Bruno S.Frey Markt und Motivation Wie ökonomische Anreize die (Arbeits-) Moral verdrängen Verlag Vahlen
3. Kapitel: Psychologischer Hintergrund 23 Die den verborgenen Kosten der Belohnung zugrundeliegende Forschung hat sich auf praktische und wichtige Anwendungen der Psychologie ausgewirkt. So wurde viele Jahre lang angenommen, daß Patienten von Altersheimen und psychiatrischen Anstalten mittels Gutscheinen, die sie in Läden gegen Güter eintauschen konnten, motiviert werden könnten, bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Derartigen Gutscheinprogrammen ( token economies ) war aber nur geringer Erfolg beschieden; die in sie gesteckten hohen Erwartungen haben sich nicht erfüllt (vgl. die Übersichten von KAZDIN und BOOTZIN 1972 sowie KAZDIN 1982). Das Angebot von Gutscheinen für das Richten des Bettes oder die Säuberung des Raumes hat unter den Patienten zu einer allgemeinen Einstellung geführt, daß sie für nichts selbst verantwortlich seien. Nur wenn sie in Form von Gutscheinen bezahlt wurden, waren sie bereit, irgend etwas zu tun. Alle restlichen Aktivitäten wurden den Angestellten überlassen. Da Gutscheinsysteme nur auf eine beschränkte Zahl wohldefinierter Aufgaben angewendet werden konnten (nur schon wegen der hohen Transaktionskosten), hat sich das Gutscheinprogramm und die damit angestrebte Aktivierung der Patienten durch eine vermehrte Übernahme von Verantwortung als Fehlschlag erwiesen. Die meisten Anstalten haben deshalb das System aufgegeben (oder gar nicht erst eingeführt). III. Psychologische Prozesse Die verborgenen Kosten der Belohnung lassen sich auf verschiedene psychologische Prozesse zurückführen: (a) Eingeschränkte Selbstbestimmung. Wenn Personen einen von außen kommenden Eingriff als Einschränkung ihres Handlungsspielraums wahrnehmen, bauen sie ihre intrinsische Motivation zugunsten der externen Kontrolle ab. Gemäß ROTTER (1966, vgl. auch LEFCOURT 1982) verlagert sich der Kontrollbereich (locus of control) von innerhalb der Person nach außen. Die betreffende Person fühlt sich nicht mehr selbst verantwortlich, sondern der von außen Eingreifende ist nun zuständig. Entsprechend wird die eigene intrinsische Motivation aufgegeben. Der soeben erwähnte Fall eines Gutscheinsystems in Krankenhäusern und ähnlichen Anstalten stellt ein gutes Beispiel für das Verschieben des Kontrollbereichs dar. (b) Verminderte Selbsteinschätzung. Wenn eine von außen kommende Intervention impliziert, daß die intrinsische Motivation der betreffenden Person nicht gewürdigt wird, bedeutet dies eine Mißachtung ihrer Beweggründe. Die Person fühlt, daß ihr Engagement und ihre Kompetenz nicht geschätzt werden, was deren Wert in zwischenmenschlichen Interaktionen vermindert. Auf Grund der verminderten Selbsteinschätzung6 vermindert die betreffende Person ihren Einsatz. 6 Selbsteinschätzung ist keine in der Wirtschaftswissenschaft verwendete Kategorie, ist aber in den angrenzenden Sozialwissenschaften von zentraler Bedeutung. So betrachtet etwa RAWLS (1971, S. 86) eine positive Selbsteinschätzung als das wertvollste unter den von ihm als primär genannten Güter.
24 Teil A: Der Verdrängungs-Effekt (c) Überveranlassung. Individuen, die durch äußere Eingriffe zu einem bestimmten Verhalten veranlaßt werden, würden sich übermotiviert fühlen, wenn sie ihre intrinsische Motivation beibehielten; deshalb reduzieren sie ihre intrinsische Motivation. Ein derartiges Verhalten entspricht durchaus dem Rationalansatz. Von außen beeinflußte Personen schränken denjenigen Motivationsfaktor ein, den sie selbst kontrollieren, d. h. ihre intrinsische Motivation. Es ist in diesem Fall unnötig geworden, ein bestimmtes Handeln intrinsisch motiviert zu unternehmen; das Verhalten wird nun verstärkt extrinsisch bestimmt. (d) Reduzierte Ausdrucksmöglichkeit. Handelt eine Person intrinsisch motiviert, beraubt sie ein externer Eingriff der Möglichkeit, ihre intrinsische Motivation auszuleben und gegen außen deutlich zu machen. Sie wird deshalb darauf verzichten und ihr Handeln auf externe Motivation abstellen. Diese vier psychologischen Prozesse sind eng miteinander verwandt und lassen sich teilweise ineinander überführen. In allen Fällen vollzieht sich eine Substitution intrinsischer durch extrinsische Anreize. IV. Bedingungen für den Verdrängungs-Effekt Vor dem Hintergrund dieser psychologischen Prozesse lassen sich die Verborgenen Kosten der Belohnung verallgemeinern. Die Substitution intrinsischer durch extrinsische Anreize tritt nicht nur bei einer monetären Belohnung auf, sondern auch dann, wenn die Intervention die Form einer Vorschrift (Regulierung) annimmt. Bei beiden Formen eines von außen kommenden Eingriffs kann ein Übermotivations-Effekt ausgelöst werden. Es ist sogar zu vermuten, daß diese psychologischen Prozesse bei strikten Vorschriften stärker wirken. Regulierungen schränken zum einen die Selbstbestimmung ganz offensichtlich ein. Damit verbundene Strafandrohungen verstärken diese Wahrnehmung noch: Die von außen kommende Kontrolle wird betont. Außerdem sind Regulierungen oft auch als normativer Anspruch formuliert, was den Betroffenen weiter einengt. Bei einer monetären Belohnung hat das Individuum hingegen immer noch die Möglichkeit, selbst zu wählen. Weist es das Geldangebot zurück, kann es seine Selbstbestimmung und Selbstachtung aufrechterhalten. Es entstehen dabei zwar Opportunitätskosten in Höhe der angebotenen Belohnung. Auf Grund experimenteller Forschung ist jedoch anzunehmen, daß derartige Opportunitätskosten geringer eingeschätzt werden als die direkten Kosten, die im Falle des Nichtbefolgens des Verbots auftreten (vgl. THALER 1980). Die im letzten Abschnitt identifizierten psychologischen Prozesse erlauben uns, die psychologischen Bedingungen für das Auftreten des Verdrängungs- Effektes abzuleiten: (a) Von außen kommende Eingriffe verdrängen die intrinsische Motivation, wenn sie von den Individuen als kontrollierend empfunden werden. In diesem Fall vermindern sich sowohl die Selbstbestimmung, die Selbsteinschätzung als auch die Ausdrucksmöglichkeit. Die Individuen reagieren, indem sie ihre intrinsische Motivation in dem kontrollierten Bereich einschränken.
3. Kapitel: Psychologischer Hintergrund 25 (b) Externe Eingriffe verstärken die intrinsische Motivation, wenn sie von den Betroffenen als unterstützend angesehen werden. In diesem Falle wird die Selbsteinschätzung aufgebaut. Die Individuen haben das Gefühl, daß ihnen ein größerer Verhaltensspielraum zugestanden wird, was ihre Selbstbestimmung steigert. Beide Bedingungen hängen von subjektiven Wahrnehmungen ab. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß die gleiche Intervention von der einen Person als kontrollierend (und damit die intrinsische Motivation vermindernd) und von einer anderen Person hingegen als unterstützend (und damit die intrinsische Motivation steigernd) aufgefaßt wird. Damit diese Bedingungen auf sozialökonomische Fragen, die über eine bestimmte Person hinausgehen, angewendet werden können, müssen die empirisch beobachtbaren Bedingungen gefunden werden, unter denen diese entgegenläufigen Perzeptionen typischerweise auftreten. Ebenso wichtig ist es, über die Wirkung externer Eingriffe auf die intrinsische Motivation hinausgehend, die Auswirkungen auf das Verhalten zu untersuchen. Für diesen Zweck muß der normalerweise in der Ökonomik betrachtete Preis-Effekt zusammen mit dem Verdrängungs-Effekt angesehen werden. Dies soll im nächsten Kapitel unternommen werden. Zusammenfassung Psychologen haben die Verborgenen Kosten der Belohnung experimentell unter verschiedensten Bedingungen nachgewiesen. Eine (monetäre) Belohnung verdrängt die intrinsische Motivation, wenn die Selbstbestimmung eingeschränkt wird; die Selbsteinschätzung vermindert wird; die betreffenden Personen überveranlaßt werden; und die Möglichkeit der Äußerung der intrinsischen Motivation reduziert wird. Externe Eingriffe verdrängen die intrinsische Motivation, wenn sie als kontrollierend empfunden werden und erhöhen sie, wenn sie als unterstützend empfunden werden. Literaturhinweise Die Ergebnisse der Forschung über die Verborgenen Kosten der Belohnung werden zusammengefaßt in DECI, EDWARD L. und RICHARD M. RYAN, Intrinsic Motivation and Self-Determination in Human Behavior. New York: Plenum Press, 1985. Wichtige Beiträge sind gesammelt in LEPPER, MARK R. und DAVID GREENE (eds.), The Hidden Costs of Rewards: New Perspectives on the Psychology of Human Motivation. New York: Erlbaum, 1978. Die Forschungen über die Verwendung von Gutscheinen in Krankenhäusern und ähnlichen Anstalten werden diskutiert bei KAZDIN, A. E., The token economy: A decade later. Journal of Applied Behavioural Analysis 15 (1982): S. 431 445.
26 Teil A: Der Verdrängungs-Effekt Darstellungen der Motivationspsychologie geben z. B. HECKHAUSEN, HEINZ, Motivation und Handeln. Lehrbuch der Motivationspsychologie. Heidelberg: Springer, 2. Auflage 1989. WEINER, BERNARD, Motivationspsychologie. München: Psychologie Verlags-Union, 3. Auflage 1994. Allgemeine Übersichten über die Sozialpsychologie finden sich etwa in FREY, DIETER und MARTIN IRLE (Hrsg.), Theorie der Sozialpsychologie. Bern: Huber, 2. Auflage 1993. STROEBE, WOLFGANG und HANS WERNER BIERHOFF (Hrsg.), Sozialpsychologie. Eine Einführung. Berlin: Springer, 2. Auflage 1992.
4. Kapitel: Integration in die Wirtschaftstheorie I. Ein erweitertes Modell menschlichen Verhaltens In der Wirtschaftstheorie wird das Handeln von Menschen auf den (relativen) Preis-Effekt zurückgeführt: Eine Aktivität wird (ceteris paribus) gesteigert, wenn sich der dafür erzielbare Preis (im Vergleich zu anderen Preisen) erhöht7. Damit wird unterstellt, daß Individuen umso mehr und härter arbeiten, je höher der entsprechende monetäre Anreiz ist. Die gesamte moderne Ökonomik, und insbesondere die für unsere Frage bedeutungsvolle Prinzipal-Agenten-Theorie (vgl. z. B. STIGLITZ 1991, MILGROM und ROBERTS 1992), bauen auf dieser Beziehung auf. Beispielsweise unterhält sich ein Ökonom nicht darüber, ob eine höhere Strafe die Kriminalität reduziert; vielmehr wird er nur zu beantworten versuchen, um wieviel (COASE 1978, S. 210). Entsprechend wird argumentiert, Beschäftigte sollten, soweit immer möglich, abhängig von ihrer Leistung entlöhnt werden. Die ökonomische Theorie befaßt sich mit dem durch solche äußeren Anreize verursachten menschlichen Verhaltensänderungen. Die Psychologie befaßt sich demgegenüber mehr mit den aus dem Inneren kommenden Motivationen. Der Verdrängungs-Effekt zeigt, daß externe Eingriffe intrinsische Anreize untergraben können und entsprechend die Arbeitsanstrengung mindern, wenn die betreffenden Individuen das Gefühl haben, daß ihre Selbstbestimmung und Selbsteinschätzung eingeschränkt werden8. Diese beiden in gegenläufige Richtung wirkenden Effekte müssen nun in einen Zusammenhang gebracht werden. Zu diesem Zweck wird ein einfaches Modell formuliert, das den Preis-Effekt und den Verdrängungs-Effekt zusammenfügt. Die Wirkung eines externen Eingriffes (E) auf das menschliche Verhalten läßt sich am besten anhand einer Prinzipal-Agenten Beziehung erfassen: Der Prinzipal benützt Belohnungen und Vorschriften, um die Leistung (L) eines Agenten zu steigern. Der Agent könnte ein Arbeiter oder Angestellter einer Firma sein, oder allgemeiner, jeder dem eine Aufgabe zugewiesen wird. 7 Umgekehrt wird von einem Gut weniger nachgefragt, wenn sich dessen relativer Preis (ceteris paribus) erhöht. Damit wird der reine Substitutions-Effekt angesprochen. Der Einkommens-Effekt kann in umgekehrte Richtung wirken, aber die ökonomische Theorie kann inhaltlich nichts über dessen Richtung aussagen. Die Erfolge des ökonomischen Ansatzes zur Erklärung menschlichen Verhaltens (BECKER 1982, FREY 1990, KIRCH- GÄSSNER 1991) sind auf eine sinnvolle Anwendung des Preis-Effekts zurückzuführen. 8 Es braucht nicht betont zu werden, daß der Verdrängungs-Effekt nichts mit dem in der Makroökonomik geläufigen crowding-out zu tun hat. Danach nehmen staatliche Investitionen den Platz privater Investitionen ein, weil die Zinssätze in die Höhe getrieben werden und damit die privaten Investitionen verteuert werden. Es handelt sich um einen Preis-Effekt, der sich ohne jegliche Präferenzänderung abspielt.