18 Stetigkeit Den Begriff der Funktion oder Abbildung haben wir bereits im ersten Semester kennengelernt und er hat uns stets begleitet. In der Analysis untersucht man reelle Funktionen f : D R mit Definitionsbereich D R. Da D häufig ein Intervall, oder eine Vereinigung von Intervallen ist, soll dieser Begriff hier nochmals wiederholt werden. Es seien a, b R, a b. Die Mengen [a, b] := {x R ; a x b}, ]a, b[ := {x R ; a < x < b}, [a, b[ := {x R ; a x < b}, ]a, b] := {x R ; a < x b} heißen Intervalle. Es heißen ]a, b[ offenes Intervall [a, b] abgeschlossenes Intervall ]a, b] und [a, b[ halboffenes Intervall Man lässt für a oder b auch oder zu, und erhält z. B. ], b] = {x R ; x b}. In diesem Fall spricht man manchmal von einem unendlichen Intervall. Beispiel. 1.) Wie kann man R als Intervall schreiben? 2.) ] 1, 0[ ]0, 1] = ] 1, 1] \ {0}, und ]0, 1[ ]1, [ = R >0 \ {1} sind typische Vereinigungen von Intervallen, wie sie als Definitionsmengen von Funktionen auftreten können. 3.) Wie kann man R \ {0} als Vereinigung von Intervallen schreiben? Häufig werden wir Graphen einer reellen Funktion skizzieren. Allerdings, kann man nicht alle Funktionen skizzieren. Beispiel. Die Dirichletfunktion ist definiert durch { 1 x Q f : R R ; x 0 x R \ Q. Sie ist benannt nach P. G. L. Dirichlet 9 (1805 1859). Wie sieht der Graph aus? Stetigkeit Es seien D R und eine Funktion f : D R gegeben. Anschaulich bedeutet Stetigkeit, dass die Funktion keine Sprünge macht. Wenn man also eine Stelle x 0 D betrachtet und ein weiteres x D, das nahe bei x 0 liegt, ist auch f(x) nahe bei f(x 0 ). Beispiel. 1.) Der Geschmack eines Kuchens hängt stetig von der Menge der Zutaten ab: Gibt man statt 300g Zucker 302g Zucker in den Teig, wird man das kaum schmecken können; der Geschmack ändert sich nur wenig. 9 http://de.wikipedia.org/wiki/peter_gustav_lejeune_dirichlet 38
2.) Da Funktion f : R R; t { 0 falls die Ampel zur Zeit t Rot zeigt; 1 sonst ist nicht stetig; volkstümlich: Die Ampel springt auf.... Obwohl die anschauliche Idee der Stetigkeit die Funktion als Ganzes betrifft, bewährt es sich, Stetigkeit lokal zu definieren. D.h. wir betrachten einzelne Stellen des Definitionsbereiches der Funktion und ihre Umgebung. Wir präzisieren diese Ideen in einer (18.1) Definition. Gegeben sei eine reelle Funktion f : D R und x 0 R so, dass es eine Folge (x n ) D gibt, mit (x n ) x 0. (1) f hat an der Stelle x 0 den Grenzwert a R, geschrieben lim f(x) = a x x0 f(x) a für x x 0, wenn für jede Folge oder (x n ) x 0 mit x n D gilt lim n f(x n ) = a. (2) Sei x 0 D, dann heißt f stetig an der Stelle x 0, wenn gilt: lim x x0 f(x) = f(x 0 ). (3) f heißt stetig auf X D, falls f an jeder Stelle x 0 X stetig ist. (4) Im Fall X = D sagt man auch kurz die Funktion sei stetig. Statt stetig an der Stelle x 0 sagt man auch kürzer stetig in x 0. Ist eine Funktion f in x 0 D nicht stetig, nennt man f unstetig an der Stelle x 0 und x 0 eine Unstetigkeitsstelle von f. Dies bedeutet, dass es mindestens eine Folge (x n ) mit x n D und (x n ) x 0 gibt, für die einer von zwei Fällen eintritt: Die Folge der Funktionswerte (f(x n )) konvergiert nicht oder lim n f(x n ) f(x 0 ). (18.2) Bemerkung. 1.) Man beachte, dass bei der Definiton des Grenzwerts, x 0 nicht in D liegen muss. Man kann auch Grenzwerte für Punkte bilden, die am Rand von D liegen. 2.) Die Bedingung (2) ist lokal, weil sie nur den Punkt x 0 und seine nahe Umgebung (durch die Folgen!) berücksichtigt. 3.) Die generelle Voraussetzung an x 0 ist in (2) trivial erfüllt, weil die konstante Folge (x 0 ) n N ganz in D liegt und gegen x 0 konvergiert. 4.) Wichtig ist die Tatsache, dass bei Fragen der Stetigkeit nur Stellen aus dem Definitionsbereich berücksichtigt werden. 39
5.) Unsere Definition ist so gemacht, dass das Anwenden einer stetigen Funktion auf die Glieder einer konvergenten Folge mit dem Übergang zum Grenzwert vertauscht werden kann. Es gilt also ( ) lim f(x n) = f lim x n. n n Solch eine Regel haben wir in (15.6.2) für die Betragsfunktion R R; x x gezeigt. Die Betragsfunktion ist daher stetig (auf ganz R). 6.) Solche Vertauschungsregeln sind von zentraler Bedeutung in der Mathematik. Auch die Eigenschaft einer Abbildung ein Homomorphismus zu sein ist von dieser Art. (18.3) Beispiele. 1) Die konstante Funktion f : R R ; x c mit c R beliebig ist für jedes x 0 R stetig; denn für jede Folge (x n ) mit lim n x n = x 0 gilt: 2) Die identische Abbildung id : R R ; x x ist stetig (auf R), denn für alle x 0 R gilt: 3) Sei f : R R ; x x 2. An der Stelle x 0 = 2 finden wir: Für jede Folge (x n ) mit x n R, und lim n x n = 2 gilt 40
Das geht für beliebiges x 0 ganz ähnlich. Für jede Folge (x n ) mit x n R, und lim n = x 0 hat man n An jeder Stelle stimmen lim x x0 f(x) und f(x 0 ) überein; die Funktion ist auf ganz R stetig. 1 für x > 0 4) Hat die Funktion sgn : R R ; x 0 für x = 0 1 für x < 0 Vorzeichen) an der Stelle x 0 = 0 einen Grenzwert? Dazu betrachten wir, genannt Signum (das 5) Sei f : R \ {0} R ; x 1. Wir untersuchen, ob f an einer Stelle x x 0 R einen Grenzwert hat. 1. Fall: x 0 0. Es sei (x n ) eine Folge mit x n R \ {0}, und lim x n = x 0. Dann gilt n nach (15.11.3): 41
2. Fall: x 0 = 0. Wir vermuten Dies beweisen wir, 6) Wir untersuchen die Funktion f : R \ {1} R ; x x2 1 x 1 an der Stelle x 0 = 1. Sei also eine Folge (x n ) auf R \ {1} gegeben, mit lim x n = 1. Dann gilt 42
Man kann f stetig ergänzen, durch g : R R; x { f(x) für x 1; 2 für x = 1. In der Tat werden wir bald sehen, dass f und damit g für alle x R \ {1} stetig ist. Unsere Überlegungen zeigen, dass g auch an der Stelle 1 stetig ist. Auch f ist stetig. Die einzige kritische Stelle liegt nicht im Definitionsbe- Vorsicht: reich! 7) Sei f : ]0, 1[ R ; x 1. Dann schreiben wir analog zu Folgen lim f(x) =. x x 0 8) Sei f : R \ {1} R ; x x+1. Dann gilt für lim f(x) = 1. x 1 x Frage : Was ist mit lim f(x)? x 1 Wir werden auf eine formale Definition der Konstrukte in 7) und 8) für Funktionen verzichten. Es sind einige Fälle zu berücksichtigen, aber es sollte klar sein wie man vorgehen muss. Aus (15.11) und (15.13) folgen direkt die analogen (Rechen-)regeln für lim x x0. Auf eine formale Ausführung kann daher verzichtet werden. Wir untersuchen die Exponentialfunktion und den natürlichen Logarithmus etwas genauer. (18.4) Es gelten (1) lim x 0 e x = 1 und lim x 0 e x 1 x = 1. (2) lim x e x = und lim x ex = 0. (3) exp ist stetig auf ganz R. (4) lim x ln(x) = und lim x 0 ln(x) =. (5) ln ist stetig auf ganz R >0. Beweis. (1) Nach (17.1) gilt für alle x ] [ 1, 1 2 2 die Abschätzung 1 + x exp(x) 1 1 x = x exp(x) 1 x 1 x ( ) 43
Es gilt lim 1 + x = 1 = lim und der Einschließungssatz (15.13) zeigt die erste x 0 1 x Behauptung. ( ) besagt x exp(x) 1 x. Weiter als Übung! 1 x (2) Die zweite Aussage folgt x 0 1 dann mit (17.1.2). (3) Es sei nun x 0 R. Statt lim x x0 exp(x) untersuchen wir lim h 0 exp(x 0 + h); wir ersetzen also x durch x 0 + h. lim exp(x 0 + h) = lim(exp(x 0 ) exp(h)) =! exp(x 0 ) lim(exp(h)) = exp(x 0 ). h 0 h 0 h 0 (4) kann man aus (2) herleiten. (5) Übung. (18.5) Bemerkung. 1.) Die Beweise unter (1) hätte man leichter mit der Potenzreihendarstellung führen können: exp(x) 1 x exp(x) = 1 + x + 1 2 x2 + 1 für x 0 = 1 ( x + 1 ) x 2 x2 +... = 1 + 1 2 x + 1 für x 0 Das Problem besteht darin, dass wir hier zwei Grenzübergänge vertauschen, nämlich x 0 und die Summation der Reihe. Es ist zwar erlaubt, das zu tun, aber der Beweis würde einen gewissen Aufwand erfordern. 2.) Häufig hört man, dass man den Graphen einer stetigen Funktion ohne Unterbrechung zeichnen zu kann. So wird es auch gerne in der Schule dargestellt. Diese Vorstellung ist nicht völlig falsch, solange man gutartige Funktionen auf einem Intervall betrachtet, die dort überall stetig sind. Wenn der Definitionsbereich der Funktion kein Intervall ist, dann ist diese Vorstellung falsch, wie das Beispiel der Funktion x 1 x zeigt. Es gibt aber auch andere pathologische Fälle für die diese Beschreibung nicht stimmt. Es gibt sogar stetige Funktionen auf einem Intervall, die man gar nicht zeichnen kann! Wichtige Sätze Sind f und g reelle Funktionen mit den Definitionsbereichen D f man unter f + g die Funktion f + g : D f D g R ; x (f + g)(x) := f(x) + g(x) und D g, so versteht Diese Definitionen wurden schon im zweiten Semester auf ähnliche Weise formuliert. Analog definiert man besitzt. f g, f g, f g wobei f g den Definitionsbereich D f { x D g ; g(x) 0 } 44
(18.6) Rechenregeln für stetige Funktionen. Sind f und g stetig in x 0, so gilt (1) f + g, f g, f g sind stetig an der Stelle x 0. (2) f g ist stetig an der Stelle x 0, falls g(x 0 ) 0 gilt. Beweis. Wegen der Stetigkeit von f und g folgt lim f(x) = f(x 0 ) und lim g(x) = x x0 x x0 g(x 0 ). Aus den Rechenregeln für Grenzwerte (15.11) erhalten wir lim (f + g)(x) = lim (f(x) + g(x)) = lim f(x) + lim g(x) x x 0 x x0 x x0 x x0 = f(x 0 ) + g(x 0 ) = (f + g)(x 0 ). Also ist f + g an der Stelle x 0 stetig. Analog zeigt man die übrigen Behauptungen des Satzes (Beweis als Übung empfohlen). Bemerkung. Die Aussage (1) impliziert, dass die Menge aller stetigen Funktionen auf einem Intervall I einen Untervektorraum des Vektorraums R I bilden. Auch die Verkettung stetiger Funktionen ist stetig. (18.7) Seien f : D f R und g : D g R stetig mit Bild f D g. Dann ist g f stetig (auf D f ). Beweis. Sei x 0 D f und (x n ) x 0. Man wende die Vertauschbarkeit von Funktionsanwendung und Grenzwertbildung schlicht zweimal an und beachte dabei, dass g an jeder Stelle f(x n ) stetig ist. lim g(f(x n)) = g( lim f(x n )) = g(f( lim x n )) = g(f(x 0 )). n n n Diese beiden Sätze liefern eine Fülle stetiger Funktionen. Wir bringen einige wichtige Beispielklassen. (18.8) Beispiele. 1.) Die Funktion ln ist stetig. Dann sind die Funktionen log a, x x b, x c x, a, b, c geeignet, auf ihrem jeweiligen Definitionsbereich sämtlich stetig. 2.) Die Funktion R R ; x x k, k N, ist stetig. 1. Beweis: x k = x x k 1 und Induktion (vgl. auch (18.3.2)). 2. Beweis: Spezialfall von 1.) falls x > 0 und x k = ( 1) k ( x) k für x < 0. 3.) Jede Polynomfunktion x a n x n + a n 1 x n 1 + + a 1 x + a 0 ist stetig auf ganz R. Nach 2.) ist x x k stetig, dann wird mit Konstanten multipliziert und addiert. 45
4.) Eine Funktion f heißt rational, wenn f(x) := p(x) q(x) mit Polynomen p und q. Der maximale Definitionsbereich ist D f = { x R ; q(x) 0 }. Da q nur endlich viele Nullstellen hat, ist das der Zahlenstrahl mit einigen Löchern. So ist D f die disjunkte Vereinigung endlich vieler Intervalle. Rationale Funktionen sind stetig. Konkretes Beispiel: Die Funktion R \ { 1, 1} R ; x x + 2 x 2 1 ist stetig. Der folgende Satz zeigt, dass die geometrische Anschauung für stetige Funktionen auf Intervallen (halbwegs) gerechtfertigt ist. (18.9) Zwischenwertsatz. Sei a, b R, a < b, und f : [a, b] R stetig. Dann nimmt f jeden Wert zwischen f(a) und f(b) an. Genauer: Zu jedem y 0 zwischen f(a) und f(b) (d.h. f(a) y 0 f(b) oder f(b) y 0 f(a)) existiert ein x 0 [a, b] mit f(x 0 ) = y 0. Insbesondere, falls f(a) f(b) < 0, dann gibt es im Intervall ]a, b[ eine Nullstelle. Beweis (Skizze). Sei o.e. f(a) < f(b) und y 0 ] f(a), f(b) [. Wir müssen zeigen, dass es ein x 0 [a, b] gibt mit f(x 0 ) = y 0. Betrachte dazu die Menge A := { x [a, b] ; f(x) y 0 }. Diese Menge ist nicht leer (a A) und nach oben beschränkt durch b. Wegen der Vollständigkeit von R existiert das Supremum x 0. Man zeigt, dass es eine Folge (x n ) x 0 gibt mit x n A. Wegen der Stetigkeit hat man lim n f(x n ) = f(x 0 ). Nach Konstruktion gilt daher f(x 0 ) y 0. Schließlich kann man zeigen, dass f(x 0 ) < y 0 auf einen Widerspruch führt. Die zweite Aussage folgt aus der ersten, weil 0 zwischen f(a) und f(b) liegt, falls f(a) f(b) < 0. Bemerkung. 1.) Die fehlenden Details im Beweis kann man z.b. in [Heu03, 35.5] nachlesen. Dort wird der Nullstellensatz bewiesen (die Insbesondere -Aussage unseres Satzes). Daraus kann man durch Übergang zu f(x) y 0 leicht die allgemeine Aussage herleiten. 2.) Einen anderen Zugang zum Beweis gibt [Beh09, 3.3.6]. Die erste Anwendung im folgenden Abschnitt basiert darauf. Anwendungen Zunächst ein numerisches Verfahren zur Nullstellenbestimmung, das sich direkt aus dem Zwischenwertsatz ergibt. Das Bisektionsverfahren. Gegeben sei ein stetige Funktion f : [a, b] R mit f(a)f(b) < 0. Nach (18.9) existiert eine Nullstelle in ]a, b[. Wir definieren rekursiv zwei Folgen (u n ) und (v n ) in [a, b]. Die Startwerte seien u 0 := a und v 0 := b. 46
Im n-ten Schritt sei x := u n 1 + v n 1 2 (der Mittelpunkt von u n 1 und v n 1 ) und u n := x, v n := v n 1 falls f(x)f(v n 1 ) < 0 (neues Intervall [x, v n 1 ]) u n := u n 1, v n := x falls f(x)f(v n 1 ) > 0 (neues Intervall [u n 1, x]). Im Fall f(x) = 0 brechen wir ab, weil wir die gesuchte Nullstelle gefunden haben. Dieser Fall spielt in der Praxis keine Rolle. (18.10) Die Folgen (u n ) und (v n ) sind konvergent mit demselben Grenzwert c und es gilt f(c) = 0. Genauer gilt die Fehlerabschätzung: u n + v n c 2 v n u n b a 2 2. n Beweis. Nach (18.9) liegt die gesuchte Nullstelle c im Intervall ]u n, v n [. Daraus folgt Das zeigt die erste Fehlerabschätzung. ( ) Die Zweite ergibt sich durch vollständige Induktion nach n. Insbesondere gilt 0. Daraus folgt die Konvergenz der beiden b a 2 n Folgen gegen die Nullstelle c. (18.11) Bemerkung. 1.) Um das Bisektionsverfahren anzuwenden muss man wie bei anderen Verfahren auch eine grobe Näherung der Nullstelle erraten, oder graphisch bestimmen, oder.... Dann kann man die Startwerte a und b wählen, usw. 47
2.) Das Bisektionsverfahren ist sehr universell. Einzige Voraussetzung ist die Stetigkeit der Funktion f. Leider konvergiert es relativ langsam. Daher wird es in der Praxis selten eingesetzt. 3.) Das Bisektionsverfahren liefert eine Intervallschachtelung: Der anzunähernde Wert liegt stets in einem Intervall ]u n, v n [ ]u n 1, v n 1 [. Diese sind ineinander geschachtelt. Beispiel. Wir suchen die Nullstelle des Polynoms x 3 2 im Intervall [1, 2]. n 0 1 2 3 4 5 6 7 8 u n 1 1.25 1.2578... v n 2 1.5 1.375 1.3125 1.281... 1.2656... 1.2617... Es gilt 3 2 1.259921.... Surjektivität. Wir können jetzt einige Lücken schließen, die in Kapitel 17 (und auch im 1. Sem.) geblieben sind. Zunächst betrachten wir die Exponentialfunktion. (18.12) Satz. Die Abbildung exp : R R >0 ist surjektiv. Das zeigt den Rest von (17.1.7). Beweis. Sei y 0 R >0. Nach (18.4.2) gilt lim exp(x) = und lim exp(x) = 0, sodass x x x 1, x 2 R existieren mit exp(x 1 ) < y 0 < exp(x 2 ). Nach dem Zwischenwertsatz (18.9) existiert also x 0 zwischen x 1 und x 2 mit exp(x 0 ) = y 0. Bemerkung. Die Surjektivität der ln-funktion ergibt sich direkt aus der Definition als Umkehrfunktion von exp; oder auch aus (18.4) wie im obigen Beweis. (18.13) Satz. Sei p R und f : R >0 R >0 ; x x p. 0 falls p > 0 falls p > 0 (1) lim f(x) = 1 falls p = 0 und lim f(x) = 1 falls p = 0 x 0 x falls p < 0 0 falls p < 0 (2) Im Fall p 0 ist f surjektiv. (3) Sei nun p N, dann kann f auf ganz R fortgesetzt werden und es gilt { falls p gerade lim x xp = falls p ungerade Beweis. (1) Übung! (2) folgt wie gewohnt { aus dem Zwischenwertsatz (18.9) und (1). (3) Es gilt ( x) p x p falls p gerade = x p falls p ungerade. Daher folgt die Behauptung aus (1). 48
(18.14) Bemerkung. Wie in (17.7.1) angekündigt, können wir nun eine alternative Konstruktion für die n-te Wurzel angeben: Die Funktion f : R 0 R 0 ; x x n ist für alle n N stetig und nach (17.12.2) injektiv. Wegen f(0) = 0 und lim x f(x) = ist f auch surjektiv, also bijektiv. Die Umkehrfunktion f 1 (x) = n x liefert die n-te Wurzel. Polynome ungeraden Grades besitzen stets eine Nullstelle. Es gilt aber noch mehr. (18.15) Satz. Jedes Polynom f ungeraden Grades ist eine surjektive Abbildung R R. Insbesondere hat f eine Nullstelle. Beweis. Für ungerade n gilt nach (18.13.3) lim x n = und lim x x xn =. Bei einem Polynom bestimmt die höchste Potenz das Verhalten gegen ±. Daraus folgt die Behauptung mit (18.9). Bemerkung. Das tragende Argument ist die Zeile Bei einem Polynom bestimmt die höchste Potenz das Verhalten gegen ±. Wir deuten den Beweis dafür kurz an: Sei f(x) = a n x n +a n 1 x n 1 + +a 1 x+a 0 ein Polynom vom Grad n, d. h. a n 0. O.E. dürfen wir a n > 0 annehmen, denn sonst könnten wir f betrachten. Wir schreiben f(x) = a n x n + g(x) mit dem Polynom g vom Grad kleiner als n. Man sieht leicht, dass g(x) lim x ± x = lim n x ± Daher gibt es ein r > 0 mit a n + g(x) x n > a n an 2 = an 2 und damit ( an 1 + a n 2 + + a ) 0 x 2 x n = 0. x g(x) x < a n2 für alle x mit x > r. Für solche x gilt also n ( f(x) = x n a n + g(x) ) { > an 2 xn falls x > 0 oder n gerade x n < an 2 xn falls x < 0 und n ungerade. Das ε-δ-kriterium. Stetigkeit wurde historisch anders eingeführt. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts formulierten unabhängig voneinander Augustin Louis Cauchy 10 (1789 1857) und Bernard Bolzano 11 (1781 1848) eine bereits präzise Definition. Die folgende beweistechnisch einfacher zu handhabende Variante dieser Definition stammt von Karl Weierstraß 12 (1815 1897). Wir formulieren sie als Kennzeichnung. (18.16) Satz. Eine Funktion f : D R ist in x 0 D stetig ε > 0 : δ > 0 : x D mit x x 0 < δ gilt f(x) f(x 0 ) < ε. 10 http://de.wikipedia.org/wiki/augustin_louis_cauchy 11 http://de.wikipedia.org/wiki/bernard_bolzano 12 http://de.wikipedia.org/wiki/karl_weierstrass 49
Beweis. = : Zu zeigen ist x x 0 = f(x) f(x 0 ): Gegeben sei eine beliebige Folge (x n ) x 0 und ein beliebiges ε > 0. Nach Voraussetzung existiert ein δ > 0, so dass für alle x D mit x x 0 < δ gilt: f(x) f(x 0 ) < ε. Zu diesem δ wiederum gibt es wegen der Konvergenz von (x n ) ein n 0 N mit x n x 0 < δ für alle n n 0. Also n n 0 : f(x n ) f(x 0 ) < ε. Somit konvergiert (f(x n )) gegen f(x 0 ). = : Zu zeigen ist: ε > 0..., vorausgesetzt ist die Stetigkeit von f in x 0. Wir gehen indirekt vor und nehmen an, die Behauptung sei falsch. Das bedeutet: ε > 0 : δ > 0 : x D mit x x 0 < δ, aber f(x) f(x 0 ) ε. Mit anderen Worten: Es gibt mindestens eine Folge (x n ) x 0 (denn: δ > 0 x D mit x x 0 < δ), deren Bildfolge f(x n ) nicht gegen f(x 0 ) konvergiert (denn: ε > 0... f(x) f(x 0 ) ε). Dies ist ein Widerspruch zur Voraussetzung der Stetigkeit in x 0 ; damit ist der Satz bewiesen. Bemerkung. In vielen Büchern wird Stetigkeit mit Hilfe von (18.16) definiert und unsere Definition als dazu äquivalente Aussage bewiesen. Als Abschluss noch ein Beispiel zum Selbststudium, das erneut zeigt welch eigentümliche Eigenschaften Funktionen haben können. Hier ist das Kriterium aus (18.16) einfacher anzuwenden. Beispiel. Sei f : R R gegeben durch { 0 für x Q und für x = 0 f(x) := 1 für x = p Q\{0} mit p Z, q N teilerfremd q q Frage : An welchen Stellen ist f stetig? Antwort : f ist unstetig für x 0 Q\{0}, denn in jeder δ Umgebung von x 0 liegen irrationale Zahlen mit f(x) = 0. Somit ist die ε δ Bedingung für kein ε mit 0 < ε < f(x 0 ) erfüllt. Hingegen ist f stetig für x 0 Q und für x 0 = 0: Zu jedem ε > 0 existiert ein n 0 N mit 0 < 1 n 0 < ε. Da es nur endlich viele x [x 0 1, x 0 + 1] gibt mit f(x) 1 n 0, existiert } δ := min { x x 0 ; f(x) 1n0 > 0. Dieses δ erfüllt die Bedingung aus (18.16). Ist nämlich x x 0 < δ so gilt f(x) f(x 0 ) < 1 n 0 < ε. 50