Der ikterische Hund: chronischer Patient oder Notfall. Hans Christian Meisinger

Ähnliche Dokumente
Autoimmunhämolytische Anämien (AIHA) Pathophysiologie und Therapie

Reisekrankheiten bei Hunden

Variablen-Übersicht der Patientenkohorte (Erwachsene) des Kompetenznetzes HIV/AIDS

Definition des akuten Leberversagens

Untersuchung Ergebnis Vorwert Referenzbereich

Anlage zur Akkreditierungsurkunde D ML

Klinische Chemie & Hämatologie Vorlesung: Entzündung & Akute Phase Reaktion

Infektionen des Zentralnervensystems: Klinik

Kleiner Impfberater für Hundehalter

lehmanns Labordiagnostische Referenzwerte in der Tiermedizin

Und was kommt danach? Therapie der AA und PNH bei unzureichendem Ansprechen oder. Rückfall. Dr. med. Sixten Körper

Leptospirose. Service der. HUNDE - Krankheiten

Zytologische Befunde bei benignen Pleuraergüssen. Sylvia Gütz, Ev. Diakonissenkrankenhaus Leipzig Klinik für Pneumologie und Kardiologie

Blutuntersuchung: Im folgenden wollen wir Ihnen erklären, was die einzelnen Parameter in der Blutuntersuchung bedeuten. Blutbild:

Die Labordiagnose der Virushepatitis

Rund um den Kopf HIV und Mundgesundheit

MS und Impfungen. DAS KLEINE IMPF-1x1. DAS KLEINE IMPF-1x1. Christian Lampl. Abteilung für Allgemeine Neurologie und Schmerzmedizin

Fragen-Aufbaukurs Wilsede 2007

Akute lymphoblastische Leukämie

P10. REPE Harnsystem. Inhalt. Terminologie Leitsymptome. HWI, Zystitis. Glomerulonephritis Pyelonephritis Nephrolithiasis Nephrotisches Syndrom

Grundlagen der klinischen Diagnostik bei Infektionsanfälligkeit

Impfen/Entwurmen. Impfschema für Katzen Art der Impfung

Immunglobulin- Substitution und Impfungen. bei Patienten mit Immundefekten Dr. med. Johannes Schelling, KUNO Regensburg

MULTIPLES MYELOM Partizipier in Genesung

Ein Überblick ONKOTROP 11/2012

Diagnostik von Immundefekten

Vorlesung 3 Hämotherapie: Indikation und Strategie: Anämie und kritischer Hämatokrit

Was steht in meinem Impfpass?? - das Lexikon der immunologischen Zeichensprache

Hyperkalzämie. Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik. Dr. Derik Hermsen

KÄLTE-WÄRME- reaktive AUTOANTIKÖRPER

Stammzelltransplantation

Titer. französisch titre: Feingehalt

KASUISTIK PTA. S.J. geb. am Dr. Stratznig

Kompetenzfeld Virushepatitis Klinik. T. Goeser Gastroenterologie und Hepatologie

Liquor- und Punktatdiagnostik Inhaltsverzeichnis

Thrombotic Thrombocytopenic Purpura -GERMAN-

Das Immunprofil Starke Abwehr gesundes Leben

Krankheiten gibt es überall

Der hypertensive Notfall

Ärzteinformation Nr. 16 / Colitis ulcerosa. Konservative und chirurgische Therapie

DAS HYPER-IgM-SYNDROM

OSCE 1 Innere Medizin

Impfempfehlungen Hund

Immundefekte bei hämatologischen Erkrankungen

Allgemeine Pathologie Entzündung

Patienteninformation

Mitralklappeninsuffizienz

GFR / Kreatinin Clearance < 60 ml/min/ 1,73m 2. Δ Serum Kreatinin Anstieg > 50% Niereninsuffizienz ja oder nein? Wie heisst der Referent?

Fallvorstellung. Pat. Frau S. M., geb. 1984

Reaktive Veränderungen und Anomalien. Weiterbildung Labmed Dr. Luzius Schmid. Leitender Arzt für Hämatologie, IKCH

Krankheiten gibt es überall

Durchflusszytometrische BALF-Diagnostik

zu Euer Wahl.. dass Ihr Eure eigene Praxis haben wollt an forderster Front mit den Menschen und ich hoffe, dass Ihr Eure Chance nutzt, denn..

SHPPiLT ist eine gebräuchliche Form eines Kombinationsimpfstoffes für Hunde. Der Kürzel steht für die in diesem Kombinationsimpfstoff enthaltenen

Immunsuppressive Therapie nach Lebertransplantation. Familientag Bianca Hegen

Vorteile und Gefahren von Impfungen für die Stillzeit. Thomas Ledig, Ditzingen

Ruhr-Universitä t Bochum. Modellregion West. Akute und chronische Hepatitis. Medizinische Universitätsklinik

Autoimmune Lebererkrankungen Aktuelles aus Diagnose und Therapie. Therapieoptimierung: Standard / Experimentell / Leitlinien

Die HIT ist keine Allergie! Da die von ihr ausgelösten. Krankheitsbild. Was ist eine Histamin- Intoleranz?

Aktuelles zur Therapie der MS

Lebererkrankungen erkennen, behandeln, verhindern - Informationen für Patienten und Angehörige von Dr. Bernd Hofmann

Bildgebende und interventionelle Strategien bei pavk und akutem peripheren Arterienverschluss

GEBRAUCHSINFORMATION Eurican SHPPi2L Lyophilisat und Lösungsmittel zur Herstellung einer Injektionssuspension, für Hunde

Anlage zur Akkreditierungsurkunde D-ML nach DIN EN ISO 15189:2007

Maligne Lymphome. Dr. Luzius Schmid. Weiterbildung Labmed Leitender Arzt für Hämatologie, IKCH L. Schmid 2.10.

Abklärung einer hohen Trinkmenge

Die Verwendung von Absolutzahlen in der Hämatologie

Therapieoptionen Hepatitis B

Definition... 1 Entstehung... 1 Häufigkeit... 2 Symptome... 2 Stadium I... 2 Stadium III... 3

Knacknuss Neuroborreliose

Studiengang (Master) Medizinische Biotechnologie M10.d WS 2014/2015

Autoimmunität und Autoimmunerkrankungen. Reinhard Voll Medizinische Klinik III

Dr. Mathilde Kutilek Österreichisch-Iranische Ärztegesellschaft

Was Eltern von Kindern mit Sichelzellkrankheit wissen müssen

Fieber nach Herniotomie. Stationäre Behandlung. Stanzbiopsie. Verlauf. C.M. 66 jährigj Anamnese. Fall 2. Leberabszesse: gut für Überraschungen

Intoxikationen Seite Intoxikationen

Anamnese Fragebogen Die kleine Gesundheitspraxis, Claudia Grumser, Heilpraktikerin

Vortrag. von Martin Berlinger

Zertifikat. Januar ( Gültigkeitsdauer 6 Monate) Chlorid (M.7) (R) Kupfer (M.2) Albumin (M.I) (R) Glucose (M.I) (R)

Krankheiten bei Hund und Katze

Sehr geehrter /e Hundebesitzer/in,

Vorwort der Autoren. Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Gebrauchsinformation BABESIA-ELISA DOG

Differentialdiagnose chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Ursula Seidler Abteilung für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie

Urinzytologie. Abteilung Innere Medizin Fachbereich Nephrologie

Patienteninformation zur Studie

Chronische Borreliose- die verkannte Epidemie

Der informierte Patient. Immunsuppressive Therapie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen

Therapie von Lebererkrankungen. Ivo Graziadei Gastroenterologie & Hepatologie Medizinische Universität Innsbruck

Reflotron System. Präsenzdiagnostik für jeden Patienten wertvoll

Jörg D. Leuppi. Typischer Linienverlauf

DMSG Kontaktstelle Winsen. Neurologische Abteilung Buchholz

Autoimmunhämolytische Anämie (AIHA)

24-STUNDEN-SAMMELURIN

Bedeutung der Zytokine in der Infektionsabwehr

Dr.rer.nat. Aleksandra Heitland

HUNDEKRANKHEITEN (Teil 1) - SHPPL UND T

Follikuläres Lymphom Marginalzonen-Lymphom. Dr. med. Christian Taverna Leitender Arzt Onkologie

Antikörperstruktur, -funktion und -affinitätsreifung

Arten von diagnostischen Labortesten

Transkript:

Der ikterische Hund: chronischer Patient oder Notfall Hans Christian Meisinger

9 jähriger Rottweilerrüde, abends vorgestellt

Vorbericht: Apathie, Schwäche, Inappetenz, Durchfall, Erbrechen Klinische Befunde: blasse, gelbe Schleimhäute KFZ 4 sek, T.39,3 C Herzfrequenz 140 S/ min, Herztöne abgesetzt etwas pochend Kurzatmigkeit, rötlicher Urin, Blut hellrot, wässrig Ultraschall: Milz geringgradig vergrößert, Abdomen sonst o.b.

Labordiagnostische Befunde Blut 1: ALT 53 IU/ l (normal: <47 IU/ l) AST 126 IU/ l (normal: <19 IU/ l) GGT 3,85 IU/ l (normal: <10 IU/ l) TP 9,63 g/ dl (normal: 5,2-8,2 g/ dl) ALB 4,27 g/ dl (normal: 2,7-3,8 g/ dl) Glob 5,36 g/ dl (normal: 2,5-4,4 g/ dl) BIL 5,19 mg/ dl (normal: <0,5 mg/ dl) CREA 0,62 mg/ dl (normal: <1,4 mg/ dl) HB 5,64 g/ dl (normal: 15-19g/ dl) Hkt 28 % (normal: 38-50 %)

Labordiagnostische Befund Blut 2: Blutausstrich: Autoagglutination, teilweise Sphärozyten Differentialblutbild: 27 % Lymphozyten (normal: 13-30 %) 62 % seg. Neutrophile (normal: 55-66 %) 4 % stab. Neutrophile (normal: 0-4 %) 6 % Eosinophile (normal: 0-4 %) 0 % Basophile (normal: 0-1 %) 1 % Monozyten (normal: 0-6 %)

Labordiagnostische Befunde Harn: Leukozyten negativ Nitrit negativ ph 8 Eiweiß +++ Keton negativ Billirubin ++ Blut/ Hämoglobin ++++ spezif. Gewicht 1,016 Sediment: keine Zellen

weitere Anamnese und Untersuchungen Hund war nie außerhalb des Wohnortes bekommt keine Medikamente jährlich gegen Hepatitis, Parvovirose, Tollwut, Staupe und Leptospirose geimpft kein Hinweis auf Neoplasie im Bauchraum Serum für Leptospirosediagnostik gewonnen, Ergebnis in 2-3 Tagen direkter Coombs-Test und ANA-Test, Ergebnis in 2-3 Tagen

Diagnose: prähepatischer Ikterus aufgrund einer immunhämolytischen Anämie

nicht immunvermittelte Hämolysen Infektionen (z.b. Babesien) metabolische Störungen (z.b. Phosphofruktokinase Defizit, Pyrovatkinase Defizit, Hypophosphatämie) oxidative Zerstörung (Zwiebeln) mikroangiopathische Hämolyse (z.b. Hämangiosarkom)

immunvermittelte Hämolysen primäre Form Autoantikörper zerstören die Erythrozyten sekundäre Form Immunreaktion gegen Erythrozyten durch exogenen oder endogenen Stimulus

Auslöser für sekundäre Immunhämolysen Infektionen (z.b. Babesien, Dirofilariose, Ehrlichiose, Leptospiren, Steptokokken, Clostridien, Viren) Medikamente ( z.b. Sulfonamide, Cephalosporine, Penicilline, Methamizol, Vollbluttransfusionen) Impfungen Neoplasien (z.b. hämolymphatische Tumore) Immunologische Erkrankungen (z.b. SLE)

Prädispositionen für sekundäre Immunhämolysen genetisch (z.b. American Cocker, Rottweiler, Bobtail, Irish Setter, Shi Tzu) Alter zwischen 4-6 Jahren Geschlecht weiblich Jahreszeit Mai bis Juni

pathophysiologischer Mechanismus immunologische Zerstörung der Erythrozyten durch Anheften von IgM und IgG und/ oder Komplement durch Anheften komplementvermittelte Lyse hauptsächlich IgM (intravasale Hämolyse) und/ oder vollständige Phagozytose und Zerstörung durch Makrophagen in Milz und Leber (extravaskuläre Hämolyse) und/ oder partielle Phagozytose durch Makrophagen mit Bildung von Sphärozyten und Zerstörung dieser in der Milz verminderte Sauerstofftransportkapazität führt zu Hypoxie mit metabolischer Azidose Hypovolämie bewirkt Organminderperfusion und kann in Multiorganversagen münden

Antikörperklassifizierung 1. Normale Antikörper (Reaktionsoptimum 37 C) - Inkomplette Antikörper meist IgG, selten IgA oder IgM agglutinieren selbst keine in Kochsalzlösung suspendierten Erythrozyten häufigste Antikörperform führen zu klinischer Erkrankung mit schleichendem Verlauf - Autoagglutinine verursachen in vivo Agglutination führen zu einer schweren klinischen Erkrankung mit plötzlichem Beginn und zurückhaltender Prognose - In vivo Hämolysine meist IgM oder hohe Titer an IgG gebundenes Komplement Antikörper verursachen massive Komplementfixierung führen in vivo zu Hämolyse und Hämoglobinurie

Antikörperklassifizierung 2. Kalte Antikörper (Reaktionsoptimum < 37 C) - Kälteagglutinine meist über IgM vermittelt verursachen ischämische Nekrose der Extremitäten - nichtagglutinierende Hämolytika (in Veterinärmedizin selten) verursachen paroxysmale, kalte Hämoglobinurie

Therapie der immunhämolytischen Anämie 1. therapeutisches Vorgehen gegen zugrundeliegende Ursache 2. unterstützende Versorgung des Patienten 3. immunsuppressive Therapie

Therapie der immunhämolytischen Anämie 1. therapeutisches Vorgehen gegen zugrundeliegende Ursache - bakterielle Infektion z.b. bei Leptospirose Antibiose Penicillin 25.000-40.000 IE/ kg i.m. oder i.v. zusätzlich Dihydrostreptomycin 2*tgl. 15 mg/ kg - parasitäre Infektion z.b. Ehrlichiose Doxycyclin 10-25 mg/ kg 14 Tage, Babesiose Imidocarb 3-6 mg s.c. oder i.m. einmalig - Absetzen des Medikamentes, wenn dies Auslöser sein könnte - Behandlung gegen eventuelle Neoplasie

Therapie der immunhämolytischen Anämie 2. unterstützende Versorgung des Patienten - venöse Flüssigkeitszufuhr zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Nierenperfusion Ringer-Laktat bedarfsadaptiert - 2 * tgl. 175 IE/ kg Heparin i.v. Thombembolieprophylaxe und aufgrund der Gefahr einer DIC - Hämatokrit < 20 % bei Apathie, Schwäche, Tachykardie und schlechter Pulsqualität Bluttansfusion mit Vollblut (10-40 ml/ kg), Erythrozytenkonzentrat (300 ml 30 kg Hund) oder Oxyglobingabe (10-30 ml/ kg)

Therapie der immunhämolytischen Anämie 2. unterstützende Versorgung des Patienten - H 2 -Blocker bei Erbrechen und aufgrund der Gefahr von Magen-Darm-Blutungen bei der hohen Glukokortikoiddosis (Ranitidin 2-3*tgl. 0.1-0.5mg/ kg i.v. oder s.c.) - Antibiose aufgrund Immunfehlregulation und therapeutischer Immunsuppresion (z.b. Synulox RTU 2*tgl. 1ml/ 20 kg KM)

Therapie der immunhämolytischen Anämie 3. immunsuppressive Therapie - initial 0,5 mg/kg Desamethason i.v. - am Folgetag 2 * tgl. 1-2 mg/ kg Prednisolon oral - bei Erbrechen weiterhin 2 * tgl. 0,1 mg/ kg Dexamethason i.v. - steigt der Hämatokrit schrittweise Reduktion der Prednisolondosis über 3-4 Monate

Therapie der immunhämolytischen Anämie 3. immunsuppressive Therapie wenn Glukokortkoide allein nicht wirksam - Zyklophosphamid alle 2 Tage 50 mg/ m 2 KOF oral oder bei Erbrechen 200 mg/ m 2 KOF oder - Azathioprin 2 mg / kg oral für 7-10 Tage anschließend 1 mg/ kg (nicht bei Pankreatitis) nach 3 Wochen schrittweise auf 0,5 mg/ kg und alternierend mit Prednisolon

Therapie der immunhämolytischen Anämie 3. immunsuppressive Therapie bei therapieresistenten Fällen - intravenös verabreichtes humanes Gammaglobulin (0,5-1 g/ kg i.v.) - Cyclosporin 5mg/ kg/ d oral - Splenektomie - Plasmapherese

Schlußfolgerungen Immunhämolytische Anämien sind bei Hunden eine häufige hämatologische Erkrankung. Die Vorstellung erfolgt oft als Notfall bei einer akuten Hämolyse oder im Stadium der Dekompensation bei chronischer Anämie. Eine vorläufige Diagnose kann aufgrund der klinischen Symptome und einer hämatologischen und blutchemischen Untersuchung gestellt werden. Für die endgültige Diagnose sind in der Regel immunologische Tests, Suche nach infektiösen Ursachen, Tumoren, Blutparasiten, Klärung der Zusammenhänge mit verabreichten Medikamenten oder aufgenommenen Giften, Kälte- bzw. Wärmeagglutinationstest erforderlich.

Schlußfolgerungen Die Behandlung zielt nach Klärung der Ätiologie der Hämolyse auf die Unterstützung des Hundes in seiner hämatologischen Krise und soll die immunologischen Prozesse unterdrücken, die zur Zerstörung der Erythrozyten führen. Die Prognose bei dieser Erkrankung ist stets vorsichtig zu stellen. Steht die vorläufige Diagnose fest, sollte der Haustierarzt kritisch prüfen, ob es nicht für den Patienten vorteilhaft wäre, ihn in eine Tierärztliche Klinik mit entsprechender Ausrüstung für weitere Diagnostik und Therapie zu überweisen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!