Assistierte Freiheit Gleiche Würde und gleiche Rechte für Menschen mit Behinderung? Sigrid Graumann
Vorgehen 1. Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik: Von einer Behindertenpolitik der Wohltätigkeit zu einer Politik der Menschenrechte 2. Assistierte Freiheit als neues menschenrechtsethisches Konzept in der UN- Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) 3. Verteidigung einer konsequenten Umsetzung der UN-BRK gegen anderen Interessen: Begründung von Solidaritätspflichten 4. Fazit: Einbezug von behinderten Menschen in den Schutzbereich der Menschenwürde kann mit guten Gründen verteidigt werden
1. Paradigmenwechsel Politik der Wohltätigkeit und Fürsorge Freiwillige Solidarität der Bürger mit behinderten Menschen Es können keine verbindlichen Ansprüche geltend gemacht werden Erwartung von Dankbarkeit Paternalistische Bevormundung
1. Paradigmenwechsel Politik der Menschenrechte Anerkennung behinderter Menschen als Personen mit gleicher Würde und gleichen Rechten Freiheit wird nicht unhinterfragt als gegeben vorausgesetzt Verbindliche Rechte für behinderte Menschen auf soziale Dienste und Leistungen Forderung der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung Jetzt: völkerrechtlich verbindlich
1. Paradigmenwechsel Politik der Menschenrechte Umsetzung der UN-BRK stellt eine enorme Herausforderung für die Unterzeichnerstaaten dar Erweiterung des Verständnisses der Erweiterung des Verständnisses der Menschenrechte
2. Assistierte Freiheit Menschenrechtsschutz im 18./19. Jhd. Rechte freier unabhängiger Bürger Ausschluss fremder, armer und abhängiger Personen Bürgerliche Freiheitsrechte und politische Rechte
2. Assistierte Freiheit Entwicklung der Menschenrechte im 20. Jhd. Zunehmende Inklusivitätdes Schutzbereichs der Menschenrechte Zunehmende Universalität der Achtung der Menschenrechte: Präzisierung und Konkretisierung für Personen in vulnerablen Lebenslagen Soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte kommen dazu (2. Generation der Menschenrechte) Unteilbarkeit der Menschenrechte
2. Assistierte Freiheit Grundprinzipien der UN- Behindertenrechtskonvention (2006) Inklusion: volle und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe Selbstbestimmung: Ermöglichung einer Selbstbestimmung: Ermöglichung einer selbstbestimmten und unabhängigen Lebensführung
2. Assistierte Freiheit Menschenrechtliches Verständnis von Diskriminierung nach der UN-BRK 1. Nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung 2. Vorenthalten notwendiger Hilfe und Unterstützung 3. Gesellschaftliche Geringschätzung
2. Assistierte Freiheit UN-Behindertenrechtskonvention (2006) Keine neuen, exklusiven Rechte für behinderte Menschen Präzisierung und Konkretisierung der allgemeinen Menschenrechte mit Blick auf die besonderen Bedürfnisse und Lebensumstände behinderter Menschen
2. Assistierte Freiheit Beispiel 1: Gleiche Anerkennung vor dem Recht Schutz vor willkürlicher Ungleichbehandlung vor dem Rechte Verbunden mit Anspruch auf rechtliche Assistenz jede Form von Entmündigung und Vormundschaft ist nicht mit der UN-BRK vereinbar
2. Assistierte Freiheit Beispiel 2: Recht auf Wohnung Wahlrecht, wo und mit wem ein behinderter Mensch wohnen will Anspruch auf soziale Dienste und Leistungen, die ein selbstbestimmtes Wohnen ermöglichen, einschließlich persönlicher Assistenz Kostenvorbehaltsregelungen, die behinderte Menschen gegen ihren Willen in Heime zwingen sind nicht mit der UN-BRK vereinbar
2. Assistierte Freiheit UN-Behindertenrechtskonvention (2006) Verknüpfung bürgerlicher Freiheitsrechte und politische Rechte mit Ansprüchen auf Unterstützung und Assistenz Verknüpfung der präzisierten und konkretisierten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte mit konsequenten Verboten paternalistischer Bevormundung Erstaunliche Erweiterung des Menschenrechtsschutzes Sind die damit verbundenen Solidaritätspflichten zu rechtfertigen?
3. Solidaritätspflichten Alasdair MacIntyre Verteidigung des Fürsorgeansatzes Menschenrechte negieren fundamentale Abhängigkeit Gesellschaft als Schuldnergemeinschaft Sorge für behinderte Menschen durch Wertegemeinschaft gesichert Tugenden der gerechten Großzügigkeit Keine individuellen Rechte behinderter Menschen!
3. Solidaritätspflichten Immanuel Kant Freiheit und Würde begründen Menschenrechte Garantie gleicher, maximaler Freiheit für alle Bürger durch wechselseitige Beschränkung von Freiheit Rechtfertigungspflicht für Eingriffe in individuelle Freiheit Zurückweisen von Solidaritätspflichten? Nein: Freiheit als Entwicklungskonzept!
3. Solidaritätspflichten Immanuel Kant Würde respektieren heißt Selbstzweckhaftigkeit des Menschen achten Verpflichtung Rechte anderer zu achten Verpflichtung zum Wohl anderer beizutragen Individuelle Wohltätigkeitspflichten: weite, interpretationsfähige aber verbindliche Pflichten Gemeinschaftliche Solidaritätspflichten: strikt verbindliche Pflichten
3. Solidaritätspflichten Warum sind Solidaritätspflichten strikt verbindlich? Fordern vom Einzelnen nicht zu viel Verletzen keine individuellen Rechte, wenn Lasten gerecht verteilt sind Notwendig, um gleiche Freiheit aller auch behinderter Menschen zu garantieren
4. Fazit Der Gegensatz zwischen Gerechtigkeit und Fürsorge kann aufgelöst werden Es gibt keine überzeugende Rechtfertigung, behinderte Menschen wegen ihres Unterstützungsbedarfs aus dem Menschenrechtsschutz auszuschließen
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: graumann@efh-bochum.de Erschienen 2011 bei Campus, Frankfurt a.m.