Anämien. Care. Fortbildung. Einleitung. Klinische Abklärung. Erythrozytenvolumen (MCV). Bei einer Anisozytose

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Transkript:

Fortbildung Vol. 0 N o 0/2000 1.9.2000 Primary Primary 2003;3:1045 1050 Anämien K. Samii, M. Tajeddin, H. Stalder La version française de cette stratégie a été publiée dans le numéro 45 de Primary. Tabelle 1. Normalwerte. Einleitung Die Anämie wird durch eine Verminderung des Gesamthämoglobins definiert. Weder mit der Anzahl Erythrozyten noch mit dem Hämatokrit kann eine Anämie definiert werden. In der Praxis ist einzig der Hb-Gehalt wichtig, da er die Sauerstoffmenge bestimmt, welche zu den Geweben gelangt. Eine Anämie kann sekundär auftreten infolge Blutung, Hämolyse oder verminderter Erythrozytenbildung. Die Häufigkeit einer Anämie in der allgemeinen Bevölkerung liegt bei 1,5%. Die Diagnose einer Anämie wird meistens vom erstbehandelnden Arzt gestellt, vor allem wenn ein Mangel an Eisen, Vitamin B 12 oder Folsäure besteht, oder bei Entzündungen und Blutungen. Deshalb soll der erstbehandelnde Arzt in der Lage sein, die verschiedenen Anämien mit Hilfe einfacher Tests zu unterscheiden. Die Normalwerte sind in der Tabelle 1 aufgeführt. Die Überlebenszeit der Erythrozyten liegt normalerweise bei 90 120 Tagen. 1% der zirkulierenden Erythrozyten werden täglich abgebaut und durch das Knochenmark in gleicher Menge ersetzt. Eine Veränderung dieses Gleichgewichtes, sei es durch verstärkten Abbau (Hämolyse, Hypersplenismus), erheblichen Verlust (Blutung) oder verminderte Erythrozytenbildung (Mangelzustände, Myelodysplasien), führt zu einer Anämie. Die Anämie kann somit eine zentrale Ursache haben und keine vermehrte Regeneration zeigen (Retikulozyten <50 G/l) oder peripheren Ursprungs sein (mit regenerativer Reaktion). Die Anämie kann normozytär, mikrozytär oder makrozytär sein je nach mittlerem Männer Frauen Hämatokrit 40 52% 37 47% Hämoglobin 140 180 g/l 120 160 g/l Erythrozyten 4,4 6 T/l 3,8 5,2 T/l MCV (Hämatokrit/Ery) 82 98 fl MCHC (Hb/Hämatokrit) 320 360 g/l Bei Anämie: Retikulozyten <50 G/l aregenerative Anämie 50 100 G/l teilweise regenerative Anämie >120 G/l regenerative Anämie Erythrozytenvolumen (MCV). Bei einer Anisozytose ist das Erythrozytenvolumen unterschiedlich. Die Poikilozytose beschreibt eine wechselnde Form der Erythrozyten. Die Anämie kann normochrom oder hypochrom sein, je nach durchschnittlicher Hb-Konzentration in den Erythrozyten (MCHC). Klinische Abklärung Anamnese Anamnese und klinische Untersuchung ermöglichen in den meisten Fällen, die Ursache zu finden. Ein sorgfältiges und ausführliches Vorgehen vermeidet einerseits unnötige oder belastende Untersuchungen und rechtfertigt anderseits eine allfällige Knochenmarkbiopsie. Die Geschwindigkeit, mit welcher eine Anämie entsteht, bestimmt die Schwere der klinischen Symptome. Eine schleichend auftretende Anämie wird bis zu recht tiefen Hämoglobinwerten gut toleriert. Die Symptome sind hauptsächlich durch die Gewebehypoxie bedingt (unspezifische Anämiesymptome): Müdigkeit, Anstrengungsdyspnoe, Palpitationen, Tinnitus, Orthostase, Kopfschmerzen, Engegefühl, Claudicatio intermittens. Bestimmte anamnestische Angaben sind spezifischer und weisen auf die Ursache hin: Herkunft des Patienten, Vorhandensein auslösender Faktoren (Fieber, Medikamenteneinnahme, viraler Infekt) oder hereditäre Faktoren, Ernährungs- und andere Lebensgewohnheiten. Klinische Befunde Bestimmte klinische Befunde sind für eine bestimmte Anämieart spezifischer: Blässe mit Ikterus: hämolytische Anämie, sekundäre Anämie bei Hepatopathie Koilonychie (Hohl- oder Rillennägel): Eisenmangelanämie Glossitis: Vitamin-B 12-Mangel Mundwinkelrhagaden: Eisenmangelanämie Splenomegalie: Hämolyse, myelo- oder lymphoproliferatives Syndrom Neuropathie, Demenz: Vitamin B 12- oder Folsäuremangel Knochenschmerzen: Sichelzellanämie Laboruntersuchungen Blutstatus MCV: Eine Anämie kann normozytär, mikrozytär (MCV <80 fl) oder makrozytär 1045

Primary Fortbildung 1046 (MCV > 98 fl) sein. Die mikrozytäre Anämie findet man vor allem bei einem Eisenmangel oder bei Störungen der Hämoglobinsynthese (Thalassämie). Die makrozytäre Anämie kommt bei einem Mangel an Vitamin B 12 oder Folsäure vor sowie bei bestimmten myelodysplastischen Syndromen in Form einer «refraktären Anämie». Andere, nicht hämatologische Ursachen verändern ebenfalls das Erythrozytenvolumen: Hepatopathien, Medikamente (Zidovudin, Methotrexat), ferner die Geldrollenbildung beim multiplen Myelom oder schweren Entzündungen. Dadurch wird die Spezifität des MCV-Wertes vermindert. Retikulozyten: Eine Anämie mit regenerativen Anzeichen (Retikulozyten >100 G/l) weist auf eine periphere Ursache hin, z.b. Blutverlust oder Hämolyse. Retikulozyten <50 G/l deuten bei einer Anämie auf eine zentrale Ursache hin (Mangelzustände, Knochenmarkaplasie insbesondere der roten Reihe). Leukozyten und Thrombozyten: Die Verminderung der Leukozyten und Thrombozyten weist bei einer Anämie ohne Erhöhung der Retikulozyten auf eine Störung der Stammzellen hin (aplastische Anämie, Myelodysplasie oder Infiltration des Knochenmarks). Eine Anämie mit Thrombozytose (und Retikulozytose) kann Ausdruck eines Autoimmunmechanismus (Komplikation beim lymphoproliferativen Syndrom oder Kollagenose) oder einer Mikroangiopathie sein. Blutausstrich: Die Beurteilung der Erythrozyten im Blutbild ist bei einer Eisenmangelanämie sehr aufschlussreich (die Anisozytose zeigt sich früher als die Mikrozytose und der Abfall der MCHC), ebenso bei verschiedenen Hämoglobinopathien (Thalassämie, Sichelzellanämie) sowie bei Abnormitäten der Erythrozytenmembran (Sphärozytose, Ovalozytose, Elliptozytose). Das Auftreten von hypersegmentierten neutrophilen Leukozyten ist bei einem Mangel an Vitamin B 12 oder Folsäure sensibler als das MCV, da die Makrozytose durch eine gleichzeitig bestehende Thalassämie oder einem Eisenmangel überdeckt werden kann. Serumuntersuchungen Ferritin: Wegen seiner hohen Sensitivität und Spezifität ist diese Bestimmung der beste Indikator der Eisenreserven. Das Ferritin sinkt früher ab als das MCV und Hämoglobin. Das Ferritin steigt bei akuten und chronischen Entzündungen an, ebenso bei gewissen Malignomen und Hepatopathien. Ein Wert unter 20 mg/l gilt als diagnostisch für einen Eisenmangel, Werte über 200 mg/l schliessen einen solchen aus. Eisen und Transferrinsättigung: Das Eisen im Blut zeigt eine Tagesschwankung, die bis 30% des Grundwertes betragen kann. Deswegen ist die Eisenbestimmung für den Nachweis eines Eisenmangels nicht brauchbar. Die Transferrinsättigung ist beim Eisenmangel vermindert. Transferrin und Eisen sind bei chronischen Entzündungen, bei Malignomen und bei Hepatopathien vermindert. In der Schwangerschaft und bei Einnahme oraler Kontrazeptiva steigt das Transferrin an. Zur Diagnose eines Eisenmangels genügt die Bestimmung des Ferritins. Eisen und Transferrin sind nur bei zusätzlich bestehenden Entzündungen zu bestimmen. Lösliche Transferrin-Rezeptoren (stfr): Die stfr sind verstümmelte Formen von Membranrezeptoren, welche sich auf allen Zelloberflächen finden (ausser auf reifen Erythrozyten). Da sie auf den Vorläuferzellen der roten Blutreihe sehr zahlreich sind, hängt die Höhe der stfr wesentlich von der Erythropoese ab. So sind die Werte z.b. bei chronischer Niereninsuffizienz oder Knochenmarkaplasie vermindert, andererseits bei Hämolyse und Polyglobulie erhöht. Die Zahl der Rezeptoren an den Zelloberflächen hängt von der Verfügbarkeit des Eisens ab; ein Eisenmangel induziert die Bildung dieser Rezeptoren und ein Eisenüberfluss reduziert ihre Anzahl. Die grösste Dichte findet sich auf den Vorläuferzellen der roten Blutreihe im Knochenmark. Diese Anzahl ist bei Erwachsenen unabhängig von Alter und Geschlecht. Die Bestimmung dieses Wertes hilft, in schwierigen Fällen von Entzündungen mit Anämie abzuklären, ob tatsächlich ein Eisenmangel vorliegt (dann wäre der stfr-wert erhöht). Ebenso ermöglicht diese Bestimmung die Diagnose eines latenten Eisenmangels, bevor eine Anämie manifest wird. Falls bei einer Niereninsuffizienz auch ein Eisenmangel besteht, ist dieser Test nicht verwertbar. Eisenfärbung des Knochenmarkausstrichs:

Fortbildung Vol. 0 N o 0/2000 1.9.2000 Primary Diese Untersuchung weist die grösste Spezifität und Sensibilität für den Nachweis eines Eisenmangels auf, ist jedoch bei einem isoliertem Eisenmangel nicht indiziert. Vitamin-B 12-Bestimmung im Serum: Die Normgrenzen liegen zwischen 135 und 700 pmol/l. Der Serumgehalt an Vitamin B 12 muss in Zusammenhang mit der Klinik beurteilt werden. Die Werte sind bei myeloproliferativen Syndromen, Lebererkrankungen, Störungen der Darmflora und kongenitalem Mangel an Transkobalamin II falsch hoch oder normal. Umgekehrt ist Vitamin B 12 im Serum bei Folsäuremangel, in der Schwangerschaft, bei oraler Kontrazeption und beim multiplen Myelom falsch tief (wobei sich der Wert nach Behebung der Ursache normalisiert). In Zweifelsfällen können die Vorläufer von Vitamin B 12 bestimmt werden (Methylmalonsäure und Homocystein). Folsäurebestimmung: Der Folsäuregehalt wechselt in Abhängigkeit von der Nahrungszufuhr rasch und steigt vorübergehend bei Alkoholgenuss und Vitamin-B 12- Mangel an. Sensibilität und Spezifität dieser Bestimmung sind daher eingeschränkt. Der Folsäuregehalt in den Erythrozyten ist weniger von der Zufuhr abhängig, bleibt aber wenig spezifisch und sensibel bei einem Vitamin-B 12-Mangel, in der Schwangerschaft und bei Alkoholikern. Bei Hämolyse ist der Gehalt falsch hoch. Bestimmung der Vorläufer von Vitamin B 12: Methylmalonsäure (MMA) und Homocystein (Hcy): Bei einem Vitamin-B 12-Mangel steigen MMA um 86% und Hcy um 85% an. Bei einem Folsäuremangel ist nur Homocystein erhöht. Die Konzentration von MMA und Hcy verändern sich frühzeitiger als die Werte von MCV, Hb, Vitamin B 12 und Folsäure. Man könnte also von einem subklinischen Mangel sprechen. In der Praxis ist die Bestimmung von MMA im Urin dann nützlich, wenn der Serumgehalt von Vitamin B 12 an der unteren Normgrenze liegt. Parietalzellantikörper und «intrinsic factor»- Antikörper (anti-fi): Die Antikörper gegen Darmepithelzellen sind nicht spezifisch (50% positiv bei Perniziosa, 3 10% positiv bei Gesunden und bei endokrinen und Autoimmun-Erkrankungen). Die Antikörper gegen den «intrinsic factor» sind zwar spe- zifisch, jedoch wenig sensibel (60% positiv bei perniziöser Anämie). Schilling-Test: Dieser Test kann eine perniziöse Anämie (M. Biermer) von einer Malabsorption unterscheiden. Die Untersuchung ist zur Bestätigung einer Perniziosa bei fehlenden Antikörpern notwendig, gerade in Hinblick auf die Langzeitrisiken (neurologische Störungen und Darmkrebs). Der Test wird in zwei Schritten durchgeführt erster Schritt: Gabe von mit Kobalt 57* markiertem Vitamin B 12 per os (05, 1 mg) nach vorheriger Injektion einer hohen Dosis (1000 mg) von nicht markiertem Vitamin B 12. Das radioaktiv markierte B 12 wird im 24-Stunden-Urin gemessen. Wenn die ausgeschiedene Menge weniger als 7% der oralen Gabe ausmacht, wird der Test wiederholt (zweiter Schritt) wiederum mit oraler Gabe von markiertem Vitamin B 12 und zusätzlich «intrinsic factor». Wenn die renale Ausscheidung von markiertem Vitamin B 12 ansteigt, ist die perniziöse Anämie gesichert. Abklärung einer Hämolyse (Bilirubin, LDH, Haptoglobin, Coombs-Test, freies Hb): Diese Abklärung ist bei Verdacht eines vermehrten Erythrozytenabbaus gegeben (Anämie mit Retikulozytose ohne Anzeichen von Blutverlust). Der direkte und indirekte Coombs-Test lassen freie und auf der Erythrozytenoberfläche fixierte Antikörper erkennen. Ursachen einer Hämolyse bei negativem Coombs-Test sind Veränderungen an der Zellmembran (Sphärozytose), Hämoglobinopathien, Enzymopathien sowie die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) und auch Mikroangiopathien (thrombotische, thrombozytopenische Purpura). Ein positiver Coombs- Test bedeutet eine Hämolyse infolge extravaskulärer («warmer») oder intravaskulärer («kalter») Autoimmunantikörper. Eine extravaskuläre Hämolyse wird bei der chronisch lymphatischen Leukämie, bei Lymphomen, bakteriellen Infektionen oder Autoimmunkrankheiten beobachtet. Sie kann auch idiopathisch sein. Die intravaskuläre Hämolyse kommt bei viralen Infekten bei Kindern und Erwachsenen vor, ferner bei Infektionen mit Mycoplasma pneumoniae, bei lymphoproliferativen Syndromen (chronisch lymphatische Leukämie, Lymphome); gelegentlich bleibt die Ursache unbekannt. Bei intra- 1047

Primary Fortbildung vaskulärer Hämolyse ist die LDH stärker erhöht als bei extravaskulärer Hämolyse. Das freie Hämoglobin ist bei der extravaskulären Hämolyse stärker erhöht. Dabei ist das Haptoglobin stark erniedrigt oder fehlend. Differenzierung der Hämoglobine: Die Suche nach einer Hämoglobinopathie bei Risikopatienten (aus Mittelmeerländern, Afrika oder Asien) mit Hämoglobin-Elektrophorese, Bestimmung des fötalen Hämoglobins (HbF), des HbA oder eventuell mit genetischer Abklärung in bezug auf eine Thalassämie soll erst nach Ausschluss einer Eisenmangelanämie erfolgen, welche die häufigste Ursache einer mikrozytären Anämie ist. Empfehlungen zur Behandlung und Überwachung Eisenmangel-Anämie Die Bestimmung des Eisenmangels ist für die Planung der Behandlungsdauer wichtig. Man beachte, dass nur 10% der täglichen oralen Gabe aufgenommen werden: Eisenmangel (mg) = Hb-Sollwert (140 oder 120 je nach Geschlecht) Hb-Istwert 255. Eisen wird in Form von Sulfat gegeben, welches von der Magenmukosa besser absorbiert wird. Die Dosis beträgt 200 mg/tag nüchtern mit Vitamin C zur Beschleunigung der Absorption. Wenn Nebenwirkungen auftreten (Übelkeit, Durchfall, Verstopfung, Bauchkrämpfe), kann das Eisen auch nach dem Essen verabreicht werden. Das Blutbild ist zehn Tage nach Therapiebeginn zu kontrollieren, um den Anstieg der Retikulozyten zu beobachten. Wirksam ist die Behandlung bei einem Anstieg des Ferritins auf 50 mg/l. In folgenden Fällen kann Eisen intravenös gegeben werden: Unverträglichkeit bei oraler Gabe, Interaktionen mit anderen Medikamenten (Antazida oder Tetrazykline), sowie bei intestinaler Malabsorption (Zöliakie, M. Crohn). Tee und Kaffee vermindern die Eisenabsorption. Intravenös wird Eisen in Form von Saccharat gegeben (Venofer 200 mg in 200 ml NaCl 0,9% während 30 Minuten). Anämie infolge Vitamin-B 12-Mangel Üblicherweise wird Vitamin B 12 als i.m.-injektion verabreicht (subkutan bei Thrombopenie). Die Dosis beträgt 1000 mg/tag während einer Woche, dann 1000 mg pro Woche während vier Wochen, anschliessend 1000 mg pro Monat während sechs Monaten. Beim M. Biermer (Perniziosa) oder Malabsorption muss die Erhaltungsdosis etwa alle drei Monate verabreicht werden. Die Normalisierung des Serumgehaltes an Vitamin B 12 wird einen Monat nach Therapiebeginn erreicht, während die Retikulozytenkrise nach 5 bis 7 Tagen eintritt. Deshalb soll Folsäure in einer Dosis von 5 mg/tag von Anbeginn gegeben werden. Neurologische Störungen bilden sich sechs Monate nach Therapiebeginn zurück, wobei diese Regression direkt abhängig von der Dauer der Symptome ist. Falls die neurologischen Symptome nach dem Normalisieren des Vitamin B 12 im Serum bestehen bleiben, soll MMA und Hcy bestimmt werden. Wenn diese Werte erhöht sind, ist noch immer ein Mangel vorhanden. Folsäure-Mangel Die häufigste Ursache eines Folsäure-Mangels ist eine ungenügende Zufuhr oder ein erhöhter Bedarf oder beides. Bestimmte Medikamente sind Folsäureantagonisten (Methotrexat, Pyrimethamin, Trimethoprim), so dass ihre Verabreichung einen Folsäuremangel erzeugt. Die empfohlene Dosis ist 5 mg Folsäure/Tag. Bluttransfusion Die Notwendigkeit von Bluttransfusionen ist bei Anämien selten (Tab. 2). Ein Beutel Ec- Konzentrat erhöht das Hb um 10 g/l bei einem Patienten von 70 kg und bringt eine Zufuhr von 200 mg Eisen. Tabelle 2: Indikationen für eine Transfusion von Ec-Konzentrat. symptomatische Anämie bei Normovolämie, unabhängig vom Hb-Wert akuter Verlust von mehr als 15% des Erythrozytenvolumens Blutverlust mit Hypoxie Hb <80 g/l vor einem chirurgischen Eingriff Hb <90 g/l bei Patienten, die regelmässig Transfusionen benötigen 1048

Fortbildung Vol. 0 N o 0/2000 1.9.2000 Primary Die drei wichtigsten «take-home messages» Eine gute Anamnese, eine sorgfältige klinische Untersuchung und ein Blutausstrich (lege artis beurteilt) ergeben in den meisten Fällen die Diagnose bei einer Anämie. Eine mikrozytäre Anämie bedeutet nicht immer einen Eisenmangel: Bei normalem Ferritin besteht der Verdacht einer Hämoglobinopathie. Die perniziöse Anämie (M. Biermer) erfordert eine lebenslange Therapie. Datum der ersten Ausgabe: 15. März 1998 durch Ch. de Pree und Ph. Béris Aktualisierungen: 13. September 2000 durch M. Tajeddin, K. Samii und H. Stalder und 2. Dezember 2002 durch K. Samii, M. Tajeddin und H. Stalder Für Informationen, Kommentare und Fragen: Hans.Stalder@hcuge.ch Diese Strategie ist auch im Internet verfügbar unter http://www.hcuge.ch/dmc/fr-strateg.htm Literatur 1 Beris Ph, Tobler A. Diagnostic de l anémie. Méd et Hyg 1997;55:1812 6. 2 Frewin R, Henson A. ABC of clinical haematology: iron deficiency anaemia. BMJ 1997;314:360 3. 3 Duffy T. Evaluation of anemia in an adult and adolescent. Current practice of medicine 1999:973 86. 4 Little DR. Ambulatory management of common forms of anemia. Amer Fam Physician 1999;59:1598 604. 5 Abramson SD, Abramson N. Common uncommon anemias. Amer Fam Physician 1999;59:851 8. 6 Snow Ch. Laboratory diagnosis of Vitamine B 12 and folate deficiency. Arch Int Med 1999;159:1289 98. 1049

Primary Fortbildung <82 mikrozytäre Anämie nein Untersuchen: Leberfunktion endokrinologische Abklärung (siehe Text) Kreatinin pathologisch? nein ja Ferritin-Bestimmung weiter abklären Ferritin tief? nein ja Blutsenkung und CRP bestimmen Eisenmangel: Ursache suchen Verlust ernährungsbedingt entzündlicher Zustand? ja nein weiter abklären MCV tief? ja nein Auf Thalassämien oder andere Hb-Anomalien abklären Hämatologische Konsultation, Knochenmarkbiopsie aplastische Anämie medulläre Infiltration myelodysplastisches Syndrom Anämie Blutbild mit Retikulozyten MCV? 82 98 normozytäre Anämie >98 makrozytäre Anämie Retikulozyten erhöht? Messung von Vit. B12 und Folsäure normale Werte? ja nein ja Retikulozyten erhöht? Vit.-B12-Mangel Folsäuremangel ja nein abklären: Schilling-Test abklären Hämorrhagie Hämolytische Anämie (Abklärung siehe Text) ausschliessen: Alkoholismus Lebererkrankung Hypothyreose COPD medikamentöse Ursache Ursache bekannt? nein ja Hämatologische Konsultation, Knochenmarkbiopsie myelodysplastisches Syndrom Myelophtyse behandeln 1050