Molekulare (Früh)-Erkennung in der Hämatologie Sinn oder Unsinn molekularer Analytik: Die Kunst der richtigen Wahl

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2010 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Therapeutische Umschau 2010; 67 (7): DOI 10.1024/0040-5930/aXXXXXX 3.1 Universitätsklinik für Hämatologie und Hämatologisches Zentrallabor, Inselspital Bern Molekulare (Früh)-Erkennung in der Hämatologie Sinn oder Unsinn molekularer Analytik: Die Kunst der richtigen Wahl Zahlreiche molekulare Marker haben in den letzten zehn Jahren im hämatologischen Alltag Einzug gehalten. Dadurch hat die Anzahl molekularer Abklärungen enorm zugenommen. Nicht selten ersetzen die molekularen Analysen andere Abklärungsmethoden, oder ergänzen sie. Molekulare Marker können ganz verschiedene Anforderungen erfüllen: Sie können zur Diagnosestellung beitragen, prognostischen Charakter aufweisen, prädiktiv sein für das Ansprechen auf eine bestimmte Therapie oder zum Monitoring des Therapieansprechens sowie zur Früherkennung eines Rezidivs oder einer Resistenz dienen. Nicht selten erfüllen molekulare Marker mehrere dieser Aspekte. Entscheidend ist es, zu wissen, wann welche Marker im klinischen Alltag sinnvoll sind. Molekulare Analysen im hämatologischen Alltag Molekulardiagnostische Analysen im Bereich der Hämatologie, insbesonde - re im Bereich der Hämato-Onkologie, sind heute ein wesentlicher und integrativer Bestandteil zur Klassifizierung von Leukämien, Lymphomen und anderen Knochenmarkserkrankungen. Illustriert wird diese Tatsache in der neuesten Ausgabe der World Health Organisation (WHO) Klassifizierung hämatopoietischer und lymphatischer Tumoren: akute myeloische Leukämien werden nun primär aufgrund der molekularen Aberrationen klassifiziert, unabhängig vom morphologischen oder immunphänotypischen Befund [1]. Dies vereinfacht zwar eine klare Zuordnung, erhöht aber die Komplexität unseres Fachwissens und erfordert die Kenntnis der dazu notwendigen diagnostischen Analysen. Wichtig ist es, zu realisieren, dass gewisse molekulare Marker charakteristisch für eine Erkrankung, jedoch nicht spezifisch für eine bestimmte Diagnose sind (z. B. JAK2 V617F) [2], und dass andere molekulare Marker nicht diagnostisch sind, jedoch prognostischen Charakter aufweisen (z. B. IgVH Mutationsstatus, FLT3 ITD) [3, 4]. Zusätzlich zur diagnostischen oder prognostischen Be- deutung sind einige molekulare Marker Angriffspunkt für eine zielgerichtete Therapie (prädiktive Marker, z. B. BCR- ABL, FIP1L1-PDGFRa) und dienen als Verlaufsparameter zur Beurteilung des Therapieansprechens (z. B. BCR-ABL) oder zur Früherkennung eines Rezidivs (z. B. PML-RARA, NPM1 Mutation) [5, 6, 7]. Die folgenden Beispiele aus unserem Alltag sollen den sinnvollen Einsatz ausgewählter molekularer Marker illustrieren. Die Patientin mit dem Zufallsbefund einer Leukozytose Vor 15 Jahren wurde bei Patientin A anlässlich einer Entfernung eines gutartigen Knotens in der Brust im Blutbild eine Leukozytose von 51 G/l (Norm: 3.5 10.5 G/l) mit zahlreichen weißen Vorstufen und vereinzelten Blasten festgestellt. Aufgrund eines positiven molekularen Nachweises von BCR-ABL (Transkript b3a3) aus dem peripheren Blut (diagnostischer Marker) konnte die Diagnose einer chronischen myeloischen Leukämie (CML) gestellt werden (Abb. 1A) [5]. Unüblich für eine CML, war das Philadelphia- Chromosom (Translokation 9;22) nicht nachweisbar (trifft für weniger als 5 % aller CML zu). Aufgrund der peripheren Werte und des Knochenmarkbefunds handelte es sich bei dieser Patientin damals um eine chronische Phase der CML. Fünf Jahre nach Beginn der Behandlung mit Hydroxyurea (Litalir ) und Interferon-α2a (Roferon A ) im Rahmen einer Studie zeigte sich aufgrund einer Zunahme der Blasten im Knochenmark das Bild einer akzelerierten Phase. Die Litalir /Roferon Therapie wurde abgesetzt und die Patientin wurde als eine der ersten in der Schweiz mit dem Tyrosinkinase-Inhibitor Imatinib (Glivec ), dem ersten zur spezifischen Hemmung der BCR- ABL Funktion (Tyrosinkinase-Aktivität) entwickelten Medikament, behandelt (prädiktiver Marker) [5]. Innert drei Monaten normalisierten sich die Blutwerte und die Zellzahl im Knochenmark; es bestand eine komplette hämatologische Remission (CHR) und damit auch eine zweite chronische Phase der CML. Ab 2001 wurde die Patientin zusätzlich mit quantitativer PCR (Polymerase Chain Reaction) für BCR-ABL monitorisiert (vorher war die Analyse nicht verfügbar). Wie in Abbildung 1B dargestellt, sanken die BCR- ABL Transkripte (Ratio von BCR-ABL zu ABL) kontinuierlich ab und erreichten innerhalb von zwei Jahren eine Major Molecular Remission (MMR) mit einer 3-log Reduktion der BCR- ABL Transkripte auf unter 0.1 % (prognostischer Marker). Nach heutigem Wissensstand ist das Erreichen und Beibehalten einer solchen MMR (d. h. BCR-ABL Transkripte < 0.1 % gemäß Internationaler Skala IS) prognostisch für einen komplikationslosen Verlauf und mit einer höheren Überlebenschance verbunden [8]. Im Verlaufe des Jahres 2004 stiegen aber trotz fortgesetzter und gut tolerierter Imatinib- Therapie und vollständiger hämatologischer Remission die BCR-ABL Transkripte wieder an (Marker für Monitoring unter Therapie). Da sich unter der Therapie mit einem Tyrosinkinase-

3.2 Molekulare (Früh)-Erkennung in der Hämatologie Inhibitor eine Therapieresistenz entwickeln kann und diese in der Hälfte der Fälle durch eine Mutation im BCR- ABL-Gen hervorgerufen wird [8], wurde bei der Patientin eine solche gesucht und mit der Mutation G250E auch gefunden (siehe Abbildung 1B) (prädiktiver Marker für Therapieresistenz). In vitro Studien zeigen, dass diese Mutation eine starke Resistenz gegen Imatinib bewirkt und eine Therapie mit einem Zweit-Linien-Tyrosinkinase-Inhibitor indiziert ist [8]. Imatinib wurde abgesetzt und ab 2006 konnte die Patientin im Rahmen einer Studie mit Dasatinib (Sprycel ) behandelt werden. Nach einem Monat wurde erneut eine CHR und bereits nach sechs Monaten eine MMR erreicht [8]. Nur wenige Monate später musste aufgrund von ausgeprägten Nebenwirkungen (schwere biventrikuläre Herzin suffizienz und ausgeprägte, rezidivierend punktionsbedürftige Pleuraergüsse) Dasatinib gestoppt werden; die BCR-ABL Transkripte stiegen in der Folge erneut an (Abb. 1B). 2007 wurde im Rahmen einer Studie auf den anderen Zweit- Linien-Tyrosinkinase-Inhibitor Nilotinib (Tasigna ) gewechselt. Seither besteht eine anhaltende komplette hämatologische und komplette molekulare Remission (keine BCR-ABL Transkripte nachweisbar). Diese Patientengeschichte zeigt sehr anschaulich, welche führende Rolle molekulare Marker wie BCR-ABL und BCR-ABL Mutationen heute bei der CML in der Diagnostik und in der Prognose- und Verlaufs-Beurteilung, aber auch für die Früherkennung eines Rezidivs oder einer Resistenz und in der Wahl der Therapie spielen. Patientin mit Juckreiz nach dem Duschen Patientin B wurde uns zur Abklärung einer seit etwa zwei Jahren bestehenden Thrombozytose um 500 G/l (oberer Referenzwert: 380 G/l) zugewiesen. Eine primäre Thrombozytose im Rahmen einer myeloproliferativen Neoplasie (MPN) geht im Gegensatz zu einer sekundären Thrombozytose (z. B. bei einem Eisenmangel) mit einem deutlich höheren Risiko für Blutungen wie auch für Thromboembolien einher. In dieser Situation müssen die Gabe von Acetylsalicylsäure und eine Empfehlung für eine Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin in Risikosituationen evaluiert werden. Das Hämoglobin und die Leukozyten lagen im Referenzbereich (148 g/l, Referenz: 121 154 g/l, bzw. 8.9 G/l, Referenz: 3.5 10.5 G/l). Anamnestisch bestand ein auffälliger Juckreiz nach dem Duschen (nicht selten bei Patienten mit einer Polyzythaemia vera (PV)), ansonsten war Patientin B völlig beschwerdefrei. Es bestand weder eine Spleno- noch eine Hepatomegalie. Hinweise für eine sekundäre Ursache der Thrombozytose konnten weder anamnestisch noch in der klinischen Untersuchung oder labormäßig eruiert werden: kein Eisenmangel, keine Hinweise für eine Entzündung, Infektion, rheumatische Erkrankung oder ein Tumorleiden, keine kürzlich durchgeführte Operation, keine Splenektomie. Mit dem Nachweis der JAK2 V617F Mutation aus dem peripheren Blut (Abb. 2A und 2B) konnte die Diagnose einer MPN gestellt werden (diagnostischer Marker, nicht spezifisch für A B Glivec 400 mg Dasatinib 140 mg Dasatinib stop Nilotinib 800 mg BCR-ABL b3a3 PBL 10.00 1.00 0.10 0.01 Jan. 00 Jul. 00 Jan. 01 Jul. 01 Jan. 02 Jul. 02 Jan. 03 Jul. 03 Jan. 04 Jul. 04 Jan. 05 Jul. 05 % BCR-ABL / ABL Jan. 06 Jul. 06 Jan. 07 Jul. 07 Jan. 08 Mutation G250E Abbildung 1 A) Reziproke Translokation der Chromosomen 9 und 22. Das BCR Gen kommt dadurch neben das ABL Gen zu liegen. Dies führt zu einem Fusionsprotein BCR-ABL mit erhöhter Tyrosinkinase-Aktivität. B) Verlauf der BCR-ABL Transkripte der Patientin A. Initiales Absinken der BCR-ABL Transkripte unter Glivec, dann Anstieg durch mutationsbedingte Resistenzentwicklung. Erneute Reduktion der BCR-ABL Transkripte unter Therapie mit Dasatinib und Nilotinib.

Therapeutische Umschau 2010; 67 (7): xxx xxx 3.3 eine bestimmte Erkrankung) [2]. Die Entdeckung der JAK2 V617F Mutation im Jahr 2005 als mögliche Ursache und als klonaler Marker bei MPN führte dazu, dass bei Abklärungen einer Polyglobulie und/oder Thrombozytose primär mittels des Nachweises einer JAK2 V617F Mutation nach einer Klonalität gesucht werden kann. Die JAK2 V617F Mutation ist bei Polyzythämia vera (PV) in über 98 % der Fälle nachweisbar, bei essentieller Thrombozythämie (ET) und primärer Myelofibrose (PMF) in etwa der Hälfte der Fälle. Der Nachweis der JAK2 V617F Mutation ist diagnostisch für eine MPN. Ob es sich dabei um eine PV, eine ET oder um eine PMF handelt, hängt jedoch von der klinischen Präsentation und von weiteren diagnostischen Kriterien ab. Bei Patientin B kommen aufgrund des normalen Hämoglobin- und Hämatokrit- Wertes und des fehlenden BCR-ABL Transkripts weder eine PV noch eine CML als Ursache der Thrombozytose in Frage, so dass von einer ET ausgegangen werden muss. Die Knochenmarksbiopsie zeigte zahlreiche große und reife Megakaryozyten und keine Fibrose, was die Diagnose einer ET bestätigt. Aufgrund des erhöhten thromboembolischen Risikos wurde nach Ausschluss eines akquirierten Morbus von Willebrand mit 100 mg/d Acetylsalicylsäure begonnen und der Patientin in Risikosituationen eine Thromboseprophylaxe mit einem niedermolekularen Heparin empfohlen. Dieses Beispiel zeigt, wie rasch sich aufgrund neu entdeckter molekularer Mar ker die diagnostischen Abklärungswege ändern können. Bei Vorliegen einer unklaren Zythose und Verdacht auf eine MPN ist es heute diagnostisch einfacher und schneller, in einem ersten Schritt eine JAK2 V617F Mutation zu suchen. Komplexer bleibt weiterhin die genaue Klassifizierung der MPN, insbesondere was die Unterscheidung PV mit Thrombozytose versus ET betrifft. A B Valin (Wildtyp) Abbildung 2 A) Räumliche Struktur des JAK2 Proteins, links das normale JAK2 Protein mit der Aminosäure Valin an der Position 617 (Wildtyp), rechts das mutierte JAK2 Protein mit der Aminosäure Phenylalanin an Position 617. B) Nachweis der JAK2 V617F Mutation mittels Real-time PCR. Die violette und die rote Kurve stellen mutierte DNA dar, die blaue Kurve steht für eine unmutierte DNA (Wildtyp). Die müde Rentnerin mit Lymphozytose JAK2 V617F Mutation Phenylalanin (mutiert) mutiert Wildtyp Seit einigen Monaten bestand bei Patientin C eine zunehmende Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Im Blutbild fiel eine seit Monaten leicht zunehmende Leukozytose von aktuell 26.8 G/l (Referenzbereich: 3.5 10.5 G/l) mit Lymphozytose von 12.6 G/l (Referenzbereich: 1.1 3.5 G/l) und zahlreichen Kernschatten auf. Die Morphologie der Lymphozyten und der Immunphänotyp (B-Lymphozyten mit Expression von CD5, CD23, schwacher Expression von CD79b und oberflächlichen Immun globulinen sowie fehlender Expression von FMC7) ergaben bei der Patientin C die Diagnose einer chronischen lymphatischen Leukämie (CLL). Ergibt sich aufgrund der immunphänotypischen Charakterisierung einer Lymphozytose keine eindeutige Zuordnung zur CLL oder zu einem anderen leukämischen Non-Hodgkin-Lymphom, so kann diagnostisch die Expression des

3.4 Molekulare (Früh)-Erkennung in der Hämatologie A B C Referenzsequenz Patient Ratio NPM1/ABL 10 1 0.1 0.01 0.001 0.0001 Insertion: 960insCATG NPM1 Verlauf Abbildung 3 A) Nachweis der NPM1 Mutation mittels Gel-Elektrophorese. Die Doppelbande repräsentiert eine Mutation (Insertion von 4 Basenpaaren), die einfache Bande stellt die unmutierte Sequenz dar (Wildtyp). Bahn 2: Patientenprobe mit NPM1 Mutation. Bahnen 3-10: Patientenproben. Bahn 11: unmutierte Kontrolle. Bahn 12: mutierte Kontrolle. B) Die Sequenzanalyse ergibt eine Insertion der 4 Basen CATG an der Position 960. C) Verlaufskurve der mutierten NPM1 Transkripte. Das Resultat ist normalisiert zum Housekeeping Gen ABL (logarithmische Skala). CLLU1 Gens (chronic lymphocytic leukemia up regulated gene1) hilfreich sein. Bei hoher Expression spricht CLLU1 für die Diagnose einer CLL und bei sehr tiefer Expression für das Vorliegen eines Non-Hodgkin-Lymphoms, z. B. eines Mantelzell-Lymphoms (diagnostischer Marker) [9]. Aufgrund der Lymphozytose ohne Lymphadenopathie, Splenomegalie, Anämie und Thrombozyto penie handelte es sich bei Patientin C um ein Stadium 0 gemäß Rai und Stadium A gemäß Binet mit entsprechend guter Prognose [10]. Demgegenüber steht die Bedeutung anderer bei ihr bestimmter prognostischer Marker. Mittels FISH (Fluoreszenz in situ Hybridisierung) wurde eine Trisomie des Chromosoms 12 nachgewiesen, welche mit einer schlechten Prognose assoziiert ist [11]. Auf molekularer Ebene wurde zudem keine somatische Hypermutation in der variablen Region der Immunglobulin-Gene (IgVH) nachgewiesen (prognostischer Marker), was ebenfalls für einen schlechteren Verlauf spricht [3]. Auch die vorliegende immunphänotypische Expression von CD38 auf den Leukä miezellen und das leicht erhöhte β2-mikroglobulin sind prognostisch ungünstig. Eine schnelle Lympho zyten-verdoppelungszeit als Ausdruck einer schlechteren Prognose insbesondere in frühen Stadien der Erkrankung kann erst im zeitlichen Verlauf beurteilt werden. Obwohl die Patientin nahezu beschwerdefrei war und sich in einem frühen Stadium der Erkrankung mit nur leichter Lymphozytose befand, stellte sich die Frage, ob aufgrund des ungünstigen Risikoprofils nicht doch eine Therapie indiziert wäre. Dieses Beispiel zeigt, dass zwar bei der chronischen lymphatischen Leukämie bisher keine pathogenetischen molekularen Marker und damit keine spezifischen therapeutischen Targets zur Verfügung stehen, jedoch aufgrund von zytogenetischen (Del 13q, Trisomie 12,

Therapeutische Umschau 2010; 67 (7): xxx xxx 3.5 Del 11q, Del 17p), molekularen (IgVH Mutationsstatus) und immunphänotypischen (CD38, Zap70) Markern ein Risikoprofil beschrieben werden kann. Inwieweit dieses Risikoprofil zukünftig bei der Wahl der Therapie entscheidend sein wird, wird sich erst zeigen. Die junge Patientin mit Leistungsknick und zahlreichen Hämatomen Seit drei Wochen bemerkte die 37-jährige Patientin D zunehmende Hämatome an den Extremitäten ohne auslösende Traumata. Zudem berichtete sie über einen Leistungsknick. Im Blutbild fiel eine Anämie mit einem Hämoglobin von 94 g/l (unterer Referenzwert: 121 g/l), eine minim erhöhte Leukozytenzahl von 10.6 G/l (oberer Referenzwert: 10.5 G/l) mit einer deutlichen Monozytose von 7.1 G/l (Referenz bis 0.93 G/l) und vereinzelten Blasten sowie eine Thrombozytopenie von 56 G/l (unterer Referenzwert: 140 G/l) auf. Morphologisch und immunphänotypisch zeigte sich im Knochenmark eine hochgradige Infiltration durch myeloische Blasten mit monozytärem Charakter, vereinbar mit einer akuten myeloischen Leukämie M5b nach FAB (French American British) Klassifikation. Die zytogenetische Untersuchung war unauffällig und bei den routinemäßigen molekularen Abklärungen wurden weder PML-RARA (molekulares Äquivalent der Translokation 15;17), AML1-ETO ( Translokation 8;21), noch CBFB-MYH11 (entsprechend Inversion 16) gefunden (diagnostische Marker), was aufgrund des morphologischen Befundes zu erwarten war. Hingegen wurde eine Mutation im Nucleophosmin1 Gen (NPM1) gefunden (Abb. 3A und 3B), welche in Abwesenheit einer FLT3 ITD (internal tandem duplication) mit einer guten Prognose einhergeht (prognostischer Marker) [7, 12]; eine FLT3 ITD lag bei Patientin D nicht vor. Angesichts dieser prognostisch günstigen Situation (NPM1 mutiert, FLT3 ITD ne gativ), wurde nach der Hochdosis- Chemotherapie in erster Remission trotz des jüngeren Alters der Patientin und dem Vorhandensein dreier für die Knochenmarksspende geeigneten HLA (humanen Leukozytenantigen)- iden tischen Schwestern keine allogene Stammzelltransplantation durchgeführt; diese bleibt für die Rezidiv-Situation reserviert. Bereits nach dem ers ten Zyklus der aplasieren den Hochdosis-Chemotherapie wurde in der Knochenmarksprobe mittels quantitativer PCR eine deutliche Reduktion der mutierten NPM1 Transkripte (Marker für Monitoring) gemessen (Abb. 3C). Dieser Wert persistierte auch nach dem zweiten Zyklus der aplasierenden Hoch dosis-chemotherapie. Sollten die Transkripte des mutierten NPM1 im Verlaufe aber ansteigen, ist dies das früheste und sensitivste Zeichen für ein Rezidiv der Leukämie und erlaubt dadurch eine frühzeitige Therapieintensivierung (Marker für Monitoring) [13]. Anhand dieser Patientengeschichte wird deutlich, wie bedeutend, aber auch wie komplex heute die Situation der molekularen Marker bei akuten Leukämien geworden ist. Es ist nicht sinnvoll, aufgrund eines mutierten NPM1 Gens das Rezidiv-Risiko zu beurteilen, ohne zu wissen, ob auch eine FLT3 ITD vorliegt. Liegt keine FLT3 ITD vor, ist die NPM1 Mutation sowohl für die Risiko- Stratifizierung als auch für das Monitoring des Therapieverlaufs und insbesondere für das Erkennen des Frührezidivs von immenser Bedeutung. Der junge Mann mit den Hautflecken und abgebissenen Fingernägeln Über etliche Schuljahre wurde ein junger Mann immer wieder wegen seiner leicht braun-weiß gefleckten Haut und vor allem wegen seinen abgekauten Fingernägeln gehänselt. Aufgrund von gehäuften Infekten wurde einige Jahre später eine Analyse des Blutbildes durchgeführt und dabei eine Panzytopenie mit tiefem Hämoglobin und tiefen Leukozyten- und Thrombozytenwerten festgestellt. Diagnostisch wurde das Knochenmark untersucht, welches eine Verminderung aller drei Zellreihen zeigte; eine Untersuchung der Chromosomen ergab keine Hinweise für Abnormitäten, insbesondere auch keine Hinweise für eine Fanconi Anämie (seltene hereditäre Knochenmarkserkrankung). Aufgrund der zunehmenden Panzytopenie, die ohne eigentliche Ursache als idiopathische aplastische Anämie beurteilt wurde, wurde der junge Mann mittels Anti-Thymozytenglobulin (ATG) und Cyclosporin behandelt. Da sich auch nach einem Jahr keine Besserung der Blutwerte zeigte, wurde die Therapie wiederholt, jedoch blieb auch diese ohne Erfolg. Da sich unterdessen auch der Bruder des Patienten mit einer zunehmenden Panzytopenie präsentierte, begannen die behandelnden Ärzte die Diagnose der idiopathischen aplastischen Anämie beim Indexpatienten zu hinterfragen. Eine genaue klinische Untersuchung der beiden jungen Männer ergab nebst der vordergründigen Panzytopenie auch die Triade von oraler Leukoplakie, Nageldystrophien und Hyperpigmentationen der Haut, also das klassische Bild der Dyskeratosis congenita, einer seltenen hereditären Erkrankung, welche mit Knochenmarksaplasien und Hautveränderungen einhergehen kann [14]. Bei dieser Erkrankung findet man sehr kurze Telomere (Chromosomenenden), welche bei 60 % der Patienten auf Keimbahn-Mutationen in der Telomerase, einem Enzymkomplex bestehend aus den Komponenten TERC, TERT, Dyskerin, NOP2 und NHP2, welcher Telomersequenzen an das Chromoso-

3.6 Molekulare (Früh)-Erkennung in der Hämatologie A B Chromosom Telomer Telomerase Telomerlänge in kb Vater Mutter Schwester Bruder Patient 99 50 1 Perzentilen Mutation: 1151C>T Alter in Jahren Abbildung 4 A) Schematische Darstellung eines Telomers und des Telomerase-Komplexes. Die Mutation 1151C>T (Pro 384 Lys) führt zu verminderter Telomeraseaktivität, was kurze Telomere zur Folge hat. B) Telomerlängenmessung mittels flowzytometrischer Analyse der in situ hybridisierten fluoreszierenden Telomere. Altersabhängige Referenzwerte sind mittels Perzentilen dargestellt. Nachweis von sehr kurzen Telomeren beim Patienten und seinem Bruder. menende anhängen kann, oder in Telomer-assoziierten Molekülen (TINF2) zurückzuführen sind (Abb. 4A) [15]. Wie Abbildung 4B zeigt, war die Telomerlänge in allen Subtypen von Leukozyten bei beiden Patienten weit unter der 1. Perzentile der altersabhängigen Referenzwerte, was sehr typisch ist für eine Störung in der Telomerlängen-Regulation (diagnostischer und wahrscheinlich auch prognostischer Marker). Auffälligerweise liegen auch die Telomerlängen der Mutter und Schwester im unteren Normbereich. Die Suche nach einer Mutation im Dyskerin Gen, welches auf Chromosom Xq28 liegt, ergab bei den beiden Brüdern, der Mutter und der Schwester an der Position 1151 respektive 384 einen Austausch eines Cytosins durch Thymidin und entsprechend eines Prolins in ein Lysin (diagnostischer Marker). Diese Mutation führt zu einer verminderten Telomerase-Aktivität und damit zu sehr kurzen Telomeren. Da diese Punktmutation X-chromosomal vererbt wird, erkranken nur männliche Nachkommen, während Frauen Trä gerinnen sind. Der ältere Bruder verstarb in der Folge an einer Sepsis bei schwerem Infekt. Der jüngere Bruder wird zur Zeit symptomatisch mit Androgenen behandelt. Androgene sollen eine Aktivitätssteigerung der Telomerase bewirken und damit einen positiven Einfluss auf die Blutbildung ausüben [16]. Zudem wird der Patient regelmäßig auf die Entstehung möglicher Tumoren im Bereich des Halses, des Ösophagus, des Kolons und anogenital untersucht (diese Lokalisationen von Tumoren sind typisch bei Dyskeratosis congenita). Gleichzeitig wird ein gesunder Knochenmarksspender für eine allfällige hämatopoietische Stamm zell-transplan tation gesucht, denn nur diese wird dem Patienten bei gutem Verlauf ein längerfristiges Überleben ermöglichen. Obwohl sie nicht häufig vorkommen, ist die Diagnose von hereditären Knochenmarksaplasien für die betroffenen Patienten von enormer Bedeutung. Bei Störungen der Telomerlängen-Regulation nützen klassische immunsuppressive Therapien nichts, und im Falle einer hämatopoietischen Stammzell- Transplantation müssen modifizierte Bestrahlungs- und Chemotherapien angewendet werden, damit keine Lungenund Leberfibrose und kein erhöhtes Risiko für Sekundär-Neoplasien induziert wird. Zudem sollten solche Patienten regelmäßig auf Sekundär-Neoplasien untersucht werden [17]. Dieses Beispiel illustriert den bedeutenden Einfluss der molekularen Diagnose und Früherkennung mittels Nachweis von kurzen Telomeren und Mutationen in Telomerase- oder Telomer-assoziierten Molekülen auf das Monitoring und die Therapie von Patienten mit hypoplastischen Knochenmarkserkrankungen. Inwieweit Mutationen in Telomerase-Genen oder in Telomer-assoziierten Molekülen in Abwesenheit von sehr kurzen Telomeren eine Prädisposition für bestimmte hämatologische oder andere Erkrankungen darstellen, wird zur Zeit noch intensiv untersucht.

Therapeutische Umschau 2010; 67 (7): xxx xxx 3.7 Wann sind molekulare Marker sinnvoll? Wie in unseren Fallbeispielen aufgezeigt, haben sich molekulare Marker vor allem in folgenden Situationen als sinnvoll etabliert: 1. Sie führen zu einer spezifischen Diagnose (z. B. BCR-ABL, KIT D816V, PML-RARA, AML1-ETO, CBFB- MYH11) und/oder tragen zur Vereinfachung der diagnostischen Abklärungen bei (z. B. JAK2 V617F, BCL2-IgH, BCL1-IgH). 2. Sie sind prädiktiv für ein Ansprechen oder eine Resistenz auf eine spezifische Therapie (z. B. BCR-ABL, FI- P1L1-PDGFRA, PML-RARA, KIT D816V) und/oder sind direkter Angriffspunkt für eine zielgerichtete medikamentöse Therapie (z. B. Tyrosinkinasehemmer für BCR-ABL und FIP1L1-PDGFRA, ATRA für PML- RARA). 3. Sie können in einem molekular-diagnostischen Labor mit Standard-Infrastruktur und -Methoden etabliert und durchgeführt werden. Komplexere Analysen (z. B. Sequenzanalysen) werden sinnvollerweise in wenigen hochspezialisierten und akkreditierten Labors durchgeführt. Tabelle 1 stellt die in unserem molekulardiagnostischen Labor angebotenen Analysen aus dem Bereich der Hämato-Onkologie dar. Dabei sind die Marker gemäß ihrem Einsatzgebiet (diagnostisch, prognostisch, prädiktiv oder für das Monitoring) aufgeführt, wobei eini-ge Marker mehrfache Aspekte erfüllen. Wo liegen Hürden für gewisse sinnvolle Marker? 1. Obwohl kürzlich nachgewiesen wurde, dass Mutationen im TET2 Gen die häufigste rekurrente Aberration bei Patienten mit Myelodysplas tischen Syndromen (MDS) darstellen (ca. 25 % der Patienten) und damit wesentlich zur Vereinfachung der Diagnostik der sich sehr heterogen präsentierenden MDS beitragen könnten [18], ist die Analyse technisch aufwändig und komplex, was die Etablierung von TET2 als diagnostischen Marker verzögern könn te. 2. Eine kürzlich entwickelte Genexpressionsanalyse kann mit hoher Sensitivität und Spezifizität die Diagnose von verschiedensten Leukämien etablieren [19], hat sich aber wegen technischer Komplexität, höheren Kosten und vor allem wegen Fehlen von bedeutender Zusatzinformation zur herkömmlichen Diagnostik in der Routine bisher nicht durchgesetzt. 3. Der IgVH Mutationsstatus ist im Gegensatz zu ZAP70 ein im Krankheitsverlauf der CLL stabiler prognostischer Marker, jedoch ist die Analyse mittels Sequenzierung aufwändig und bedingt spezielles Know-how für die Beurteilung, was die routinemäßige Etablierung dieser Analyse auf wenige Labors beschränkt. 4. BCR-ABL ist als Parameter für das Monitoring von Patienten und als prognostischer Marker etabliert, jedoch sind die Resultate zwischen verschiedenen Laboratorien aufgrund unterschiedlicher Methoden bisher nicht vergleichbar. Im Rahmen einer Initiative des European Leukemia Network wird nun seit 2007 weltweit eine Standardisierung der quantitativen Analyse von BCR- ABL durchgeführt [20]. Dabei wird für jedes Labor ein Umrechnungsfaktor etabliert, welcher die Verwendung einer gemeinsamen Internationalen Skala (IS) erlaubt (nach ähnlichem Prinzip wie die INR für die orale Antikoagulation mit Vitamin K Antagonisten). Wann hat sich der Nachweis von molekularen Markern als nicht sinnvoll erwiesen? 1. Die Detektion von Translokationen der Gene PDGFRB (Platelet-derived growth factor receptor beta, auf Chromosom 5q33), FGFR1 (Fibroblast growth factor receptor 1, auf Chromosom 8p11) wie auch MLL (Mixed-lineage leukemia Gen, auf Chromosom 11q23), welche mit zahlreichen Gen-Partnern fusionieren können, ist mittels Zytogenetik und/ oder FISH zuverlässig und schnell möglich, während der molekulargenetische Nachweis komplex ist [21]. 2. Liegt eine größere Anzahl molekularer Analysen vor, so ist eine sequenzielle Analytik sinnvoll. Diagnostische Algorithmen für molekulare Analysen sollen dabei aufgrund der Häufigkeit, der Assoziationen zwischen verschiedenen Markern, der prognostischen Gewichtung der einzelnen Marker sowie unter Einbezug der Resultate anderer diagnostischer Methoden erstellt werden. Liegt beispielsweise bei einer AML eine prognostisch günstige AML1-ETO Translokation vor, erübrigt sich die Analyse weiterer prognostisch günstiger Marker wie CEBPA und NPM1, insbesondere weil deren prognostischer Wert nur bei Vorliegen eines normalen Karyotyps etabliert ist. Ebenso ist der Nachweis von PML-RARA diagnostisch für eine akute Promyelozytenleukämie (APL) und somit molekularer Angriffspunkt für eine Therapie mit ATRA. Der Nachweis einer FLT3 ITD, die häufig bei APL vorliegt, kann eine Zusatzinformation liefern; der prognostische Wert der FLT3 ITD in Kombination mit PML-RARA ist jedoch kontrovers [22]. Ob molekulare Marker in der Hämatologie sinnvoll sind oder nicht, wird durch deren Bedeutung hinsichtlich

3.8 Molekulare (Früh)-Erkennung in der Hämatologie Tabelle 1 Übersicht der in unserem akkreditierten molekulardiagnostischen Labor angebotenen molekularen Marker bei verschiedenen hämatologischen Entitäten (schwarz: routinemäßig angeboten; blau: wissenschaftlich) Entität Diagnostisch Prognostisch Prädiktiv Monitoring CML BCR-ABL t(9;22) BCR-ABL/ABL < 0.1% (MMR) PV, ET, PMF JAK2 V617F JAK2 Exon12 Mutationen MPL Mutation TET2 Mutationen Glossar zu Tabelle 1 Abkürzungen BCR-ABL Break point cluster region abelson murine leukemia viral oncogene homolog JAK2 Janus Kinase 2 TET2 Ten eleven translocation 2 FIP1L1-PDGFRA FIP1 like 1-Platelet-derived growth factor receptor alpha KIT KIT Onkogen CLLU1 chronic lymphocytic leukemia upregulated 1 IgVH Immunoglobulin variable heavy chain BCL2-IgH B-cell lymphoma 2 Immunoglobulin heavy chain BCL1-IgH B-cell lymphoma 1 Immunoglobulin heavy chain MLL-AF4 mixed lineage leukemia trithorax homolog -ALL-1 fused gene from chromosome 4 E2A-PBX transcription factor E2-alpha -PBX homeobox protein AML1-ETO acute myeloid leukemia 1 -eight-twenty-one corepressor CBFB-MYH11 core binding factor beta subunit -smooth muscle myosin heavy chain PML-RARA promyelocytic leukemia retinoic acid receptor alpha NPM1 Nucleophosmin 1 CEBPA CCAAT/enhancer-binding protein alpha FLT3 ITD FLT3 internal tandem duplication EVI1 Ecotropic Virus Integration Site 1 TERC Telomerase RNA component TERT Telomerase Reverse Transcriptase TINF2 Telomere repeat factor 1 interacting nuclear factor 2 NOP2 nucleolar protein 2 NHP2 small nucleolar H/ACA protein 2 BCR-ABL BCR-ABL Mutationen BCR-ABL BCR-ABL Mutationen CEL FIP1L1-PDGFRA FIP1L1-PDGFRA Mastozytose KIT D816V KIT D816V CLL CLLU1 IgVH Mutationsstatus Follikuläres Lymphom Mantelzell- Lymphom BCL2-IgH t(14;18) CLLU1 BCL1-IgH t(11;14) CLLU1 ALL BCR-ABL t(9;22) e1a2 BCR-ABL MLL-AF4 t(4;11) E2A-PBX t(1;19) AML MDS Bone Marrow Failure (hereditär) AML1-ETO t(8;21) CBFB-MYH11 inv(16) PML-RARA t(15;17) TET2 Mutationen Mutationen in TERC, TERT, Dyskerin, TINF2, NOP2, NHP2 AML1-ETO CBFB-MYH11 PML-RARA NPM1 Mutationen CEBPA Mutationen FLT3 ITD EVI1 Telomerlänge PML-RARA BCR-ABL Verlauf AML1-ETO Verlauf CBFB-MYH11 Verlauf PML-RARA Verlauf NPM1 Verlauf Telomerlänge

Therapeutische Umschau 2010; 67 (7): xxx xxx 3.9 Diagnose, Prognose, prädiktiver Aussage und Monitoring bestimmt. Mole kulare Marker sind im krankheitsdefinierenden Fall per se diagnostisch. Häufiger jedoch sind sie Bestandteil diagnostischer Algorithmen, welche auch Befunde der übrigen analytischen Methodik (Morphologie, Flowzytometrie, Zytogenetik) integrieren. Solche Werkzeuge sind im klinischen Alltag sinnvoll, wenn sich daraus diagnostische und vor allem therapeutische Konsequenzen ergeben. Tabelle 2 Prädiktive molekulare Marker ermöglichen eine Voraussage über Ansprechen oder Resistenz auf zielgerichtete Therapien Entität Molekularer Marker Medikament Ansprechen CML BCR-ABL Tyrosinkinaseinhibitoren ja CML Resistenz CEL BCR-ABL Mutationen FIP1L1- PDGFRA Tyrosinkinaseinhibitoren Tyrosinkinaseinhibitoren Mastozytose C-KIT D816V Tyrosinkinaseinhibitoren nein APL PML-RARA All-Trans Retinoinsäure ATRA ja Entsprechend der Mutation (23) ja Danksagung Besten Dank an Dr. med. M. Solenthaler für die Durchsicht des Manuskriptes und die wertvollen Ergänzungen. Molecular analyses for (early) recognition of hematologic diseases Sense and sensibility for molecular analysis: the art of intelligent decision-making During the last 10 years several molecular markers have been established as useful tools among the armamentarium of a hematologist. As a consequence, the number of performed hematologic molecular analyses has immensely increased. Often, such tests replace or complement other laboratory methods. Molecular markers can be useful in many ways: they can serve for diagnostics, describe the prognostic profile, predict which types of drugs are indicated, and can be used for the therapeutic monitoring of the patient to indicate an adequate response or predict resistance or relapse of the disease. Many markers fulfill more than one of these aspects. Most important, however, is the right choice of analyses at the right time-points! Literatur 1. Swerdlow SF, Campo E, Harris NL et al.who Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues, 4th Edition. IARC: Lyon 2008: 109 122. 2. Kralovics R, Passamonti F, Buser AS et al. A gain-of-function mutation of JAK2 in myeloproliferative disorders. NEJM 2005; 352: 1779 1790. 3. Hamblin TJ ; Davis z, Gardiner A et al. Unmutated Ig (VH) genes are associated with a more aggressive form of chronic lymphocytic leukemia. Blood 1999; 94: 1848 54. 4. Frohling S, Schlenk RF, Breitruck J et al. Prognostic significance of activating FLT3 mutations in younger adults (16 to 60 years) with acute myeloid leukemia and normal cytogenetics: a study of the AML Study Group Ulm. Blood 2002; 100: 4372 80. 5. Druker BJ, Talpaz M, Resta DJ et al. Efficacy and safety of a specific inhibitor of the BCR-ABL tyrosine kinase in chronic myeloid leukemia. NEJM 2001; 344: 1031 37. 6. Cools J, deangelo DJ, Gotlib J et al. A tyrosine kinase created by fusion of the PDGFRA and FIP1L1 genes as a therapeutic target of imatinib in idiopathic hyperesoinophilic syndrome. NEJM 2003; 348: 1201 14. 7. Falini B, Mecucci C, Tiacci E et al. Cytoplasmic nucleophosmin in acute myelogenous leukemia with a normal karyotype. NEJM 2005; 352: 254 66. 8. Baccarani M, Saglio G, Goldman J et al. Evolving concepts in the management of chronic myeloid leukemia: recommendations from an expert panel on behalf of the European Leukemia Net. Blood 2006; 108: 1809 20. 9. Josefsson P, Geisler CH, Leffers H et al. CLLU1 expression analysis adds prognostic information to risk prediction in chronic lymphocytic leukemia. Blood. 2007; 109: 4973 9. 10. Rai KR, Sawitsky A, Cronkite EP et al. Clinical staging of chronic lymphocytic leukemia. Blood 1975; 46: 219 34. 11. Dohner H, Stilgenbauer S, Benner A et al. Genomic aberrations and survival in chronic lymphocytic leukemia. NEJM 2000; 343: 1910 16. 12. Dohner K, Schlenk RF, Habdank M et al. Mutant nucleophosmin (NPM1) predicts favorable prognosis in younger adults with acute myeloid leukemia and normal cytogenetics: interaction with other gene mutations. Blood 2005; 106: 3740 46.

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