Bellsche Ungleichungen oder existiert Einstein s spukhafte Fernwirkung wirklich?

Ähnliche Dokumente
Verschränkung. Kay-Sebastian Nikolaus

Bellsche Ungleichungen

Quantentheorie. Über Rätsel, die uns die Natur aufgibt. Franz Embacher.

Symposium Rödermark, 11. Okt. 14 Profil Naturphilosophie: Quantenphysik verstehen

Der Schlüssel muss mindestens so lange sein, wie die Nachricht. Der Schlüssel darf nur zwei Personen bekannt sein.

Quantenkryptographie und Verschränkung für r den Schulunterricht

Präsenzübungen zur Vorlesung Theoretische Physik für Lehramt 2

3. Geben Sie ein Bespiel, wie man Bra und Ket Notation nützen kann.

a: +30º b: 0º c: -30º a: +30º 100% 75% 25% b: 0º 75% 100% 75% c: -30º 25% 75% 100%

Fazit: Wellen haben Teilchencharakter

Anmerkungen zu einem neuen Konzept zur Teleportation von Bewegungszuständen

Der Welle-Teilchen-Dualismus

Standardmodell der Materie und Wechselwirkungen:

Einheit 13 Subatomare Physik 2

Notizen zur Kern-Teilchenphysik II (SS 2004): 2. Erhaltungsgrößen. Prof. Dr. R. Santo Dr. K. Reygers

Das Bellsche Theorem

Die neue Art des Zufalls in der Quantenwelt

Schrödingers Katze -oder- Wo ist der Übergang?

Verschränkte Photonenpaare

Die Macht und Ohnmacht der Quantenwelt

Die seltsame Welt der Quanten

Interpretationen des quantenmechanischen Formalismus

Einführung in die Quantentheorie der Atome und Photonen

Jenseits der Antimaterie

Das von Neumannsche Theorem. von Martin Fiedler

A. Quantinger. Verschränkung - ein Quantenrätsel für jedermann

Quantenphysik aus klassischen Wahrscheinlichkeiten

Die Grundkonzepte der Quantenmechanik illustriert an der Polarisation von Photonen

(Quelle:

Informationsübertragung mittels Photonen

Symmetrien Symmetriebrechung CP-Verletzung Vorhersage neuer Quarks. Symmetriebrechung. Kevin Diekmann

Praktikumssemesterarbeit für Numerik Aufgabe 1 HU-Berlin, Sommersemester 2005

Experimente zum EPR-Paradoxon

Einführung in Quantencomputer

Atommodell führte Rutherford den nach ihm benannten Streuversuch durch. Dabei bestrahlte er eine dünne Goldfolie mit α Teilchen.

Quantenkryptographie

Bernstein. Elektronen sind die wohl bekanntesten Elementarteilchen.

Was ist Trägheit und Gravitation wirklich! Thermal-Time-Theorie

= 6,63 10 J s 8. (die Plancksche Konstante):

Klassische Theoretische Physik: Elektrodynamik

Fortgeschrittene Experimentalphysik für Lehramtsstudierende. Teil II: Kern- und Teilchenphysik

7.5 Erwartungswert, Varianz

Diskussion der Theorie des Seins

1 Einleitung. 1 Einleitung 1

Standardmodell der Teilchenphysik

Messprotokoll: Aufnahme der Quantenzufallszahl

ν und λ ausgedrückt in Energie E und Impuls p

Neue Ergebnisse der ATLAS Suche nach dem Higgs

4 Reelle und komplexe Zahlenfolgen

10. Der Spin des Elektrons

Unterrichtsmaterialien zum Thema Astroteilchenphysik

7. Klausur am

Hauptseminar Quantenmechanisches Tunneln WS 2010/2011. Thema: Tunneln durch einfache Potentialbarrieren und Alphazerfall

Der Urknall und die Expansion des Universums

1.2 Grenzen der klassischen Physik Michael Buballa 1

Teilchenphysik Masterclasses. Das Leben, das Universum und der ganze Rest

Was ist Physik? Modell der Natur universell es war schon immer so

Wiederholung der letzten Vorlesungsstunde:

2 Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik

Ferienkurs Quantenmechanik I WKB-Näherung und Störungstheorie

String Theorie - Die Suche nach der großen Vereinheitlichung

Die Bellsche Ungleichung

Klassische Mechanik. Elektrodynamik. Thermodynamik. Der Stand der Physik am Beginn des 20. Jahrhunderts. Relativitätstheorie?

3. Kapitel Der Compton Effekt

Allgemeine Relativitätstheorie: Systeme, die gegeneinander beschleunigt werden; Einfluss von Gravitationsfeldern.

Theory German (Germany)

9.3 Der Compton Effekt

Michelson-Interferometer & photoelektrischer Effekt

6 Reelle und komplexe Zahlenfolgen

Lehrtext zur Quantenkryptographie

Quantenmechanik. Seminar Interpretation der QM, Goethe-Universität Frankfurt am Main. Daniel Guterding. 26. Mai Die Kopenhagener Deutung der

Physik der Elementarteilchen

Grundlagen der Quanteninformatik

Fehler- und Ausgleichsrechnung

Vorstellungen zu Atomen und Quanten. R. Erb 1

IST DIE TRÄGHEIT EINES KÖRPERS VON SEINEM ENERGIEINHALT ABHÄNGIG?

Vorlesung 23: Roter Faden: Die Schrödingergleichung. (Bedeuting in der Quantenmechanik wie F=ma in der klassischen Mechanik)

Varianz und Kovarianz

Elektrostatik. Elektrische Ladung. Reiben von verschiedenen Materialien: Kräfte treten auf, die auf Umgebung wirken

Komplexe Lernleistung. Thema: Auswertung von Z(0)-Zerfällen. Fach: Physik. Fachlehrer: Frau Dr. Koch. Abgabetermin: 12.April 2010

Die wahre Geschichte der Antimaterie

v = z c (1) m M = 5 log

Hauptseminar Quantencomputing Qubits - Interferenz - Verschränkung - Messung. Christoph Mühlich

Stundenprotokoll vom : Compton Effekt

Quantenphysik. Teil 3: PRAKTISCHE AKTIVITÄTEN

Brückenkurs Mathematik. Mittwoch Freitag

Inhalt. I - Raketen und Planeten 1

Die klassische Welt. Jochen Hub. Akademie Rot an der Rot, August Die klassische Welt p.1

Die Entdeckung des Gluons VORTRAG

Kuhn (kurze Zusammenfassung)

Kapitel VI. Euklidische Geometrie

Proseminar: Theoretische Physik. und Astroteilchenphysik. Fermi- und Bose Gase. Thermodynamisches Gleichgewicht

Teleportation mit Photonen und Ionen

Die Zähmung der Quantengeister

Antimaterie. 6. Antimaterie

Gewöhnliche Autokorrelationsfunktion (ACF) eines stationären Prozesses {X t } t Z zum Lag h

Die (Un-)Vollständigkeit der Quantentheorie

numerische Berechnungen von Wurzeln

Prüfungsteil 2, Aufgabe 8 Stochastik

Thema heute: Aufbau der Materie: Das Bohr sche Atommodell

Transkript:

Kapitel 1 Bellsche Ungleichungen oder existiert Einstein s spukhafte Fernwirkung wirklich? 1.1 Worum gehts? In vielen Experimenten mit verschiedensten Teilchen ist nun gezeigt worden, dass Verschränkung (engl. Entanglement) über große Distanzen existiert. Der Begriff Verschränkung wurde vom österreichischen Nobelpreisträger Erwin Schrödinger eingeführt und ist eine grundlegende Eigenschaft der Quantenphysik. Diese Eigenschaft ist die Ursache eines sehr merkwürdigen Verhaltens von zwei räumlich getrennten Teilchen, die Einstein auch verächtlich als spukhafte Fernwirkung verurteilte: Das Messresultat des einen Teilchens wird scheinbar durch die Wahl der Messungsart des anderen Teilchens beeinflusst, obwohl beide Teilchen voneinander getrennt sind und nicht mehr miteinander kommunizieren können. Zwei miteinander verschränkte Teilchen verhalten sich so ähnlich wie zwei telepathisch begabte Zwillingsschwestern. Nimmt man an einem der beiden Teilchen eine Messung vor, dann spürt das ihre Zwillingsschwester augenblicklich und nimmt abhängig vom Ergebnis dieser Messung einen definierten Quantenzustand an. In den Experimenten wurden zwei verschränkte Photonen (=Lichtteilchen) erzeugt und in entgegengesetzte Richtungen geschickt. Photonen sind masselose Teilchen, daher bewegen sie sich mit der maximal erlaubten Geschwindigkeit, der Lichtgeschwindigkeit. Geht man von der sichtlich vernünftigen Voraussetzung aus, dass die auseinander fliegenden Teilchen sich gegenseitig nicht beeinflussen und nicht kommunizieren können, dann müssen alle möglichen Messresultate in dem Moment der Produktion vorbestimmt sein. Nur etwas, dass ich lokal beim Teilchen verändere, kann auch einen Einfluss auf dieses Teilchen 9

Kapitel 1. Bellsche Ungleichungen oder existiert Einstein s spukhafte Fernwirkung wirklich? aber nicht auf das andere weit entfernte Teilchen haben. Wie der berühmte Physiker John Bell zeigen konnte, müssen alle solche Theorien, die auf dieser vernünftigen Voraussetzung fußen, für eine gewisse Messkombination einen Wert kleiner oder gleich 2 ergeben. Die Quantentheorie hingegen sagt für diese Messkombination einen Wert größer als 2 voraus. Wer hat nun Recht, die Quantentheorie oder eine solche vernünftige Theorie (Fachausdruck: lokal realistische Theorie)? Als Schiedsrichter fungiert in der Wissenschaft das Experiment. Dieses lieferte mit sehr überzeugender Genauigkeit einen Wert größer als zwei, also eine eindeutige Siegerin, die Quantenphysik. Was bedeutet nun, dass es ein nicht-lokales Phänomen gibt, eine scheinbar spukhafte Fernwirkung über räumliche Distanzen? In der Quantentheorie muss man die zwei Teilchen, obwohl sie theoretisch beliebig weit auseinander sein können, als ein zusammenhängendes System betrachten und nicht als zwei getrennte Teilchen. Das klingt merkwürdig, aber die Natur ist so! Nun stellt sich auch die Frage, ob diese komische Eigenschaft der Verschränkung nur für Photonen gültig ist. Photonen sind ja recht spezielle Teilchen, da sie masselos sind. Existiert dieses nicht lokale Phänomen auch für massive Teilchen, spukt es auch im Kaonen-System? Dazu kann man so genannte seltsame Teilchen betrachtet, neutrale Kaonen. Sie sind nicht masselos wie die Photonen und zerfallen nach einer gewissen Zeit in andere Teilchen. Genau wie oben muss der Wert für eine gewisse Messkombination im Falle einer 10

1.2. Herleitung der Bellschen Ungleichung vernünftigen Theorie kleiner 2 sein, im Falle der Quantentheorie kann überraschenderweise auch kein Wert größer als 2 gefunden werden. D.h. man kann keine Aussage darüber machen, ob es auch in diesem Kaonen-System spukt! Man muss ein wenig trickreicher sein, um diesem Kaonen-System doch noch eine Antwort zu entlocken. Bis vor fast 40 Jahren dachten Physiker, dass es keinen Unterschied zwischen einer Welt aus Materie und einer Welt aus Antimaterie gibt. Zu jedem gefunden Teilchen gibt es ein Antiteilchen, das die gleiche Masse aber unterschiedliche Ladung hat. Zum Beispiel gibt es zum Proton, das positiv geladen ist, ein Antiproton, das negativ geladen ist. Unsere Welt besteht zu 99% aus Materie. Würden wir alle Materie durch Antimaterie ersetzen, würden die gleichen Gesetze gelten, wie wir sie in unserer Welt aus Materie beobachten, d.h. wir würden keinen Unterschied bemerken. Auch zu einem Kaon gibt es ein Antikaon. Da beide die gleiche Masse haben, sollten auch deren Zerfälle mit der gleichen Häufigkeit beobachtet werden. Das ist aber nicht der Fall. Es existiert ein kleiner Unterschied zwischen Materie und Antimaterie! Zurück zu unserem Problem, ob es auch in massiven Systemen nicht-lokale Phänomene gibt. Es stellt sich folgendes heraus. Berechnet man eine gewisse geschickte Messkombination für eine vernünftige Theorie, dann darf es keinen Unterschied zwischen Materie und Antimaterie geben. Aber im Experiment wird ein solcher Unterschied gemessen! Damit können wir indirekt schließen, dass auch für Kaonen nicht-lokale Phänomene existieren und Verschränkung ein allgemein gültiges Phänomen ist. Aber Verschränkung eröffnet nicht nur neue Einsichten in der Grundlagenforschung, sondern ist auch ein essentieller Baustein für völlig neue Methoden der sicheren Kommunikation (Quantenkryptographie) oder eines möglichen Quantencomputers. 1.2 Herleitung der Bellschen Ungleichung Logischerweise muss immer gelten da die Häufigkeiten positive Zahlen sind. N 3 + N 4 (N 2 + N 4 ) + (N 3 + N 7 ), (1.1) 11

Kapitel 1. Bellsche Ungleichungen oder existiert Einstein s spukhafte Fernwirkung wirklich? Tabelle 1.1: Erklärung des Experiments unter Annahme von verborgenen Parametern: Häufigkeit Teilchen A Teilchen B N 1 ( a +, b +, c +) ( a, b, c ) N 2 ( a +, b +, c ) ( a, b, c +) N 3 ( a +, b, c +) ( a, b +, c ) N 4 ( a +, b, c ) ( a, b +, c +) N 5 ( a, b +, c +) ( a +, b, c ) N 6 ( a, b +, c ) ( a +, b, c +) N 7 ( a, b, c +) ( a +, b +, c ) N 8 ( a, b, c ) ( a +, b +, c +) Tabelle 1.2: tabbell Die Wahrscheinlichkeit, dass Alice in Richtung a und Bob in Richtung b messen, ist dann gegeben durch P ( a +; b +) = N 3 + N 4 8 i N i (1.2) und auf gleiche Weise erhalten wir die Wahrscheinlichkeiten P ( a +; c +) = N 2 + N 4 8 i N i P ( c +; b +) = N 3 + N 7 8 i N i. (1.3) Damit wird die Ungleichung () falls wir diese noch durch 8 i N i dividieren P ( a +; b +) P ( a +; c +) + P ( c +; b +). (1.4) Wir haben unsere erste Bell Ungleichung (in Wigner Form), die auf dem Einsteinschen Lokalitätsprinzip beruht, gefunden! Anmerkung: Bei der Herleitung ist man davon ausgegangen, dass die Korrelation bei gleicher Richtung exakt ist, dass ist experimentell nie realisierbar, da es keine Detektoren gibt, die immer alle ankommenden Teilchen registrieren können. Wenn 12

1.3. Und was sagt die Quantentheorie dazu? man dies noch berücksichtigt, kommt man auf eine Ungleichung, die Clauser Horn Shimony Holt Ungleichung (CHSH Ungleichung). Sie lautet S CHSH = E( a, b) + E( a, b ) + E( a, b) E( a, b ) 2, (1.5) wobei der Erwartungswert E mit der obigen Wahrscheinlichkeit so zusammenhängt E = 1 + 4P (+, +). 1.3 Und was sagt die Quantentheorie dazu? Die Berechnung der Wahrscheinlichkeit mit dem quantenmechanischen Formalismus ergibt (falls Spins angenommen werden, falls Photon gemeint sind muss der Winkel mit 2 multipliziert werden): P ( a +; b +) = 1 2 cos2 ( π φ ab ) = 1 2 4 (1 cos(φ ab)). (1.6) Damit laut die Bell Ungleichung, die Einstein s Lokalitätsprinzip berücksichtigt, cos(φ ac ) + cos(φ cb ) cos(φ ab ) + 1. (1.7) Wählen wir φ ab = 2φ and φ bc = φ ac = φ und setzen z.b. φ = π erhalten wir 4 0.7 0.5, also einen klaren Widerspruch! Damit konnte erstmals eine philosophische Fragestellung im Experiment beantwortet werden! Damit muss man die Lokalität oder/?und? die Realität aufgeben. 13

Kapitel 1. Bellsche Ungleichungen oder existiert Einstein s spukhafte Fernwirkung wirklich? 14