungspflicht untergeht 50), und zwar endgültig 51). Die Gesellschaft erfüllt folglich die Nachleistungspflicht des Aktionärs unter Verwendung von Eigenkapital. Das non-versé wird zu Lasten der Reserven ausgebucht 52). Damit die Gesellschaft dem Aktionär einen Kaufpreis in der Höhe des tatsächlichen Aktienwerts entrichten kann, muss sie über ungebundenes Vermögen in der Höhe des Aktienwerts zuzüglich des non-versés verfügen. Davon abzugrenzen sind jene Fälle, in denen die Generalversammlung vor der Abwicklung des Kaufgeschäfts eine konstitutive Kapitalherabsetzung beschliesst. Von Bedeutung beim Rückauf teilliberierter Aktien ist, dass die Generalversammlung sowohl im Grundsatz- wie auch im Durchführungsbeschluss 53) bestimmt, dass die vom Rückkauf betroffenen Aktionäre im Zuge der Kapitalherabsetzung von ihrer Einlagepflicht befreit werden. Der Nennwert der Aktien, welche die Gesellschaft zurückzukaufen beabsichtigt, ist in der Höhe des non-versés zu reduzieren. Der Durchführungsbeschluss ändert die Statuten. Der Eintrag im Handelsregister bewirkt schliesslich die Kapitalherabsetzung; mit diesem Eintrag werden die Aktionäre von ihrer Einlageverpflichtung befreit. Da die konstitutive Wirkung vor dem Rückkauf der eigenen Aktien eintritt, kauft die Gesellschaft zwar nennwertreduzierte, jedoch volliberierte eigene Aktien zurück: Es kommt nicht zur Konfusion. Die Gesellschaft darf die eigenen Aktien nur zurück kaufen, wenn sie hierfür über frei verwendbares Eigenkapital in der Höhe des tatsächlichen Werts (des Kaufpreises) der Aktien verfügt. 1.2.2. Zu beachten: Einlagerückgewährverbot 1.2.21. Beim Rückkauf unter Verrechnungserklärung Beim Rückkauf unter Verrechnungserklärung ist gedanklich von der Abfolge auszugehen, dass: a) der Aktionär einerseits der Gesellschaft flüssige Mittel in der Höhe des non-versés zufliessen lässt; 49) 50) 51) 52) 53) Giger (Fn. 9), S. 123. Im Sinne von Art. 118 OR. Vgl. Giger (Fn. 9), S. 123. A.M. Alfred Siegwart, Die Aktiengesellschaft, Zürcher Kommentar, V/ 5a: Allgemeine Bestimmungen (Art. 620-659), N 14 zu Art. 659 OR. Ausgehend vom Beispiel in Fn. 47 wären folgende Buchungen vorzunehmen: Eigene Aktien/ flüssige Mittel 50 000., allg. Reserve/ non-versé 6 000., allg. Reserve/ Spezialreserve 50 000.. Zu den Begriffen sowie zum zeitlichen Verfahrensablauf Böckli, Aktienrecht (Fn. 9), Rz. 297e ff. sowie 297t ff. ASA/Archives 70 Nr. 10 2002 629

Michael Buchser und Thomas Jaussi b) die Gesellschaft andererseits dem Aktionär seine gesamte Einlage zurück erstattet und ihm zudem den auf die Beteiligungsrechte entfallenden Anteil an den Reserven der Gesellschaft ausschüttet 54). Der Rückkauf unter Verrechnungserklärung führt daher faktisch, wie der Rückkauf volliberierter eigener Aktien, zu einer vollständigen Rückzahlung der Einlage an den Aktionär. Erwirbt die Gesellschaft die eigenen Aktien in Missachtung von Art. 659 OR zu Lasten des gebundenen Gesellschaftsvermögens, treten daher die vorne ausgeführten Rechtsfolgen ein. 1.2.22. Beim Rückkauf zum tatsächlichen Wert Indem die Gesellschaft den Aktionär faktisch von seiner Kapitaleinlageschuld befreit, erbringt sie ihm eine Rückgewähr in der Höhe des non-versés 55) ; die bereits auf die Aktien geleisteten Einlagen erstattet sie ihm durch die Kaufpreiszahlung zurück. Die vollständige Rückgewähr der Aktionärseinlage führt daher bei der Gesellschaft nur zu einem Abfluss flüssiger Mittel in der Höhe bereits geleisteter Aktionärseinlagen. In der Differenz zwischen Kaufpreis und den zurück gezahlten Aktionärseinlagen ist der Kapitalfluss als Gewinnausschüttung zu qualifizieren. Da der Aktionär den tatsächlichen Wert seiner Aktien vergütet erhält, obwohl es sich um teilliberierte Aktien handelt, fliesst ihm entsprechend dem non-versé mehr zu, als ihm aufgrund seiner Beteiligungsquote zustehen würde. Der Rückkauf teilliberierter eigener Aktien zum tatsächlichen Wert stellt daher in aller Regel auch eine verdeckte Gewinnausschüttung an den Aktionär im Sinne von Art. 678 Abs. 2 OR dar 56). In Bezug auf die Rechtsfolgen eines solchen Aktienrückkaufs ist daher zu differenzieren: 54) 55) 56) Vgl. vorne Ziff. 1.1.32. Vgl. Buchungsbeispiel in Fn. 52. Beispiel: Die in Fn. 47 genannte Gesellschaft bezahlt dem Aktionär einen Preis von Fr. 50 000.. Die faktische Befreiung des Aktionärs von seiner Kapitaleinlageschuld (Fr. 6 000. ) ist eine teilweise Einlagerückgewähr. Im Kaufpreis ist die Rückgewähr der restlichen Aktionärseinlagen von Fr. 4 000. enthalten. In der Höhe von Fr. 46 000. stellt die Kaufpreiszahlung eine Gewinnausschüttung an den Aktionär dar. Der auf die zurück gekauften Aktien entfallende Anteil an den Reserven der Gesellschaft beträgt jedoch nur Fr. 40 000.. Bei einem Verkauf an einen Dritten hätte der Aktionär keinen Preis in der Höhe des tatsächlichen Werts vollständig liberierter Aktien erzielt, sondern einen um das non-versé verminderten Preis. Stehen die Austauschleistungen des Aktienrückkaufs in einem offensichtlichen Missverhältnis, so liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung vor. Das offensichtliche Leistungsmissverhältnis ist beim Rückkauf teilliberierter eigener Aktien zum tatsächlichen Wert vollständig liberierter Aktien zu bejahen. Ausführlich zu den Tatbestandsmerkmalen der verdeckten Gewinnausschüttung im Handelsrecht Reto Heuberger, Die verdeckte Gewinnausschüttung aus Sicht des Aktienrechts und des Gewinnsteuerrechts, Diss. Bern 2001, 8. 630 ASA/Archives 70 Nr. 10 2002

Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien Wird der Kaufpreis zu Lasten des Nominalkapitals und des Agios entrichtet, ist analog den Ausführungen zum Erwerb vollständig liberierter Aktien die Nichtigkeit des Kaufgeschäfts die Folge. Erfolgt hingegen die Kaufpreiszahlung nur zu Lasten des gebundenen Gesellschaftsvermögens, ergibt sich die Rechtsfolge aus der Abwägung der für den Rückkauf sprechenden Gesellschaftsinteressen und der Gefahren des Rückkaufs. Im Umfang der verdeckten Gewinnausschüttung ist der Vertrag nichtig 57). In der Höhe des non-versés steht der Gesellschaft gegenüber dem veräussernden Aktionär von Gesetzes wegen ein Rückerstattungsanspruch zu. Die Nichtigkeit bleibt nicht auf den Umfang der verdeckten Gewinnausschüttung beschränkt, wenn anzunehmen ist, der Aktienrückkauf wäre ohne die Leistungsdisparität nicht abgeschlossen worden 58). 1.3. Eigene Aktien in den Büchern der Gesellschaft 1.3.1. Aktivierungspflicht Die eigenen Aktien erscheinen in der Bilanz der Gesellschaft als Aktivum 59). Sie sind selbständig erfassbar, bewertbar und solange die Gesellschaft nicht 57) 58) 59) In der Lehre ist umstritten, ob verdeckte Gewinnausschüttungen bei Eingriffen in frei verwendbares Eigenkapital nichtig sind. Gegen die Nichtigkeit sind beispielsweise Oliver Bartholet, Transferpreisberichtigung und ihre Sekundäraspekte im Schweizerischen Steuerrecht, Diss. Basel 1995, S. 23; Tobias A. Braun, Behördliche Korrektur von Verrechnungspreisen bei multinationalen Unternehmen, Diss. St. Gallen 1994, S. 30 f.;watter (Fn. 37), S. 154 f. Für die Nichtigkeit als Rechtsfolge sind Bochud (Fn. 15), S. 135; Böckli, Aktienrecht (Fn. 9), Rz. 1423; Kurer (Fn. 28), N 26 zu Art. 678 OR; Spörri (Fn. 37), S. 239 ff. Nach der hier vertretenen Ansicht beruht eine Gewinnausschüttung einer Aktiengesellschaft nur auf einem gültigen Rechtsgrund (gültige causa societatis), wenn die aktienrechtliche Kompetenzordnung eingehalten und der Gewinnausschüttungsbeschluss in Kenntnis der Ertragslage und im Vertrauen auf ein revidiertes Rechnungswerk getroffen wird. Dass zudem die Reservebildungs- und Kapitalschutzbestimmungen eingehalten werden müssen, versteht sich. Sind die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt, ist das der Vermögensverschiebung zugrunde liegende Rechtsgeschäft nichtig (vgl. auch Böckli, Aktienrecht [Fn. 9], Rz. 1423, der darauf hinweist, dass die in der Praxis vorkommenden ungerechtfertigten Gewinnentnahmen «wegen klaren Verstosses gegen die Ausschüttungsvorschriften meist aktienrechtlich von der Nichtigkeit betroffen» seien). Vgl. zur Teilnichtigkeit der verdeckten Gewinnausschüttung Spörri (Fn. 37), S. 244. Max Boemle/Hanspeter Frank, Die eigenen Aktien in der schweizerischen Rechnungslegungspraxis, ST 10/2001, S. 941. Gemäss Boemle und Frank dominiert dagegen in den angloamerikanischen Rechnungslegungsnormen die finanzwirtschaftliche Betrachtungsweise: Der Rückkauf eigener Aktien ist eine Kapitalrückzahlung und bedeutet eine Ausschüttung an die verkaufenden Aktionäre, welche auch als solche in der Rechnungslegung durch eine entsprechende Verminderung des Eigenkapitals zu erfassen ist. Die eigenen Aktien werden als Abzugsposition zum Eigenkapital behandelt mit der Folge, dass das Eigenkapital in der Bi- (Fortsetzung auf Seite 632) ASA/Archives 70 Nr. 10 2002 631

Michael Buchser und Thomas Jaussi liquidiert wird verwertbar und daher abstrakt aktivierungsfähig 60). Die eigenen Aktien stellen selbständige Vermögenswerte dar. Da in Bezug auf die eigenen Aktien kein gesetzliches Aktivierungswahlrecht gegeben ist, ist von einer Aktivierungspflicht auszugehen. Nach der überzeugenden Argumentation von Giger sind die eigenen Aktien dem Umlaufvermögen 61) zuzuweisen 62). Innerhalb der Sammelposition des «übrigen Umlaufvermögens» sind die eigenen Aktien als Wertschriften gemäss Art. 667 OR zu bilanzieren und entsprechend zu bewerten 63). Eigene Aktien mit Kurswert dürfen daher höchstens zum Durchschnittskurs des letzten Monats vor dem Bilanzstichtag bewertet werden 64) ; d.h. eine Aufwertung über den Anschaffungspreis ist zulässig. Diese Durchbrechung des Realisationsprinzips führt dazu, dass die Unternehmung nicht realisierte Gewinne ausweist. Eigene Aktien ohne Kurswert sind dagegen höchstens zu den Anschaffungskosten zu bilanzieren 65). Fällt der Wert der eigenen Aktien unter den Buchwert, sind Wertberichtigungen zwingend vorzunehmen. (Fortsetzung von Seite 631) lanz mit der allein aussagekräftigen Nettogrösse ausgewiesen wird. Beim Kauf von eigenen Aktien handelt es sich nämlich finanzwirtschaftlich gesehen um eine Verminderung, beim Verkauf um eine Erhöhung des Eigenkapitals zum jeweiligen Transaktionspreis (Boemle/Frank, S. 942 f.). Böckli hält dieser Ansicht entgegen, dass der im Schweizer Recht vorgesehene Bruttoausweis der eigenen Aktien der direkten Verrechnung mit dem Aktienkapital überlegen ist, weil durch diese Methode die Transparenz verbessert und eine schlichte Herabsetzung der Sperrzahl durch Kaufakt des Verwaltungsrates verhindert wird (Böckli, Aktienrecht [Fn. 9], Rz. 386a). 60) Klaus Dellmann, Bilanzierung nach neuem Aktienrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 1996, S. 45 ff. 61) Giger (Fn. 9), S. 74. 62) In der Literatur dagegen werden unterschiedlichste Meinungen vertreten: Neben der Aktivierung im Umlaufvermögen sollen eigene Aktien als eigene Position verbucht werden, weil sie weder Umlauf- noch Anlagevermögen darstellen; sie gehören gemäss dieser Ansicht ins «Niemandsland» (vgl. Boemle/Frank [Fn. 59], S. 941). Von Ah spricht sich ausdrücklich dafür aus, dass eigene Aktien als Finanzanlagen und somit im Anlagevermögen einzubuchen sind (Julia von Ah, Die Kapitalherabsetzung von Publikumsgesellschaften; Schriften zum Steuerrecht, Bd. 10, Zürich 2001, S. 107 ff.). Boemle und Frank führen gestützt auf die betriebswirtschaftliche Zwecksetzung an, dass sich eine differenzierte Sicht aufdrängt: Die Verbuchung hängt davon ob, ob das zurückkaufende und somit bilanzierende Unternehmen mit den zurückgekauften Aktien eine baldige Veräusserung oder Anlagenzwecke verfolgt. Die Einreihung der eigenen Aktien ist demgemäss abhängig von der betriebswirtschaftlichen Zwecksetzung (Boemle/Frank [Fn. 59], S. 941 f.). 63) Giger, (Fn. 9) S. 74; vgl. auch Schweizer Handbuch der Wirtschaftsprüfung 1998, Bd. 1, S. 195 f. 64) Art. 667 Abs. 1 OR. 65) Art. 667 Abs. 2 OR. 632 ASA/Archives 70 Nr. 10 2002

Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien 1.3.2. Die Reserve für eigene Aktien Die zurück kaufende Gesellschaft ist zur Bildung einer Spezialreserve in der Höhe des Anschaffungswerts der eigenen Aktien verpflichtet. In dieser Höhe hat die Reserve Bestand, bis die Gesellschaft die eigenen Aktien verkauft oder durch Kapitalherabsetzung vernichtet hat 66). Der Reserve kommt nicht die Funktion einer passiven Ausgleichsposition zu. Sie wirkt als Ausschüttungs-Sperrzahl und soll verhindern, dass in der Höhe des Anschaffungswerts der eigenen Aktien Ausschüttungen an die Aktionäre getätigt werden, solange die Gesellschaft die eigenen Aktien in ihrem Vermögen hält. Diese Funktion vermag die Reserve nur zu erfüllen, sofern ihr Umfang bis zur Veräusserung oder Vernichtung der eigenen Aktien nicht verändert wird. Aus diesem Grund darf sie selbst dann nicht herabgesetzt werden, wenn auf den eigenen Aktien infolge eines Wertverlusts Wertberichtigungen vorgenommen werden müssen. 1.4. Der indirekte Erwerb eigener Aktien 1.4.1. Mehrheitsbeteiligung an der Tochtergesellschaft Der Erwerb eigener Aktien unterliegt denselben aktienrechtlichen Einschränkungen, wenn er von einer Untergesellschaft getätigt wird, an der die Gesellschaft, deren Aktien erworben werden, eine Mehrheitsbeteiligung hält 67). «Mehrheitliche Beteiligung» im Sinne von Art. 659b OR ist als Stimmenmehrheit zu verstehen, denn nur eine solche erlaubt es der Obergesellschaft, die von ihr beherrschte Untergesellschaft als Instrument zum Aktienerwerb einzusetzen 68). Eine Mehrheitsbeteiligung kommt nicht nur über direkte Beteiligungen zustande, sondern auch, wenn die Obergesellschaft in der Untergesellschaft, welche die Aktien erwirbt, über zwischengeschaltete Gesellschaften die Stimmenmehrheit hält. Fälle, in denen eine «Enkelgesellschaft» Aktien ihrer «Grossmutter» erwirbt, werden ebenfalls von Art. 659b OR erfasst 69) dies im- 66) 67) 68) 69) Dies wurde von Giger (Fn. 9) überzeugend nachgewiesen vgl. S. 94, Fn. 291; gl.m. Markus Neuhaus, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht II, Basel 1994, N 11 zu Art. 671a OR; ebenso das Handbuch der Wirtschaftsprüfung (Fn. 63), Bd. 1, S. 196. Die abweichende Ansicht von Oertli (Fn. 6), S. 268 f., wonach die Bestimmungsgrösse für die Spezialreserve der jeweilige Aktivenwert der eigenen Aktien sei, verdient keine Zustimmung. Eine auf den Buchwert der Aktien beschränkte Spezialreserve erfüllt die Funktion, welche die Spezialreserve erfüllen sollte, nicht in jedem Fall. Art. 659b OR. Böckli, Aktienrecht (Fn. 9), Rz. 412; von Planta (Fn. 21), N 3 zu Art. 659b OR; a.m. Giger (Fn. 9), S. 115, welcher auch eine Mehrheit am Grundkapital der Untergesellschaft gelten lassen will. So auch Böckli, Aktienrecht (Fn. 9), Rz. 414a f.; Nobel (Fn. 17), S. 28; von Planta (Fn. 21), N 4 zu Art. 659b OR; a.m. Oertli (Fn. 6), S. 265, nach dessen Ansicht Art. 659b OR «nur im Verhältnis zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften» Anwendung findet. ASA/Archives 70 Nr. 10 2002 633

Michael Buchser und Thomas Jaussi mer unter der Voraussetzung, dass auf jeder Stufe die Obergesellschaft jeweils zumindest 51% der Stimmen in der Untergesellschaft hält. Ausschlaggebend dafür, ob eine Mehrheitsbeteiligung an der Untergesellschaft besteht, kann nicht sein, mit welcher errechneten Quote 70) die Gesellschaft, deren Aktien zurückgekauft werden, an der die Aktien zurück kaufenden Gesellschaft schliesslich noch beteiligt ist, sondern vielmehr, ob die Mehrheitsverhältnisse in der Kette es erlauben, dass die unterste Gesellschaft als Instrument zum Aktienrückkauf eingesetzt werden kann 71). Eine andere Interpretation von Art. 659b OR würde dem Normzweck, Umgehungen zu verhindern, zuwiderlaufen. 1.4.2. Reserve für eigene Aktien Obwohl die Untergesellschaft die eigenen Aktien erwirbt, ist die Spezialreserve bei der Obergesellschaft zu bilden. Die potentielle Gefährdung aus dem Aktienrückkauf betrifft in erster Linie die Gläubiger der Obergesellschaft; zu ihrem Schutz ist deshalb sicherzustellen, dass die Gesellschaft in der Höhe des Rückkaufswerts keine Ausschüttungen vornimmt, solange die Untergesellschaft die Aktien aktiviert hat. Die oben 72) in Bezug auf die Spezialreserve angestellten Überlegungen gelten auch hier. Zusätzlich ist zu beachten, dass die Höhe der Spezialreserve von der Quote abhängt, mit der die Obergesellschaft an der Untergesellschaft beteiligt ist. Selbstverständlich ist in diesem Zusammenhang auf die kapitalmässige Beteiligung abzustellen. Die Beteiligungsquote gibt Aufschluss darüber, in welcher Höhe der indirekte Aktienrückkauf als Mittelverwendung der Obergesellschaft zu gelten hat 73). Kaufen mehrere Untergesellschaften, an denen die Obergesellschaft im Sinne von Art. 659b OR mehrheitlich beteiligt ist, Aktien der Obergesellschaft zurück, so bestimmt sich die Höhe der Spezialreserve nach der Höhe 70) 71) 72) 73) Diese Quote ergibt sich aus der Multiplikation der Stimmrechtsquoten der in der Beteiligtenkette stehenden Gesellschaften (vgl. nachfolgend Fn. 71). Die Möglichkeit der Einflussnahme ist beispielsweise gegeben, wenn die Alpha AG zu 75% an der Beta AG, die Beta AG zu 75% an der Gamma AG, und die Gamma AG zu 75% an der Delta AG beteiligt ist. Kauft nun die Delta AG Aktien der Alpha AG zurück, so untersteht der Rückkauf ebenfalls der aktienrechtlichen Beschränkung, obwohl die Alpha AG an der Delta AG nur noch mit einer errechneten Quote von 42,2% beteiligt ist (1 0,75 3 ). Ziff. 1.3.2. Beispiel: Die Alpha AG ist zu 75% am Nominalkapital der Beta AG beteiligt, welche zu einem Preis von Fr. 50 000. Alpha-Aktien im Nominalwert von Fr. 10 000. erwirbt. Der Erwerb ist zu 75% als Mittelverwendung der Alpha-AG und zu 25% als Mittelverwendung der übrigen Beta-Aktionäre zu betrachten. Die Spezialreserve muss im Umfang von Fr. 37 500. gebildet werden. 634 ASA/Archives 70 Nr. 10 2002

Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien der jeweiligen Anschaffungswerte multipliziert mit den einschlägigen Beteiligungsquoten 74). 1.4.3. Schranken von Art. 659 OR 1.4.31. Prozentlimiten Unter die Höchstlimiten von Art. 659 OR fällt im Sinne einer Gesamtbetrachtung der ganze Verbund von beteiligungsmässig miteinander verkoppelten Gesellschaften, soweit Mehrheitsbeteiligungen gemäss Art. 659b OR vorliegen. Die gesamthaft von sämtlichen Untergesellschaften und der Obergesellschaft gehaltenen Aktien der Obergesellschaft dürfen daher 10% 75), resp. 20% 76) des Nominalkapitals der Obergesellschaft nicht übersteigen 77). Art. 659b OR i. V. m. Art. 659 OR darf nicht dahingehend verstanden werden, dass jede Untergesellschaft berechtigt wäre, bis zur Erwerbsobergenze Aktien der Obergesellschaft zurück zu kaufen. Die genannten Bestimmungen verhindern somit auch, dass eine Obergesellschaft zu einem wesentlichen Teil von ihren Untergesellschaften gehalten wird. Bei der Untersuchung, wieviele eigene Aktien im Unternehmensverbund gehalten werden dürfen, vertreten wir die Auffassung, die Beteiligungsverhältnisse seien zu berücksichtigen. Von den Gefahren, denen Art. 659 OR entgegen tritt 78), fällt in Bezug auf die Fortdauer und das Gedeihen der Unternehmung vor allem der Rückkoppelungseffekt 79) ins Gewicht. Da die Stärke des Rückkoppelungseffekts von den Beteiligungsverhältnissen abhängig ist 80), rechtfertigt es sich, die Erwerbsobergrenzen nicht als absolute Werte zu verstehen, sondern sie im Einzelfall unter Einbezug der Beteiligungsverhältnisse zu ermitteln 81). Der Nachteil die- 74) 75) 76) 77) 78) 79) 80) 81) Beispiel: Die Alpha AG ist zu 60% an der Beta AG und zu 51% an der Gamma AG beteiligt. Die Gamma AG hält eine Beteiligung von 55% an der Delta AG. Zur Vereinfachung wird unterstellt, die kapitalmässige Beteiligung entspreche den Stimmrechtsanteilen. Die Beta AG erwirbt für Fr. 60 000., die Delta AG für Fr. 50 000 Alpha-Aktien. Die bei der Alpha AG zu bildende Spezialreserve umfasst Fr. 50 025. (60 000. 0,6 + 50 000. 0,55 0,51). Art. 659 Abs. 1 OR. Art. 659 Abs. 2 OR. Ebenso Giger (Fn. 9), S. 117. Vgl. auch vorne Ziff. 1.1.32. Von Böckli als «Hebeleffekt» bezeichnet; vgl. vorne Fn. 12. Vgl. Oertli (Fn. 6), S. 265 Fn. 32. Davon ausgehend, dass eine schlechte Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft, die zu einem Wertzerfall der eigenen Aktien führt, voll auf die Gesellschaft zurückschlägt, wenn die eigenen Aktien von einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft gehalten werden («Rückkoppelungsfaktor» von 1), untersuchen wir die Intensität der Rückkoppelung für das vorne in (Fortsetzung auf Seite 636) ASA/Archives 70 Nr. 10 2002 635

Michael Buchser und Thomas Jaussi ser Lösung besteht darin, dass sie der Gefahr der Veränderung der Stimmrechtsverhältnisse nicht entgegen tritt 82). 1.4.32. Erfordernis des frei verfügbaren Eigenkapitals Im Umfang, in dem der Aktienerwerb als Mittelverwendung der Obergesellschaft zu betrachten ist, muss diese über frei verwendbares Eigenkapital verfügen. Die im Zusammenhang mit der Reserve für eigene Aktien angestellten Überlegungen 83) gelten auch hier. Werden die eigenen Aktien von einer Untergesellschaft erworben, ohne dass bei der Obergesellschaft genügend ungebundenes Eigenkapital vorhanden ist, treten die vorne 84) ausgeführten Rechtsfolgen ein. Beim indirekten Erwerb teilliberierter eigener Aktien geht die Einlageverpflichtung des Aktionärs auf die Untergesellschaft über. Die Verrechnung ist mangels Gegenseitigkeit der Forderungen ausgeschlossen, und da der indirekte Rückkauf nicht zu einer Vereinigung von Gläubiger- und Schuldnereigenschaften in einer Person führt, tritt keine Konfusion ein. Bezahlt die Untergesellschaft angesichts der Teilliberierung einen entsprechend tieferen Kaufpreis, so setzen sich die zum Rückkauf verwendeten Mittel aus bezahltem Kaufpreis und der Übernahme der Liberierungsverpflichtung zusammen. In dieser Höhe muss bei der Obergesellschaft frei verwendbares Eigenkapital vorhanden sein wobei ausserdem die Quote der Beteiligung an der Untergesellschaft zu berücksichtigen ist 85). Entrichtet die Untergesellschaft trotz der (Fortsetzung von Seite 635) Fn. 74 dargestellte Beispiel. Kauft die Beta AG Alpha-Aktien, beträgt der «Rückkoppelungsfaktor» 0,6; beim Erwerb der Alpha-Aktien durch die Delta AG sogar nur 0,28. Beispiel 1: Da eine hundertprozentige Tochtergesellschaft 10% des Nominalkapitals der Muttergesellschaft erwerben dürfte, muss es der Beta AG, wenn sie als einzige der durch Mehrheitsbeteiligungen verbundenen Gesellschaften Alpha-Aktien aktiviert hat, erlaubt sein, Alpha-Aktien mit Nominalwert von 16,667% des Nominalkapitals der Alpha-AG zu halten (16,667 0,6 = Rückkoppelung von 1). Beispiel 2: Unter der Annahme, dass die Beta AG bereits Alpha-Aktien in der Höhe von 10% des Nominalkapitals besitzt (Rückkoppelung 0,6), darf die Delta-AG zusätzlich Alpha-Aktien im Nominalwert von 14,3% des Alpha-Nominalkapitals erwerben (14,3 0,28 = 0,4). Die gesamte Rückkoppelung darf höchstens 1 betragen, was hier der Fall ist (0,6 + 0,4). 82) Da die Stimmrechte an eigenen Aktien auch beim indirekten Rückkauf ruhen (Art. 659b Abs. 1 i.v.m. Art. 659a Abs. 1 OR), führt die Festlegung der Erwerbsobergenze unter Berücksichtigung der Beteiligungsverhältnisse dazu, dass die ruhenden Stimmrechte einen prozentmässig grösseren Anteil ausmachen. 83) Vgl. Ziff. 1.4.2. 84) Ziff. 1.1.32. 85) Variante des Beispiels von Fn. 73: Die Beta AG erwirbt zu einem Preis von Fr. 44 000. teilliberierte Alpha-Aktien. Die Liberierungsverpflichtung von Fr. 6 000. geht auf sie über. Die Beta AG setzt für den Kauf insgesamt Mittel in der Höhe von Fr. 50 000. ein, denn die Übernahme der Liberierungsverpflichtung stellt ebenfalls eine Mittelverwendung dar. Aus der Sicht der Alpha AG liegt infolge der 75%-Beteiligung lediglich eine Mittelverwendung von Fr. 37 500. vor. 636 ASA/Archives 70 Nr. 10 2002

Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien Tatsache, dass es sich um teilliberierte Aktien handelt, einen Kaufpreis in der Höhe des tatsächlichen Aktienwerts, so liegt in aller Regel eine verdeckte Gewinnausschüttung vor 86). Der entreicherten Untergesellschaft steht in der Höhe des non-versés ein Rückerstattungsanspruch zu. Die verdeckte Gewinnausschüttung führt zur Nichtigkeit des Kaufgeschäfts 87). Die Entreicherung der Untergesellschaft wirkt sich auch auf die Obergesellschaft aus, welche die Beteiligung entsprechend ihrer Beteiligungsquote abzuschreiben hat. Ob die Obergesellschaft im Umfang ihrer Entreicherung über frei verwendbares Eigenkapital verfügt ist unerheblich, da die verdeckte Gewinnausschüttung das Kaufgeschäft zumindest im Umfang der Leistungsdisparität 88) nichtig macht. 2. Der direkte Rückkauf eigener Aktien im Steuerrecht 2.1. Grundbegriffe 2.1.1. Kapitalertrag nach Art. 20 Abs. 1 Bst. c DBG Gemäss Art. 20 Abs. 1 Bst. c DBG sind Dividenden, Gewinnanteile, Liquidationsüberschüsse und geldwerte Vorteile aus Beteiligungen aller Art als steuerbare Vermögenserträge zu qualifizieren. Diese Bestimmung stellt in Bezug auf Dividenden und Gewinnanteile eine Weiterführung des bereits unter Art. 21 Abs. 1 Bst. c BdBSt geltenden Rechts dar 89). Die Liquidationsüberschüsse waren allerdings im Normtext von Art. 21 Abs. 1 Bst. c BdBSt nicht explizit erwähnt 90). Art. 21 Abs. 1 Bst. c BdBSt war vom subjektiven Herkunftsprinzip geprägt. Dieses Prinzip dient der Abgrenzung von Kapitalgewinnen und Kapitalerträgen und besagt, dass das Subjekt des Leistungserbringers dafür ausschlaggebend ist, ob ein Ertrag aus beweglichem Kapitalvermögen vorliegt 91). Art. 21 Abs. 1 Bst. c BdBSt definierte als Gewinnanteile aus Beteiligungen «alle durch Zahlung, Überweisung, Gutschrift, Verrechnung oder auf andere Weise bewirkten geldwerten Leistungen der Gesellschaft oder Genossen- 86) 87) 88) 89) 90) 91) Vgl. vorne Ziff. 1.2.22. und dort insb. Fn. 56. Leistungserbringerin ist die Untergesellschaft; der Aktionär der Obergesellschaft ist aufgrund seiner bestehenden Verbindung zur Obergesellschaft als nahestehender Dritter zu bezeichnen. Die Untergesellschaft wird ihm von der Obergesellschaft, welche die verdeckte Gewinnausschüttung veranlasst oder zumindest zulässt, zur Abwicklung des Geschäfts zur Verfügung gestellt. Vgl. vorne Ziff. 1.2.22. und dort insb. Fn. 57. Vgl. zur Teilnichtigkeit der verdeckten Gewinnausschüttung Spörri (Fn. 37), S. 244. Vgl. Botschaft des Bundesrates zum StHG/DBG, BBl 83 III, S. 163. Vgl. den Hinweis in der Botschaft des Bundesrates zum StHG/DBG (Fn. 89), S. 163 f. Vgl. anstatt vieler Peter Locher, Abgrenzung von Kapitalgewinn und Kapitalertrag im Bundessteuerrecht, recht 1990, S. 111 f. ASA/Archives 70 Nr. 10 2002 637

Michael Buchser und Thomas Jaussi schaft an die Inhaber gesellschaftlicher Beteiligungsrechte» 92) ; soweit diese Leistungen keine Rückzahlung der bestehenden Kapitalanteile darstellten. Dass auch Art. 20 Abs. 1 Bst. c DBG auf der Grundlage des subjektiven Herkunftsprinzips beruht, ist aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung abzuleiten; ein anderes Kriterium würde ausserdem mit Blick auf die Natur der Dividenden und Gewinnanteile keinen Sinn machen 93). Daher kann Art. 20 Abs. 1 Bst. c DBG auch so gelesen werden, dass geldwerte Vorteile aus Anteilsrechten an Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften einen steuerbaren Kapitalertrag darstellen, wenn sie von der Gesellschaft oder der Genossenschaft an den Inhaber der Beteiligungsrechte oder einer diesem nahestehenden Person erbracht werden. Allein nach subjektivem Herkunftsprinzip beurteilt, stellt die Leistung, welche die Gesellschaft beim Aktienrückkauf dem Verkäufer erbringt, einen Kapitalertrag dar. Ein solcher kann indessen nur vorliegen, wenn der Rückkauf bei der Gesellschaft einen definitiven Mittelabfluss bewirkt 94). Die Leistung der Gesellschaft ist daher anhand des subjektiven Herkunftsprinzips in Verbindung mit dem Entreicherungskriterium zu beurteilen. Zum selben Ergebnis gelangt, wer sich beim Rückkauf eigener Aktien im Bereich der heiklen Abgrenzung zwischen Kapitalgewinn und Kapitalertrag zusätzlich des objektiven Herkunftsprinzips bedient: Dieses besagt, die Unterscheidung nach der causa der Leistung treffend, dass jene Leistungen Kapitalerträge sind, die ihren Grund im fraglichen Rechtsverhältnis haben. Beim Rückkauf eigener Aktien ist nämlich entscheidend, ob die Leistung der Gesellschaft ihren Rechtsgrund in einem Kaufvertrag hat oder vielmehr auf das Beteiligungsverhältnis zurück zu führen ist. In Bezug auf die Bemessung des steuerbaren Kapitalertrages ging Art. 21 Abs. 1 Bst. c BdBSt vom objektiven System aus 95) : Was dem Aktionär von der Gesellschaft zufliesst und keine Rückzahlung der bestehenden Kapitalanteile darstellt, gilt in diesem System als steuerbarer Ertrag. Dieser formalisierte Ertragsbegriff führt dazu, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen in Bezug auf die Besteuerung der Kapitalerträge weitgehend unberücksichtigt bleibt 96). Art. 20 Abs. 1 Bst. c DBG äussert sich zur Bemessung der Kapitalerträge aus Anteilen an Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften nicht. Aus den Materialien zu Art. 20 DBG ergibt sich jedoch, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen war, unter dem Regime des DBG werde das objekti- 92) 93) 94) 95) 96) Hervorhebungen in kursiver Schrift durch die Verfasser. Ebenso Ernst Blumenstein/ Peter Locher, System des Steuerrechts, 5. Aufl., S. 162. Vgl. Ziff. 2.2.22. Giger (Fn. 9), S. 173. Vgl. zu dieser Problematik Giger (Fn. 9), S. 173 m. w. Hinweisen. 638 ASA/Archives 70 Nr. 10 2002