Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Sport und Gesellschaft

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Transkript:

253 Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Sport und Gesellschaft Ulrike Burrmann, Michael Mutz & Ursula Zender Technische Universität Dortmund, Institut für Sport und Sportwissenschaft Problemstellungen und Forschungsperspektiven Wie die gesellschaftliche Integration von Zugewanderten besser gelingen könne, wird in den aktuellen politischen Debatten rege diskutiert. Insbesondere die Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist ein Thema, das die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit bindet. Im Nationalen Integrationsplan der Bundesregierung wird vermutet, dass der Sport die soziale, kulturelle, politische und möglicherweise auch die strukturelle Integration von Zugewanderten positiv beeinflussen kann (vgl. Bundesregierung, 2007). Das Forschungsprojekt versucht die bislang weitgehend unbearbeiteten Fragen nach den Integrationsleistungen des (organisierten) Sports näher zu erschließen. Dabei werden zwei Forschungsperspektiven verfolgt: (1) Zum einen geht es um die Frage der Integration in den Sport. Die Sportbeteiligung und die (unterschiedlichen) Sportengagements der Jugendlichen mit Migrationshintergrund stehen im Fokus dieser ersten Forschungsperspektive. (2) Zum anderen geht es um die aus den Sportengagements resultierenden Integrationseffekte, also um Integration durch Sport. Lassen sich Integrationsvorteile bei jenen Jugendlichen erkennen, die sich am Sport in unterschiedlichen Engagementformen beteiligen? Beide Forschungsperspektiven verweisen insofern aufeinander, als eine Integration in den Sport Voraussetzung dafür ist, dass Integration durch Sport überhaupt stattfinden kann. Methode Das Projekt basiert auf einer Sekundäranalyse der Daten, die im Rahmen der Nationalen Ergänzungserhebung zur PISA-Studie 2000 erhoben wurden. Dieser Datensatz enthält Auskünfte von etwa 34.000 15-jährigen Jugendlichen, von denen mehr als 6.000 einen Migrationshintergrund besitzen. Bei der Zuweisung eines Migrationshintergrunds haben wir uns an der amtlichen Statistik orientiert: Demnach besitzt ein Jugendlicher einen Migrationshintergrund, wenn er selbst nicht in Deutschland geboren ist oder mindestens einen Elternteil hat, der nicht in Deutschland geboren wurde. Die Größe des Datensatzes erlaubt es, zuverlässige Aussagen über die Sportengagements von 15-jährigen Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu treffen und diese Aussagen vielschichtig zu differenzieren. Es können Aussagen über den zeitlichen Umfang des Sporttreibens, die Mitgliedschaft im Sportverein und die Teilnahme an Sportarbeitsgemeinschaften der Schule getroffen werden. Darüber hinaus stehen Angaben zu den sozialen, kulturellen und ökonomischen Lebensbedingungen der 15-Jährigen zur Verfügung sowie Indikatoren, die auf die Integration in die Gesellschaft verweisen. Als Integrationsindikatoren berücksichtigen wir die Bildungs- und Berufsziele, die von den Jugendlichen anvisiert werden,

254 Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund... die Einbindung der Jugendlichen in gleichaltrige Freundesgruppen und die Ausübung von Gewalt. Theoretische Eckpunkte (1) Unter der Perspektive einer Integration in den Sport gehen wir davon aus, dass die Sportbeteiligung von Zugewanderten vornehmlich von drei Einflussfaktoren geprägt wird: (a) Sportengagements werden von kulturell eingefärbten Lebensstilen und Normalitätsmustern mitdefiniert. Sie basieren auf kulturellen Voraussetzungen. Die kulturellen Unterschiede, die zwischen Zugewanderten und Deutschen bestehen, können sich zum Beispiel in divergierenden Sportauffassungen, Kleidungsnormen oder Präsentationsweisen des Körpers im Sport ausdrücken (vgl. Bröskamp, 1994). (b) Die Sportbeteiligung wird weiterhin von den sozioökonomischen Lebensbedingungen geprägt. Migrantinnen und Migranten gehören überproportional häufig zu den unteren, bildungs- und einkommensarmen Schichten. Die soziale Schichtzugehörigkeit beeinflusst wiederum das Sporttreiben: Angehörige der Oberschicht (und deren Kinder) sind mit größerer Wahrscheinlichkeit sportlich aktiv als Angehörige unterer Sozialeschichten. Sie betreiben zudem andere Sportarten und präferieren andere Sportorte (vgl. Burrmann, 2005; Nagel, 2003). (c) Eine dritte Argumentation hebt auf Geschlechterrollen ab. Bei Mädchen mit ausländischer Herkunft wird oft argumentiert, dass sie mit patriarchalischen Familienstrukturen, traditionellen Geschlechterrollen und rigiden Erziehungsvorstellungen konfrontiert sind. Diesen Mädchen würden Sportaktivitäten verwehrt, weil diese nicht zur klassischen weiblichen Rolle passen. (2) Nehmen Jugendliche am Sport teil, dürften mit der Teilnahme typische Anregungspotenziale einhergehen, aus denen sich Impulse für die individuelle Entwicklung und die soziale Integration ergeben. Damit ist die zweite Forschungsperspektive angesprochen. Aus sportlichen Engagements können unterschiedliche Integrationseffekte resultieren: Den Programmschriften der Sportorganisationen zufolge soll Sport vor Gewalt und Drogengebrauch schützen, Werte vermitteln, sowohl zur Leistungsbereitschaft als auch zur Fairness erziehen, Wohlbefinden und Gesundheit erzeugen, Kontakte vermitteln, soziale Bindungen herstellen und vieles mehr leisten. Diese im Sport erworbenen Fähigkeiten und Orientierungen könnten nun, so wird weiterhin argumentiert, auch auf andere, nicht-sportliche Handlungskontexte generalisiert werden. Durchhaltevermögen, Fairness, Teamgeist, Leistungsbereitschaft oder Hilfsbereitschaft könnten beispielsweise auf schulische oder berufliche Handlungsfelder übertragen werden. Damit würde der Sport nicht nur zur persönlichen Entwicklung, sondern auch und dies vermuten wir insbesondere bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund zur Integration in die Gesellschaft beitragen. Ergebnisse (1) Sport im Verein: Das vereinsorganisierte Sporttreiben ist bei 15-Jährigen sehr populär. Während 48 % der deutschen Jugendlichen einem Sportverein angehören, trifft dies auf 43 % der 15-Jährigen zu, die einen Migrationshintergrund besitzen. Werden diese Befunde weiter differenziert, zeigen sich vor allem in der Gruppe der zugewanderten Jugendlichen große Binnenunterschiede. An erster Stelle sind

Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund... 255 Geschlechterunterschiede zu erwähnen: Die Geschlechterdifferenzen fallen bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund insgesamt deutlich größer aus als bei deutschen Heranwachsenden. Dies ist deshalb der Fall, weil sich Jungen besonders häufig und Mädchen besonders selten (vereins-)sportlich engagieren. Die Jungen mit Migrationshintergrund haben sich sogar zu etwas höheren Anteilen als die Jungen mit deutscher Herkunft einem Sportverein angeschlossen (57 % zu 54 %). Bei den Mädchen mit ausländischer Herkunft gehört dagegen ein deutlich kleinerer Anteil als bei den deutschen Mädchen einem Sportverein an (28 % zu 42 %). Darüber hinaus hängt die Sportbeteiligung von der sozioökonomischen Lebenssituation der Familie ab (Abb. 1). Sportliche Aktivitäten im Verein sind für Jugendliche aus Familien typisch, die ein höheres Kapitalvolumen 1 aufweisen, die also über größere finanzielle Spielräume, höhere Bildungsabschlüsse und mehr kulturelle Ressourcen verfügen. Vor allem bei den Mädchen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Sportvereinszugehörigkeit erheblich, wenn sie in sozioökonomisch privilegierten Elternhäusern aufwachsen. Die Jungen sind dagegen weitgehend unabhängig von kulturellen und sozioökonomischen Voraussetzungen ausgesprochen häufig im Sportverein aktiv. Sportvereine erreichen nahezu alle Jungen, aber nur jene Mädchen aus kulturell und strukturell gut integrierten Familien (vgl. Mutz, 2009). Abb. 1. Organisationsgrad im Sportverein von Jungen (obere Angabe) und Mädchen (untere Angabe) mit Migrationshintergrund, differenziert nach Kapitalvolumen der Familie. 1 Der Begriff des Kapitalvolumens ist bei Bourdieu (1982) angelehnt, der damit die Gesamtmenge an kulturellem Kapital (inkorporiertes Wissen, Bildungstitel und Kulturgüter) und ökonomischem Kapital (Einkommen, Vermögen und Besitz) bezeichnet. Unterschiede im Kapitalvolumen bilden die soziale Ungleichheitsstruktur ab, die sowohl Lebenschancen als auch Lebensstile prägt.

256 Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund... (2) Sport in schulischen Arbeitsgemeinschaften: Junge Migrantinnen und Migranten beteiligen sich überproportional häufig an schulischen Sportarbeitsgemeinschaften. Von den Jungen nehmen 30 % und von den Mädchen 15 % an einer schulischen Sportarbeitsgemeinschaft teil, sofern sie die Möglichkeit dazu an ihrer Schule haben. Diese Teilnahmequoten liegen über den Vergleichswerten für deutsche Jugendliche. Die Sportarbeitsgemeinschaften können auch Heranwachsende aus sozioökonomisch und kulturell benachteiligten Familien erreichen. Zum Beispiel sind vor allem jene Zugewanderten in diesen Arbeitsgemeinschaften häufig vertreten, die niedrige Bildungsgänge besuchen, aus ärmeren Familien stammen und mit ihren Eltern im Alltag nicht die deutsche Sprache sprechen. Schulische Sportarbeitsgemeinschaften binden eine ganz andere Sozialstruktur und andere Zuwanderergruppen als Sportvereine ein. Dies dürfte mit den Rahmenbedingungen zusammenhängen, in denen das Sporttreiben stattfindet: In der Schule gibt es keine formale Mitgliedschaft, Mitgliedsbeiträge müssen nicht entrichtet werden, Spiel- und Sportgeräte sind kostenfrei vorhanden. Zudem findet das Training nicht am Abend, sondern vorwiegend am Nachmittag statt, das Lehrpersonal ist in der Regel bekannt und die Umgebung vertraut usw. Dies kann dazu führen, dass junge Migrantinnen und Migranten ebenso wie sozial benachteiligte deutsche Jugendliche besonders gerne und häufig an schulischen Sport- und Freizeitangeboten teilnehmen (vgl. Mutz & Burrmann, 2009; Mutz & Petersohn, 2009). (3) Integration durch Sport: In drei multivariaten Analysen haben wir geprüft, ob sich für sportlich engagierte Jugendliche Integrationsvorteile nachweisen lassen. Diese Analysen beziehen sich auf die Ausübung von Gewalt, auf die angestrebten Bildungs- und Berufsziele und auf die Einbindung der Jugendlichen in gleichaltrige Freundesgruppen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich Integrationseffekte nicht automatisch einstellen. Sportlich engagierte Jugendliche üben nicht weniger Gewalt aus und sie setzen sich keine ambitionierteren Bildungs- und Berufsziele als Nichtsportler (vgl. Mutz & Baur, 2009). Sie sind allerdings etwas häufiger in feste Freundesgruppen eingebunden und besitzen ein geringfügig positiveres soziales Selbstkonzept. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob die Jugendlichen am Vereinssport oder an schulsportlichen Arbeitsgemeinschaften teilnehmen bzw. ob sie einen Migrationshintergrund aufweisen oder nicht. Diskussion (1) Konsequenzen für die Sportpraxis: Die Bindungskräfte des (Vereins)Sports sind auch in der Gruppe der jungen Zugewanderten enorm. Allein die Tatsache, dass sich diese Jugendlichen in großer Zahl und in unterschiedlichen Engagementformen am organisierten Sport beteiligen, berechtigt aber nicht zur Schlussfolgerung, dass damit per se ihre Integration in die Gesellschaft gefördert wird. Unseren Befunden zufolge findet Integration nicht automatisch, nicht pauschal und nicht nebenbei statt. Wenn die Integrationspotenziale, die der organisierte Sport zweifellos bietet, angeregt und aktiviert werden sollen, muss das integrationsbezogene Sportgeschehen in den Sportvereinen verstärkt zielorientiert, kontinuierlich und pädagogisch durchdacht erfolgen.

Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund... 257 (2) Konsequenzen für Sportverbände und Sportpolitik: Integrationsmaßnahmen sollten v. a. auf diejenigen Migrantengruppen fokussieren, die bislang im Sport unterrepräsentiert sind: Dazu gehören zum einen Mädchen und Frauen, zum anderen jene Zugewanderten, die in ökonomisch, sozial und kulturell weniger privilegierten Bedingungen leben. Damit Sportvereine, sofern sie dies zu ihrem Anliegen machen wollen, eine wirksame Integrationsarbeit leisten können, benötigen sie weitere konzeptionelle Unterstützung und pädagogische Weiterqualifizierung. Hier sind Verbände konkret gefordert, diese Unterstützungsleistungen noch gezielter anzubieten und zugleich Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Organisationen (v. a. auch Migrantenvereinigungen) weiter auszubauen. (3) Wissenschaftliche Anknüpfungspunkte: Weiterführende Forschungsarbeiten sind unserer Ansicht nach insbesondere an folgenden Punkten sinnvoll: (a) Es fehlen Mehrebenen-Untersuchungen, die eine unterschiedliche Einbindung in den Sportverein im Vergleich zu anderen sportlichen Settings nicht nur mit individuellen Merkmalen, sondern auch mit Kontextbedingungen erklären. (b) Weiterhin fehlen Studien, die die Sportengagements differenzierter erfassen (z. B. Sportarten und Wettkampfniveaus) und in Beziehung zu Integrationszielen setzen. So argumentiert Kalter (2005) am Beispiel des Ligenfußballs, dass im vereinsorganisierten Wettkampfsport die Leistung und der sportliche Erfolg in besonderer Weise im Vordergrund stehen, weshalb sich die meisten diskriminierenden Verhaltensweisen langfristig als kontraproduktiv erweisen würden. (c) Es sind Detailanalysen wünschenswert, die den kulturellen, sozialen und ökonomischen Hintergrund der Migranten näher explizieren und z. B. herausarbeiten, welchen Einfluss einzelne Aspekte wie die Religiosität oder Einstellungen zur Gleichberechtigung der Geschlechter für die Sportbeteiligung besitzen. (d) Schließlich dürften spezifische Evaluationsstudien fruchtbar sein, in denen der integrative Mehrwert sportbezogener Integrationsprogramme im Vergleich zum normalen Sportbetrieb der Sportvereine geprüft wird.

258 Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund... Literatur Bourdieu, P. (1982). Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Bröskamp, B. (1994). Körperliche Fremdheit. Zum Problem der interkulturellen Begegnung im Sport. St. Augustin: Academia. Bundesregierung (2007). Der Nationale Integrationsplan. Berlin. Burrmann, U. (2005). Zur Vermittlung und intergenerationalen Vererbung von Sportengagements in der Herkunftsfamilie. In U. Burrmann (Hrsg.), Sport im Kontext von Freizeitengagements Jugendlicher (S. 207-266). Köln: Sport und Buch Strauß. Kalter, F. (2005). Reduziert Wettbewerb tatsächlich Diskriminierungen? Eine Analyse der Situation von Migranten im Ligensystem des deutschen Fußballs. Sport und Gesellschaft, 2, 39-66. Mutz, M. (2009). Sportbegeisterte Jungen, sportabstinente Mädchen? Eine quantitative Analyse der Sportvereinszugehörigkeit von Jungen und Mädchen mit ausländischer Herkunft. Sport und Gesellschaft, 6, 95-121. Mutz, M. & Baur, J. (2009). The Role of Sport for Violence Prevention: Sport Club Participation and Violent Behaviour among Adolescents. International journal of sport policy, 1, 305-321. Mutz, M. & Burrmann, U. (2009). Schulische Arbeitsgemeinschaften als Kontexte für Freizeitaktivitäten: Beteiligungschancen für sozial benachteiligte Jugendliche? Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 29, 174-196. Mutz, M. & Petersohn, S. (2009). Begrenzte Spielräume in der Freizeit? Empirische Befunde zu den Freizeitmustern türkischer Mädchen. Migration und soziale Arbeit, 31, 30-40. Nagel, M. (2003). Soziale Ungleichheiten im Sport. Aachen: Meyer & Meyer.