Kritische Lebensereignisse im Lebensverlauf

Ähnliche Dokumente
Was wirklich zählt in Zeiten des Umbruchs. Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello

Stressreiche biografische Übergänge

FACHKOMPETENZ + SOZIALE KOMPETENZ + SELBSTKOMPETENZ. > Demographischer Wandel: Diversität (Generationen, Gender, Kultur) > Technologiewandel

Stressvolle biografische Übergänge und ihre Bewältigung

Krisen im mittleren Lebensalter

Resilienz über die Lebensspanne

Partnerschaftliche Brüche im Alter

Charakterstärken für ein gutes Leben

Biografische Übergänge in der zweiten Lebenshälfte neue Inhalte, alte Muster?

Kontinuität und Wandel. Biografische Übergänge als Herausforderung und Chance. Aber gibt es den Normallebenslauf noch?!

Partnerschaft im Alter.

Stress, psychische Gesundheit und Schule

Persönlicher Umgang mit Wandel!

KOMMUNALE RESILIENZ SCHUTZFAKTOREN UND STRUKTUREN

eine Hochrisikopopulation: Biographien betroffener Persönlichkeiten

Krisen meistern Krisen meistern: Gefahr des Scheiterns und Chance des Neuanfangs

Gesund alt werden im Quartier

Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen

Psychische Gesundheit und Resilienz stärken

Resilienz - Krisen unbeschadet überstehen

Freiheit im Alter. Freiheit im Alter Prof. Dr. Mike Martin 1. Wenig Freiheit: Risikofaktorenmodell der Lebensqualität.

Was bedeutet Erwachsen-Werden für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung heute?

Dr. phil. Bettina Ugolini Psychologische Beratungsstelle LiA, Leben im Alter Universität Zürich. Dr. phil. Bettina Ugolini

Die psychosozialen Herausforderungen der modernen Arbeitswelt für das Individuum

Bendix Landmann DIE AUSGLEICHSWAAGE. Foto: 123RF, Bendix100wasser

Ich bin stark, wenn. Fachtagung "Nächste Stunde: Prävention!" der AOK Nordost am 03. Mai Stefanie Schopp. Stefanie Schopp

Zeiten des Wandels. Zeiten der Chancen!

Entwicklungspsychologie. des Erwachsenenalters. 3., vollständig überarbeitete Auflage

Resilienz: Was hilft Menschen dabei, Krisen zu überwinden? Prof. Dr. Holger Lindemann

Wie gehen (ältere) Menschen mit Veränderungen um?

FOSUMOS Persönlichkeitsstörungen: Ein alternativer Blick. Felix Altorfer 1

Unser Auftrag. ist der caritative Dienst für den Menschen als lebendiges Zeugnis der frohen Botschaft Jesu in der Tradition der Orden.

CHARAKTERSTÄRKEN UND IHRE AUSWIRKUNGEN AUF ARBEIT UND LEBENSZUFRIEDENHEIT

Recovery. Chronische Erkrankungen überwinden!

Helfen macht müde - was macht wieder munter?

Netzwerk Betriebe am 2. Juni 2014 Stress lass nach Umgang mit Stress?!

DIAGNOSTISCHE BEURTEILUNG DER ERZIEHUNGSFÄHIGKEIT BEI PSYCHISCH KRANKEN ELTERN

Restrukturierungen: Psychische Gesundheit erhalten und fördern

Wie Beziehung Kinder und Erwachsene stark macht

Häusliche Gewalt und die Folgen für die Kinder

Vorwort Grundannahmen und Konzepte der Entwicklungspsychologie

Psychosoziale Risiken und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit Herausforderungen für die Mediziner 14. SIZ-Care Forum

Das Alter. (k)ein einsames Schicksal? Prof. em. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello! Übersicht. Einsamkeit im Alter.

Meet The Expert - Bewältigungsstrategien. DGBS Jahrestagung Sep. 2017

Resilienz im Erwachsenenalter

Resilienz oder die Geschichte vom Stehaufmännchen

RESILIENZ WIDERSTANDSKRAFT STÄRKEN

Wahrnehmung von Resilienzfaktoren und deren Förderung in HzE

2 Was sind Theorien? Über Theorien Güte von Theorien Theorien über soziale Beziehungen im Alter... 40

Krisen von Angehörigen Damit muss ich alleine fertig werden! Warum fällt es uns so schwer, in belastenden Situationen Hilfe anzunehmen

HEALTH4YOU Stärken & Ressourcen Heft

KINDER, WAS FÜR EIN LEBEN!

RELIGIONSPSYCHOLOGIE

Krankheitsbewältigung bei chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter

Dennis Danielmeyer Vortrag 8. Oktober 2016 in Nürnberg

Therapiebedürftige Kinder und Jugendliche im Schulalter. Erfahrungen aus psychotherapeutischer Sicht und präventive Ansätze

Selbstmanagement- Kompetenz in Unternehmen nachhaltig sichern

43% der Bachelor-Studierenden empfinden die Belastung im Studium als hoch. 18% empfinden die Belastung als zu hoch

Charakterstärken in der Schule. Eine Studie zur Rolle von Charakterstärken von LehrerInnen und SchülerInnen im Kontext Schule

MMI- Fachtagung Gesundheitsförderliche Kita- für Kinder und Erwachsene

Wann und warum ist eine Fluchtgeschichte traumatisierend?

Motivation, Stress und Unfallrisiko

Psychisch gesund trotz Krise

Helfen macht müde was macht wieder munter?

Veränderte Kindheit? Wie beeinflusst der aktuelle Lebensstil die psychische Gesundheit von Kindern?

Ärztliche Stellungnahme zur Planung einer Eingliederungshilfe

Kindergesundheit 2030

Ich bin stark, wenn STEFANIE SCHOPP

Adelante heißt vorwärts. Unterstützung eines Beraters oder Therapeuten hilfreich, der mit seinem Blick von außen diesen Perspektivwechsel eröffnet.

Resilienz. Ein anderer Blick auf Verlustreaktionen. Aeternitas - Service - Reihe: Trauer. Aeternitas - Service - Reihe: Trauer

Widerstandsfähigkeit im Wandel Warum resiliente Organisationen erfolgreicher sind

Langzeit-Outcome zwei Jahre nach Schlaganfall: Stellenwert der Erfassung von Resilienz. E. v. Schenk, S. Weigand & C. Wendel

Psychosoziale Diagnostik in der Jugendhilfe

Studie zum Einfluss von Kindheitserfahrungen auf Mütter und deren neugeborene Kinder. Pressekonferenz

Alexander Grob Uta Jaschinski. Erwachsen werden. Entwicklungspsychologie des Jugendalters

Psychosoziale Auswirkungen bei chronischen Krankheiten. oder: Psychisch gesund trotz körperlich chronischer Krankheit

Häufige Begleiterkrankungen: Körperliche Erkrankungen Epilepsie Sonstige körperliche Erkrankungen

Leben mit einer chronischen Erkrankung Wie gehen Angehörige damit um? Ignorieren bis zu in Watte packen?

Kinder suchtkranker und psychisch kranker Eltern eine besondere Herausforderung für die Hilfesysteme Rede nicht! Traue nicht! Fühle nicht!

Resilienzprofil. Grundhaltungen

Resilienz die unsichtbare Kraft. Dr. Maren Kentgens Hamburger Forum Interim Management Managerin Asklepios Connecting Health

Die positive Psychologie

Vortrag Resilienz das Bindeglied zwischen Gesundheit und Leistung. von Dipl.-Psych. Markus Schmitt

Alter und Trauma. Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe 16. November 2016

Wie viel Mutter und Vater brauchen Kinder? Heinz Kindler, Deutsches Jugendinstitut

Psychische Gesundheit und Familie: Gesundheitspolitische Herausforderung

Herzlich willkommen. Die psychologische Sprechstunde ein Gewinn für Beschäftigte und Unternehmen. 22. Mai Schön, dass Sie da sind!

Vorgehen im Umgang mit suchtbelasteten Familien in der Jugendhilfe

Zukunftstrend Resilienz

Posttraumatische Störungen bei Migrantinnen und Migranten

Trauma und Vernachlässigung als Katalysator schwerer psychischer Störungen?

Leitfaden zur Vorbereitung auf Ihre Coaching Sitzung

Transitionen im Krankheitsverlauf

Sicherheit hat Vorrang! Safety First!

Angaben zur Person: Hilfeplanung Stellung (Nichtzutreffendes bitte streichen):

Traumatisierung & Kultur Resilienz. Dr. med. Frauke Schaefer Barnabas International

Basiskompetenzen eines Kindes bis zur Einschulung

gefördert von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Transkript:

Wege aus der Verletzlichkeit Erfahrungen aus Theorie und Praxis Forschung Kritische Lebensereignisse im Lebensverlauf Resilienz und Rahmenbedingungen für die Krisenüberwindung Pasqualina Perrig-Chiello

Kritische Lebensereignisse und psychische Vulnerabilität > Kritische Lebensereignisse: häufiger Grund für psychische Vulnerabilität. > Psychische Vulnerabilität: Mangel an Ressourcen auf individueller, familialer, sozialer und gesellschaftlicher Ebene. > Psychische Probleme gehören zu den häufigsten Krankheiten. Auswirkungen auf verschiedenste Lebensbereiche (persönliche Verwirklichung, Familie, Arbeit, soziale Teilhabe). > Rund 1/5 der CH-Bevölkerung leidet an einer oder mehreren psychischen Erkrankungen häufig chronisch. Damit assoziiert sind hohe Kosten etwa 7 Milliarden CHF/Jahr (BAG, SKGD, Gesundheitsförderung Schweiz 2015). 2

Wege in die psychische Vulnerabilität Wann sind wir psychisch am verletzlichsten und warum? In Lebensphasen mit grösserer Abhängigkeit und Unsicherheit, insbesondere: 1.Kindheit: Die frühen Jahre sind eine sensible Phase mit nachhaltigen Folgen für die weitere Entwicklung. Aufgrund der grösseren Abhängigkeit spielt der familiale und gesellschaftliche Kontext eine bedeutsame Rolle. 2.Biographische Wendepunkte sei es biographische Übergangsphasen oder kritische Lebensereignisse - erfordern eine Reorganisation des Lebens, verändern Rollen, Beziehungen und führen zu emotionalem Ungleichgewicht. Jedoch: Grosse individuelle Unterschiede im Umgang mit diesen Herausforderungen. 3

1. Frühkindliche Belastungen haben nachhaltige Folgen Frühkindliche Belastungen: Verluste > Tod der Eltern / eines Elternteils > Scheidung der Eltern Elterliche Verhaltensauffälligkeiten > Psychische Störung > Drogenkonsum > Kriminalität > Häusliche Gewalt Misshandlung > Körperlicher Missbrauch > Sexueller Missbrauch > Emotionaler Missbrauch > Vernachlässigung Familiäre ökonomische Not

Dauerbelastung in der Kindheit vermindert nachhaltig die Bedürfnis/Impulskontrolle und erhöht damit die Vulnerabilität Dauerstress > erhöhte Stresshormon-Ausschüttung > Reduktion des Hippocampus-Volumen > verminderte Impulskontrolle > negative Folgen in Schule, /Beruf, Sozialverhalten, emotionalem/sozialem Coping (Mischel, 2012). Hot emotional system: Amygdala-basiertes Go System - Emotionskontrolle > Emotionssystem Cool cognitive system: Hippocampus-zentriertes Know System Willentliche Kontrolle > Willenssystem (Phelps, 2004) (Damasio, 2000)

2. Biografische Wendepunkte als Herausforderung Lebensverläufe haben sich verändert: >Zunehmende Destandardisierung der Lebensläufe aufgrund des demographischen und gesellschaftlichen Wandels. >Übergänge sind heute weniger normiert und gesellschaftlich weniger sichtbar dafür aber zahlreicher (= mehr berufliche und private Übergänge). >Zunehmende Privatisierung biografischer Übergänge und kritischer Lebensereignisse. >Gestiegener Originalitätsanspruch bei der Gestaltung des Lebenslaufs (Individualisierung) und damit Gefahr der Überforderung der Selbststeuerungs-Kompetenz. 6

Biographische Wendepunkte mit hohem Stresspotenzial Häufigste und stressreiche kritische Lebensereignisse Tod des Partners Scheidung/Trennung Unfall, Krankheit Arbeitsplatzverlust Krankheit u. Tod eines Familienangehörigen Gefängnisaufenthalt Wohnortwechsel; Jobwechsel,... Holmes & Rahe Scale 7

Die mittleren Jahre Kumulation schwieriger Übergänge Schwierige Übergänge Persönliche Ebene: Körperliche Veränderungen Bilanzierungsprozesse aufgrund veränderter Zeitperspektive Familiale Ebene Scheidung, Trennung Generationelle Sandwich-Situation Berufliche Ebene Wiedereinstieg Jobwechsel 8

Anzahl Scheidungen Stressreiche Lebensereignisse, diagnostizierte Depressionen, Burn-out... Alter bei der Scheidungen, BFS 2013 Source: Federal Office of Statistics Alter 9

Krise oder chronische Belastung? Heilt Zeit Wunden? Ja... Kritische Lebensereignisse/biographische Wendepunkte wirken sich negativ auf Wohlbefinden und Gesundheit aus. Nach einer gewissen Zeit erholen sich die meisten....aber nicht immer! - Persönlichkeitsfaktoren sind für die psychische Wiederherstellung entscheidend; - Kontextfaktoren (z.b. soziale Netze, finanzielle Absicherung) sind für die soziale Teilhabe und Sicherheit wichtig. - Beim Fehlen dieser beiden Ressourcen ist eine erfolgreiche Adaptation stark erschwert. 10

Die gesellschaftlichen Bedingungen prägen entscheidend sind letztlich die Einstellungswerte. (in Anlehnung an Viktor Frankl) Es sind nicht die Dinge an sich, die den Menschen Sorgen bereiten, sondern unsere Einschätzung derselben (Epiktet, 1 Jhd. v. Chr.) 11

Distress Psychische Adaptation nach kritischen Lebensereignissen unterschiedliche Muster Chronisch Verzögert Erholung Resilienz Ereignis 1 Jahr 2 Jahre Bonanno G.A. (2004). Loss, trauma, and human resilience. American Psychologist 59:20-28.

Psychische Resilienz Kernelement für die erfolgreiche Bewältigung von kritischen Lebensereignissen Was ist psychische Resilienz? Psychische Widerstandfähigkeit und Fähigkeit, auf Widerwärtigkeiten des Lebens flexibel zu reagieren, erfolgreich mit Schwierigkeiten umzugehen, an ihnen zu wachsen. Resultat einer komplexen Person-Umwelt-Interaktion: Optimale Passung zwischen dispositionellen Eigenschaften und protektiven Faktoren ausserhalb der Person. Psychische Resilienz ist nicht Schicksal, sondern kann erlernt werden und durch gezielte Angebote und Strukturen gefördert werden. Achtung: Psychische Resilienz hat Grenzen! 13

Charakterstärken - des Rätsels Lösung? Personen mit vier und mehr Charakterstärken haben höhere Werte im positiven Erleben, haben mehr Freude an ihrem Leben, empfinden es als sinnvoller und befriedigender. Resiliente Personen besitzen bis zu 7 Charakterstärken, die besonders typisch für sie sind => Signaturstärke! 14

Charakterstärken, die im Leben zentral sind Überbegriffe: Mässigung Mentale Stärke Mut und Gerechtigkeit Emotionale Stärke Charakterstärken: Selbstregulation(-kontrolle), Wille Tapferkeit, Selbstverantwortlichkeit, Ausdauer, Ehrlichkeit, Tatendrang, Fairness Liebe und Menschlichkeit Fähigkeit zu lieben und geliebt zu werden: Interpersonale Stärke Freundlichkeit, Mitgefühl, soziale Intelligenz Weisheit und Wissen Kognitive Stärke Transzendenz Spirituelle Stärke Neugier, Urteilsvermögen, Aufgeschlossenheit, Weitsicht Kreativität Sinn für das Schöne, Dankbarkeit, Hoffnung, Humor, Religiosität und Spiritualität Charakterstärken können erlernt werden! 15

Impulskontrolle Hauptelement der Resilienz Die Belohnung des Verzichts und des Aushaltens Impulskontrolle in früher Kindheit (Wie lange kann man auf das Marshmallow verzichten?) korreliert im Erwachsenenalter u.a. mit -Schul-/Berufserfolg, emotionalem/sozialem Coping, Aggression und Delinquenz Mischel et al., 1988; -Selbstwert, Umgang mit Stress, Drogen, Sozialverhalten, Persönlichkeitsstörungen, PTSD Ayduk et al., 2000 -Übergewicht Seeyave et al., 2009 Wille: Verzichten und Aushalten es ist nie zu spät es zu lernen!

Angebote zur Stärkung psychischer Resilienz boomen... Gemeinsame Basis der Programme: Selbsterkenntnis Was sind meine Stärken, was die Schwächen? Wo ist Entwicklungspotential? 17

Wege zur psychischen Resilienz Die American Psychological Association (APA) definiert 10 Wege, die zu individueller Resilienz führen: 1.Krisen nicht als unüberwindbare Probleme einstufen 2.Veränderungen als Teil des Lebens akzeptieren 3.Probleme richtig einordnen 4.Proaktiv sein und klare Entscheidungen treffen 5.Zielstrebig eigene (realistische) Ziele verfolgen 6.Netzwerke bilden; gegenseitige Unterstützung fördern 7.Möglichkeiten zur Selbstreflexion nutzen 8.Die positive Selbstwahrnehmung fördern 9. Optimistisch bleiben 10. Auf sich Acht geben für sich gut sorgen! 18

Wege aus der psychischen Vulnerabilität Resilienz ist nicht nur individuelles Schicksal, sondern muss auch durch gezielte Angebote und Strukturen gefördert werden. Wo? 1)Individuelle Ebene 2)Familiale Ebene 3)Kommunale Ebene 4)Gesellschaftliche Ebene je Was? Informieren, entstigmatisieren Früherkennung Belastungen reduzieren Gefährdung auffangen Bewältigungskompetenzen stärken Wie? -Ressourcenorientiert -So früh wie möglich, aber ohne obere Altersgrenze -Kulturelle Vielfalt respektierend 19

Unsere Aufgabe? Helfen, einen fertilen Boden zu schaffen! Viel Erfolg und Freude! 20